Rübezahl, der Herr des Gebirges – Folge 26
Rübezahl, der Herr des Gebirges
Volkssagen aus dem Riesengebirge
Für Jung und Alt erzählt vom Kräuterklauber
Verlag Carl Gustav Naumann, Leipzig, 1845
26. Wie Rübezahl die drei besten Menschen auf der Welt kennenlernt und an ihnen eine edle Tat vollbringt.
Es war gerade oben bei der Buschkäthe, als Rübezahl, der eben von einer Streiferei unten im Land herkam, dachte: Wie wäre es, wenn du über Nacht hierbliebest?
Vielleicht erlebst du hier eher etwas als in Hirschberg. Und damit ging er ins Haus.
Hinten, in der Ecke der Stube, saßen drei Männer am Tisch. Zu denen setzte er sich und sagte: »Mit Gunst.«
»Sehr gern«, erwiderte der eine von den Dreien. Nun redeten sie weiter, bald von dem, bald von jenem, und wenn einer etwas erzählte, so verwunderten sich immer die anderen, wie das höfliche Leute nun zu tun pflegen, wenn es ihnen gleich manchmal bedenklich vorkommt. Vorn an der Spitze saß einer, der ganz grimmig aussah, hatte ein Gesicht wie ein roher Schinken, Augen wie eine Kohle und eine Nase wie ein Sperber. Über dem Mund hing ihm ein großer Schnauzbart herunter, an der Seite aber ein Schwert. Neben ihm auf der anderen Seite saß einer, der sah ganz ernsthaft aus, aber gerade so, wie nun hierzulande einer aussieht. Wenn ein anderer etwas vorbrachte, so sagte er »nu do do« und stemmte den Arm unters Kinn. Der Dritte saß da wie ein Vergissmeinnicht im müllerblauen Überrock und Wams und war ein gar fröhliches Gemüt. Nur manchmal wurde er hitzig, wenn einer etwas Wunderbares erzählte, und fuhr auf wie eine brennende Rakete und sagte: »Dass dich der Hammer!«
Unter anderem erzählte jeder, wer er sei und was er für Taten vollbracht hatte, und war es manchmal zum Erstaunen, wenn einer zuhörte, dass solche Dinge in der Welt vorgingen. Der Schnauzbärtler sagte, er sei ein Landsknecht und aus Dinkelsbühl in Schwaben. Da nun Friede im Reich sei, es war nach dem Dreißigjährigen Krieg, oder, wenn der es nicht war, nach einem anderen, so gehe er aus auf seine Faust, um Taten zu verrichten, über die Menschen und Vieh erstaunen sollten. Darin, sagte er, sei er zu Hause, und wolle er es niemanden raten, daran zu zweifeln. »Denn«, fuhr er zu seinen Nachbarn fort, »ich bin der beste Mensch, und ein Kind kann mit mir umgehen, und wenn es ein Säugling wäre. Aber wenn so ein Heiduck an meiner Tapferkeit zweifelt, da kribbelt es mir im Gehirn, das Blut will mir das Herz abdrücken. Ich möchte da immer gleich mit dem Schwert dreinschlagen, und das nehmen sie übel.
»Dass dich der Hammer«, sagte der Blaue.
»Nu do do«, brummte der Ernsthafte.
Rübezahl aber meinte gar nichts und trank still vergnügt sein Maß Bier.
Auf Befragen, wer er denn sei, sagte der Ernsthafte, er sei aus der Schlesing, und ein Lähner Stadtkind, jetzt aber ein Scherkind, so anderen Leuten die Tuche scheren, wenn sie welche hätten. Jetzt sei er auf die Wanderschaft gegangen, um anderwärts etwas zu verdienen, denn, da die Leute dort nichts geschoren hatten als sich selbst, so sei er überflüssig gewesen und wolle nun Taten in der Welt verrichten. »Herr«, fuhr er fort, »ich bin sonst der beste Mensch. Alle Welt weiß, dass ich der beste Mensch bin. Aber wenn ich nichts zu tun habe, da bin ich rabiat, fange Krakel an und werfe den Leuten Scheren und Eisen an den Kopf. Da verklagen sie mich immer, und ich muss dann den Bader teuer bezahlen, und manchmal gar in den polnischen Bock.«
»Dass dich das Mäusle beiß«, sagte der Schnauzbärtler.
