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Der Wolfmensch Dritter Teil – Kapitel 2

Elie Berthet
Der Wolfmensch
oder: Die Bestie des Gévaudan
Aus dem Französischen von A. Kretzschmar
Hartleben’s Verlags-Exedition. Pest, Wien und Leipzig, 1858.

Dritter Teil

Der Handel

Fargeot hatte seit dem tragischen Tod seiner Tochter das Haus im Wald verlassen und seine Funktionen als Oberforsthüter von Mercoire niedergelegt, Funktionen, deren er sich übrigens sehr schlecht entledigt hatte. Die öffentliche Meinung beschuldigte ihn, die erste Ursache des unheilvollen Ereignisses gewesen zu sein. Trotz seiner anscheinenden Reue nahm man sich nicht die Mühe, ihm den Abscheu zu verhehlen, welchen er einflößte.

Sei es nun, dass Fräulein von Barjac auf die letzten Bitten Marions Rücksicht nahm, sei es, dass ein geheimnisvoller Einfluss sich zugunsten des ehemaligen Oberforsthüters geltend machte, war er nicht auf schimpfliche Weise verabschiedet worden, wie sein unwürdiges Verhalten zu verdienen geschienen. Weit entfernt hiervon hatte man ihm ein Asyl auf dem Schloss gegeben. Er übte eine Art Oberaufsicht über die anderen Dienstleute aus und war mit einigen anderen nicht sehr anstrengenden Arbeiten beschäftigt.

Sein Leben wäre daher in seiner neuen Stellung ein sehr angenehmes gewesen, wenn nicht die Vernachlässigung, die man ihm bei jeder Gelegenheit zu erkennen gab, und vielleicht geheime Selbstvorwürfe sein Gemüt beunruhigt hätten.

Selbst in physischer Beziehung war mit Fargeot eine vollständige Veränderung vorgegangen. Seine sonst so dunkelrote Gesichtsfarbe war verschwunden, seine umfangreiche Korpulenz hatte bedeutend abgenommen, seine Wangen hingen schlaff herab und seine Augen waren trübe und erloschen. Anstatt seiner schönen Forsthüteruniform trug er jetzt eine Art grauer Livree, die um seinen abgemagerten Körper herumschlotterte. Alles an ihm verriet Demütigung, Niedergeschlagenheit und Selbstverachtung.

Dann aber bedurfte es nicht langer Beobachtungen, um zu erkennen, dass der Kummer diesen Menschen nicht besser gemacht hatte. Sein Temperament schien sogar noch bitterer und störriger geworden zu sein und sein Hass gegen die anderen vermehrte sich durch seine Verachtung und seinen Hass gegen sich selbst.

Als Legris in die Küche trat, erhob sich Fargeot, der in der Kaminecke saß, und grüßte mit düsterer Miene. Der Bürgersohn nahm ihm gegenüber jenen vertraulichen, gönnerhaften Ton an, welchen er von seinem Freund Laroche-Boisseau, gelernt hatte.

»Guten Morgen, guten Morgen, Meister Fargeot«, sagte er freundlich, »ich freue mich, Euch zu sehen. Doch gehen wir in das kleine Zimmer, dort können wir ungestörter plaudern. Und Madame Richard wird so gut sein, uns zwei Flaschen von ihrem besten Wein zu bringen, nicht wahr, Madame Richard?«

Die Wirtin war sehr überrascht. Ebenso stolz gegen Untergebene als kriechend und dienstfertig gegen Edelleute war Legris sonst durchaus nicht gewohnt, Leute von Fargeots Stand auf diese Weise zu traktieren.

Der Freund des Barons aber schien die durch diese Abweichung von seinem gewöhnlichen Stolz hervorgebrachte Wirkung nicht zu bemerken. Er trat in das Nebengemach und Fargeot folgte ihm mechanisch. Es dauerte nicht lange, so saßen beide vor einem Tisch, auf welchem die verlangten Flaschen standen. Legris begann den Boten mit Fragen nach allen Bewohnern von Mercoire zu überhäufen, für welche er eine außerordentliche Zuneigung hegte.

Man antwortete ihm in lakonischem, kaltem Ton und schien sich auf der Defensive zu halten.

Dieser ihn erbitternden Zurückhaltung müde, ergriff er eine der Flaschen und füllte die Gläser mit einer goldenen Flüssigkeit, welche im ganzen Zimmer einen köstlichen Wohlgeruch verbreitete.

