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Schwäbische Sagen 72

Schwäbische-Sagen

Zweites Buch

Geschichtliche Sagen


Die Weilheimer Kirchweih
Eine mündliche Überlieferung aus Weilheim und Derendingen

Als die Bauern von Weilheim bei Tübingen einst Kirchweih hielten, kamen zwei Bettler vor das Dorf. Diese verabredeten miteinander, an dem heutigen Festtag nur um Kuchen zu bitten, und zwar der eine in Weilheim, der andere in Derendingen, wo eben­falls Kirchweih war. Am Abend wollten sie dann teilen, was man ihnen geben würde.

Die Derendinger beschenkten den Bettler reichlich, die Weilheimer aber gaben dem ihren so wenig, dass beide Bettler wegen der Teilung in Streit gerieten, wobei der eine erschlagen wurde. Dies geschah vor Weilheim an der Straße nach Derendingen, da, wo jetzt eine Linde steht.

Wegen dieses Ereignisses beschlossen die Weilheimer, niemals wieder eine Kirch­weih zu halten. Nach anderen wurde dieses Fest ihnen untersagt, weil sie an demselben einen Bettelmann hatten verhungern lassen. Jedenfalls lassen sich die Weilheimer ungern an diese Geschichte erinnern. Neckt man sie aber mit dem Kirchweihkuchen, den sie entbehren müssen, so behaupten sie kecklich, dass sie die ganze Woche Kuchen zu essen bekämen.


Die Sensenschmecker
Eine mündliche Überlieferung aus Wurmlingen

Die Seebronner oberhalb Rotenburg nennt man Sensenschmecker. Und das kommt daher: Ein Bauer aus Seebronn fand eines Tages seinen Hanf abgemäht. Da man nicht herausbringen konnte, wer den Frevel verübt hatte, so ließ der Schultheiß alle Sensen aufs Rathaus bringen, um durch den Geruch derselben den Täter zu entdecken. Daher heißen nun die Seebronner Sensenschmecker, d. i. Sensenriecher, denn die Schwaben bezeichnen schmecken und riechen durch ein Wort, weshalb man schon behauptet hat, die Schwaben hätten nur vier Sinne, was aber verlogen ist.

Außerdem heißen die Seebronner, weil es lauter grundgescheite Leute sind, auch Spältlesgucker, d. i. die durch kleine Spalten gucken können.


Die Kröpfle

Die Hirschauer bei Tübingen führen den Unnamen Kröpfle, weil sie die Waden nunter dem Kinn haben. Man sagt auch von einem Hirschauer: »Er hat alle seine Glieder beisammen.« Ein Fremder nämlich, der einst durch das Dorf kam, wurde von den Kindern verspottet, weil er keinen Kropf hatte. Eine Mutter verwies das aber ihrem Kind und sprach: »Danke du Gott, dass du alle deine Glieder beisammenhast!«

Außerdem können die Hirschauer kein R aussprechen und sagen zum Beispiel Hischau, Hee Hischwith, anstatt Herr Hirschwirth, ähnlich wie die Reutlinger, die man durch Hischhönle, Latenle (Hirschhörnle, Laternle) unangenehm an einen Mangel ihrer Zunge erinnert.


Die Mondfanger und Stangenstrecker
Eine mündliche Überlieferung aus Bühl

Ein Bauer aus Kiebingen sah eines Abends den Mond im Neckar und zeigte es sogleich im Dorf an, dass man den Mond fangen könne, da er im Neckar liege. Alsbald nahm er selbst ein Netz und viele Leute zogen mit         ihm zum Neckar und sahen ganz ruhig zu, wie er versuchte, den Mond zu fischen und zu fangen.

»Ätte zieh, da hascht′n!«, rief ein Bub. Allein der Mond schlüpfte immer wieder aus dem Netz heraus.

Ein anderes Mal wollten sie den Mond im Schweinstall fangen und festhalten, aber sie konnten die Tür nie schnell genug zumachen. Dabei ärgerte sie der Mond noch, denn so oft sie die Tür wieder aufmachten, saß der Mond vor ihrer Nase schon wieder drin; wollte sich aber durchaus nicht einsperren lassen.

Weil die Kiebinger aber doch gar zu gern den Mond gehabt hätten, so nahmen sie später noch einmal eine Stange und wollten ihn vom Himmel wie einen Apfel vom Baum herunterstoßen. Allein die Stange war nicht lang genug. »Man muss sie strecken!«, sprach einer. Und sofort fassten zwei starke Bauern die Stange an den beiden Endpunkten an, um sie auszudehnen, zogen und zogen daran, bis endlich der Stärkere den anderen niederriss und allein mit der Stange fortlief.

»Es gaht, es gaht!«, rief er und rannte immer weiter bis ins Dorf, indem er meinte, dass sich die Stange verlängerte. Seitdem heißen die Kiebinger Mondfanger und Stangenstrecker.

Auch von den Munderkingern wird erzählt, dass sie einstmals Sonne und Mond haben fangen und einsperren wollten.