Und der andere: »Dass dich der Hammer!«
Der Dritte sagte wieder nichts, sondern lächelte.
Nun kam der Himmelblaue an die Reihe, war aus dem Osterland in Sachsen, sagte, er sei ein Mühlknappe, so sie in der Schlesing einen Mühlscher nannten, und wolle sich was in der Welt versuchen. »Ohne Ruhm zu melden, Herr«, sagte er zum Nachbarn, »ich bin der beste Mensch, ihr könnt es mir glauben, Herr. Ich bin der beste Mensch, den es auf Gottes Erdboden gibt. Aber«, fügte er aufschreiend hinzu, »ich kann die Ungerechtigkeiten der Menschen nicht leiden. Wenn so ein ungerechter Mensch von der Mühlmetze anfängt, da geht es mir gleich im Leib herum und in den Fäusten, und muss ich da immer mit dem Stuhlbeine oder der Bierkandel dreinschlagen. Da verklagen einen gleich die ungerechten Menschen, und kommt man so zu Hause gar nicht aus den Prozessen und aus der Büttelei heraus.
»Nu do do!«, sagte das Scherkind.
Und der Schnauzbärtler schnarrte: »Dass dich das Mäusle beiß.«
Als sie das gesagt hatten, so sagten sie nichts mehr.
Der Vierte war abermals mäuschenstill, lächelte vor sich hin und dachte manches.
Wie er nun so manches dachte, da fuhr nach einer Weile der Mühlknappe ganz erhitzt auf: »Ja, Taten möchte ich vollbringen, Taten, wovon die ganze Welt redet.« Das Scherkind schrie auch, Taten müsse er vollbringen, und solle auch die ganze Welt darüber zugrunde gehen.
Da sagte der Schnauzbärtler lächelnd, das sei ja gar schön, dass sie alle drei solche Tatenlust und Heldenmut hätten. Wenn sie wollten, so könnten sie ja alle drei hinausziehen und Abenteuer bestehen, dass jedem anderen Menschen das Maul offen stehen bleiben müsse. Sie gaben sich die Hand darauf und sahen grimmig um sich her, dass sich einer hätte fürchten können. Es fürchtete sich aber niemand, und folglich hielten sie es für das Beste, die Sache zu überschlafen und sich auf die Streu zu legen.
Rübezahl hatte jedoch noch gar mancherlei Betrachtungen anzustellen über die drei besten Menschen und blieb auf seiner Bank ruhig sitzen.
Es hätte einen Stein in der Erde erbarmen mögen, geschweige denn eine vernünftige Kreatur, wenn man auf die Streu hinschaute. Denn da lagen die drei besten Menschen, die es auf der Welt gab, und schnarchten, als ob die Welt untergehen sollte, wollten hinausziehen auf Abenteuer. Konnte da einer nach dem anderen elendiglich umkommen, wo wieder welche hernehmen?
Das ging Rübezahl so zu Herzen, dass er endlich laut lachte.
»Warum«, sagte er zu sich, »musste ich so eine Entdeckung so spät machen, nachdem mich meine früheren Erfahrungen über die Menschen so hinters Licht geführt haben. Ich wäre ja«, fuhr er zu sich selbst fort, »zufrieden gewesen, wenn ich auch nur einen besten Menschen auf der Welt gefunden hätte, und nun gar drei. Als aber die guten Leute früh erwachten und ihr Räuschchen von gestern ausgeschlafen hatten, machte er sich wieder an sie, setzte sich zu ihnen und riet ihnen, lieber nicht zusammen Taten zu verrichten. Denn, sagte er, da jeder von ihnen der beste Mensch wäre, so würde auch jeder als solcher für sich besser wegkommen, als wenn sie alle drei zusammengingen, sollte also jeder in eine besondere Gegend ziehen und Taten für sich vollbringen, gerade wie Abraham und Loth, nur ganz anders. Nach einigem Zureden fanden sie sich drein, am schwersten aber der Kriegsknecht, so ein geriebener Bursche war und die anderen zu seinem Vorteil zu benutzen gedachte.
Sie gingen also bald auseinander, jeder seines Weges. Rübezahl aber, dem die drei besten Menschen viel Vergnügen gemacht hatten, zauberte jedem einen Portugaleser in die Tasche, der ihnen gewiss wird zustattengekommen sein; denn, sagte er: Umsonst ist der Tod.