Sammlung bergmännischer Sagen Teil 40
Das arme Bergmannsleben ist wunderbar reich an Poesie. Seine Sagen und Lieder, seine Sprache, seine Weistümer reichen in die älteste Zeit zurück. Die Lieder, die wohlbekannten Bergreihen, die Sprachüberreste, die Weistümer sind teilweise gesammelt. Die Sagen erscheinen hier zum ersten Mal von kundiger Hand ausgewählt und im ganzen Zauber der bergmännischen Sprache wiedergegeben. Das vermag nur zu bieten, wer ein warmes Herz für Land und Leute mitbringt, wo diese uralten Schätze zu heben sind; wer Verständnis für unser altdeutsches religiöses Leben hat, wer – es sei gerade herausgesagt – selbst poetisch angehaucht ist. Was vom Herzen kommt, geht wieder zum Herzen, ist eine alte und ewig neue Wahrheit. Hat der Verfasser auch nur aus der Literatur der Bergmannssagen uns bekannte Gebiete begangen, verdient er schon vollauf unseren Dank. Seine Liebe zur Sache lässt uns hoffen, er werde mit Unterstützung Gleichstrebender noch jene Schaetze heben, die nicht an der großen Straße liegen, sondern an weniger befahrenen Wegen und Stegen zu heiligen Zeiten schimmern und zutage gefördert sein wollen.
IV. Vermischte Sagen
38. Der Käthelstein bei Annaberg
Im Dorf Frohnau bei Annaberg lebte vor alter Zeit ein Steiger, namens Günzer, ein frommer und redlicher Mann. Einst kehrte er zur Winterszeit von seinem Tagewerk in der Grube in seine Wohnung mitten durch den Wald zurück. Da trat plötzlich ein Mann aus dem Dickicht vor ihn hin und bat ihn, er möge ihm doch gestatten, mit in sein Haus zu gehen und dort die Nacht hinzubringen. Er getraue sich nicht, im tiefen Schnee und der herrschenden Finsternis den Weg weiter zu finden. Zwar gefiel dem Steiger weder die Stimme noch das Aussehen des Bittenden, allein er hatte Mitleid mit ihm und gewährte ihm also seinen Wunsch. Sie schritten nun stumm nebeneinander bis ins Dorf. Als sie aber an das Haus Günzers gekommen waren und ihnen die Tochter desselben, Katharina, die Tür geöffnet hatte, stieß diese beim Anblick des fremden Gastes ein furchtbares Wehgeschrei aus und ließ vor Schreck die Lampe fallen, welche sie in der Hand trug. Als der bekümmerte Vater dieselbe wieder angezündet und seine in Ohnmacht gefallene Toch ter wieder zum Leben gebracht hatte, sah er erst, dass jener verschwunden war. Er hatte nun nichts Eiligeres zu tun, als seine Tochter zu fragen, warum sie so erschrocken sei. Allein diese antwortete, es sei der Teufel gewesen, der sie als Braut heimführen wolle. Sie habe nämlich vergangene Nacht geträumt, sie liege im Wald und es komme ein Mann, ganz so wie der eben verschwundene Fremde, auf sie zu und nenne sie seine Braut, küsse sie und lasse dann bei seinem Weggehen sich durch seine Hörner, Schwanz und Pferdefuß als den Teufel erkennen. Der alte Günzer war eben daran, sie zu trösten, da erblicke er auf dem Tisch ein Blatt Papier, auf welchem geschrieben stand: In neun Wochen werde ich um Mitternacht ans Fenster pochen und meine Braut heimführen! Nun war kein Zweifel mehr, dass der Traum in Erfüllung gegangen war.
Vater und Tochter verlebten denn die neun Wochen in Angst und Sorgen. Sie beteten zwar von früh bis abends, gingen auch zum Abendmahl, allein eine Stimme sagte ihnen, dass der Böse nicht so leicht von ihnen lassen werde. Und so war es auch.
