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Aus dem Wigwam – Otterherz

Karl Knortz
Aus dem Wigwam
Uralte und neue Märchen und Sagen der nordamerikanischen Indianer
Otto Spamer Verlag. Leipzig.1880
Otterherz
oder die gute und die böse Squaw

ief im Urwald am Ufer eines einsamen Sees lebte ein vierzehnjähriges Mädchen. Sie hatte niemand auf der weiten Welt, als einen jüngeren Bruder, für den sie sorgte, den sie kleidete und dem sie Nahrung gab. Der Kleine aber verstand bereits den Bogen zu führen. Er schoss Vögel und Präriehasen im Wald und brachte sie seiner Schwester, die sie zubereitete.

»Schwesterchen«, fragte der Bruder eines Tages, »woher kommt es, dass wir so allein leben? Gibt es denn gar keine menschlichen Wesen außer uns? Und wo sind Vater und Mutter?«

»Grausame Zauberer töteten unsere Eltern«, erwiderte die Schwester. »Ob es aber außer uns noch andere Indianer gibt, weiß ich nicht.«

Als im Laufe der Zeit der Knabe zum Jüngling herangewachsen war, tötete er Hirsche und andere große Tiere des Waldes und brachte sie seiner Schwester. Stets aber beschäftigte ihn der Gedanke, dass doch wohl außer ihnen noch andere Indianer leben müssten.

Eines Tages aber bat er seine Schwester, die Hirschfelle zu gerben und ihm zehn Paar Mokassins aus denselben zu machen. Die Schwester erfüllte traurigen Herzens seinen Wunsch.

»Willst du mich verlassen, lieber Bruder?«, fragte sie ihn.

»Ja, Schwester, ich muss sehen, ob es außer uns noch mehr Indianer gibt.«

Tags darauf nahm der Jüngling Pfeil und Bogen, steckte die zehn Paar Mokassins in den Gürtet, nahm von seiner Schwester Abschied und wanderte aufs Geratewohl in den Wald hinein.

Den ganzen Tag schritt er wacker darauf los durch Dickicht und Wüsten, ohne etwas Bemerkenswertes zu sehen. Des nachts schlief er unter einem Baume, an dem er am nächsten Morgen ein Paar Mokassins aufhing, damit er bei der Rückkehr zur Schwester imstande sei, den Lagerplatz wiederzufinden.

Am Abend des zweiten Tages fand er in der Nähe seines Lagerplatzes die Stümpfe von zwei gefällten Bäumen. »Aha«, sagte er zu sich selbst, »das ist ein Zeichen, dass Indianer hier gewesen sind. Aber«, fügte er hinzu, nachdem er die Stümpfe mit dem Fuß berührt hatte, »sie sind verfault, ganz weich und mit Moos bedeckt. Es muss schon lange her sein, dass jemand hier war, und ich werde weit zu gehen haben, ehe ich die Leute finde.«

Am nächsten Morgen hing er abermals ein Paar Mokassins auf und wanderte weiter. Die Baumstümpfe, die er an diesem Abend sah, waren zwar auch mit Moos bedeckt, aber weniger von Fäulnis berührt als die gestrigen. So wanderte er zehn Tage lang, fand an jedem Ruheplatz die Anzeichen besser und die Baumstümpfe härter, bis am Abend des elften Tages die Bäume nur erst gefällt erschienen. Dies stimmte ihn so heiter und vergnügt, dass er die Nacht hindurch vor Aufregung nicht schlafen konnte.

Tags darauf aber führte ihn ein kleiner Fußpfad in ein Indianerdorf. Die Einwohner waren mit Ballspiel beschäftigt. Sie schienen erfreut, den unbekannten Gast zu sehen, fanden ihn angenehm und wohlgebildet, hießen ihn herzlich willkommen und luden ihn ein, am Ballspiel teilzunehmen. Mit Freuden folgte er der Aufforderung und gab sich dem Vergnügen mit solchem Eifer und Geschick hin, dass er allgemeines Lob erntete. Nach dem Spiel führten sie ihn im Triumph zu einem Wigwam, vor dem der Ogima-Wateg (der Ehrenbaum) aufgerichtet war. Er sah bald, dass dieser große, schöne Wigwam die Behausung des Häuptlings war.

