Der Alte vom Berge – Kapitel 7
C. F. Fröhlich
Der Alte vom Berge
Oder: Taten und Schicksale des tapferen Templers Hogo von Maltitz und seiner geliebten Mirza
Ein Gemälde aus den Zeiten der Kreuzzüge
Nordhausen, bei Ernst Friedrich Fürst, 1828
VII.
Im Garten, nahe am Goldenen Tor Jerusalems, schlenderte eine große weibliche Gestalt umher. Sie war kostbar gekleidet und ein dichter Schleier verhüllte ihr Antlitz. Sich nach allen Seiten umblickend setzte sie sich in eine Jasmin-Laube und seufzte aus tiefer Brust.
Eine Sklavin brachte ihr einen Kelch mit Wasser und entfernte sich schweigend wieder.
Die Königin des Tages sank eben in das Meer der Ewigkeit und bald zeigte sich der bescheidene Mond mit seinem Silberlichte. Es war ein köstlicher Abend. Ein kühlender Westwind vom Mittelmeere milderte die Hitze des Tages, aber nicht das unruhige Blut eines großen Mannes, welcher an der Gartenpforte sich zeigte. Ohne auf den Duft der Orangen und Myrten, der Nelken, Lilien und Rosen, dem Gesäusel der Palmen und den seufzenden Unisonogeschwätz des klaren Kieselbaches aus dem nahen Tal zu achten, schritt er hastig zu der Jasmin-Laube, zu deren Eingang zwei Zedern standen, auf welchen zwei Nachtigallmännchen ihre Bräute ins Laubgewühl lockten.
Der Schleier der weiblichen Gestalt flog in die Höhe. Liebeberauscht umschlang sie der Mann, setzte sich zu ihr auf die weiche Moosbank, umschlang sie heftiger und brennende Küsse begegneten sich auf den unersättlichen Lippen.
»Meine herrliche Suleima!«, rief die männliche Gestalt.
Worauf sie erwiderte: »Mein guter Brömser!«
Mit diesem türkischen Mädchen lebte Brömser von Pleissenburg seit einem Jahr gegen das Gesetz des Ordens in vertraulichem Umgang. Da ihn sein Amt als Unter-Turkopolier von der Stadt entfernt hatte, so war die Freude des Wiedersehens doppelt groß.
Die reizende Suleima rief durch den Ton einer Pfeife ihre Sklavin herbei, welche in großen Kelchen den köstlichsten Wein brachte.
Brömser dachte an das gefällte Urteil des Großmeisters über seinen Feind und leerte fast mit einem Zug den ganzen Kelch. Suleima griff ins rauschende Gold einer neben ihr liegenden Zitter, aber Brömser hörte davon nichts, denn seine Gedanken waren nur auf Rache gerichtet.
»Sieh hier durch dieses Laub den Wasserspiegel«, begann das kluge und reizende Mädchen, wie er die Sterne und den Mond wiedergibt. Was uns leuchtend vorschwebt, wie diese Kinder der Nacht, bleibt ewig nachdem Willen Allahs!«
Brömser lachte laut auf und umschlang wie rasend das schöne Mädchen. Mund ruhte auf Mund und Brust an Brust. Sanfter girrten die Nachtigallmännchen mit den Weibchen und die Liebe feierte die Minuten des Genusses. Die Liebenden sahen und hörten nicht, bis ein Geräusch am Eingang der Laube sie aus dem Taumel erweckte. Sie sprangen auf, aber schon stand ein Tempelherr, erkennbar an seinem weißen Mantel mit dem blutroten Kreuz bei ihnen.
Brömser vergaß ganz, dass er hier nur inkognito war, und brüllte: »Wer wagt es, den Turkopolier zu stören?«
»Ei ei, Ihr seid es?«, fragte der Tempelherr, in welchen Brömser nur mit Schaudern den rechtlichen Hugo von Maltz erkannte.
»Wen sucht Ihr hier«, brüllte Brömser, durch Eifersucht ermutigt.
»Euch wahrlich nicht«, entgegnete Hugo, »denn wer hätte wohl geglaubt, einen Anführer der Tempelherren in den Armen einer reizenden Sarazenin zu erblicken? Wenn Ihr die übrigen Gesetze des Ordens so haltet wie das Gelübde der Keuschheit, so verdient Ihr noch heute eingemauert zu werden!«
»Ihr sagt Eure Gesinnungen ziemlich offen«, schrie Brömser und war mit einem Satz am Eingang der Laube. Seinen Dolch schwenkend, fuhr er fort: »Bereite dich zum Tode vor, du verhasster Feind.«
Hugo schlug den Mantel auseinander und deutete mit den Worten auf das Schwert. »Hierauf könnte ich Euch antworten, wenn ich das Gesetz des Ordens leichtsinnig überschreiten wollte. Wenn Ihr Mut habt, so durchbohrt diese Brust!«
Suleima stürzte sich zwischen beide. »Du darfst ihn nicht töten«, schrie sie, »oder ich selbst verrate dich bei dem Orden!«
Brömser ließ den aufgehobenen Dolch sinken. Seine Brust arbeitete heftig, aber einen festen Entschluss konnte er noch nicht fassen.
Sein Feind hatte ihn beschämt. »Wenn Ihr die Vorfälle dieses Abends dem Orden verschweigt«, begann er nach einer Pause, »so könnt Ihr ungehindert weitergehen.«
»Ohne Bedingung müsst Ihr mir freien Ausgang lassen«, entgegnete er, »denn selbst Eure türkische Schöne ist auf meiner Seite und wünscht nicht, dass Ihr zum Mörder hinabsinken sollt.«
Den Dolch weit von sich schleudernd, setzte sich Brömser wütend auf die Moosbank, worauf Hugo sich langsam entfernte. Auch Brömser konnte nicht länger bleiben. Ohne auf Suleima zu achten, stürzte er fort.
Suleima war allein. Lebhaft trat Hugos Benehmen vor ihr Seele. So kann nur die Unschuld und Tugend handeln, während das Laster zum Mord seine Zuflucht nehmen will.
»Dein Bild, o Jüngling«, rief sie aus, »wird nimmer aus dieser Brust erlöschen! Nur ein edler tugendhafter Mensch kann ausrufen so wie du: Wenn Ihr Mut habt, so durchbohrt diese Brust.« Den Schleier über das Gesicht ziehend, fuhr sie fort: »Auch ich will mich bessern, um dir ähnlicher zu werden!«