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Die Gespenster – Zweiter Teil – Achtundzwanzigste Erzählung

Die Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Zweiter Teil

Achtundzwanzigste Erzählung

Zuverlässige Auskunft über das stadtkundige Spuken des 1796 zu Magdeburg verstorbenen Herrn Obersten von Briest

Herr Carl Fr. von Briest, am 25. August 1739 zu Bähne bei Rathenow geboren, starb am 7. Februar 1796 als Oberst und Kommandeur des Prinz-Ludwig-Ferdinandschen Regiments zu Magdeburg, plötzlich am Hirnschlag, nachdem er am selben Tag noch auf der Wachparade zugegen gewesen war und mittags ordentlich gegessen hatte. Am dritten Tag danach, den 10. Februar, wurde er mit allen militärischen Ehrenbezeigungen in das Probstgewölbe des Klosters Unser Lieben Frauen begraben. Der Eingang zu diesem Gewölbe ist in der Kirche vor der Balustrade des hohen Altars, von wo eine Treppe zu einem geräumigen Platz hinunterführt, in dessen Mitte noch Überbleibsel eines ehemaligen Altars sind und an dessen Seitenwänden sich mehrere Türen zu verschiedenen Gewölben befinden. Eines davon heißt das Probstgewölbe. Es liegt zum klösterlichen Kirchhof zu und ist dort mit zwei eisernen Gittern versehen. Diesem Ganzen gegenüber wohnen in den dort befindlichen Klosterhäusern mehrere gemeine Leute zur Miete. Oben über der Sakristei und dem hohen Altar ist ein in Kreuzform gebauter Boden, der Drache genannt, welcher mit dem klösterlichen Kornboden zusammenhängt. Diese genaue Ortsbeschreibung musste vorangeschickt werden, wenn das Folgende verständlich sein sollte.

Bei der Beerdigung des gedachten Herrn Obersten äußerte der Herr Gouverneur von Kalkstein den Wunsch, das Gewölbe, worin sein Freund beigesetzt würde, zu sehen. Er begab sich, begleitet von mehreren Offizieren und einigen anderen Nachfolgenden hinab, ließ sich vom Klosterdiener die dastehenden Leichen nennen, gedachte mehrerer derselben als seiner gewesenen Freunde und Bekannten mit Rührung und hielt sich überhaupt so lange darin auf, dass einige von seiner Begleitung aus dem Gewölbe allein wiederkamen und mehrere vom Gefolge sogar die Kirche schon verlassen hatten, als er mit den Übrigen wieder in die Kirche heraufkam.

Nachdem der ganze Leichenzug schon eine Weile sich wegbegeben hatte und die Türen bereits wieder verschlossen waren, hören die Klosterschüler, die noch im Kreuzgang umhergingen, das Geheul eines Hundes in der Kirche. Sie liefen zum Klosterdiener List und forderten die Schlüssel, um ihn herauszulassen. Dieser ging selbst mit, fand den Hund wild in der Kirche umherlaufen und bemerkte besonders, dass er immer am Eingang des Gewölbes anhielt, heulte und kratzte. Doch jagte er ihn endlich mit Mühe hinaus. Allein aus dem Kreuzgang und vor der Kirchtür dort war er nicht wegzubringen.

Zufälligerweise, so erzählte Hr. Prokurator Holtzmann, kam ich selbst in den Kreuzgang, wo die Schüler mir entgegeneilten und mir verwunderungsvoll berichteten, des Briests Hund läge an der Kirchtür und sei nicht fortzubringen. Wenn sie auch glaubten, ihn aus dem Kreuzgang gejagt zu haben, so wäre er in Kurzem wieder an der Tür.

Mir schien diese Erscheinung in psychologischer Hinsicht merkwürdig. Ich ließ daher die Kirchtür durch den Klosterdiener noch einmal öffnen. Der Hund lief wieder in der ganzen Kirche umher, heulte, blieb endlich wieder auf der Eingangstür des Gewölbes stehen. Ich ließ diese öffnen, der Hund wie rasend hinunter. Unter den Gewölbetüren, die da sind, gerade auf diejenige zu, welche den seligen Briest verschließt, heulte und kratzte dort. Es wurde auch diese geöffnet. Er stürzte hinein, lieft einmal durch, aber gleich wieder zurück, sprang auf den Altar, der vor dem Gewölbe noch steht, schaute in die Höhlungen, eilte dann zur Treppe hinauf und wittert in der Kirche umher. Nun ließ ich ihn endlich durch einen hier arbeitenden Soldaten greifen und zu der vormals Briest′schen Wohnung tragen.

