Gold Band 3 – Kapitel 3.3
Friedrich Gerstäcker
Gold Band 3
Ein kalifornisches Lebensbild aus dem Jahre 1849
Kapitel 3.3
Mr. Smith
Beckdorf, als der Flüchtigere der beiden, war Fischer um etwa zwanzig Schritt voraus. Mit der gehobenen Brechstange wollte er auch ohne Weiteres, nur dieser ersten Regung seiner Menschlichkeit folgend, mitten in die Schar der Wilden hineinspringen, als sich die ganze Masse derselben ihm entgegenwarf und fünfzig Pfeile, auf der gespannten Sehne ruhend, seine Brust bedrohten.
»Herbei, Fischer«, rief er, dadurch aber nicht im Geringsten eingeschüchtert, seinem Kameraden zu. »Hol die Fitschepfeile der Henker! Wenn wir einem halben Dutzend der Burschen unser Eisen zu schmecken gegeben haben, werden sie schon Vernunft annehmen.«
Fischer hatte übrigens von diesen Pfeilen eine ganz andere Meinung, denn in so großer Nähe wären sie auch ohnedies tödlich gewesen, während die nur schlecht befestigten Steinspitzen mit Widerhaken fast jedes Mal in der Wunde sitzen blieben.
»Halt, Beckdorf!«, rief er ihm deshalb erschrocken zu, »setzen Sie sich keiner größeren Gefahr aus, als unumgänglich nötig ist, denn erst wollen wir versuchen, was sich mit Überredung bei den Braunfellen ausrichten lässt.«
»Hilfe! Rettung! Um Gottes Jesu Willen helft mir!«, schrie da wieder, als er sah, dass die Weißen zögerten, der Gefangene, indem er umsonst versuchte, sich von seinen Fesseln zu befreien. Schießt die Hunde nieder wie die Wölfe – oh, dass ich meine Arme frei hätte.«
»Heda, Ihr Leute«, redete da Fischer, der jetzt keuchend herankam, die Indianer in Spanisch an, denn einige von ihnen verstanden fast immer diese Sprache, die sie früher in den Niederungen durch den Verkehr mit den Missionaren gelernt hatten.
»Ihr dürft den Mann nicht umbringen.«
Ein wildes Geschrei von Stimmen, aber kein verständlicher Laut dazwischen, antwortete ihm. Wieder gellte der Angstschrei des Gebundenen durch die Luft. Eine Anzahl der Indianer hatte ihn gefasst, um ihn den Berg hinaufzuschleifen.
»Das ist eine verfluchte Geschichte«, sagte Fischer, »wir zwei können nichts mit der Bande anfangen, noch dazu ganz ohne Waffen, wie wir sind. Wenn auch einer von uns fortspringen und Hilfe holen wollte, kämen wir zu spät.«
»Was können sie nur gegen den Amerikaner haben, während sie uns ganz unbelästigt lassen? Wir dürfen den Mord nicht zugeben.«
»Das ist derselbe Lump, der neulich einen ihres Stammes erstochen hat«, sagte Fischer, »und wahrscheinlich wollen sie sich jetzt an ihm rächen. Recht haben sie, so viel ist sicher, aber wir müssen sehen, ob wir ihn frei bringen. Mich kennen auch die meisten von ihnen, ich will einmal zwischen sie gehen. Bleiben Sie übrigens mit Ihrem Stück Eisen in der Nähe, denn so gereizt, möchte ich ihnen nicht zu viel trauen.«
Seinen Spaten schulternd, stieg Fischer rasch den Hügel hinauf und versuchte, zum Gefangenen durchzukommen. Einzelne wollten ihn allerdings daran hindern, andere aber wehrten diesen wieder, und so überholte er bald die Burschen, die den Unglücklichen bergan schleppten. Die Bewaffneten waren ihm aber ebenfalls nicht von der Seite gewichen. Wenn auch keiner von ihnen Miene machte, ihm selber ein Leid zuzufügen, drängten sie sich doch zwischen ihn und den Gefangenen und ließen ihn nicht nahe. Beckdorf indessen, der fürchtete, dass sein Kamerad mitten zwischen den Indianern leicht zu Schaden kommen könne, ohne dass er dann imstande gewesen wäre, ihm beizuspringen, flog in raschen Sätzen den Hang hinauf und blieb hier, den ankommenden Indianern den Weg abschneidend, stehen, sie zu erwarten. Fischer, als er das sah, folgte seinem Beispiel. Die beiden Männer, fest entschlossen, die Eingeborenen unter keiner Bedingung ungehindert weiter zu lassen, hielten stand.
»Ich will euch etwas sagen«, rief ihnen Fischer dabei zu, als sie dicht an ihn herangekommen waren, »und dass ihr mich versteht, weiß ich. Wenn ihr den Burschen da jetzt nicht frei und laufen lasst, so schlage ich dem Ersten, der mir nahe kommt, den Schädel voneinander.«
Oben in den Büschen raschelte und brach es. Als sich die beiden Deutschen dorthin umsahen, erkannten sie einen neuen Trupp Indianer, die an der Wand niedersprangen.