Der Ogima empfing ihn höchst gastfreundlich und gab ihm den Ehrenplatz zwischen seinen beiden Töchtern. Die Namen der Mädchen erschienen unserem jungen Mann voller Bedeutung. Die eine nannte sich Matschi-Kaue (die Böse), Otschki-Kaue (die Gute) wurde die andere gerufen. Unser Freund überzeugte sich bald von der Wahrheit dieser Namen und wendete sich deshalb während des Festmahls von Matschi-Kaue, die ihm unheimlich erschien, ab und fühlte sich zu Otschki-Kaue hingezogen, der er schließlich erklärte, dass er bereit sei, sie zu ehelichen. Da hatte er freilich die Rechnung ohne den Wirt gemacht, denn der Häuptling und die Großen machten es zur Bedingung, dass er beide auf einmal heiraten müsse.

Dies behagte ihm weniger und erfüllte sein Herz mit Sorgen. Als das Fest zu Ende war und die Zeit der Nachtruhe kam, verabschiedete er sich auf kurze Zeit, um, wie er sagte, einen jungen Mann zu besuchen, mit dem er Ball gespielt hatte. Er nahm Pfeil und Bogen, hing den Spiegel an den Gürtel, wie ein Mann, der einen Besuch machen will, versicherte die Mädchen, dass er sofort wiederkommen werde, und verließ den Wigwam. Die beiden Prinzessinnen saßen lange Zeit vor dem Feuer und warteten auf den Geliebten, er aber kam nicht. Endlich waren sie es überdrüssig, seiner zu warten. Da sie ahnten, dass er geflohen sein möge, machten sie sich auf den Weg, ihn zu suchen.

Mindestens ein Dutzend Fußpfade führten in verschiedene Richtungen aus dem Dorf. Die Mädchen verfolgten sie alle bis zu dem Punkt, an dem sie in die Wüste führten, und die Spur des Wanderers leicht erkennbar wurde. So kamen sie endlich auf die frische Fährte des Flüchtlings und verfolgten ihn mit der Geschwindigkeit des Windes.

Oschige-Wakau (Otterherz), so war der Name unseres Freundes, mit welchem ihn auch seine Schwester gerufen hatte, war den ganzen Tag lang tüchtig ausgeschritten und wollte just am Abend, als er sich sicher glaubte, ein wenig ausruhen, als er plötzlich menschliche Stimmen und lautes Lachen hinter sich hörte. Die beiden Mädchen freuten sich, dass sie ihn entdeckt hatten. Er aber fürchtete sich und kletterte bis auf die Spitze des nächsten Tannenbaumes, wollte auch nicht herunterkommen, als die Mädchen ihn baten, mit ihnen zur Hochzeit zurückzukehren.

Otschki-Kaue und Matschi-Kaue waren aber fest entschlossen, ihn zu besitzen, und fingen an, mit den Tomahawks, die sie im Gürtel hatten, den Baum zu fällen. Sie arbeiteten ebenso schnell, wie sie gelaufen waren. Bald begann die Tanne sich zu senken. Das wurde unserem Otterherz denn doch zu toll. Er beschloss, sich durch Zauberei zu retten. Er pflückte den obersten Tannenzapfen, setzte sich darauf und ritt so schnell wie er konnte davon in der Richtung mit dem Wind. Bald darauf fiel der Baum. Die beiden Indianerinnen waren hoch erstaunt, den Geliebten, dessen Entfernung sie nicht bemerkt hatten, nicht mehr vorzufinden. Sorgsam untersuchten sie den Baum, um die Stelle ausfindig zu machen, wo Otterherz bei seiner Flucht abgesprungen war. Endlich sahen sie, dass der letzte obere Tannzapfen fehlte. Da beiden Manitu die Gabe der Zauberei verliehen hatte, so errieten sie sofort die Wahrheit und setzten in der Richtung des Windes dem Flüchtling nach. Da sie aber doch einige Zeit mit dem Umhauen des Baumes vertrödelt hatten sowie damit, die Tannenzapfen zu untersuchen, so hatte Otterherz einen guten Vorsprung und schickte sich am Abend des nächsten Tages, als er sich sicher vor Verfolgung glaubte, zur Ruhe an. Plötzlich hörte er wieder Stimmen und Lachen hinter sich.

»Oho, Oschige-Wakau«, hörte er die beiden ihn verfolgenden Mädchen sagen, »du denkst, du kannst dich vor uns verbergen? Gib den Gedanken auf, gib ihn ja auf, es wird dir nicht gelingen!«

Dieses Mal hatte Otterherz die Tannenbäume vermieden und sich einen alten, großen, dicken, hohlen Ahornbaum ausgesucht, da er wohl wusste, dass das Holz dieser Bäume im Alter, und wenn es eine Zeit lang dem Wind und Wetter ausgesetzt ist, so hart wie Stein wird.

