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Der Wolfmensch Zweiter Teil – Kapitel 7

Elie Berthet
Der Wolfmensch
oder: Die Bestie des Gévaudan
Aus dem Französischen von A. Kretzschmar
Hartleben’s Verlags-Exedition. Pest, Wien und Leipzig, 1858.

Zweiter Teil

Der Schwur

Der Baron von Laroche-Boisseau bewohnte im Schloss Mercoire ein großes tapeziertes Zimmer, welche von zwei Fenstern mit tiefen Brüstungen und viereckigen in Blei gefassten Scheiben erhellt wurde.

Er lag auf einem Himmelbett, dessen halb geöffnete Vorhänge sein bleiches, entstelltes Gesicht sehen ließen.

Sein Freund Legris war fortwährend bei ihm.

Von Stunde zu Stunde kam ein Wundarzt, den man in Betracht der Gefahr des Falles hatte rufen lassen, um dem Kranken den Puls zu fühlen oder auf den keuchenden Atem des Kranken zu hören. Seine Vorschriften wurden sorgfältig von der Schwester Magloire ausgeführt, welche jedoch, auf ihre eigene Erfahrung in der Heilkunde bauend, keinen Anstand nahm, diese Vorschriften nach ihrem Gutdünken zu modifizieren.

Vom frühen Morgen an hatten alle Gäste des Schlosses Mercoire ihre Diener geschickt oder waren selbst gekommen, um sich nach dem Befinden des Barons zu erkundigen.

Mit Ausnahme der Personen aber, von welchen wir soeben gesprochen, durfte niemand in das Zimmer selbst, wo der Verwundete lag. Sein Zustand war ein sehr ernster und diese fortwährende Bewegung um ihn herum würde nicht verfehlt haben, ihn auf gefährliche Weise zu beunruhigen und zu ermüden.

Deshalb blieben sowohl die Herren als auch die Diener in einem Vorzimmer, welches beinahe ebenso groß war als das Zimmer selbst und niemals leer wurde. Von diesen Besuchern unterhielten sich die einen mit leiser Stimme über den wahrscheinlichen Ausgang der Krankheit und ihre geheimnisivolle Ursache. Die anderen lauerten der Schwester Magloire und dem Arzt bei ihrem Vorübergehen auf, um die neusten Nachrichten zu erhalten, und noch andere versuchten durch die offenstehende Tür einen Blick vom Kranken zu erhaschen, der in gewissen Augenblicken ein schmerzliches Stöhnen nicht unterdrücken konnte.

Als die junge Schlossherrin eintrat, war daher das Vorzimmer mit Leuten angefüllt. Christine wurde von ihrem Ehrenstallmeister geführt und war vom Pater Bonaventura und Leonce begleitet, welchen der Prior aus geheimer Absicht bei diesem offiziellen Besuch hatte zugegen sein lassenwollen.

Eine Bewegung des Erstaunens gab sich in der Versammlung kund, als Fräulein von Barjac erschien. Vielleicht vermutete man in der Tat die Wahrheit und dieser Schritt störte die verschiedenen Versionen, welche sich über den Ursprung der Wunde des Barons verbreitet hatten.

Christine zeigte eine ruhige Haltung. Ihre Züge drückten genau den Grad von Teilnahme und Mitleid aus, welchen ihr ein zufällig auf ihrem Gebiet verwundeter Edelmann einflößen musste. Ihr ganzes Wesen war ein Beweis von vollkommener convenance, wie der Chevalier von Magnac gesagt haben würde.

Übrigens gestattete sie keine Zeit, lange Beobachtungen zu machen, sondern grüßte die Anwesenden mit anmutiger Höflichkeit und ging rasch vorüber. Alle Hälse wurden lang und alle Ohren spitzten sich, um zu hören, was sie zum Kranken sagen würde, aber diese Neugier wurde getäuscht.

Ein Rücken von Stühlen und dann ein unverständliches Flüstern ließ sich hören, und dies war alles.

Die, welche einen Blick in das Zimmer werfen konnten, sahen die soeben eingetretenen Personen um das Bett herumsitzen und ruhig mit dem Verwundeten plaudern. Kein lauter Ton, keine außerordentliche Bewegung war im Laufe der Unterredung wahrzunehmen. Man bemerkte bloß, dass Magnac und die Schwester Magloire sich hartnäckig zwischen die Neugierigen und die Hauptpersonen des Auftrittes stellten.