»Alle Wetter«, sagte Beckdorf leise, »jetzt wird die Geschichte fatal. Ich denke, wir springen ohne Weiteres ein und schneiden die Fesseln des Gebundenen durch. Nachher sind wir unserer drei.«
»Kesos!«, rief aber Fischer statt aller Antwort aus. »Gott sei Dank, da kommt der Häuptling gerade zur rechten Zeit. Das ist der vernünftigste Indianer im ganzen Distrikt, und wird nicht zugeben, dass sie den Burschen da ermorden. Weiß er gut, wie ihm die Amerikaner nachher dafür auf den Hacken sitzen würden.«
Es war wirklich der Häuptling, der, von vielleicht zwanzig anderen Indianern gefolgt, mit langen Sätzen den steilen Hang niedergesprungen kam und erst anhielt, als er die Weißen dort erblickte. Fischer aber eilte ihm gleich entgegen und bat ihn, um Gotteswillen seine Leute abzuhalten, dass sie den Mann nicht ermordeten.
Auch Mr. Smith hatte den Häuptling, aber nur zu seinem Entsetzen, erkannt, denn wohl wusste er, was er von dessen Hand verdient und wahrscheinlich auch zu erwarten hatte. Von dem Augenblick an schrie er nicht mehr um Hilfe, aber die Kraft, mit der er, wenn auch vergebens, an seinen Fesseln riss, verriet nur zu deutlich die Todesangst, die ihn erfasst hatte. Wenn ihm Recht geschah, das fühlte er, so war er verloren.
Die Indianer hatten, wie sie ihren Häuptling nahen sahen, augenblicklich gehalten, und dieser, der zu dem Gefangenen trat, blieb neben ihm stehen und betrachtete ihn, ohne Fischers Bitten zu beachten, mit finster drohenden Blicken.
Er war heute auch ganz wieder Indianer, nur in den ledernen, mit Muscheln und Kernschalen verzierten Schurz, die Tracht seines Stammes, gekleidet, während ein buntes Tuch um sein langes Haar gewunden war, und die Adlerfedern, das Zeichen seiner Würde, in diesem prangten. Nur auf der Schulter trug er die lange einläufige Flinte. Pulverhorn und Kugeltasche hingen ihm über der rechten Schulter am nackten bemalten Oberkörper.
Endlich langsam, und wie mit sich selber redend, hob er den rechten nackten Fuß empor und setzte ihn leicht auf die Brust des vor ihm Liegenden, der mit stieren Blicken, die Augen fast aus ihren Höhlen drängend, zu ihm aufschaute.
»Wer könnte mich jetzt hindern«, sagte er dabei in spanischer Sprache, »wenn ich den Buben hier zerträte wie einen Wurm.«
»Du wirst sein Blut nicht vergießen, Kesos«, unterbrach ihn da Fischer in halb warnendem, halb bittendem Ton.
»Und woher weißt du das?«, rief der Indianer finster, »hat er es etwa nicht verdient?«
»Aber du kannst und darfst den Mann nicht mit kaltem Blut morden«, rief der Deutsche wieder.
»Kann ich und darf ich nicht?«, warf der Wilde höhnisch lächelnd zurück, »wolltest du mich daran hindern?«
»Kesos«, sagte da Fischer ernst, »du weißt, wie freundlich ich dir stets gesinnt gewesen bin, weißt auch, wie ich in der Sache selber, die diesen Burschen betraf, deine Partei genommen habe, aber um eurer selbst willen vergießt nicht das Blut dieses Mannes, wenn er sich auch jetzt in eurer Gewalt befindet. Denke, wie viel Unschuldige von deinem Stamm sonst wieder dafür büßen müssen.«
»Ich weiß es«, sagte der Häuptling finster, »dass die verhassten Amerikanos keinen Unterschied zwischen Schuldigen und Unschuldigen machen, und wären die Mexikaner heute Morgen, statt sich wie scheue Hasen zu verkriechen, wie die Wölfe über ihre Feinde hergebrochen, manche alte Rechnung könnte heute ausgeglichen sein. Doch allein können wir nicht gegen die Feuerwaffen der Weißen ankämpfen – wenigstens jetzt noch nicht, bis ich erst unsere Stämme den Gebrauch solcher Wehr gelehrt habe.«
»Und der Amerikaner?«
»Ungestraft verlässt er diese Berge nicht wieder«, sagte der Häuptling finster, »er soll wenigstens, so lange er noch lebt, uns im Gedächtnis behalten.«
»Aber was willst du mit ihm tun?«
Der Häuptling antwortete nicht, aber er zog den Fuß zurück, öffnete dann den Rock des vor ihm Liegenden und hatte bald den Revolver gefunden, den jener verborgen bei sich trug. Diesen nahm er, zog dann sein Messer heraus, schraubte damit den Hahn ab und schleuderte diesen, so weit er konnte, in ein dichtes Dornengestrüpp hinein, den Hang hinab. Dann schob er die nun wertlose Waffe wieder an ihre alte Stelle zurück und rief einen alten Indianer herbei, dem er etwas in seiner eigenen Sprache sagte.