Sie werden es wohl bleiben lassen, diesen Baum zu fällen. Ihre Tomahawks werden bei den ersten Hieben zerbrechen, dachte der Flüchtling und ließ sich von oben in die Höhlung des Stammes hinab.

Kaum war er unten angelangt, so erschraken die Mädchen am Fuß des Baumes, denn sie hatten es wohl bemerkt, welchen er sich ausgesucht hatte.

Sie umgingen den Baum, den sie mit ihren Tomahawks beklopften, um zu sehen, ob er hohl sei, und riefen: »Lieber, süßer Freund, bist du hier?«

Da aber der Herzensfreund nicht antwortete, versuchten sie es, den Baum niederzuschlagen, aber ihre Tomahawks fügten dem zähen Holz nur wenig Schaden zu.

Als sie nach einer Weile harter Arbeit ein wenig ausruhen wollten, sprach die böse Squaw zur guten Squaw: »Wir wollen sehen, Schwester, ob nicht ein kleiner Spalt im Baum ist.«

Und richtig, es war ein Spalt da, und sie sahen ihren lieben Bräutigam ganz gemächlich im Baum sitzen. Dieser Anblick spornte die Schwestern zu neuer und energischer Arbeit an, bis es unserem Otterherz langweilig wurde und er den Wunsch aussprach, einer der Tomahawks möge zerbrechen. Gleich darauf klagte denn auch die böse Squaw, dass ihr Tomahawk zerbrochen sei. Der besseren Schwester blieb nichts übrig, als die Arbeit allein zu verrichten, bis auf einen Wunsch Oschige-Wakaus auch ihr dasselbe Schicksal widerfuhr.

Nun sahen die beiden Jungfrauen ganz deutlich, dass sie mit Gewalt nichts ausrichten konnten. Sie legten sich deshalb aufs Bitten und riefen beide so zart und liebreich, wie sie vermochten.

»Oschige-Wakau, mein schöner Gemahl, den unser Vater, der mächtige Ogima, uns gegeben hat, komm heraus, komm zu mir.«

Wer aber nicht kam und sich ganz ruhig verhielt, war der Herr Bräutigam.

»Es hilft nichts«, wisperte die böse Schwester der guten zu. »Wir müssen andere Mittel versuchen. Trennen wir uns und versuchen wir nun jede ihn auf eigene Weise zu erlangen. Da er nur eine von uns heiraten will, so mag ihn die haben, die ihn zuerst in ihre Netze lockt.«

Otschki-Kaue ging auf den Vorschlag ein, und die Schwestern trennten sich, um nach verschiedenen Richtungen hin in den Wald zu wandern.

Sobald Otterherz sah, dass die Luft rein war, kroch er aus dem hohlen Baum heraus und setzte seine Wanderung fort. Er war recht hungrig geworden, und deshalb beschloss er, als er gegen Mittag an einen Biberbau kam, sich zur Mahlzeit einen Biber zu fangen und die Nacht hier zuzubringen. Gesagt, getan. Er legte seine Decke unter einen ihm zum Lagerplatz geeignet scheinenden Baum und ließ das Wasser aus dem Damm ab. Ein schöner, fetter Biber blieb auf dem Trockenen, und den erlegte er. Wie groß aber war sein Erstaunen, als er bei der Rückkehr zum Lager dort einen schönen Wigwam aus Birkenrinde fand, wo er seine Decke gelassen hatte.

Das sind gewiss wieder die beiden unvermeidlichen Mädchen, dachte unser Held und wollte fliehen, aber er war müde und hungrig. Der Wigwam sah so einladend aus und das Feuer prasselte so verlockend, dass er zu bleiben beschloss, und sei es auch nur, um zu sehen, was nun folgen würde. Er lief um den Wigwam herum und erspähte endlich auch durch einen Riss in der Rinde ein Mädchen, dass damit beschäftigt war, das Innere zu reinigen und wohnlich herzurichten.

»Das scheint mir die gute Otschki-Kaue zu sein«, flüsterte ihm sein Herz zu. »Sie erscheint recht hübsch, womöglich etwas magerer und blasser, als ich dachte.« Er fasste sich ein Herz, trat näher, bekehrte als Gast Einlass in die Hütte und legte seinen Biber an der Schwelle nieder.