Dennoch aber war die Gemütsbewegung dieser, wenn auch verhalten, doch deswegen nicht weniger lebhaft.

Der Baron besaß trotz des Schmerzes und des Fiebers sein volles Bewusstsein. Bei Christinens Anblick ließ er sich von Legris, der neben seinem Bett stand, ein wenig emporrichten und sprach mit leiser Stimme einige Worte, während seine farblosen Lippen sich zu einem matten Lächeln verzogen.

Fräulein von Barjac konnte ihrerseits nicht umhin, zusammenzuzucken, als ihr Blick auf diesen am Tage vorher noch so schönen, so stolzen, so heiteren und in seiner reichen Uniform als Wolfsjägermeister so glänzenden Mann fiel, der jetzt bleich, erschöpft, mit keuchender Brust nur noch durch einen Hauch am Leben zu haften schien. Als sie bedachte, dass diese furchtbare Veränderung ihr Werk war, vergaß sie die ihr zugefügte Beleidigung und dachte nur noch an die Härte der Strafe.

Sie setzte sich in einen Sessel, welchen man sich beeilt hatte, herbeizuschieben, und stammelte mit niedergeschlagenen Augen: »Es tut mir leid, Monsieur, es tut mir sehr leid, Euch in diesem beklagenswerten Zustand zu sehen, aber …«

»Aber ich habe mein Schicksal verdient, wollt Ihr sagen, nicht wahr?«, entgegnete Laroche-Boisseau in sehr leisem Ton. »Auch bin ich Euch, mein Fräulein«, fuhr er ein wenig lebhafter werdend fort, »sehr dankbar für euren gegenwärtigen Besuch, obwohl euer Interesse für mich vielleicht nicht der einzige Beweggrund dazu ist. Er gibt mir die Hoffnung, dass Ihr mich wieder ohne Hass, ohne Zorn werdet sehen können und mir vielleicht Verzeihung angedeihen lasst.«

Christine wendete verlegen das Gesicht hinweg. Tränen flossen aus ihren Augen. Nach einigem Schweigen hob der Verwundete wieder an: »Sollte ich mich getäuscht haben? Ich bitte Euch, Fräulein, antwortet mir. Alle Personen, welche uns hier hören, sind, wie ich weiß, in das Geheimnis meines Fehltrittes eingeweiht. Sagt, sind meine gegenwärtigen Leiden nicht eine Sühne für einen Augenblick der Verirrung? Soll ich mit Eurer Feindschaft sterben?«

Fräulein von Barjac konnte nicht länger widerstehen. »Wohlan, ich verzeihe Euch«, entgegnete sie, »und möge der Himmel Euch ebenso verzeihen. Aber Ihr werdet, hoffe ich, nicht sterben, Ihr werdet im Gegenteil leben, um …«

»Um für Eure Großmut stets dankbar zu sein«, ergänzte der Baron, indem er erschöpft zurücksank.

Der Pater Bonaventura ergriff nun das Wort. Mit seiner salbungsvollen und eindringlichen Stimme ermutigte er den Baron, in sich zu gehen, sein Unrecht anzuerkennen und, wenn es sein müsste, als guter Christ zu sterben.

Der Kranke, der einen Augenblick lang die Augen geschlossen hatte, öffnete sie plötzlich wieder und sagte mit ironischem Lächeln: »Ihr wisst, mein hochwürdiger Vater, dass wir uns über keinen Punkt verständigen können. Ich danke daher für euren Rat. Mag ich leben oder sterben, so gedenke ich als Mann zu leben oder zu sterben. Wenn aber diese Wunde das Leben kosten sollte, so werde ich bloß bedauern, dieses schöne und reine junge Mädchen, welches mir soeben mit solchem Edelmut verziehen, wehrlos den schwarzen Machinationen preisgeben zu lassen, deren Opfer sie wahrscheinlich werden wird.«

»Machinationen, Monsieur? Machinationen?«, wiederholte Leonce mit erstickter Stimme, indem er sich halb erhob.

Er bedurfte jedoch nicht des strengen Blickes, den sein Onkel ihm zuwarf, um das Unzeitige und Unangemessene seiner Einmischung zu begreifen. Er setzte sich errötend wieder nieder.

