Fantômas – Kapitel 26
Rechtzeitig am kleinen Bahnhof von Verrieres angekommen, wo er im Begriff war, mit dem Zug nach Paris zu fahren, um seiner Vorladung vor Gericht nachzukommen, gab der alte Hausverwalter Dollon seinen beiden Kindern, die ihn begleiteten, seine letzten Anweisungen.
»Ich muss mich natürlich an Frau de Vibray wenden«, sagte er. »Ich weiß noch nicht, wann Monsieur Fuselier mich in seinem Büro sehen will. Wie auch immer, wenn ich morgen nicht zurückkomme, werde ich es am nächsten Tag tun, ganz bestimmt. Nun, meine Kleinen. Ich habe nun fertig, also verabschiedet euch und lauft so schnell ihr könnt nach Hause. Es sieht für mich so aus, als würde es einen Sturm geben, und ich möchte wissen, dass ihr sicher zu Hause seid.«
***
Mit starkem Quietschen der Eisenräder und heftigem Abblasen des Dampfes von der Maschine fuhr der Pariser Zug in den Bahnhof ein. Der Hausverwalter gab seinem kleinen Sohn und seiner kleinen Tochter einen letzten Kuss und stieg in ein Abteil zweiter Klasse ein.
In einem Nachbardorf hatte eine Uhr gerade drei geschlagen.
Der Sturm hatte seit dem frühen Abend gewütet, aber nun schien er mit neuer Wut aufgefrischt zu sein. Der Regen peitschte heftiger nieder, der Wind wehte noch härter, sodass sich die schlanken Pappeln entlang der Bahnlinie bogen, sich vor den Böen neigten und die fantastischsten Formen annahmen, welche aber nur verschwommen im Dunkel der Nacht zu sehen waren. Die Nacht war tiefschwarz. Die Dunkelheit war so dicht, dass selbst das schärfste Auge auch aus der Entfernung von wenigen Yards nichts deutlich erkennen konnte.
Dennoch machte sich entlang der Eisenbahndammes ein Mann mit stetigem Schritt auf den Weg, der nicht vom erschreckenden Ausmaß des Sturmes gestört zu sein schien. Er war ein Mann von etwa dreißig Jahren, ziemlich gut gekleidet in einem großen wasserdichten Mantel, dessen Kragen, bis zu den Ohren hochgezogen, den unteren Teil seines Gesichts verbarg. Er trug einen großer Filzhut mit Rand, welcher ihn ziemlich gut vor dem schlimmsten Wetter schützte. Der Mann stemmte sich gegen den Wind, der mit einer solchen Kraft in seinen Mantel fuhr, dass er manchmal fast zum Stehen kam. Er lief auf einem steinigen Weg, ohne auf die schmerzhafte Lage zu achten, in welcher er mit Sicherheit aufgrund der dünnen Stiefel steckte, die er trug.
»Schreckliches Wetter!«, knurrte er. »Ich erinnere mich seit Jahren nicht mehr an eine so schockierende Nacht: Wind, Regen, alles Mögliche! Aber ich darf nicht meckern, denn die völlige Dunkelheit wird für meinen Zweck ungemein nützlich sein.« Ein Blitz flammte über dem Horizont auf. Der Mann blieb stehen und sah sich schnell um. Ich kann nicht weit vom Ort weg sein, dachte er und machte sich wieder auf den Weg. Kurze Zeit später seufzte er erleichtert auf. »Hier bin ich endlich.«
An dieser Stelle wurde die Bahnstrecke vollständig von zwei hohen Böschungen eingeschlossen und verlief am Fuß eines tiefen Einschnittes.
»Hier ist es besser«, sagte der Mann zu sich selbst. »Der Wind geht weit über meinen Kopf hinweg und der Einschnitt bietet guten Schutz.« Er hielt an und legte vorsichtig ein ziemlich unhandliches Bündel auf den Boden, das er unter seinem Arm getragen hatte. Dann begann er auf und ab zu gehen und stampfte mit den Füßen, um sich warm zu halten. »Es hat gerade drei geschlagen«, murmelte er. »Nach dem Fahrplan muss ich noch zehn Minuten warten. Nun, besser zu früh als zu spät!« Er betrachtete das Bündel, das er einige Minuten zuvor abgelegt hatte. »Es ist schwerer, als ich dachte, und liegt im Weg. Aber es war absolut notwendig, es mitzubringen. Hier unten in diesem Einschnitt gibt es für mich keinen Grund zur Sorge: Das Gras ist dick genug, damit ich laufen kann, und die Strecke ist so gerade, dass ich die Lichter des Zuges weit aus der Ferne erkennen werde.« Ein feines Lächeln umspielte seine Lippen. »Wer hätte gedacht, als ich in Amerika war, dass ich es jemals so nützlich finden sollte, gelernt zu haben, wie man einen fahrenden Zug besteigt?«
Ein dumpfes Geräusch war in der Ferne zu hören. In einer Sekunde war er zu seinem Bündel gesprungen, hob es auf, wählte einen Platz auf dem Schotter, hockte sich hin und lauschte. An der Stelle, an der er sich befand, lief die Strecke eine steile Steigung hinauf. Von der unteren Seite dieses Abschnitts aus ging das Geräusch, das er gehört hatte, weiter, wurde lauter, fast ohrenbetäubend. Es war das schwere, regelmäßige Schnaufen eines Zuges, der unter Volldampf einen steilen Anstieg hinaufkam.