»Wohlan, Vater Fargeot«, sagte er in gewinnendem Ton, »Ihr müsst von Eurem frühen Ritt ermüdet sein. Ihr werdet Euch daher, hoffe ich, nicht weigern, mir Bescheid zu tun.«

»Ich danke, Monsieur, ich habe mir vorgenommen, keinen Wein mehr zu trinken.«

»Na, so ein Vorsatz mag gut sein, was den schlechten Wein der Dorfwirtshäuser betrifft. Dieser aber ist Saint-Peray und der Saint-Peray der Madame Richard ist in der ganzen Provinz berühmt. Kostet ihn, sage ich; einmal ist noch keine Gewohnheit, zum Teufel!«

Fargeot wendete das Gesicht hinweg und wiederholte seine Weigerung.

»Wie Ihr wollt«, sagte Legris. Er setzte sein Glas an die Lippen und schien den kostbaren Nektar mit innigem Behagen zu schlürfen.

Der ehemalige Trunkenbold blieb unerschütterlich.

Die Unterhaltung dauerte fort, indem der eine nicht müde wurde, zu fragen, während der andere kurz und einsilbig antwortete.

Legris erfuhr auf diese Weise, dass Fräulein von Barjac, ihren guten Vorsätzen treu, seit der letzten Jagd im Wald von Mercoire noch kein einziges Mal wieder ihr Amazonenkostüm angelegt hatte, dass sie nicht mehr zu Pferde stiege, dass sie nicht anders ausginge, als in Begleitung des Chevalier von Magnac und mehrerer Dienstleute, dass sie sehr einsam lebe, dass sie traurig und niedergeschlagen zu sein schiene, usw.

Trotz dieser interessanten Einzelheiten war Legris in Bezug auf den Zweck des erhaltenen Auftrages immer noch nicht weitergekommen. Er suchte daher ein Mittel, die eigentliche Frage geschickt aufs Tapet zu bringen, aber, mochte es nun Zufall oder Berechnung sein, Fargeot gewährte ihm nicht die gewünschte Gelegenheit und die Zeit verging, ohne irgendein Resultat herbeizuführen.

Man muss ihm seine Lektion gut eingeprägt haben, dachte Legris, oder er hat sich wirklich bekehrt. Ich will des Teufels sein, wenn ich weiß, wie ich diesen alten Tölpel fassen soll.

Fargeot, der ohne Zweifel dieses zwecklosen Geschwätzes überdrüssig war, erhob sich endlich.

»Ich habe alles beantwortet, was Ihr mich gefragt habt, Monsieur Legris«, hob er wieder an. »Ihr werdet mir daher nun erlauben, mich ebenfalls einer Botschaft zu entledigen. Soll ich meiner Herrschaft melden, dass Herr von Laroche-Boisseau noch immer auf dem guten Weg der Genesung ist?«

»Ihr könnt sogar melden, dass er vollkommen wiederhergestellt ist. Mein edler Freund spricht schon davon, wieder zu Pferde zu steigen.«

»Das wird Herrn von Magnac sehr freuen, denn es liegt ihm sehr viel daran, den Herrn Baron von seiner Wunde vollständig wiederhergestellt zu wissen.«

»Und warum denn, Fargeot?«

»Das weiß ich nicht. Und auch Ihr, Monsieur Legris, seid frisch und munter. Eure Pflege kann für den Herrn Baron nicht mehr notwendig sein, da Ihr, wie man sagt, unaufhörlich in der Umgegend herumreiset.«

»Wie«, fragte Legris mit etwas unbehaglicher Miene, »ist es wahr, dass der Chevalier sich auch nach mir erkundigt?«

»Das wollte ich meinen! Er beschäftigt sich mit Euch ebenso sehr wie mit Herrn von Laroche-Boisseau selbst und erkundigt sich nach den kleinsten Einzelheiten in Bezug auf den einen wie auf den anderen.«

»Das ist zu viel Ehre. Ich muss Euch sagen, mein lieber Fargeot, dass der Baron sich nicht genug schont, und dass seine Kräfte sehr langsam zurückkehren. Ich muss immer da sein, um fortwährend über ihn zu wachen, um ihn abzuhalten, Unklugheiten zu begehen. Beeilt Euch daher nicht allzu sehr, diesem vortrefflichen Chevalier günstige Nachrichten mitzuteilen. Allerdings hoffe ich, dass Laroche-Boisseau in etwa vierzehn Tagen sich auf den Füßen wird halten können und dass ich selbst in Bezug auf ihn aller Sorge überhoben sein werde.«

Legris rechnete darauf, dass vor Ablauf dieser Frist sein Freund und er Langogne und die Nachbarschaft von Mercoire verlassen haben würden.