Der Baron sagte trotz den Bemühungen seines Freundes Legris, der ihn bat, sich zu beruhigen und zu schweigen, mit abermaliger Ironie zum Neffen des Priors: »Ich erkläre mir leicht die tugendhafte Entrüstung des Monsieur Leonce über die unedlen Triebe, von welchen ich spreche, aber dies wird sich ohne Zweifel ändern. Wie könnten sie unter derselben Farbe von denen gesehen werden, welche darunter leiden, und von dem, der vielleicht die Frucht davon ernten wird?«

Dieser auf Christine und Leonce gezielte giftige Pfeil schien sie beide mitten ins Herz zu treffen.

Die Züge des Fräuleins von Barjac gaben einen gewissen Grad von Zorn und die des jungen Mannes Erstaunen, Zweifel und Unruhe zu erkennen.

Zufrieden mit der Wirkung, welche er hervorgebracht hatte, stand Laroche-Boisseau abermals im Begriff, ein perfides Wort von sich zu schleudern, als der Prior sich rasch erhob.

»Ein längerer Besuch«, sagte er, »könnte den Herrn Baron ermüden. Es ist Zeit, dass wir uns wieder entfernen. Ich wünsche lebhaft, dass unser Gast wieder genese, denn wenn ich nicht irre, haben die Verzeihung seines Unrechts und die christliche Liebe ihn noch nicht hinreichend vorbereitet, vor seinem Richter zu erscheinen.«

Als der Prior sich erhob, hatten seine Begleiter dasselbe getan. Christine näherte sich in dem Augenblick, wo sie sich entfernen wollte, dem Kranken und reichte ihm die Hand, welche er an seine Lippen drückte.

»Werdet bald wieder gesund«, sagte sie mit Bewegung, »und niemand, ich schwöre es Euch, wird Eure Genesung mit mehr Freude sehen, als ich!«

»Ich werde wieder genesen, Christine«, entgegnete Laroche-Boisseau auf dieselbe Weise. »Ja, ich werde genesen, um Euch immer zu lieben und Euch gegen Eure geheimen Feinde zu verteidigen.«

Die junge Schlossherrin zog rasch ihre Hand zurück, indem sie stammelte: »Ich kann diese Ausdrücke nicht billigen. Ich darf Euch nicht glauben lassen …«

Ein Geräusch von Stimmen, welches sich plötzlich im Vorzimmer erhob, hinderte sie, ihren Gedanken vollends auszusprechen. Es war, als ob ein ernstes Ereignis geschehen sein müsste, denn mitten unter einem verworrenen Gemurmel ließen sich Klagen und Schluchzen vernehmen.

Der Chevalier und Magloire gingen voran, um sich nach der Ursache dieses Tumults zu erkundigen, wurden aber von den Neugierigen in das Zimmer zurückgedrängt. Unter ihnen erkannte man den Oberforsthüter Fargeot und den Lakai Grand-Pierre.

Fargeot, der jetzt vollständig wieder nüchtern war, hatte sich seit dem Abend vorher sehr verändert. Trotz seiner ungeheuren Korpulenz besaßen alle seine Bewegungen eine fieberhafte Lebhaftigkeit. Sein Gesicht war bleich, verstört und von Tränen durchfurcht. Seine Kleider waren mit Schmutz bedeckt und noch feucht vom Regen des letzten Gewittersturmes.

Grand-Pierre schien ebenfalls im höchsten Grad bestürzt und erschrocken zu sein. Hinter ihnen drängten sich mit scheuer Miene sämtliche Bewohner des Schlosses.

Fräulein von Barjac eilte, unwillig über dieses gewaltsame Eindringen, den Eintretenden entgegen.

»Was wollt ihr?«, fragte sie. »Wie kann man sich unterstehen, auf diese Weise hier …«

Ach, gnädiges Fräulein, meine gute Herrin«, sagte Fargeot, indem er auf die Knie niederfiel, »rächt meine Tochter, meine arme Tochter! Man sagt, dass Ihr Euch gestern Abend so gut und gnädig gegen sie gezeigt habt, während ich schlechter Vater und gefühlloser Trunkenbold die Ursache ihres Unglücks war. Da Ihr aber nun nichts mehr für meine arme Marion selbst tun könnt, so rächt sie wenigstens – rächt sie, ich bitte Euch flehentlich darum!«

Der Schmerz, welcher seinen riesigen Körperbau erschütterte, entriss ihm ein durchbohrendes Wehklagen. Christine begann sich auf etwas Entsetzliches gefasst zu machen.