»Kein Fehler: Mein Stern ist bei mir«, murmelte der Mann. Als sich der Zug näherte, spannte er seine Muskeln an. Sein Bündel fester in die Hand nehmend, beugte er sich in gebückter Haltung vor, welche die Läufer einnehmen, wenn sie kurz davorstehen, in ein Rennen zu starten.
Mit einem heftigen Gebrüll und eingehüllt in Dampfwolken kam der Zug an die Stelle, wo er war, und fuhr wegen der steilen Steigung langsam, sicherlich weniger als 20 Meilen pro Stunde. In dem Moment, als die Lokomotive an ihm vorbeigefahren war, spurtete der Mann geschmeidig wie eine Katze los und beschleunigte seinen Lauf. Der Zug kam immer näher, der Tender, der Gepäckwagen und die Wagen der dritten Klasse fuhren an ihm vorbei, ein Wagen der zweiten Klasse kam gerade auf seine Höhe. Allein das Tempo hätte fast jedem anderen die Fähigkeit zum Nachdenken genommen, aber dieser Mann war offensichtlich ein erstklassiger Athlet, denn für den Moment erblickte er einen Wagen der zweiten Klasse, für den er sich entschied. Mit enormer Anstrengung ergriff er den Handlauf und sprang auf das Trittbrett, wo er mit außergewöhnlichem Geschick versuchte, stehen zu können.
Als der Zug die Kuppe des Hanges erreichte, wurde er schneller. Mit noch lauterem Gebrüll begann er seine rasante Fahrt durch die Dunkelheit und den Sturm, die mit jeder Minute intensiver zu werden schienen. Für ein paar Sekunden blieb der Mann dort stehen, wo er war. Als er wieder Atem gewonnen hatte, stieg er auf die obere Stufe und lauschte an der Tür des Ganges, wo er sich befand. »Niemand da«, murmelte er. »Außerdem werden alle schlafen.« Er stand auf, öffnete die Tür und trat mit einem Stöhnen der Erleichterung in den Wagen der zweiten Klasse. Er versuchte nicht, sich zu verstecken, ging keck in die Toilette und wusch sein Gesicht, das durch den Rauch draußen geschwärzt worden war. Danach kam er auf möglichst gemächliche und natürliche Weise aus der Toilette, lief den Gang entlang, machte laut Selbstgespräche und kümmerte sich offensichtlich nicht darum, ob er belauscht worden war. »Es ist absolut unerträglich! Niemand kann schlafen, bei solchen Mitreisenden!«
Während er sprach, ging er weiter den Gang entlang und blickte schnell in jedes Abteil. In einem schliefen drei Männer, offensichtlich ohne zu wissen, dass jemand sie von außen beobachtete. Die Tür des Abteils war offen, der Fremde trat lautlos hinein. Die vierte Sitzecke war frei. Hier nahm der Mann Platz, legte sein Bündel neben sich und täuschte einen Schlaf vor. Er wartete eine gute Viertelstunde lang regungslos, bis er ziemlich überzeugt war, dass seine Mitreisenden wirklich fest schliefen. Dann schob er seine Hand in das Bündel an seiner Seite, schien etwas darin zu suchen, zog seine Hand lautlos zurück, trat aus dem Abteil und schloss vorsichtig die Tür.
Im Gang seufzte er erleichtert auf und nahm eine Zigarre aus seiner Tasche.
