Die Fahrten und Abenteuer des kleinen Jacob Fingerlang 29
Die Fahrten und Abenteuer des kleinen Jacob Fingerlang
Ein Märchen von Gotthold Kurz
Nürnberg, bei Gottlieb Bäumler 1837
Neunundzwanzigstes Kapitel
Vermählungs- und Huldigungsfest auf der Insel Panioma
Drei Tage nur waren bis zu den großen Festlichkeiten ausgesetzt, mit welchen die Erlösung der vereinigten Völker, die Rückkehr des Prinzen und seine Vermählung mit der Erbin von Sulipore gefeiert werden sollte. Ich weiß kaum, wie ich bis dahin zur gehörigen Fassung komme, um alles zu beobachten und zu berichten. Gottlieb, der biederherzige Gottlieb war auch wie außer sich vor Freude über die glückliche Wendung der Dinge und dass sein vieljähriger Kamerad und Günstling mit einem Mal nun Prinz und Bräutigam geworden war. Er war in komischer Verlegenheit, als er bei der ersten Audienz hinzutrat, um seine Glückwünsche darzubringen.
»Nun, das ist wahr, Ihro königliche Hoheit«, sagte er mit einem tiefen Bückling, »Sie sind mit Nutzen durch die Welt gewandert! So ein Königreich und eine solche Braut findet nicht jeder, der aus einer schlechten Hütte auszieht auf die Wanderschaft. Potztausend, was wird die Frau Muhme für Augen machen, wenn sie das alles erfährt! Aber ich sagte es ja immer: Der Jacob ist ein ganzer Kerl und wird sein Glück schon machen!«
Der Prinz lachte herzlich, streichelte nach alter Weise liebkosend die braune Wange des Seemanns und lud ihn samt all seinen Gefährten zu den bevorstehenden großen Festlichkeiten ein.
Auf diese freute sich im ganzen Land jedermann. Man sprach und hörte von gar nichts anderem mehr und hatte die Hände voll zu tun mit Vorbereitungen dazu, jeder in seiner Weise! Am meisten aber, wie sich leicht denken lässt, in der königlichen Hofhaltung selbst. Da kam niemand mehr weder aus den Kleidern noch in die Federn, vom Oberhofmarschall bis herab zum Hofstiefelwichser.
Man sehe nur dort den Hofintendanten, wie er gleich einem Besessenen hin und her fuhr, mit einem ganzen Kometenschweif von dienstbaren Geistern hinter sich, die alle seines Winkes gewärtig waren. Dort den Oberzeremonienmeister, wie er gravitätisch mit einem Dutzend zusammengerafften Statisten die Haupt- und Staatsaktionen der bevorstehenden Galatage einstudierte und abwechselnd sich huldigen und kopulieren ließ, die Rangordnung festsetzte und das Cour- und Tafelfähige vom gemeinen Menschenhaufen sichtete.
Hier saß der Hofpoet in voller Arbeit, trommelte mit den Fingern und flehte den Himmel um Führung und gute Gedanken an. Was von ihm ab ging an Oden, Hymnen und Kantaten wurde Vers für Vers, gleich in die Druckerei gebracht. Der Hofkomponist setzte es seinerseits auf Noten. Diese wanderten kaum getrocknet wieder hinüber zum Kapellmeister, der alles, was musikalische Lungen und Arme besaß, konskribierte und um sich her versammelt hatte. Da stand das kleine Männlein mit dickem Bauch und rubinrotem Gesicht, stampfte zum Takt, kratzte und hantierte mit seinem Fiedelböglein, als ob er von Sinnen wäre! Das Personal aber geigte, blies und sang, wie es gehen wollte, hörte und sah nichts, bis jeder sein Pensum abgespielt hatte. Und der Ballettmeister! Nun der lebte vollends diese Tage über wie ein Heiliger, mehr im Himmel als auf Erden, lauter Entrechats und Luftspringen, die er den Tänzern vorzumachen pflegte.
Aber ich wette, in der Hofküche wird es meinen Leserinnen am besten gefallen! Da schnurrten die Bräter, klangen die Mörser und pochten die Hackmesser, dass es eine Lust war. Die kleinen rotwangigen Mägdlein tummelten sich mit Rupfen und Spicken, mit Rühren und Kneten. Aus den Kasserolen stieg lieblicher Duft empor. Der Oberkoch, mit schneeweißer Mütze und Schürze, ging gravitätisch auf und ab, half den Geschäftigen, rüttelte die Trägen, schlug die Naschmäuler auf die Finger mit seinem Kochlöfflein, und ließ nicht ab, bis eins ums andere fertig war.