»Es ist gut«, entgegnete Fargeot, »ich werde mich meines Auftrages gewissenhaft entledigen.«

Er wollte das Zimmer verlassen.

Legris, der einen Augenblick lang durch das ein wenig zu lebhafte Interesse, welches der Chevalier von Magnac an ihm nahm, aus der Fassung gebracht worden war, wurde sofort wieder zum Bewusstsein der gegenwärtigen Situation geweckt.

»Noch einen Augenblick, mein wackerer Freund«, hob er in gewinnendem Ton wieder an. »Ich bemerke an Euch einen geheimen Kummer, der mir Mitleid einflößt. Ich kenne Euer Unglück, und obwohl wir verschiedenen Ständen angehören …« Er legte auf diese letzteren Worte besonderen Nachdruck. »… so möchte ich Euch doch einige Tröstungen gewähren. Also, Vater Fargeot, woher kommt es, dass Ihr so verändert seid? Fühlt Ihr Euch vielleicht in Mercoire nicht glücklich? Nimmt man vielleicht auf Euer Unglück nicht die Rücksichten, die es verdient?«

Diese freundschaftliche Sprache war geeignet, einen lebhaften Eindruck auf Fargeot hervorzubringen, welcher, fortwährend düster und niedergedrückt und von Gewissensbissen gemartert, nicht gewohnt war, Worte der Teilnahme an sich richten zu hören. Dennoch aber antwortete er in bitterem Ton: »Rücksichten, Monsieur! Und welche Rücksichten wollt Ihr, dass man gegen mich habe? Jedermann klagt mich dort an und verachtet mich. Man hat mich allerdings in das Schloss aufgenommen, aber bloß aus Mitleid und vielleicht meiner armen Tochter zuliebe. Man liebt mich nicht. Ich könnte hinter dem Zaun krepieren wie ein Hund und niemand würde mich beklagen. Aber«, fuhr er in wildem Ton fort, »habe ich nicht dies alles und vielleicht noch etwas weit Schlimmeres verdient?«

»Aber warum denn? Ist es denn Eure Schuld, wenn das arme Kind sich in den Kopf gesetzt hatte, Euch trotz Grand-Pierres Abreden im Wald aufzusuchen? Habt Ihr etwas gesagt oder getan, was sie zu diesem unklugen Schritt getrieben hätte? Es ist dies weiter nichts als ein beklagenswerter Unfall, den es ungerecht und abgeschmackt wäre, Euch beizumessen.«

»Glaubt Ihr das wirklich, Monsieur? Ist dies wirklich Eure Meinung?«, hob Fargeot wieder an, indem er sich mit einem unaussprechlichen Ausdruck von Freude emporrichtete. Ich habe mir dies auch schon gesagt, aber die anderen und besonders der Pfarrer von Mercoire behaupten im Gegenteile …«

»Setzt Euch nieder und lasst uns plaudern wie gute Freunde. Die, welche Euch zu quälen suchen, haben vielleicht ihre Gründe, dies zu tun. Leute ohne Leidenschaft aber, wie ich oder mein würdiger Gönner Laroche-Boisseau, können Euch nur beklagen. Der einzige Strafbare ist jenes verwünschte Tier, welches wir, sobald der Baron vollends wieder hergestellt sein wird, auf das Unermüdlichste verfolgen und bekämpfen werden.«

»O, erlaubt mir, Euch dabei zu helfen … ich werde Euch helfen!«, rief Fargeot eifrig. »Ich kann Euch die Mittel liefern, dieses nichtswürdige Tier zu ertappen. Also«, fuhr er in verändertem Ton fort, »der Herr Baron findet auch, dass ich mir bei dem furchtbaren Ereignis, welches mich … meiner armen Tochter beraubt hat, nichts vorzuwerfen habe?«

»Man müsste sehr dumm oder sehr schlecht sein, um das Gegenteil zu denken, aber ich sage Euch nochmals, man hat sich befleißigt, Euch dergleichen Ideen einzuflößen, um irgendwelchen Nutzen davon zu ziehen. Was sagtet Ihr denn von dem Pfarrer von Mercoire, welcher Euer Gewissen durch unverdiente Vorwürfe zu beunruhigen versucht hat?«

»Ach, Ihr habt recht, Monsieur«, sagte der ehemalige Forsthüter mit feindseligem Ausdruck, »dieser Priester erwartete etwas von mir und ich habe jetzt die Gewissheit, dass er auf Anstiften der Mönche von Frontenac so handelte. Obwohl ich aber vor Schmerz halb wahnsinnig war, so habe ich mich doch ebenso schlau gezeigt wie er, und er hat nicht erlangt, was er begehrte.«

»Und was begehrte er denn, mein lieber Fargeot?«

»Nichts, nichts, Monsieur.«

Legris begriff, dass er sich nicht übereilen dürfe und er sein Ziel erreichen würde, wenn er mit verdoppelter Gewandtheit und Geduld zu Werke ginge.

