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Der Arzt auf Java – Erster Band – Kapitel 12

Alexander Dumas d. Ä.
Der Arzt auf Java
Ein phantastischer Roman, Brünn 1861
Erster Band
Kapitel 12

Der Schlangenbeschwörer

Am nächsten Tag, zu der Stunde, zu welcher die Nacht mit der den Tropenländern eigentümlichen Schnelligkeit vom Himmel herabsank, hielt der Wagen des Herrn Maes an der Tür des Eusebius van der Beek. Nie hatte der heitere Notar sich so ausgelassen lustig gezeigt. Die innige Zufriedenheit eines Menschen, der gleich Horaz die Geschäfte auf den nächsten Tag verschoben hat, strahlte von seinem breiten Gesicht. Er atmete lärmend die Abendluft ein und stieß sie nicht minder lärmend aus, wie dies die Blasefische zugleich mit dem eingesogenen Wasser tun.

Eusebius, der bereits die Verpflichtung bereute, die er am Abend zuvor eingegangen war, konnte gleichwohl dem Drängen des Notars nicht widerstehen, der die Erfüllung des gegebenen Versprechens verlangte. Er entschloss sich daher, zu Herrn Maes in den offenen Wagen zu steigen, mit dem derselbe ihn abzuholen kam. Man fuhr, wie man in Batavia zu fahren pflegt, das heißt im gestreckten Galopp, denn die Pferde kennen dort keine andere Gangart. Nachdem man ungefähr eine Stunde in westlicher Richtung gefahren war, hielt der Wagen vor einer braunen Masse, die man in der Dunkelheit für einen Haufen von Häusern erkennen konnte. Aus diesen Häusern ertönte der schneidende wilde Lärm einer javanesischen Musik, gemischt mit den dumpfen Klängen des chinesischen Gongs und begleitet von so eigentümlichen Schreien und Klängen, dass dieselben nichts Menschliches hatten. Bald war es das Geheul einer Freude, die an die Raserei grenzte, bald Klagen, Äußerungen der Verzweiflung, Seufzer, welche an Todesröcheln erinnerten; Geschrei und Klagen, bei denen man glauben konnte, sie ertönten aus den Fenstern eines Irrenhauses oder aus den Luftlöchern eines Kerkers.

Von seinem Sitz im Wagen aus bemerkte Eusebius van der Beek über einer kleinen Mauer, an welcher der Wagen hinfuhr, einen rötlichen Schein, der in der Mitte eines großen Dämmerungskreises glänzte. In diesem Schein zeichneten sich schwarze Schatten ab, die schweigend und ernst vorüberschritten, während andere, deren Kleider metallischen Klang hatten und wie Diamanten funkelten, Flammen zu sprühen schienen und sich in Zuckungen wanden, auf welche die Konvulsionäre des Mittelalters hätten neidisch sein können.

Eusebius, dessen nervöse Aufregung, wie wir bereits sahen, noch durchaus nicht beschwichtigt war, empfand Furcht. Er fasste krampfhaft den Arm des Notars.

»Wohin führen Sie mich?«, fragte er.

»Zum Henker in die Hölle!«, erwiderte der Mann des Gesetzes, dessen Gesicht sich unter einem heiteren Gelächter in die Breite zog.

»Herr Maes«, sagte Eusebius, den diese Worte die fantastischen Erscheinungen, die unbekannten, unerhörten und unerklärlichen Töne in seine früheren Schrecken geschleudert hatten. »Herr Maes, machen Sie Ihren schlechten Scherzen ein Ende, oder bei meiner Ehre, ich fasse Sie bei der Gurgel und erwürge Sie.«

Bei diesen Worten machte er ohne allen Übergang eine so ausdrucksvolle Bewegung, dass der Notar dadurch entsetzt wurde.

»Beim Teufel!«, rief er, »der Mensch wäre imstande, zu tun, was er sagt.«

Mit einer Muskelkraft, welche Eusebius bewies, dass, wenn er wirklich die Absicht des Erwürgens gehabt hätte, er es mit einem Starken zu tun bekommen haben würde.

Die Hand van der Beek zurückdrückend sagte er: »Holla, mein junger Freund, beruhigen Sie sich. Die Hölle ist nicht immer so, wie man sie sich denkt, und diese hier, wenn auch anderer Art als die Börse in Batavia, ist weder besser noch schlechter.«

»Herr Maes«, sagte Eusebius mit Festigkeit, »sagten Sie mir nicht, dass Sie mich zu einer Zusammenkunft führten, bei welcher ich einen chinesischen Kaufmann finden sollte, der meinen Kaffee kaufen würde?«

»Ohne Zweifel.«

»Nun wohl! Wo ist ihr Mann? Lassen Sie mich ihn sehen. Zeigen Sie ihn mir und lassen Sie uns eilen, ich bitte Sie darum.«