»Alles läuft hervorragend«, sagte er zu sich selbst. »Ich habe gerade diesen schrecklichen Sturm verflucht, aber er ist für mich außerordentlich hilfreich. In einer solchen Nacht wie dieser würde niemand daran denken, die Fenster zu öffnen.« Er ging auf und ab, hielt sich mit einer Hand am Geländer fest, um sich gegen das Schaukeln des Zuges zu wehren. Ab und zu nahm er seine Uhr mit der anderen heraus, um die Zeit zu vergleichen. »Ich habe nicht allzu viel Zeit«, murmelte er. »Ich muss schnell sein, sonst verpasst mein Freund seinen Zug!« Er lächelte, als ob er über die Idee amüsiert wäre. Dann hielt er seine Zigarre von sich weg, um den Rauch nicht einzuatmen, und machte mehrere tiefe Atemzüge. »Es gibt einen schwachen Duft«, sagte er, »aber man müsste es einem sagen, um ihn zu erkennen. Der Kern davon ist, dass es oft Albträume verursacht. Das wäre schrecklich!« Er unterbrach seine Wanderung und lauschte erneut. Aus den Abteilen war kein Geräusch zu hören, außer dem Schnarchen einiger Reisender und dem monotonen, rhythmischen Klang der Räder, die über die Schienenstöße rollten. »Los! Ich habe zwanzig Minuten gewartet. Es wäre riskant, länger zu warten. Lass uns an die Arbeit gehen!«
Er trat zügig in das Abteil zurück und blickte heimlich in den Gang, um sicherzustellen, dass niemand da war. Er ging zum gegenüberliegenden Fenster und öffnete es weit. Er streckte seinen Kopf für ein oder zwei Minuten in die Luft und drehte sich dann um, um seine Reisegefährten zu untersuchen. Alle drei waren fest eingeschlafen.
Der Mann gab einem trockenen Lächeln Luft. Er zog sein Bündel zu sich, fühlte, bis er etwas in ihm fand, und warf es wieder auf den Sitz. Dann ging er zu dem Mann gegenüber, schob seine Hand in seinen Mantel und entnahm eine Brieftasche und begann, die darin enthaltenen Papiere zu untersuchen. »Alles«, rief er plötzlich aus, »das war es, wovor ich Angst hatte.« Er nahm eines der Papiere, die er in seine eigene Brieftasche steckte, wählte eines aus seinem eigenen und steckte es in die Brieftasche des anderen Mannes. Nachdem er diesen Austausch durchgeführt hatte, tauschte er das Eigentum des Mannes aus und lachte wieder. »Du schläfst wirklich!«
Und in der Tat, obwohl der Taschendieb keine besondere Vorsicht walten ließ, schlief der Mann weiter fest, ebenso wie die beiden anderen Männer im Abteil.
Der Dieb sah noch einmal auf seine Uhr.
»Es wird Zeit!«
Er lehnte sich aus dem offenen Fenster und schob die Verriegelung zurück. Dann öffnete er die Tür ganz weit, nahm den schlafenden Reisenden an den Schultern und hob ihn vom Sitz auf. Mit aller Kraft warf er ihn aus dem fahrenden Zug!
Im nächsten Moment ergriff er die leichten Gegenstände, die offensichtlich seinem Opfer gehörten, aus dem Regal und warf sie ihm nach.
Als er seine grässliche Arbeit beendet hatte, knabberte er zufrieden an seinen Händen. »Gut!«, sagte er und schloss die Tür wieder, ließ aber das Fenster offen. Er ging aus dem Abteil heraus, ohne sich um die Abholung seiner Sachen zu kümmern, und lief über den Gang zu einem anderen Abteil zweiter Klasse, zur Vorderseite des Zuges, in das er sich entspannt niederließ.
»Das Glück ist mit mir gewesen«, murmelte er, als er sich auf dem Sitz ausstreckte. »Alles ist gut gelaufen. Niemand hat mich gesehen, und die beiden Narren, die meine Pläne durcheinandergebracht haben könnten, werden ganz von selbst aufwachen, wenn sie zu frieren beginnen. Sie werden die Kopfschmerzen, die sie wahrscheinlich empfinden werden, auf ihre ermüdende Reise zurückführen.«
Ein Zug, der in die entgegengesetzte Richtung fuhr, dröhnte plötzlich am Fenster vorbei und ließ ihn aufschrecken. Er sprang hoch und lächelte.