Als die Mitternachtsstunde des letzten Tages jener Frist verstrichen war, da pochte es ans Fenster und schrie mit schrecklicher Stimme: »Braut heraus! Braut heraus!«
Günzer aber rief laut Gott um Beistand an, und der Gottseibeiuns verschwand unter Donner und Blitz mit den Worten: »Noch neun Tage, dann bist du meine Braut, oder eure Hütte steht in Flammen!«
So verstrichen abermals neun Tage unter Angst und Sorgen. Wieder kam die gefürchtete Mitternachtsstunde heran. Mit dem zwölften Schlag klopfte es ans Fenster und rief: »Heraus die Braut, sonst brennt das Haus!«
Aber der alte Günzer schloss seine besinnungslose Tochter in seine Arme und sprach: »Um Christi Wunden, hebe dich weg von uns, Satanas!«
Da brüllte der Teufel: »Braut, das Haus steht in Flammen, nochmals neun Wochen Frist, und bist du dann noch nicht mein, so wird dein Vater elendig enden!« Mit diesen Worten verschwand er, das ganze Haus stand in Flammen. Nur mit der größten Mühe retteten beide ihr Leben.
Sie flohen nun zuerst zu Verwandten, bald bauten ihnen mitleidige Menschen eine andere Hütte am Rand des Waldes, denn ihre frühere war zu einem stinkenden Schwefelpfuhl geworden. Aber auch hier wurde es nicht besser. Schon kam wieder die neunte Woche heran, da übermannte einst am hellen Tag Käthchen der Schlaf und es träumte ihr, der Teufel mit seinem Gefolge schaue zu ihrem Fenster herein und wolle sie in seine höllische Residenz entführen. Als sie unter einem furchtbaren Schrei aus dem Schlaf auffuhr, da tat sich auf einmal die Tür auf und ein Engel, umstrahlt von Rosenlicht, schwebte herein, ein Kruzifix hoch in der Hand tragend, winkte ihr und sprach: »Folge mir, ich bringe dir Frieden!«
Er führte sie nun mitten durch den Wald auf einem ihr gänzlich unbekannten Weg, bis sie an einen Felsen kamen. Der öffnete sich, als der Engel ihn mit dem Kreuz berührte. Nun schritten sie durch eine Felsenspalte, bis sie ein hohes Tor erreichten, das wie Silber glänzte. Vor diesem saßen sieben Greise mit spitzen Mützen und langen Bärten. Als diese aber das Kruzifix erblickten, da neigten sie sich tief. Das Knäblein und die Jungfrau traten in einen hohen Saal, der mit lauter Edelsteinen verziert war und durch deren Glanz sein Licht empfing. In diesem lag auf kostbarem Lager unter einem prächtigen Baldachin eine wunderschöne Frau, umstrahlt von einem Sternenkranz. Zu ihren Füßen lagen sieben Zwerge betend auf den Knien. Als diese den Engel erblickte, fragte sie, was ihn herführe. Dieser aber erzählte ihr die furchtbare Gefahr des unglücklichen Mädchens und bat sie um Hilfe. Hierauf gebot die Fürstin der Berge, denn das war sie, einem Zwerg, ihr eine Urne von Sardonyx aus einem Kristallschränkchen zu bringen, nahm daraus ein Kreuz von blitzenden Diamanten und sprach: »Käthchen, trage dieses Kreuz stets auf deiner Brust, und der Böse wird dir nichts anhaben können.«
Bei diesen Worten nahm der Zwerg eine Schnur Perlen aus der Urne, knüpfte daran das Kreuz und hing es ihr um den Nacken. Damit nahm er Käthchen wieder bei der Hand und führte sie denselben Weg zurück, den sie gekommen waren. Als er den Felsen wieder mithilfe des Kruzifixes öffnete, da nahm er Abschied von ihr und sprach, sie solle ruhig sein, denn sie stehe in Gottes Schutz. Als Käthchen nach Hause kam, fand sie ihren Vater daheim und erzählte ihm, was ihr begegnet war, zeigte auch das Kreuz als Beweis der Wahrheit ihrer Erzählung. Da erwiderte ihr derselbe, dass auch ihm etwas Ähnliches widerfahren sei, denn er habe im Schacht beim Graben ein goldenes Jesuskreuz gefunden. Als sie es näher betrachteten, um vielleicht ein Merkmal zu finden, an welchem sie den rechten Besitzer erkennen könnten, sahen sie den Namen des Steigers darauf eingeschnitten mit den Worten Dem Gläubigen hilft Jesus Christus.