Im königlichen Garten und auf der angrenzenden Heide wurden Anstalten zu den Lustbarkeiten für das Volk gemacht. Viele hundert Zimmerleute und Tischler hauten und hämmerten, sägten und hobelten darauf los, dass man sein eigenes Wort nicht hören konnte. Hier war die große Bude schon fertig, wo der Festochse gebraten werden sollte, dort die Tribüne für den Hof und die Honoratioren. Tausend Tische und Bänke wurden aufgerichtet, an denen das Volk mit Speise und Trank bewirtet werden sollte. Auch ein Tanzsaal wurde angelegt für die jungen Springinsfelde, mit Kronleuchtern und Lampen herrlich versehen. Triumphbogen, Dekorationen, Transparente, Illuminationsgerüste stiegen rasch, wie von unsichtbaren Zauberhänden aufgeführt, empor.
Nun lag nur noch eine Nacht vor uns! In später Abenddämmerung liefen noch die Schneiderjungen mit den fertigen Galakleidern, ihre Kollegen, die Schusterlehrlinge, mit niedlichen Fest- und Ballschuhen von Haus zu Haus. Gleich nach Mittelnacht aber schoss der flinke Hoffriseur wie eine Sternschnuppe von einer Straße zur anderen, um die vielen Köpfe, die alle frisiert sein wollten, für den kommenden Tag zurechtzurichten.
Auch dieser selbst traf pünktlich nach Vorschrift des Festprogramms ein. Er stieg empor aus dem Meer, von Trompeten, Pauken und Kanonensalven begrüßt, besetzte in majestätischer Haltung allmählich Berge, Hügel und Plätze, trieb das Lumpenvolk der Schatten allerwärts beiseite. Der Himmel war in blauer Galalivree gekleidet, die Sonne strahlte daran als Ordensstern mit einer solchen Pracht, dass man den Anblick kaum ertragen konnte.
Nun sollte der Bericht von den Festlichkeiten selbst beginnen, aber ich könnte in diesem kleinen Buch damit nicht fertig werden und begnüge mich daher, den kuriosen Leser auf das größere Werk aufmerksam zu machen, das hierüber in Folio mit Kupfern und Musik geziert erschienen ist und in jeder soliden Buchhandlung, die mit der Insel Panioma in Verkehr steht, für billiges Geld zu haben ist.
Genug, dass alles daselbst sehr herrlich und vergnügt zuging! Wie es aber mit der Bewirtung der holländischen Schiffsmannschaft gehalten wurde, das will ich doch hier beiläufig noch berichten. Es wurde hierzu eine Hochebene ausersehen, welche durch ein Luftgehölz vom Festplatz geschieden war. Am Rand derselben saßen die Männer, die Füße unten im Tal, und konnten so recht bequem den ganzen Festplatz wie einen geputzten Weihnachtstisch vor sich übersehen. Braukessel und Rührtröge waren zu Trinkgeschirren, Mühlsteine zu Tellern, mäßige Zimmerbalken zu Messer- und Gabelheften herbeigeschafft worden. Frisch gewaschene Schiffssegel der Flotte von Panioma dienten als Servietten. Die Rechnung des Hofintendanten, welche ich vor mir habe, weist aus, dass für jeden Mann zwei gebratene Ochsen, drei eingemachte Kälber, ein halbes Dutzend gespickter Hasen, fünfundzwanzig Kapaunen und ein Fuder Wein in Anschlag gebracht wurden; alles Übrige im Verhältnis.
Während der Mahlzeit wurden sie von den höchsten Herrschaften mit einem Besuch beehrt. Auch ging eine zahlreiche Menge Volk auf und ab, das verwundert dem gewaltigen Essen und Trinken dieser Gäste zusah.
Unserem Prinzen aber war in der Mitte seines jubelnden Volkes recht von Herzen wohl, sodass der strenge Obersthofmeister über seine große Herablassung mehr als einmal das Köpflein schüttelte.
»Wüsste man, Geliebte«, sagte er zu seiner Braut, die ihn darauf aufmerksam machte, »wüsste man, was das heißen will, einen guten Teil der Lebenszeit unter einem ganz fremdartigen Geschlecht hingebracht zu haben, man würde mir hier meine Fröhlichkeit in der Mitte dieses liebenswürdigen, mir angestammten Volkes zugutehalten! Nicht, dass ich mich sehr zu beklagen hätte«, fuhr er fort, »über die Menschen, zu denen mich mein Schicksal führte, sie meinten es wohl fast alle gut mit mir; aber alles in ihrem Tun und Wesen war so gewaltig und so unförmlich, ihre Liebkosungen gegen mich hatten so etwas Kindisches, ihre Wohltaten etwas so Drückendes, dass mir selten recht wohl dabei ums Herz war. Auch konnte ich nicht immer dem herben Gefühl ausweichen, nicht an meinem Platz, unter meinesgleichen zu wirken! Und vollends ihre großen rauschenden Gesellschaften, ihre lauten, nervenerschütternden Lustbarkeiten; ach, wie ganz anders ist es doch hier! Mein schönes Land! Mein freundliches mildes Volk! Verwandte, denen ich angehöre! Eltern, die ich liebe, und du, Heißgeliebte, in der ich mein zweites Leben lebe!