»Gut, gut, gut«, sagte Herr Maes, indem er die Hand wie ein Mensch vorstreckte, der Anstalt zu seiner Verteidigung trifft. »Lassen Sie sich so viel Zeit, aus dem Wagen zu steigen, mein guter Herr van der Beek, und wer weiß, man findet bei diesem Teufel von Mynheer Cornelis so viele Dinge, dass Sie vielleicht das gute Glück haben, auch zu finden, was Sie suchen.«

»Mynheer Cornelis!«, wiederholte Eusebius wie ein Mensch, der zu begreifen trachtet, was man ihm sagt. »Was bedeutet das?«

»Ei, welch ein vortrefflicher Scherz!«, rief der dicke Notar, dessen ganzem Körper ein Anfall des heftigsten Gelächters eine erschütternde Bewegung verlieh. »Sie sind nun beinahe ein Jahr in Batavia und wissen noch nicht, wer Mynheer Cornelis ist? Diese Unwissenheit macht Ihrer Moralität alle Ehre, junger Mann. Nun, steigen wir aus und machen wir Bekanntschaft mit dem Unbekannten. Dann werden Sie mir offen sagen, was Sie von ihm halten. Peters, mache doch die hür weit auf, lieber Freund. Ihr seht ja wohl, dass ich nicht durch kann.«

Obwohl der Wagen, wie wir erwähnten, offen war, gestattete doch die Tür desselben dem unteren Teil vom Körper des Herrn Maes kaum den Durchgang. Eusebius aber blieb an seinem Platz sitzen.

»Nun?«, fragte der Notar, indem er sich umwandte, als er seine beiden Füße auf festem Grund fühlte.

»Mein Herr«, erwiderte Eusebius seinem Gefährten, »ich beginne zu bemerken, dass Sie sich über mich lustig machen wollen. Erlauben Sie mir daher, Ihnen Lebewohl zu sagen.«

»Mein junger Freund«, sagte der Notar, indem er seine ganze Würde annahm, »ich bitte Sie, betrachten Sie mich. Habe ich denn das Aussehen eines Possenreißers? Nein. Statt mir zu zürnen, danken Sie mir vielmehr. Ich wollte Sie ganz einfach Ihren finsteren Gedanken entreißen, Ihnen eine Zerstreuung bieten, die Traurigkeit besiegen, welche Ihrer jungen Frau, der ehrenwerten Madame van der Beek, die ernstesten, und, wie ich hinzufügen darf, die begründetesten Besorgnisse einflößt.«

Eusebius erkannte, dass der Notar geglaubt hatte, ihm einen Dienst zu leisten.

»Ich weiß Ihnen Ihrer Absicht Dank«, sagte er, »aber ich mache Sie darauf aufmerksam, dass sie vergeblich ist.«

»Weshalb?«

»Weil ich keinen Nutzen daraus ziehen will. Ich kehre daher mit Ihrer Erlaubnis nach Weltevrede zurück.«

»Welche Handelsgewandtheit!«, rief der Notar mit wirklicher oder verstellter Bewunderung. »Aber wie wollen Sie nach Weltevrede zurückkehren.«

»Nun, zu Fuß!«

»Zu Fuß! Sie?«

»Allerdings, ich.«

»Sie können nicht daran denken! Zu Fuß! Wollen Sie sich in den Augen der ganzen Kolonie entehren? Herr Eusebius van der Beek, der Nabob, der Erbe des Millionärs, des würdigen und ehrenwerten Doktor Basilius, sollte zu Fuß gehen wie ein armer Lascar?«

»Ei, Sie können es wollen, Herr van der Beek, ich würde es nicht dulden!«

»Nun, so lassen Sie mich über Ihren Wagen verfügen und befehlen Sie Ihrem Kutscher, mich nach Hause zu fahren.«

»Das würde mir sehr angenehm sein, mein junger Freund, aber mein Kutscher ist verpflichtet, mich selbst nach Hause zu bringen. Ich werde, wie Sie sich wohl denken können, in dieses Loch nur eintreten, um es sogleich wieder zu verlassen. Ich müsste daher mit Ihnen umkehren. Aber Sie werden gewiss nicht diese Grausamkeit begehen, mein teurer Herr van der Beek, nachdem ich heute einen so entsetzlichen Arbeitstag zu überstehen hatte.«

Während der Notar so sprach, hatte er Eusebius an sich gezogen, aus dem Wagen zu steigen gezwungen und indem er ihn vor sich her trieb, war es ihm gelungen, ihn einige Schritte in den engen und dunklen Gang machen zu lassen, der in das Etablissement führte. Der junge Mann leistete noch immer Widerstand. Aber in diesem Augenblick erschallten die Töne eines Tambourins zehn Schritte von ihm entfernt. Er wendete den Kopf danach um und erblickte in dem engen Raum zwischen zwei Häusern eine kleine Gruppe von drei Indern, welche durch Fackeln beleuchtet waren. Zwei derselben machten Musik; der eine, indem er eine Art von Tambourin schlug, der andere, indem er Flöte blies. Der Dritte senkte seine Hand in eine Art von Rohrkorb von Kegelform. Einige Zuschauer hatten sich bereits um die Inder gesammelt und warteten begierig des Schauspiels, welches sie bieten würden, welcher Art es auch sein möchte.