So erwarteten sie voll guten Mutes das Ende der Woche und die früher so gefürchtete Mitternachtsstunde. Endlich schlug sie. Kaum war der letzte Schlag verklungen, da pochte es an das Fenster und brüllte: »Heraus die Braut, heraus die Braut!« Da öffnete Käthchen selbst das Fenster und hielt dem Bösen ihr schimmerndes Kreuz entgegen.
Unter furchtbarem Wehgeschrei wich er zurück. Zuvor aber rief er: »Käthchen, dich schützt Gottes Macht, ich habe keinen Teil an dir. Aber jetzt ist die Reihe an dir, Günzer, mir in die Hölle zu folgen. Komm heraus, dass ich dich packen kann.« Auch hier musste er weichen, denn Münzer hielt ihm sein goldenes Jesuskreuz entgegen. Doch dieses Mal verschwand er nicht so ruhig wie die früheren Male. Ein furchtbares Gewitter begann sich zu entladen, ein Orkan warf die stärksten Bäume nieder und erschütterte das Häuschen in seinen Grundfesten. Der zum Strom angeschwollene Waldbach drohte dasselbe wegzureißen, aber kaum schlug es eins, so war alles wieder still und der Mond leuchtete silberhell durch die finsteren Wolken. So wurde nun Käthchen ihres höllischen Bräutigams ledig. Nach zwei Jahren ehelichte sie ein wackerer Bergmann aus Frohnau, der ihr schon längst sein Herz geschenkt hatte. Der Bergmeister aber verlieh demselben die Stelle des alten Günzer, der sich nunmehr zur Ruhe setzte und den Rest seines Lebens bei seinen Kindern zu verleben gedachte. Noch schenkte ihm Gott zehn Jahre, und er hatte die Freude, innerhalb dieser Zeit drei Enkel auf seinen Armen zu wiegen. Als ihn aber Gott abrief, da vergaß sein Käthchen nicht, welches Los er mit ihr geteilt und wie die Fürstin der Berge sie herrlich geführt hatte. Darum ließ sie ihren Vater an jener Stelle am Felsen bestatten, wo der Engel denselben gespalten hatte. Nun ging sie jeden Tag hin, um dort für das Seelenheil des geliebten Verstorbenen zu beten. Dies tat sie lange Jahre, bis sie selbst eine Greisin war. Einst aber ging sie auch, um am Grab ihres Vaters zu beten, und kehrte nicht zurück. Als ihr Mann und ihre Kinder hinausgingen, um sie zu suchen, da fanden sie nur ihre Leiche. Aus dem Felsen aber trat der Engel im Rosenlicht, küsste die Entseelte auf die Stirn, nahm ihr das Diamantkreuz ab und schwang sich damit zum Himmel auf. Der tief betrübte Gatte aber rief einige seiner Kameraden herbei und brach ihr ein Grab in den Felsen ein. Als Raum genug vorhanden war, um den Sarg hineinzusetzen, die Leidtragenden eben damit beschäftigt waren, denselben an seinen Ort zu stellen, da schwebten zwei Engel herab, hoben ihn von der Bahre, stellten ihn in den Felsen und schlossen denselben wieder mit einem großen Quaderstein so geschickt, dass niemand mehr sehen konnte, wo die Öffnung gewesen war. Seit jener Zeit nennt man jenen Felsen, wo Käthchen den ewigen Schlaf schläft, den Käthelstein.«