»Willkommen«, begrüßte ihn die Jungfrau, »Ihr seid sicherlich ein armer, müder und hungriger Reisender. Ich will Euch den Biber und das Lager zurechtmachen.«

Schnell zog sie dem Tier das Fell ab, schnitt den Biber in Stücke und bereitete das Mal. Aber während das Fleisch im Kessel kochte, kostete sie unwillkürlich und öfters.

Otterherz bemerkte sogar zu seinem Missvergnügen, dass sie ganz anständig zulangte und gierig sich die besten Bissen aussuchte, weil sie eben ihre böse Natur nicht beherrschen konnte. Solches Betragen nahm ihn allen Appetit, und er aß deshalb nur wenig. Seine üble Laune stieg, als er im Kessel die leckersten Stücke, die jeder Jäger liebt, nicht mehr vorfand. Deshalb widerstand er männlich ihren heuchlerischen Liebkosungen, wickelte sich in seine Decke und legte sich in die eine Ecke der Hütte nieder, während er ihr barsch befahl, in die andere Ecke sich zurückzuziehen.

Als Otterherz am Morgen aufbrechen wollte, fand er im Kessel keine Spur vom Frühstück vor, obwohl es Brauch aller guten Hausfrauen ist, des Nachts etwas Fleisch in den Kessel zu tun, damit der Gemahl, wenn er früh zur Jagd aufbricht, sich erfrischen kann. Diese Squaw hatte alles aufgezehrt. Das versetzte ihn in eine namenlose Wut und er schallt sie tüchtig aus, sodass sie ganz blass wurde. Ihre Gesichtszüge veränderten sich, die Gestalt fiel in sich zusammen und zuletzt verwandelte sie sich in eine lange haarige Wölfin, die mit scheuen Sätzen ins nahe Dickicht floh, um den gerechten Zorn ihres Herrn zu entgehen.

Nun konnte sich Otterherz alles erklären. Es war also Matschie-Kaue gewesen, die am Abend eine erstreckende Form angenommen hatte, obwohl sie bei all ihrer Zauberei eine gewisse Magerkeit und Blässe zu verbergen nicht imstande gewesen war. Sie hatte ihm wohl geschmeichelt und ihn liebkost, aber ihre böse und eigennützige Natur war stärker gewesen, als sie selbst, und so hatte sie die besten Stücke vom Biber für sich genommen. Als er sie aber deshalb angriff, hatte sie sich in ihrer mageren Gestalt als Wölfin gezeigt. Otterherz war nicht wenig erfreut darüber, dass er hinter ihren Trug gekommen war, und setzte, so schnell wie er konnte, seine Reise fort.

Am Abend machte er wiederum an einem Biberdamm Halt und legte seine Decke unter einen ihm passend erscheinenden Baum. Dann aber machte er sich auf, einen Biber zu töten. Als das Wasser abgeflossen war, erlegte er deren drei. Wie groß aber war sein Erstaunen, als er zum Lagerplatz zurückkehrte, abermals eine recht wohnliche Hütte vorfand und durch einen Riss in die Rinde ein weibliches Wesen entdeckte, dass sich am Feuer zu schaffen machte.

Ach, dachte er, wer wird es dieses Mal sein? Das kann nur Otschki-Kaue, die gute, sein! Ich will in den Wigwam gehen und sehen, wie sie meine Decke gelegt hat. Finde ich diese nahe bei ihrem Lager, so ist sie es, und sie ist mir zum Weib bestimmt. So war es auch. Als er eintrat, fand er alles reinlich und nett, und seine Decke lag neben dem Hirschfell, dass sie für sich selbst zurechtgemacht hatte.

»So ist es recht«, murmelte er, »das ist meine Frau.«

Sie war zwar klein, aber recht sauber und zierlich, auch wirtschaftete sie nicht so im Wigwam herum wie die Squaw vom vergangenen Abend, sondern bewegte sich zu seiner großen Freude gesetzt und fast alles geschickt und sauber an. Aus den Bibern bereitete ihm die kleine Frau ein geschmackvolles Abendbrot und setzte ihm die besten Bissen vor. Sie mundeten ihm vortrefflich und er lud sie ein, am Mahl teilzunehmen.

»Nein«, erwiderte sie bescheiden, »ich habe dazu noch Zeit genug, mein gewöhnliches Abendbrot werde ich bald zu mir nehmen.«

»Aber Otschki-Kaue«, sagte Otterherz, »ich esse nicht gern allein das, was ich für mich selbst und meine Frau erjagt habe.«

Sie aber beharrte bescheiden bei dem, was sie erklärt hatte, und wiederholte, dass sie bald ihr gewöhnliches Abendbrot zu sich nehmen werde.