»Aus allem diesen schließe ich, Fargeot«, hob er in sanftem Ton wieder an, »dass man Euch dort in Mercoire nicht gut behandelt. Ich würde Euch raten, das Schloss ohne Verzug zu verlassen. Meiner Treu, man würde Euch ja zuletzt den Kopf noch ganz verdrehen. Ihr seid schon nicht mehr zu erkennen. Ihr, früher ein so flotter, lebenslustiger Kumpan, Ihr lebet wie ein Wolf, Ihr lacht nicht mehr, Ihr sprecht nicht mehr. Euer Gesicht ist totenblass und Eure Wangen sind hohl. Ich frage Euch, Fargeot, seid Ihr ein Mann? So sucht Euch doch ein wenig aufzuheitern, morbleu! Kommt«, setzte er hinzu, indem er die Gläser wieder füllte. »Ich will eine Gesundheit ausbringen, die Ihr Euch nicht weigern werdet, mitzutrinken: Auf das Wohl Eurer liebenswürdigen Herrin, des edlen Fräuleins von Barjac, und auf den Untergang der Intriganten, von welchen sie umgeben ist!« Gleichzeitig reichte er das volle Glas dem ehemaligen Forsthüter, der es ergriff.

»Eine solche Gesundheit kann ich nicht zurückweisen«, entgegnete er. »Fräulein von Barjac hatte sehr gute Absichten mit meiner unglücklichen Tochter, und obwohl sie mich nicht liebt …«

»Sie würde Euch bedauern, Fargeot, wenn sie nicht fortwährend von den Kreaturen der Mönche von Frontenac umlagert wäre, welche Gott oder der Teufel vernichten möge!«

»Dazu sage ich Amen von ganzem Herzen!«, entgegnete Fargeot.

Und er leerte sein Glas.

Von diesem Augenblick an war es, als wenn Marions Vater ein anderer Mensch würde. Die hinterlistige Gewandtheit des Versuchers hatte endlich über seine Gewissensbisse triumphiert. Zwischen dem Guten und dem Bösen schwankend, verfiel Fargeot wieder in das Letztere.

Ein leise, aber sehr lebhaft geführtes Gespräch entspann sich nun zwischen den neuen Freunden. Fargeot, der seiner Schweigsamkeit entsagte, schien seinen früheren Instinkt der Schlauheit wiedergefunden zu haben. Wenn aber gewisse Anträge ihn unangenehm berührten und sein Bedenken erweckten, so entwickelte Legris allemal doppelte Beredsamkeit und er konnte nicht widerstehen.

Übrigens folgte nun ein Glas aufs andere. Fargeot tat sich, nachdem er einmal das erste geleert hatte, keinen Einhalt weiter und suchte in der vortrefflichen Beschaffenheit des Weines eine Entschädigung für seine lange Enthaltsamkeit von jedem geistigen Getränk.

Als die zwei Flaschen Saint-Peray leer waren, verlangte man andere, dann noch andere. Der freigebige Spender ging mit gutem Beispiel voran und schonte sich selbst nicht, sodass er am Ende der Sitzung fast ebenso erhitzt war wie sein Gast.

Das Resultat dieser Unterredung lässt sich leicht erraten. Allmählich herrschte vollständige Eintracht zwischen den beiden Trinkern. Das Gold, welches die Tasche des einen füllte, ging in verschiedenen Quantitäten in die des anderen über. Es dauerte nicht lange, so nahm Fargeot seinerseits eine schmierige Brieftasche aus seiner Jacke und aus der Brieftasche ein Papier, welches er Legris überreichte.

Dieser gab, nachdem er einen Blick auf diese Schrift geworfen hatte, eine außerordentliche Freude kund.

Taumelnd erhob sich Fargeot endlich.

»Na, das ist gut. Nun sind wir wieder flott!«, rief er.