In der nächstfolgenden Nacht hörte der Kammerbote Klein, welcher am Klosterkirchhof dem Probstgewölbe gegenüber wohnt, ein schaudererregendes Gewinsel und Gerassel. Was das Ärgste war, die spukhaften Töne der Angst schienen ihm aus jenem Gewölbe hervorzusteigen. Da er weder im Schlaf noch betrunken war und überhaupt mit gesunden Sinnen das spukende Geräusch gehört zu haben glaubte, so fand er keinen Beruf, seine Wahrnehmungen geheimzuhalten. Vielmehr äußerte er, als er des Morgens früh auf die königliche Kammer kam, das, was ihm auf dem Herzen lag, in folgenden, wie zufällig hingeworfenen Worten: »Nun, in dieser Nacht war auch ein rechtes Gewinsel und Gerassel in der Klosterkirche.«

Die Umstehenden, welche dies hören, setzten scherzend hinzu: »Briest ist wohl wieder aufgelebt.«

Jener glaubte dies, besonders, da er nicht zweifelte, dass die spukhaften nächtlichen Töne unten aus dem Gewölbe hervorgekommen wären.

So entstand nun die ganze allgemeine Sage, der Obrist von Briest sei lebendig begraben und habe im Sarg Versuche gemacht, sich zu befreien. Sie wurde so bestimmt ausgebreitet, dass mehrere in das Kloster kamen, um sich nach den näheren Umständen zu erkundigen. Einige Offiziere verlangten vom Klosterdiener sogar die Öffnung des Probstgewölbes und des Briest′schen Sarges. Dieser machte dem Kloster von einem solchen Verlangen Anzeige. Das Kloster glaubte inzwischen, auf ein bloßes Gerücht nicht befugt zu sein, jedem Unberufenen, der die Öffnung eines Sarges verlange, darin zu willfahren. Vielmehr erklärte es, es würde die Erlaubnis dazu nicht eher geben, als bis sachverständige und zu dieser Untersuchung beauftragte Männer zugegen wären. Da jene Herren dieser Bedingung nicht entsprachen, so wurde ihnen ihr Gesuch abgeschlagen.

Das Gerücht vom Wiedererwachen des Obersten wurde nun immer lauter und allgemeiner. Der Herr Gouverneur selbst schickte daher in das Kloster, um zu erfahren, wie viel Wahres an der Sage wäre, und wie sie entstanden sei. Es fanden sich auch der Garnisonsphysikus Herr Doktor Voigtel und der Landchirurgus Herr Kühne ein und wünschten den Sarg zu öffnen, um diesem Gerücht, wenn es grundlos befunden würde, mit Nachdruck widersprechen zu können. Das Kloster gab aus diesem Gesichtspunkt betrachtet seine Einwilligung dazu. Der Klosterdiener musste mit den gedachten Herren hinuntersteigen.

Sie fanden den Leichnam in unverrückter Lage, so eingeschnürt wie vorhin, und übrigens nicht die geringste Spur, dass er im Sarg noch gelebt habe. Diese Herren glaubten nun, das Resultat ihrer menschenfreundlichen Bemühungen zur gänzlichen Beruhigung des Publikums und um vielleicht bei dieser Gelegenheit eine nachahmungswürdige, medizinische Polizeiverbesserung zu veranlassen, öffentlich bekannt machen zu müssen. Man las daher in der Beilage zum dreißigsten Stück der Magdeburger Zeitung vom 10. März 1796 folgende Beherzigungwarnung:

Ein bald nach der Beerdigung des Herrn Obristen von Briest in der Kloster-Lieben-Frauen-Kirche gehörtes, zufälliges Geräusch, hatte das allgemeine Gerücht veranlasst, als sei der Verstorbene im Grab wieder erwacht usw. So wenig wahrscheinlich dies auch war, ebenso wenig gleichgültig konnte es dennoch Einzelnen und dem Ganzen sein. Dies hatte mich bewogen, mir den Sarg nun noch öffnen zu lassen und gemeinschaftlich mit Herrn Landchirurgus Kühne den Leichnam genau zu untersuchen. Ich kann daher mit Bestimmtheit und zu jedermanns Beruhigung versichern, dass auch nicht die geringste Spur wiedergekehrter Lebenskraft an dem Verstorbenen zu entdecken und so jenes Gerücht durchaus falsch und ohne Grund war. Bei dieser Gelegenheit fordere ich ungeachtet dessen alle wahre Menschenfreunde Magdeburgs auf, zum Besten unserer Zeitgenossen und Nachkommen, besonders der Ärmeren, welche ihre Toten nicht lange unbegraben lassen können, doch wenigstens eine Totenbeschauungs- und Belebungskommission zu errichten. Nach einem gut durchdachten Plan kann diese Einrichtung nicht kostspielig werden, und ich will gern dazu mit Rat und Tat beitragen. Schiefe und kleinliche Urteile fürchte ich nicht, am wenigsten bei einer so gemeinnützigen Sache, die, wenn sie keinen Eingang findet, mir das tröstende Bewusstsein hinterlässt, etwas Gutes gewünscht zu haben, das ich, als einzelnes Glied, allein nicht ausführen konnte. Et bonum volnisse juvabit.