»Beruhigt Euch, Fargeot«, hob sie an. »Was sagt Ihr von Eurer Tochter? Wo ist sie? Warum ist sie nicht heute Morgen aufs Schloss gekommen, wie sie mir versprochen hatte?«

»Sie wird niemals wieder hierherkommen – niemals!«, rief der Forsthüter.

Christine erwartete mit größter Spannung die Erklärung dieser Worte. Ihr Blick fiel auf Grand-Pierre und schien diesen zu befragen.

»Ich bin nicht daran schuld, gnädiges Fräulein, das schwöre ich Euch«, sagte der Lakai mit Verzweiflung, indem er auf diese stumme Aufforderung antwortete. »Ich habe Eure Befehle pünktlich ausgeführt, aber meine Abwesenheit hat weit länger gedauert, als ich dachte. Die Nacht war finster. Ich bin mehrmals im Hohlweg gestürzt, musste den Bach von Plin-Val durchschwimmen. In Cransac bedurfte es von meiner Seite erst langen Zuredens, ehe der Feigling von Schenkwirt sich entschloss, mich mit seinem Knecht und seinem Esel zu begleiten. Auf dem Rückweg wurden wir durch tausenderlei Hindernisse aufgehalten. Als wir endlich an der Stelle ankamen, wo wir den Forsthüter und seine Tochter finden sollten, begann schon der Tag zu grauen und das Unglück war seit langer Zeit geschehen.«

»Welches Unglück?«, fragte Christine; »Du willst doch nicht sagen, dass Marion ein Unfall zugestoßen sei? Wo ist sie denn? Warum sehe ich sie nicht?«

»Sie ist tot!«, murmelte Grand-Pierre.

»Tot! Von dem teuflischen Tier, der Bestie des Gévaudan zerrissen!«, rief Fargeot.

Christines Füße wankten unter ihr und sie sank beinahe vernichtet in einen Sessel.

Grand-Pierre begann nun ausführlich zu erzählen, wie Marion sich geweigert hatte, ihren betrunkenen Vater zu verlassen, während er, Grand-Pierre, Hilfe aus dem benachbarten Dorf herbeizuholen ging, und wie er bei seiner Rückkunft Marion tot und halb aufgefressen nicht weit von ihrem schlafenden Vater gefunden hatte.

»Ja, ja«, sagte Fargeot mit irrem Blick, »ich lag da, nur wenige Schritte davon, und ich habe nicht einmal die Hand ausstrecken, nicht einmal einen Ruf zu ihrer Verteidigung ausstoßen können! Ich habe eine verworrene Erinnerung, dass ich sie um Hilfe rufen hörte, aber ein bleierner Schlaf hielt meine Glieder gefangen und übrigens war mein unglücklicher Rausch … o, ich bin hart gestraft! Meine Frau ist vor Kummer gestorben und meine Tochter, meine liebe Marion, warum hat das wilde Tier, anstatt mir sie zu rauben, sich nicht auf mich geworfen, auf mich, der ich auf Erden ohnehin zu nichts tauge!«

Dieser unter den gewöhnlichen Umständen des Lebens so gemeine, sogar so lächerliche Mensch war in diesem Augenblick, seinem väterlichen Gefühl sich hingebend, wahrhaft erhaben.

Die späte Erkenntnis seines Unrechts, die furchtbaren Umstände, von welchen der Tod seiner Tochter begleitet gewesen war, gaben seiner Verzweiflung den ergreifendsten Ausdruck. Sein Weinen und Schluchzen erfüllte die Anwesenden mit Entsetzen und Mitleid und presste ihnen ebenfalls Tränen aus.

Fräulein von Barjac war solchen Eindrücken mehr zugänglich als sonst jemand. Ihr durch den Wunsch, alle Einzelnheiten dieses furchtbaren Vorfalles kennenzulernen, noch niedergehaltener Schmerz konnte nicht verfehlen, bald auf die ungestümste Weise hervorzubrechen.