»Herrgott! Ich sagte, mein Freund würde seinen Zug verpassen, aber er wird ihn in den nächsten fünf Minuten erwischen! In weiteren fünf Minuten werden Gepäck, Körper und die gesamte Bande zu Hackfleisch!« Von der Vorstellung völlig beruhigt, kicherte er wieder. »Es hätte nicht besser laufen können. Ich kann mich ausruhen, und in einer Stunde werde ich in Juvisy sein, wo ich mich dank meiner Voraussicht buchstäblich reinwaschen kann.« Eines schien ihn jedoch noch zu beunruhigen: Er wusste nicht genau, wo er sein unglückliches Opfer auf die Gleise geworfen hatte, aber er hatte die Idee, da der Zug kurz darauf durch einen kleinen Bahnhof gefahren war. Wenn dem so war, konnte die Leiche früher gefunden werden, als er sich erhofft hatte. Er versuchte, den Gedanken aus seinem Kopf zu verdrängen, aber er erblickte die Telegrafenpfähle, die an den Fenstern vorbeizogen. Er zeigte ihnen bösartig die Faust. »Das ist das Einzige, was mir jetzt schaden kann«, murmelte er.
***
»Juvisy! Juvisy! Zwei Minuten Wartezeit!«
Es war gerade mal halb sechs, und die Schaffner eilten durch den Zug, riefen den Namen des Bahnhofs und rissen noch schlafende Reisende aus ihren Träumen. Ein Mann sprang leichtfüßig aus einem Wagen der zweiten Klasse, ging zum Ausgang des Bahnhofs und hielt sein Ticket bereit. »Ein Jahresticket«, sprach er und lief schnell weiter.
»Gute Idee, diese Dauerkarte«, sagte er zu sich selbst, »viel weniger riskant als ein gewöhnliches Ticket, das die Polizei hätte verfolgen können.«
Er ging zügig auf den Fußgängerüberweg zu, überquerte die Hauptstraße und bog in eine Seitenstraße, die zur Seine hinunterführte. Der Mann nahm den Schlamm nicht wahr, ging auf ein Feld und versteckte sich in einem kleinen Dickicht am Flussufer. Er schaute sorgfältig um sich, um sicherzustellen, dass er unbeobachtet war, zog dann Mantel, Jacke und Hose aus, holte ein Bündel aus einer der Seitenfächer seiner großen wasserdichten Tasche und zog sich neu an. Sobald er bekleidet war, breitete er den Regenmantel auf dem Boden aus, faltete darin die Kleidung und den Hut, den er vorher getragen hatte, fügte eine Reihe schwerer Steine hinzu und band das ganze Bündel mit einem Stück Schnur zusammen. Er schwang es ein- oder zweimal mit der ganzen Länge seines Armes und schleuderte das Bündel direkt in die Mitte des Flusses, wo es auf der Stelle unterging.
Wenige Minuten später erschien ein Maurer in seiner Arbeitskleidung am Fahrkartenschalter in Juvisy. »Bitte eine Arbeiterkarte nach Paris, Alte«, sagte er. Nachdem er sie bekommen hatte, ging der Mann zum Bahnsteig. »Es wäre riskant gewesen, mein eigenes Ticket zu benutzen«, murmelte er. »Dieses Rückfahrticket wird sie von der Fährte ablenken.« Mit einem Lächeln wartete er auf den Zug, der ihn nach Paris bringen würde.
***
Der Personenzug von Luchon kam in die Nähe seiner Pariser Endstation. Die Reisenden verrichteten schnell ihre Toilette und machten sich nach ihrer langen Nachtfahrt frisch. Doch gerade als er sich dem Güterbahnhof näherte, wurde der Zug langsamer und blieb stehen. Die überraschten Passagiere steckten die Köpfe aus den Fenstern, um die Ursache für die unerwartete Verspätung in Erfahrung zu bringen, die verschiedene Vermutungen auslöste und einhellig ihrer Verärgerung über das Unternehmen zum Ausdruck brachte.
Drei Männer gingen langsam auf dem Gleis entlang und sahen sich jede Tür genau an. Zwei von ihnen waren Schaffner, welche die respektvollste Aufmerksamkeit für alles, was der dritte Mann sagte, bekundeten. Dieser Mann war ein ernsthaftes Individuum, sehr korrekt gekleidet.
»Sehen Sie, Monsieur«, rief einer der Schaffner aus, »es gibt hier eine Tür, an der die Sicherung entweder gelöst oder nicht befestigt ist. Das ist die einzige im Zug.«
»Das ist es«, sagte der Mann, packte den Griff, öffnete die Tür des Abteils und stieg ein. Zwei Reisende waren damit beschäftigt, ihre Taschen zu verschnüren. Sie drehten sich gleichzeitig überrascht um.