Dort wandeln sie miteinander hin, die Glücklichen, durch die erleuchteten Bogengänge des Gartens, über den Festplatz, auf welchem die fröhliche Menge rauschend hin- und herwogt. Als sie an das einsame Luftgehölz hinausgekommen waren, da tauchte eben der Mond aus dem Meer auf und zog eine glänzende Straße in den Fluten. Die hohen Spitzen der Berge glühten in sanftem Schimmer, und die weite Erde verklärte sich zu einem Eden voll Licht, Liebe und seliger Träume.
Wenige Tage darauf nahmen die eingewanderten Flüchtlinge von Sulipore wieder Abschied von ihren großmütigen Wirten. Tausend Fahrzeuge, reich geschmückt mit Flaggen und Wimpeln nahmen sie auf und tanzten lustig auf der blauen Wasserfläche dahin. Auch Gottlieb und seine Gefährten beurlaubten sich bei der königlichen Familie und wurden aufs Freigebigste beschenkt. Besonders reich aber bedachte der Prinz seinen alten Kameraden und Gönner Gottlieb, sodass er sich nach seiner Rückkehr in Europa ein ansehnliches Wirtschaftsgut in seinem Geburtsort kaufen und seine ihm treu gebliebene Freundin von Nürnberg als Hausfrau heimführen konnte. Er wurde nachher der Stifter eines zahlreichen, glücklichen Geschlechts, das bis auf diesen Tag noch in bedeutendem Wohlstand ist und einen guten Namens im Land erhalten hat.
Auch die Frau Muhme wurde nicht vergessen. Der Prinz verschaffte ihr ein reichliches Auskommen für ihre alten Tage und erfreute sie mit einer Menge kleiner niedlicher Geschenke. Auch die Prinzessin bewies sich sehr freigiebig gegen sie und schickte ihr unter anderen Raritäten einem Vorrat von selbst gesponnenem Flachs; ein Gespinst, das so fein war, dass die gute Alte vor Freude und Verwunderung ganz außer sich geriet und Spitzen zu ihren Sonntagsstaat daraus wirken ließ, die alles, was in dieser Art gesehen werden kann, weit übertrafen. Der Prinz aber schrieb ihr dazu eigenhändig folgenden Brief:
Liebwerteste Frau Muhme!
Aus Kindern werden Leute. Das ist mit Gottes Hilfe auch mit mir geschehen! Ich habe soweit mein Glück in der Welt gemacht. Ich habe Vater und Mutter wiedergefunden und ein Königreich, obendrein eine wunderschöne Prinzessin, die ich herzlich liebe und die jetzt meine Gemahlin geworden ist. So ist für mich nun hinlänglich gesorgt. Die werte Frau Muhme kann ganz ruhig sein, wenn ich auch nicht wieder zurückkomme. Der Vetter Gottlieb wird Sie statt meiner pflegen, für Unterhaltung sorgen und Ihr erzählen, was sich alles mit mir in der Fremde zugetragen hat. Noch einmal den besten Dank für alles Gute, was Sie mir erwiesen hat. Ich werde Ihrer Liebe und Sorgfalt nimmermehr vergessen! Der ganzen werten Verwandtschaft und den Nachbarn meine Grüße
Ihr dankbarer und wohl affektionierter Jacob
Kronprinz von Panioma.
***
Und nun, da alles wieder in die alten Verhältnisse und zur gewöhnlichen Ordnung der Dinge heimgezogen und zurückgekehrt ist, nehmen auch wir Abschied von den guten kleinen Leuten auf derInsel und von unserem Freund. So schnell, wie hier vor unseren Augen ein Abschnitt seines Lebens vorübergegangen ist, so spinnen sich auch die Ereignisse des unsrigen ab, eines um das andere. Derselbe Wechsel von Glück und Ungemach, von Sorge und Hoffnung, der durch die eben erzählte Geschichte hindurchgeht, ist auch jedem von uns in verschiedenem Maße vorbehalten, so lange er noch im Diesseits wandelt; und niemand, wer er auch sei, vermag demselben zu entgehen. So bleibt denn auch uns untereinander, Erzähler und Hörer, indem wir jetzt auseinandergehen, kein besserer Wunsch zum Abschied übrig, als dass wir solchem Wechsel immerdar gewachsen sein mögen in rüstiger Kraft und reinem Gemüt, dass jeder von uns den Standpunkt finden, festhalten und lieb gewinnen möge, der seiner Eigentümlichkeit entspricht. Es gibt nichts, was an und für sich groß oder klein wäre. Strebe nur jeder danach, dass er in seiner Art das Höchste erreiche und seinen Lebenskreis vollständig ausfülle, als worauf denn doch allein die wahre Ehre, Bedeutung und Glückseligkeit des menschlichen Daseins auf dieser Erde begründet ist.
ENDE