»Weiß man denn auch gewiss«, fragte sie, »ob das Tier allein …«

»O, diesmal, gnädiges Fräulein«, sagte Grand-Pierre, der ihre Gedanken erriet, »diesmal ist das Tier allein schuldig. Heute Morgen, als wir die Leiche fanden, begannen wir sogleich, die Umgebung zu untersuchen. Der Boden war feucht und wir fanden daher alsbald die Spuren. Ringsherum sah man die Abdrücke von einer breiten Pfote, aber nirgends menschliche Spuren. Nur erst einige hundert Schritte vom Ort derKatastrophe bemerkten wir Spuren von einem nackten Fuß neben Wolfsspuren. Wir folgten denselben einige Augenblicke lang, verloren sie aber bald im Wald. Der Mann und der Wolf gingen dreist, als ob sie einen großen Entschluss gefasst hätten oder als ob sie sich anschickten, diese Gegend zu verlassen.«

Fargeot hörte diese Erklärungen mit düsterer Miene an.

»Ach, barmherziger Gott!«, rief er, »welches menschliche Wesen hätte wohl meiner lieben Marion etwas Übles zufügen wollen? Sie war so sanft und so gut. Jedermann war ihr gewogen … man spricht von Jeannot, meinem vormaligen Knecht … aber Jeannot ist vollkommen harmlos. Sein Wahnsinn besteht bloß darin, dass er sich selbst für einen Wolf hält. Ich lenkte ihn, wie ich wollte, wenn ich sanft gegen ihn war und seinen wunderlichen Ideen schmeichelte. Jeannot kannte Marion seit seiner Kindheit und würde sie gegen dieses schreckliche Tier eher geschützt haben. Ja , ja, der Wolf ist der einzige Urheber dieses Unglücks. Gnädiges Fräulein, Ihr, die Ihr so reich und mächtig seid, werdet Ihr nichts tun, um meine Tochter zu rächen, um Euer Gebiet von der Geißel zu befreien, welche es verheert?«

Diese letzteren Worte schienen den Zorn und Schmerz Christines bis zum Delirium zu steigern.

»Ha, was will man denn, dass ich tue?«, rief sie mit dem Fuß stampfend. »Meine Freunde und meine Diener werden unaufhörlich von dieser Geißel getroffen. Jeden Tag, jede Stunde höre ich ein neues Unglück, einen neuen Verlust! Ich selbst habe gestern die größte Gefahr bestanden und geglaubt, mein letzter Augenblick sei da. Diesen Morgen meldet man mir, dass das edelmütige Kind, bei welchem ich eine Zuflucht gefunden hatte, seinerseits auf die grausamste Weise umgekommen ist … und ich kann nichts tun … nichts. Alle Unternehmungen, unsere Gegend von diesem wütenden Tier zu befreien, schlagen auf die erbärmlichste Weise fehl. Es vereitelt alle Verfolgung, jede List. Die Kugeln scheinen von ihm abzuprallen, die Hirschfänger vermögen nicht in sein Fleisch zu dringen. Man sollte meinen, es werde von einer übernatürlichen Macht beschützt und unverwundbar gemacht. Soeben erst ist es den Nachstellungen von mehreren tausend Menschen entronnen. Allerdings waren verhängnisvolle Umstände – aber, guter Gott, was kann ich tun, ich, ein armes, geängstigtes Mädchen, dessen Geduld, Kraft und Mut erschöpft ist!«

Sie dachte einige Sekunden lang nach. Plötzlich richtete sie den Kopf empor. Ihr Auge war wieder trocken und ein energischer Entschluss strahlte auf ihrem Antlitz.

»O ja, o ja«, hob sie mit Kraft wieder an. »Ich kann etwas tun und werde den Versuch machen. Er wird zugleich ein Mittel sein, die zudringlichen und tyrannischen Einflüsse abzuwenden, von welchen ich belästigt werde. Hört mich daher alle an«, fuhr sie in feierlichem Ton fort. »Die Regierung hat Ehre und Geldsummen dem versprochen, welcher die Bestie des Gévaudan erlegen wird. Wohlan, ich schwöre, meine Hand und mein Vermögen jedem nicht dem dienenden Stand angehörenden Mann zu schenken, welcher sie verlangen und dabei auf unzweifelhafte Weise dartun wird, dass er dieses entsetzliche Tier erlegt hat.«

Dieser Schwur war ein vollkommen freiwilliger, und Christine hatte, indem sie ihn aussprach, nur ihrem natürlichen Ungestüm gehorcht.