Nun ließ er sie gewähren, aber des Nachts wachte er durch ein Geräusch auf, als ob Mäuse oder Biber Holz nagten. Zu seinem Erstaunen glaubte er beim Schein des Feuers seine Frau die Rinde der kleinen Birkenzweige abnagen zu sehen, mit denen er die Biber zusammengebunden hatte. Er hielt es indessen für einen Traum und schlief bis zum hellen Morgen. Als er erwachte, trug seine kleine Frau das Frühstück auf, dass sie bereits zubereitet hatte.

Er teilte ihr mit, was er geträumt hatte, sie aber lachte nicht so herzlich darüber, wie er erwartet hatte.

Hallo, dachte er, war es am Ende doch kein Traum, sondern Wahrheit! Höre, Otschki-Kaue komm einmal hierher. Sage mir, warum hast du dir gestern Abend die Biber so genau betrachtet, die ich heimbrachte?«

»Oh«, entgegnete sie seufzend, »habe ich nicht ein Recht, sie so aufmerksam anzusehen? Sind sie nicht alle mit mir verwandt? Der eine war mein Vetter, der Zweite mein Onkel, der Dritte aber meine liebe Tante!«

»Also gehörst du zur Familie der Biber?«, rief er erfreut.

»Freilich bin ich ein Glied derselben.«

Der Charakter und die Art und Weise der Biber gefiel dem Otterherz außerordentlich. Und dann war seine junge Frau aus der Biberfamilie so bescheiden und so aufmerksam ihm gegenüber. Der Umstand, dass sie ihre Verwandten geopfert hatte, konnte nichts als ein unverkennbarer Beweis ihrer großen Liebe zu ihm sein.

Bei alldem beschloss er, ihre Wünsche in allem zu beachten und in Zukunft nur Rehe, Vögel und andere Tiere zu schießen, die Biber, als die nunmehr ihm verwandten, aber in Ruhe zu lassen, sodass er mit seiner lieben Frau die Mahlzeiten gemeinsam einnehmen konnte. Sie wiederum ließ von nun ab die Birkenzweige in Ruhe und störte ihn nicht mehr des Nachts durch ihr Knabbern an denselben, sondern gewöhnte sich allmählich an Fleischkost. So lebten sie glücklich und angenehm den ganzen Winter hindurch. Er war ein kühner Jägersmann und sie eine sorgsame Hausfrau, geschäftig und friedfertig nach Art der Biber.

Im Laufe der Zeit wurde ihnen auch ein Sohn geboren, worüber sie unendlich glücklich waren.

Aber ach, ihr Glück war nur von kurzer Dauer. Es muss bezüglich der Otschki-Kaue hier bemerkt werden, dass zu den Eigentümlichkeiten ihrer Abstammung das Gebot gehörte sich, sich nie die Füße nass zu machen.

Deshalb musste er ihr versprechen, sie auf der Reise besonders in Obacht zu nehmen, wenn sie an Flüsse oder Bäche kommen sollten.

Otterherz kam natürlich diesem Wunsch gerne nach. Aber eines Tages auf der Reise, als er voranging und sie mit dem Kleinen folgte, kamen sie an einen kleinen, kaum 6 Zoll breiten Bach.

Sie wird doch wohl ein so kleines Hindernis selbst überwinden können, dachte Otterherz. Im Augenblick aber schreckte ihn ein eigentümliches Geräusch aus seinen Gedanken. Er blickte hinter sich, und aus dem kleinen ruhigen Bächlein war ein wilder Strom geworden, in dessen Mitte er Frau und Kind erblickte, die zu Biber verwandelt, schnell vom Strom fortgerissen wurden. Dieser Anblick zerriss ihm das Herz. Er bat sie, zurückzukehren. Sie aber erklärte, dass ihr dies unmöglich sei.

»Ich habe dir meine Verwandten und alles geopfert und habe nur von dir verlangt, mir Brücken zu bauen und mich trockenen Fußes über Gewässer zu bringen. Du aber hast das leider versäumt. Jetzt muss ich für immer bei meinen Verwandten bleiben.«

Selbst seinen kleinen Sohn durfte er nicht mehr küssen, und so schieden sie für immer!

So wurde aus Otterherz Stammvater der Biberindianer, denn sein Sohn pflanzte den Stamm fort.