»Ha!«, rief der Notar, »Harruch, der Schlangenbeschwörer!«

Und mit einer kindischen Neugier drängte er sich zu der Gruppe, scheinbar ohne sich weiter um Eusebius zu bekümmern. Dieser folgte dem Notar ohne weitere Schwierigkeit, gerade weil man ihn nicht mehr dazu zwingen wollte. Freilich war die Bewegung ganz maschinenmäßig, und hatte nichts mit der freien Willenskraft des jungen Mannes zu tun, welcher in diesem Augenblick derselben vollkommen beraubt zu sein schien.

Die beiden Inder, welche den musikalischen Teil des Schauspiels auszuführen hatten, entledigten sich dessen, so gut es gehen wollte. Der eine schlug wütend auf sein Tambourin, der andere blies wie rasend in die Flöte. Bei dieser Musik schien der Rohrkorb sich von selbst zu bewegen. Mit der Spitze eines Stabes warf Harruch hierauf den Deckel des Korbes ab und man sah über die Öffnung den flachen dreieckigen Kopf einer Cobra Capella sich hin- und herbewegen.

Bei dieser Erscheinung stießen die Umstehenden einen Schrei aus und wichen unwillkürlich einen Schritt zurück. Die Schlange blickte mit ihren beiden funkelnden Augen, grün wie zwei Smaragde, rings umher, stieß ein Zischen aus, welches in vollkommenem Einklang zu der wilden Musik stand, die ihre Bewegungen zu regeln schien. Indem sie sich nach dem Ton dieser Musik bewegte, kam sie vollends aus dem Korb hervor. Sie mochte etwa 3 ½ Fuß lang sein. Ihr Körper war schwarz, mit zwei gelben Linien, der Bauch schmutzig grau, mit gelben Flecken getupft. Ihre erste Bewegung, als sie den Korb ganz verlassen hatte, war, sich umzusehen, nach welcher Seite sie springen wollte. Aber in dem Augenblick, in welchem sie sich zusammenrollte, um einen Stützpunkt zu gewinnen, ließ Harruch selbst ein Pfeifen ertönen, welches die ganze Aufmerksamkeit der Schlange zu erwecken schien. Ihre Augen schossen Blitze, nahmen die Färbung des Opals an, und indem sie sich auf ihrem Schwanze erhob, ohne eine andere Stütze, als die letzten Ringe, erreichte sie eine Höhe von zwei Fuß.

Das Pfeifen Harruchs wurde hierauf eine Art von Modulation, zu welcher das Tambourin und die Flöte den Bass bildeten.

Bei dem ersten Pfeifen des Schlangenbeschwörers war ein zweiter Kopf, dem ersten ähnlich, aus dem Korb hervorgekommen und eine zweite Schlange verließ denselben geradeso wie die erste, mit denselben Bewegungen, stellte sich neben diese und schaukelte sich auf ihrem Schwanz. Allmählich wurden die Modulationen, die Harruch ohne Zweifel mithilfe eines kleinen, zwischen die Zähne eingeklemmten Instruments hören ließ, immer rascher und rascher. Zugleich nahmen auch die Schlangen lebhaftere Bewegungen an. Die Opalfarbe ihrer Augen verwandelte sich in die des Topases. Leises Zischen der Liebe oder Drohung entschlüpfte ihren Kehlen. Diese schwollen an und ihre dreifach gespaltenen Zungen schlängelten sich ein bis zwei Zoll aus ihren Rachen hervor.