»Ich will nicht mehr traurig sein, morbleu! Ich will mir wieder gute Zeit machen. Kummer und Herzeleid müsste ja zuletzt selbst eine Katze umbringen – tausend Donnerwetter! Wohl an, Monsieur Legris, die Sache ist abgemacht. Ich kehre nach Mercoire zurück, um dort meine Entlassung zu nehmen. Dann trete ich in den Dienst des Herrn Barons, und wir suchen zusammen meinen ehemaligen Knecht Jeannot auf, dessen Zeugnis in dieser Sache so wichtig ist. Ich mache mich anheischig, ihm trotz seiner Verrücktheit die Zunge zu lösen. Übrigens wird er uns auch ohne Zweifel jene verwünschte Bestie des Gévaudan auffinden helfen, welche meine … doch, ich wollte ja nicht mehr daran denken. Nur noch ein Wort, Legris. Wisst Ihr auch ganz gewiss, dass der Herr Baron mit all diesem einverstanden sein wird?«

»Er wird alle meine Versprechungen halten, Vater Fargeot, dafür stehe ich Euch, und, wenn ich es gestehen muss, ich handle in seinem Namen und Auftrag. Es ist sein Gold, welches jetzt in Euren Taschen klirrt. Geht daher und beeilt Euch wiederzukommen. Jetzt nur noch ein letztes Glas auf die Gesundheit Eures neuen Herrn, des Barons von Laroche-Boisseau.«

»Ja, ja, auf die Gesundheit des Herrn Barons!«, rief Fargeot, indem er entschlossen sein Glas leerte. »Und möge er alle diese Bösewichter von Mönchen entlarven, mit Einschluss jenes Heuchlers von Prior, der mir auf so stolze und übermütige Weise begegnet ist. Ha! Ha! Nun wird man wissen, an welchem Holz ich mich wärme! Und die anderen da drüben in Mercoire, wie will ich sie in ihre Schranken zurückwerfen! Dieser alte, hochmütige Chevalier mit seinem Nussknackergesicht, diese alte Betschwester Magloire und diese Taugenichtse von Lakaien, wie sollen sie vor Neid bersten, wenn sie mein Gold sehen! Ich kann es kaum erwarten, das zu sehen … ich will fort … ich gehe!«

Beide Zecher waren aufgestanden. Fargeot warf sich in Legrisʹ Arme, welcher, selbst nicht mehr fest auf den Beinen, beinahe von der Wucht dieses Anpralles über den Haufen geworfen worden wäre.

»Ha, Legris«, rief er in gerührtem Ton, während er zugleich nach Art mancher Betrunkenen in Tränen ausbrach, »Ihr seid mein Wohltäter, mein Kamerad, mein bester Freund! Ich war ein blinder, unglücklicher Dummkopf. Du hast mir die Augen und den Verstand geöffnet. Du hast mein Herz wieder mit Freude erfüllt. Von nun an sind wir Freunde auf Leben und Tod. Wir müssen uns jetzt trennen, aber morgen komme ich wieder, und dann werden wir einander nicht mehr verlassen. Was für herrliche Partien wollen wir mit einander machen! Komm, komm, begleite mich. Du musst mich zu Pferde steigen sehen. Seine Freunde darf man nicht mehr verlassen, mein guter Legris.«

Während er so sprach, hatte er seinen Arm unter den seines Zechgenossen gesteckt, und zog diesen mit sich fort zur Tür.

So schritten sie durch das niedrige Vorzimmer der Herberge, in welchem sich die Witwe Richard und ihre Dienstleute befanden. Legris war, wie wir wissen, außerordentlich elegant gekleidet. Nach seinem goldbetressten Hut, seinem seidenen Rock, seinen Spitzen und Schulterknoten hätte man ihn für einen echten Edelmann halten sollen. Fargeot dagegen mit seiner plumpen Haltung, seinem plebejischen Gesicht und seinem unscheinbaren Kostüm sah wie das Musterbild des gemeinsten Säufers aus. Obwohl daher beide ihre Kleidung ein wenig in Unordnung hatten geraten lassen und die Gesichter beider eines ebenso glühte wie das andere, so flößte doch diese Kameradschaft der schönen Wirtin und ihren Mägden den lebhaftesten Widerwillen ein.

Ohne sich um dieses stumme Missfallen zu kümmern, erreichten die beiden den Hof der Herberge, wo Fargeot das alte, engbrüstige Pferd wiederfand, welches ihn hierher getragen hatte.