Dr. Voigtel

Diejenigen, welche in jedem ungewöhnlichen Zufall etwas Wunderbares und Unerklärliches sehen, werden nun die doppelte Frage aufwerfen:

  1. Also wäre das ganze Benehmen des treuen Hundes keine Vorbedeutung von den Ursachen des nachfolgenden spukhaften Geräusches gewesen?
  2. Das nächtlich vernommene Rasseln und Winseln in der Klosterkirche wäre durch keinen Scheintoten veranlasst worden, sondern ebenfalls natürlich zu erklären?

Was die erste Frage betrifft, so ist vorhin zwar bemerkt worden, dass der in der Klosterkirche aufgegriffene, ängstlich wimmernde und umherlaufende Hund in die vormalige Briest′sche Wohnung zurückgebracht worden sei. Allein die dortige Dienerschaft hat ihn nicht für einen Hund anerkannt, der in das Haus gehöre, oder auch nur bei ihres Herrn Lebzeiten öfters dahin gekommen sei. Dieses Tier scheint also bloß seinen noch lebenden Herrn in der Kirche verloren zu haben und einer Spur desselben gefolgt zu sein. Wahrscheinlich gehörte er einem von jenen Offizieren an, welche den Herrn Gouverneur mit in das Gewölbe begleiteten. Das ängstliche Spüren des Hundes löst sich so von selbst ganz natürlich auf und steht mit dem nächtlichen Poltern offenbar in gar keiner Verbindung. Unstreitig würde der Hund auch bald gänzlich vergessen worden sein, wenn sein Betragen nicht so schön in den Kram der Leichtgläubigen gepasst hätte. Auch erfuhr man erst spät, und vielleicht ist es noch jetzt nicht einmal allgemein bekannt, dass der Hund weder dem Obersten selbst noch seinen Hausgenossen gehörte. Aber kaum hatte sich von der königlichen Kammer herab die neue Mär von dem Erwachen des Verstorbenen verbreitet, so fand der Wahnglaube das Betragen des Hundes höchst wunderbar und vorbedeutend.

In Betreff der zweiten Frage, wie auch selbst das nächtliche Poltern ohne Mitwirkung der Leiche eines Scheintoten natürlich zu erklären sei, erinnere man sich zuvörderst an die anfangs gegebene Ortsbeschreibung; namentlich an den Drachen über der Kirche. Jedem Unbefangenen wird es unstreitig vollkommen genügen, wenn ihm alle, welche dieses Klostergebäude genau kennen, mit Zuverlässigkeit versichern, dass die Marder und Katzen zu Dutzenden über den Drachen hinweg in die Kirche hinabsteigen und sich da oft am hellen Tag herumjagen und beißen. Ohne allen Zweifel haben sie auch in der nächtlichen Stunde, als besagter Kammerbote gerade auf dem Kirchhof war, ihr spukendes Wesen getrieben. Die Furcht ließ ihn nicht nur mehr hören, als zu hören war, sondern der leicht getäuschte Sinn des Gehörs dachte sich auch den Ursprung der Töne an einen unrechten Ort hin. Was vom Drachen herab und aus der Kirche kam, das sollte und musste nun einmal, und schon um des Hundes willen, aus dem unterirdischen Gewölbe kommen. So wurden nun Marder und Katzen von Briests Auferwecker vom Tode!

Eine ähnliche Spukgeschichte ereignete sich vor ungefähr vierzig Jahren ebenfalls zu Magdeburg. Man setzte einen vornehmen Bürger in einem unter der St. Johanniskirche befindlichen Totengewölbe bei, dessen Luftlöcher zum Kirchhof hinaufgehen. Unmittelbar nachher verbreitete sich in der Stadt die Sage, der Beigesetzte spuke. Wirklich hatten die Vorübergehenden mehrere Nächte hintereinander ein Gewinsel und Gepolter in diesem Leichengewölbe gehört. Endlich öffnete der Totengräber dasselbe. Es fand sich sogleich, dass ein zufällig darin eingeschlossener Hund die einzige Ursache des spukhaften Winselns und Polterns gewesen war.

Die näheren Umstände dieses Vorfalls habe ich nicht in Erfahrung bringen können. Da der jetzige Oberprediger an der St. Johanniskirche, Herr A. E. Silberschlag, durch welchen ich das Bestimmtere zu erfahren hoffte, schreibt, dass der alte Totengräber, der die beste Auskunft würde haben geben können, vor Jahr und Tag gestorben sei. So muss man sich schon mit der allgemeinen Versicherung der ältesten Bürger Magdeburgs, dass diese Spukerei sich wirklich zugetragen habe, genügen lassen.