Kaum aber hatte sie geendet, als sie auch schon selbst die zahlreichen und furchtbaren Folgen desselben vorherzusehen begann. Sie wurde bleich, trat einen Schritt zurück und bedeckte das Gesicht mit den Händen.

Die anfangs vor Erstaunen verstummenden Anwesenden erhoben die Stimmen, um die Gefühle auszudrücken, welche dieser außerordentliche Entschluss in ihnen erweckte. Der Prior gebot Ruhe.

»Christine, unglückliches Kind, was habt Ihr getan!«, rief er. »Nehmt dieses übereilte Gelübde, diesen unbesonnenen Schwur zurück! Noch ist es Zeit. Denkt an das unvermeidliche Unglück!«

Aber diese Aufforderung des Mönches schien Christines Herz nur noch mehr zu verstocken.

»Ich werde ihn nicht zurücknehmen«, rief sie hartnäckig. »Ich halte ihn im Gegenteil mit aller Kraft aufrecht.«

»Ha, Christine, Christine!«, rief Leonce nun seinerseits in verzweiflungsvollem Ton. »Ihr liebt mich also nicht? Ihr habt mich also niemals geliebt?«

Diese einfache Frage beunruhigte die junge Dame mehr als alles Übrige, aber dennoch schwieg sie.

Mittlerweile war die ganze Versammlung in lebhafter Aufregung. Wer weiß, in welchem Grad die Worte der schönen und reichen Schlossherrin schon Ehrgeiz und Eifersucht erweckten und neue glänzende Aussichten für die Mehrzahl derer eröffneten, die sie gehört hatten?

Mitten unter dem Tumult fragte eine Stimme im Hintergrund des Zimmers: »Und ich, Fräulein, und ich? Wird es mir untersagt sein, nach dem kostbaren Lohn zu trachten, welcher den Bezwinger des Ungeheuers erwartet?«

Es war Laroche-Boisseau, welcher diese Frage gestellt hatte. Man sah ihn über den Rand seines Bettes gebeugt, mit unruhigem Blick und keuchender Brust die Antwort erwarten.

»Ich habe niemanden ausgenommen«, entgegnete Christine in dumpfem Ton.

»Dann will ich wieder gesund werden … und ich werde wieder gesund werden!«, rief der Baron.

Der Chevalier von Magnac näherte sich ihm.

»Ehe Ihr Euch wieder zur Verfolgung dieses verwünschten Wolfes aufmacht«, sagte er in gedämpftem Ton, »erinnert Euch, dass Ihr mir die Ehre einer Zusammenkunft versprochen habt. Es liegt mir sehr viel daran, ich versichere es Euch.«

Aber Laroche-Boisseau hörte nicht auf ihn.

»Wenn ich Euch recht verstanden habe, Fräulein«, sagte jemand neben dem Baron, »so schließt Euer Schwur auch die Bürgerlichen, die, welche nicht von Adel sind, nicht von der Ehre aus, nach Eurer Hand auf die von Euch angegebene Weise zu trachten?«

»Ich schließe, Monsieur Legris, niemanden weiter aus als die Personen vom dienendem Stand.«

Christine wurde in ihrem Sessel ohnmächtig. Während man sich beeilte, ihr beizuspringen, näherte sich der Chevalier dem Bürgersohn Legris.

»Ihr wisst, Monsieur«, sagte er immer noch in gedämpftem Ton, »dass, sobald Euer Freund Eurer Pflege nicht mehr bedürfen wird, ich darauf rechne, ein Hähnchen mit Euch zu pflücken, Ihr seid noch nicht Herr von Mercoire.«

Man trug Fräulein von Barjac in ihr Zimmer. Der Prior, der mit Leonce und Schwester Magloire ihr folgte, war im höchsten Grad bestürzt.

»Welch verhängnisvolle Verwicklung!«, sagte er. »Während ich alle Hindernisse, alle Gefahren vorhergesehen zu haben glaubte, wirft dieser unheilvolle Schwur alle meine Pläne auf einmal über den Haufen!«

»Ach, hochwürdiger Vater«, sagte Schwester Magloire weinend, »wohl war ich auf einen schlimmen Rückfall gefasst, aber wer hätte diesen vorhersehen können!«

Leonce murmelte seinerseits mit Verzweiflung. »Kein Zweifel mehr, sie liebt mich nicht – sie ist für mich verloren! O!«

Ende des zweiten Teils