Man hörte sie noch einige freundschaftliche Worte und Empfehlungen wechseln, dann schwang sich der ehemalige Forsthüter mit Mühe auf seinen Gaul und ritt fort, indem er sein Lieblingsliedchen sang:

Der Bruder trank wie vier,
Der Prior aber wie zehn.

Eine Minute später trat Legris taumelnd in das Zimmer des Barons, um diesem über das Ergebnis seiner Mission Bericht zu erstatten.

Der Baron, der eben mit seinem Frühstück fertig war, runzelte anfangs die Stirn, als er den Zustand sah, in welchem sein Vertrauter sich befand. Als aber Legris ihm die näheren Umstände seiner Unterredung mit Fargeot erzählt und ganz besonders, als er ihm das wichtige Papier gezeigt hatte, welches der Forsthüter sich bis auf diesen Tag geweigert hatte, auszuhändigen, da konnte Laroche-Boisseau seine Freude nicht mäßigen.

»Diesmal habe ich sie!«, rief er ungestüm. »Nun habe ich das Mittel in den Händen, diesen unverschämten Mönchen auf immer den Mund zu stopfen. Eine Anklage auf Mord – welch ein Glück! Schon die Drohung, diese Gräuel zu veröffentlichen, wird hinreichen, sie zu bestimmen, mir die Domänen Varinas wieder herauszugeben! Und welch eine schöne Rolle werde ich spielen! Es wird aussehen, als versuchte ich, bloß meinen ermordeten jungen Vetter zu rächen. Mein Hass und mein Zorn gegen diese Leute könnten sich gar nichts Besseres wünschen. Göttlich manövriert, Meister Legris! Ihr habt Euch im Kampf nicht geschont, wie es scheint. Eine solche Bravour entwaffnet mich und Ihr sollt Euren Anteil am Sieg haben, ich verspreche es Euch. Jetzt möge der dicke Fargeot uns noch Gelegenheit geben, die Bestie des Gévaudan zu erlegen, und die schöne Schlossherrin soll mit allen ihren Reichtümern Euer sein. Ihr seht, dass ich mit dem Lohn für Eure Dienste nicht karg bin.«

Vielleicht lag in diesem Versprechen des Barons etwas Ironisches. Legris aber, dessen sonstiger Scharfsinn in diesem Augenblick abgestumpft war, bemerkte dies nicht.

»Wohlan, Laroche-Boisseau«, rief er mit Wärme, »endlich erkenne ich Eure gewohnte Generosität. Bald werdet Ihr den Gipfelpunkt Eurer Wünsche erreicht haben – das sage ich Euch voraus. Vertraut diese Angelegenheit meinem Alten an. Ihr werdet sehen, was er daraus zu machen weiß. Der Erfolg ist gewiss und mein Vater wird alle Vorteile herauszupressen wissen – dafür bürge ich Euch. Sagte ich Euch nicht, Baron, dass es mir gelingen würde! Und seht nur, wie gut ich mit Eurem Geld hauszuhalten weiß. Hier sind noch zehn Louisdor, um die ich die Habgier unseres Mannes zu betrügen gewusst habe.«

Gleichzeitig bot er in seiner zitternden Hand die erwähnten Goldstücke dar. Laroche-Boisseau wendete das Gesicht ab.

»Ich mag sie nicht«, entgegnete er verächtlich. »Ihr werdet dieses Geld Fargeot zustellen. Es gehört ihm.«

»Ihr wollt es nicht?«, hob Legris wieder an, »dennoch gibt es Tage, wo Ihr dessen nicht zu viel habt, Baron, und Ihr werdet Euch freuen, es im Notfall wiederzufinden.

Ich hebe es also für Euch auf. Man muss nicht so verschwenderisch sein. Ach, mein lieber Laroche-Boisseau«, fuhr er fort, indem er plötzlich den Ton wechselte und sich in einen Sessel warf. »Ihr könnt nicht begreifen, welche Opfer die Freundschaft auflegt. Würdet Ihr wohl glauben, dass ich mich so weit erniedrigt habe, in Gesellschaft dieses gemeinen Kerls zu trinken und ihn wie einen Freund zu behandeln! Und das habe ich getan vor der Richard und ihren Mägden, welche sich darüber nicht schlecht zu mokieren schienen. Kann man sich wirklich so weit vergessen?«

Da die Reaktion andauerte, so brach er endlich in Tränen aus.

»Durch Erniedrigung erhebt man sich zuweilen«, sagte der Baron. »Wenn Ihr Schlossherr von Mercoire seid, werdet Ihr Fargeot schon wieder zur Raison zu bringen wissen.«