»Sie werden mir verzeihen, Messieurs, sobald Sie wissen, wer ich bin«, sagte der Eindringling. Er warf seinen Mantel auf und zeigte seinen dreifarbigen Schal. »Ich muss mich nach einer Leiche erkundigen, die auf der Strecke bei Bretigny gefunden wurde. Sie ist wahrscheinlich aus diesem Zug gefallen, vielleicht auch aus diesem Abteil, denn ich habe gerade festgestellt, dass die Sicherung nicht befestigt ist. Wo sind Sie in den Zug gestiegen?«
Die beiden Passagiere sahen sich erstaunt an.
»Was für eine furchtbare Sache!«, rief einer von ihnen aus. »Aber, Monsieur, bis spät in die Nacht, während mein Freund hier und ich schliefen, verschwand einer unserer Mitreisenden. Ich habe eine Bemerkung dazu gemacht, aber dieser Herr hat sehr plausibel darauf hingewiesen, dass er an einem Bahnhof ausgestiegen sein muss, während wir schliefen.«
Der Beamte war sehr interessiert.
»Was für ein Passagier war das?«
»Ganz leicht zu erkennen, Monsieur; ein Mann von etwa sechzig Jahren, ziemlich kräftig und mit Backenbart.«
»Das stimmt mit der Beschreibung überein. Könnte er ein Diener oder ein Hausmeister gewesen sein?«
»Das ist genau das, wonach er aussah.«
»Dann muss das der Mann sein, dessen Leiche an der Strecke gefunden wurde. Aber ich weiß nicht, ob es sich um einen Fall von Selbstmord oder Mord handelt, denn auch Handgepäck wurde aufgesammelt: Ein Selbstmörder hätte sein Gepäck nicht hinausgeworfen, und ein Dieb hätte es nicht loswerden wollen.«
Der Passagier, der noch nicht gesprochen hatte, unterbrach das Gespräch.
»Sie irren sich, Monsieur, jedenfalls wurde nicht sein ganzes Gepäck auf die Gleise geworfen.« Er zeigte auf das Bündel, das auf dem Sitz lag. »Ich dachte, das gehöre dem Herrn hier, aber er hat mir gerade gesagt, dass es nicht seins ist.«
Der Beamte löste schnell die Riemen und öffnete das Gepäckstück.
»Hallo! Eine Flasche flüssige Kohlensäure! Also, was bedeutet das?« Er sah es sich an. »Gehörte dieses Bündel dem Mann, der verschwunden ist?«
Die beiden Passagiere schüttelten den Kopf.
»Ich glaube nicht«, sagte einer von ihnen. »Ich hätte sicherlich die karierte Decke bemerken sollen, aber ich habe sie nicht gesehen.«
»War dann ein vierter Passagier in diesem Abteil?«, fragte der Beamte.
»Nein, wir sind allein gereist«, sagte einer der Männer, aber der andere war nicht seiner Meinung.
»Es ist sehr seltsam, und ich bin mir da nicht sicher, aber ich frage mich wirklich, ob nicht gestern Abend jemand in unser Abteil gekommen ist, während wir geschlafen haben. Ich habe den vagen Eindruck, dass es jemand getan hat, aber ich bin mir nicht sicher.«
»Versuchen Sie, sich zu erinnern, Monsieur«, drängte ihn der Beamte, »es ist von allerhöchster Bedeutung.«
Aber der Passagier schüttelte zweifelnd die Schultern.
»Nein, ich kann wirklich nichts Bestimmtes sagen; und außerdem habe ich furchtbare Kopfschmerzen.«
Der Beamte schwieg für ein oder zwei Minuten.
»Meiner Meinung nach, meine Herren, hatten Sie ungewöhnliches Glück, selbst dem Mord zu entkommen. Ich verstehe noch nicht ganz, wie der Mord geschah, aber ich neig zu der Annahme, dass er sich als unglaublich gewagt erweist. Wie auch immer …« Er blieb stehen und steckte seinen Kopf aus dem Fenster. »Sie können den Zug gleich weiterfahren lassen«, rief er einem Schaffner zu und fuhr fort: »Ich muss Sie jedoch bitten, mich zum Bahnhofsvorsteher zu begleiten, mir Ihre Namen und Adressen zu nennen und mir danach bei der Durchführung der gerichtlichen Untersuchung zu helfen.«
Die beiden Reisenden sahen sich in verzweifelter Überraschung an.
»Es ist wirklich schrecklich«, sagte einer von ihnen. »Du bist heutzutage nirgendwo mehr sicher.«
»Das bist du wirklich nicht«, stimmte die andere zu. »So viele schreckliche Morde und Verbrechen werden jeden Tag begangen, dass man meinen könnte, nicht einer, sondern ein Dutzend Fantômas seien am Werk!«