Der alte Bursche sah wild und finster genug aus. Seine Blicke hingen mit nicht tilgbarem Hass an dem Gebundenen. Es war der Bruder dessen, den jener damals ermordet hatte. Trotzdem aber, dass er zum Rächer ersehen worden, schien er mit dem erhaltenen Auftrag nicht zufrieden und antwortete heftig. Aber der Häuptling bestand auf dem gegebenen Befehl. Der Alte warf nun die Schnur herum, an der er auf dem Rücken hängend das bloße Messer getragen hatte, knüpfte es los und sprang auf den Gebundenen zu.
Mr. Smith hatte mit Zittern und Zagen diese Vorbereitungen beobachtet. Wenn er auch genug Spanisch verstand, aus dem Gespräch des Häuptlings und des Deutschen Hoffnung zu schöpfen, schien das alles nun wieder mit einem Schlag über ihm zusammenzubrechen.
»Lassen Sie uns den Häuptling fassen und halten«, rief da Beckdorf auf Deutsch seinem Kameraden zu, »wir haben dann eine Geißel in Händen, und sie müssen den armen Teufel freigeben.«
Ehe Fischer aber etwas darauf erwidern konnte, war Kesos, der vielleicht selber etwas Ähnliches fürchten mochte, einen Schritt zurückgetreten und hielt die geladene und gespannte Flinte vor sich im Anschlag. Ein Überfall war hier nicht möglich und hätte auch nicht einmal mehr die verhängte Strafe des Schuldigen verhindern können.
»Hilfe! Hilfe! Rettung! Erbarmen!«, schrie der Gebundene mit Tönen, die gar nicht mehr aus einer menschlichen Brust zu kommen schienen. Mit Blitzesschnelle aber warf sich der alte Indianer, indessen die Übrigen ihre Bogen gegen die Weißen spannten, über ihn. Mit zwei Schnitten hatte er ihm beide Ohren glatt und kahl vom Kopf abgetrennt. Dann spie er dem sich am Boden Krümmenden ins Antlitz und warf die abgeschnittenen Ohren einem Trupp kleiner knochendürrer Hunde vor, die sich stets im Gefolge der Indianer herumtreiben und gierig über die ekligen Bissen herfielen.
Auf den nächsten Befehl des Häuptlings lösten die Eingeborenen aber die Fesseln des Gefangenen, über dessen Schultern jetzt das Blut in Strömen herunterlief. Kesos, sich an den Deutschen wendend, bat ihn dem Mann, zu sagen, dass er frei sei und in sein Lager zurückkehren könne. Er möge sich aber hüten, seinem Stamm zum zweiten Mal in die Hände zu fallen. Die Eingeborenen hätten nun sein Blut gesehen und er selber möchte dann nicht wieder in der Nähe sein, sein Leben zu retten.
Mr. Smith war, so wie er sich frei fühlte, in die Höhe gesprungen. Er sah leichenbleich aus, und das an seinem weißen Gesicht niederströmende Blut machte ihn zu einem wahren Schreckbild. Im ersten Augenblick schien er auch gar nicht zu glauben, dass er den Händen der Rothäute lebendig entgehen solle. Die stieren Blicke hafteten ängstlich an den noch immer bereitgehaltenen Bogen und drohenden Pfeilen der Feinde. Erst als ihm Fischer versicherte, er habe für jetzt allerdings nichts mehr zu befürchten. Wenn er ihm aber raten solle, so möchte er machen, dass er so rasch als möglich in die Ansiedlung zurückkäme, war es, als ob er neue Hoffnung schöpfe.
Sein Pferd graste fast an derselben Stelle, an der es ihn abgeworfen hatte. Dort hinunter lief er mit brechenden Knien, hier und da über eine Wurzel stürzend oder gegen einen Baum taumelnd. Aber er achtete das höhnische, hinter ihm dreinschallende Lachen der Indianer nicht, achtete nicht das Blut, das an ihm niederströmte. In der Satteltasche, die sein Pferd trug, hing sein Gold. Das und sein eigenes Leben in Sicherheit zu bringen, flog er, so rasch ihn seine Glieder trugen, den Hang hinab, griff dort den Zügel auf, schwang sich in den Sattel, an dessen Knopf er sich festhielt, um nicht zum zweiten Mal zu stürzen, und sprengte nun, so schnell ihn sein schnaubendes Tier tragen konnte, zurück in das eben verlassene Lager – zu Schutz und Rache.