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Oberhessisches Sagenbuch Teil 19

Oberhessisches Sagenbuch
Aus dem Volksmund gesammelt von Theodor Bindewald
Verlag von Heyder und Zimmer, Frankfurt a. M., 1873

Das Schloss zu Altenhain

Unterhalb Altenhain findet sich eine Erhöhung, der Hüwel geheißen, und gleich nebenan der Pfaffenstrauch. Hier soll einst ein stolzes Schloss gestanden haben, das aber längst vom Erdboden verschwunden ist. In mancher Mitternacht jedoch sieht man es wieder dastehen, wie es gewesen ist, mit seinen Türmen und Zinnen, alle Fenster hell erleuchtet, als ob drinnen ein großes Fest gefeiert würde. Dann erscheint mitunter auch das Schlossfräulein, das ist schneeweiß angetan und von wunderbarer Schönheit, aber es redet nichts, sondern klagt nur leise und wimmernd um die vergangene Herrlichkeit und seufzt ohne Hoffnung nach seiner Erlösung.


Die Königstochter im Bilstein bei Lauterbach

Bei der Stadt Lauterbach erhebt sich der Bilstein, ein mäßiger Berg, der mit Wald bestanden ist und einen prächtigen Steinbruch mit dem allerschönsten Säulenbasalt vor sich hat. Ehedem stand da ein stolzes Schloss. Darin wohnte ein alter König mit seiner Tochter, welche ihres Gleichen nicht hatte in allen Landen an Schönheit. Aber das gehorsame Herz und fromme Gemüt fehlte ihr. Sie entbrannte gegen einen Niederen in unziemlicher Liebe. Als ihr Vater sie deshalb schalt, geriet sie in einen so starken sündhaften Zorn gegen denselben, dass sie mit eigener Hand ihn hinterlistig erstach. Seitdem ist das Schloss versunken in den Berg mit all seiner Herrlichkeit. Wirre Steinhaufen bedecken die verfluchte Stätte. Die unnatürliche Königstochter geht seitdem in weißem Gewand mittags und mitternachts um, ohne Rast und Ruh, und fleht die Menschen mit kläglichen Gebärden an um ihre Erlösung. Allein ihre Zeit muss immer noch nicht um sein, weil fast alljährlich Leute kommen, die sie gesehen haben und vor ihrer plötzlichen Erscheinung geflohen sind.


Der Liederbacher Schäfer,

der alte nämlich, er ist schon längst begraben, hat es erlebt, er konnte tausend Eide darauf schwören und es auch beweisen. Es trat einmal, als er auf der Hutweide war, der Platz ist mir vergessen, aber es mochte gegen Mittag sein, unversehens eine gar liebliche weiße Jungfrau zu ihm, die sprach ihm zu, er solle das gute Werk tun und sie von ihrer Verwünschung erlösen, denn dazu sei er bestimmt.

Erstaunt fragte er, was er dazu tun könne. Sie antwortete, er solle morgen um dieselbe Zeit wiederkommen und seinen kleinen Buben mitbringen. Wenn der sie dreimal hintereinander küsse, dann höre ihr Bann auf. Als Lohn erhalte er dann die Schlüssel zum Möncheberg bei Leusel. All die versunkenen Schätze, die da von den grauen Mönchen vor Zeiten vergraben lägen, würden alle sein Eigentum. So besann sich der Schäfer nicht lange und willigte ein, das Begehren zu erfüllen.

Am folgenden Tag nahm er seinen kleinen Buben mit hinaus und wartete die Zeit ab. Auf den Glockenschlag elf kam die Jungfrau wieder aus dem Wald, ging auf ihn zu und griff nach seinem Kind. Aber dieses scheute vor ihrem fahlen Gesicht und den Augen, so groß wie eine Sackuhr, und wendete sich mit Schrecken um nach seinem Vater. Da riss der Schäfer sein Kind mit Gewalt der Jungfrau wieder aus den Armen, denn es war sein Herzblatt und ging ihm über alles.

Doch die getäuschte Jungfrau ergrimmte über die Untreue der Menschen, hob das Bund eiserner Schlüssel, das sie trug, in die Höhe und traf ihn damit so hart auf seinen Arm, dass er blitzeblaue Male davon behielt all sein Lebtag. Dann sagte sie mit klagendem Mund: »Nun muss ich wieder ohne Ruh umgehen, bis auf dem Möncheberg aus einem Haselstrauch ein dicker Baum wächst und aus seinem Holz eine Wiege gezimmert wird. Das erste Kind, das darin gewiegt wird, das wird mich dann erlösen!« Damit hob sie sich davon, und der Schäfer hat sie nie wieder gesehen.


Weiße Frau an der Hillersbach

An der Hillersbach, zwischen Burkhards und dem Bilstein, ist es nie ganz just gewesen. Es soll dort ein Dorf gestanden haben. Vom Wald her bis zum Steg über das Wasser tanzen oftmals Lichter vor den nächtlichen Wanderern, dann erlöschen sie plötzlich. Leute, die im Feld arbeiteten, sahen einmal dort ein schauerliches Wahnerding (Gespenst) vor dem Wald auf und ab gehen. Es war eine weiße Frau, welche ihnen winkte. Sie ließen sie aber winken, so viel sie wollte, und liefen davon, wie die Weidehirten, denen von selbst das Vieh zu büßen anfing.


Die Schlossjungfrau auf der Altenburg bei Sichenhausen

Die Altenburg über Sichenhausen ist ein jäher Berg, unter welchem dieses sehr arme Vogelsberger Dörfchen liegt. Oben sieht man zerstreute Felsen und findet in der heiligen Seif (sumpfiger Wiesgrund) den Gesprengsborn, die Quelle des Seemenbachs. Vor Menschen­gedenken stand ein Schloss auf dieser Höhe, von dem ist nichts mehr übrig. Inwendig im Berg sind große Schätz aufgehäuft, die werden von eivem feurigen Hund bewacht. Verschiedentlich hat sich auch eine weiße Jungfrau dort sehen lassen. Die singt mit rührender Stimme ihre Lieder durch die stille Mitternacht und tanzt auf einem Bein im Kreis herum. Wo sie stehen bleibt, soll sich die Schatzkammer des Schlosses auftun. Wer das Herz hätte, hinzugehen, der könnte sie erlösen und reich werden für sein Leben.