Harruch verdoppelte seine Modulationen. Man hätte glauben können, jedes Zischen des Inders sei verständlich für die Schlangen und teile ihnen einen Befehl mit, dem sie gehorchten, indem sie ihre Bewegungen vervielfältigten und ihre Zungen gegeneinander streckten. Endlich umschlangen sie sich einander mit ihren Endspitzen und bildeten nun einen Körper mit einem doppelten Kopf, gleich jenen Schlangen, die Merkur fand und denen er seinen Stab zuwarf. Dieser doppelte Kopf war beweglich, rasch, stieß ein doppeltes Gezisch aus und die Augen nahmen zuletzt den Glanz und die Farbe des Rubins an. Endlich, in dem Augenblick, als die beiden Schlangen zu dem Paroxismus der Wut oder der Liebe gelangt zu sein schienen, ergriff Harruch mit seinen Händen die beiden Körper, einen mit jeder Hand, zog sie voneinander fort und warf sie einzeln zur Erde, wo sie sich sogleich wieder zu einer wütenden Umschlingung vereinigten. Zwei Mal noch trennte der Inder sie, zwei Mal vereinigten sie sich wieder, bis er endlich zum dritten Mal sie auseinanderzog und eine in jedem seiner weiten Ärmel verbarg, wo sie verschwanden. Durch den seidenen Stoff seines Gewandes sah man die verschlungenen Ringe und die schnellen Bewegungen der beiden Tiere, die sich auf seiner Brust vereinten und ihre beiden dicht aneinander geschmiegten Köpfe hervorstreckten, die Augen flammend und feucht. So konnte man sie durch die Brustöffnung auf der nackten Haut Harruchs sehen.

Die Umstehenden zollten diesem fürchterlichen Schauspiel wütenden Beifall. Eusebius allein blieb teilnahmslos und ungläubig.«

»Bah!«, sagte er, »dabei ist eben nichts Gefährliches!«

»Wie!«, sagte der Notar.

»Nun, ohne Zweifel hat Ihr Schlangenbeschwörer den Tieren die Zähne ausgerissen.«

Obwohl diese wenigen Worte in holländischer Sprache gewechselt wurden, schien der Inder sie doch zu verstehen, denn er ergriff eine bei der beiden Cobra Capella beim giftgeschwollenen Hals, wie er ein Pistol beim Kolben gefasst haben würde, zog sie aus seiner Brust hervor und zeigte sie Eusebius, den offenen Rachen ihm zugewendet.

Van der Beek, der die Aufforderung erkannte, die man an ihn gerichtet hatte, bezwang den Widerwillen, den ihm die ekelhaften Tiere einflößten und streckte die Hand aus, um die ihm hingehaltene Schlange zu ergreifen.

Herr Maes zog ihn heftig am Arme zurück.

»Was wollen Sie machen, Teufelsmensch?«, rief er.

»Sind Sie verrückt oder Ihrer Millionen überdrüssig? Nicht wahr, Freund Harruch, deine Schlangen haben alle ihre Zähne? Nicht wahr, sie haben ihr Gift nicht verloren und würden den Unbesonnenen, der es wagte, sie zu berühren, auf der Stelle töten?«

Statt aller Antwort hob Harruch, der die holländische Sprache zwar zu verstehen schien, aber gleich allen Indianern den lebhaftesten Widerwillen dagegen hegte, sie zu sprechen, den Deckel eines zweiten Korbes auf, nahm daraus ein lebendiges Huhn hervor und bot es der Cobra Capella. Diese erhob den Kopf, ließ ihr Zischen ertönen, schoss aus ihren Rubinaugen einen blutigen Blitz und schnell wie ein Pfeil biss sie das arme Huhn unter dem Flügel. Der Inder ließ sogleich das Huhn los und dieses versuchte zu entfliehen, aber es konnte nur zwei oder drei Schritte gehen, dann taumelte es, seine Füße versagten ihm den Dienst, sein Kopf wendete sich mit dem unverkennbaren Ausdruck der Todesangst rechts und links, es schlug matt mit den Flügeln, streckte sie aus und fiel regungslos in den Sand; es war tot.

»Sehen Sie wohl?«, sagte der Notar triumphirend. »Nun, haben die Schlangen Harruchs noch ihre Giftzähne? Behaupten Sie noch immer, dass man bei Mynheer Cornelis nicht wunderbare und überraschende Dinge sieht?« Mit vollkommen überzeugtem Ton fügte er hinzu: »Ja, Harruch ist ein Zauberer, ein großer Zauberer.«

Dann nahm der Notar aus seiner Börse ein Geldstück und reichte es dem Inder, allein indem er dabei große Sorgfalt anwendete, es in die Hand zu legen, welche sich ihres entsetzlichen Armbandes entledigt hatte.

Eusebius folgte seinem Beispiel. Nachdem Harruch die erste Gabe empfangen hatte, ohne ein Wort des Dankes gegen den Geber zu äußern, antwortete er auf die, welche Eusebius ihm schenkte, durch eine Grimasse, die man für ein Lächeln halten konnte.«

»Ei, ei«, sagte der Notar, »Sie sind bevorrechtigt, Herr Eusebius, und sicher sagt Ihre Physiognomie Harruch zu. Ich habe ihn mit allen möglichen Aufmerksamkeiten überhäuft, aber er scheint sich um meine Person ebenso wenig zu kümmern, wie ein Affe um eine Prise Tabak.«

»Was ist denn dies für ein Mensch?«, fragte Eusebius, »und weshalb scheint er bei Ihnen ein so großes Interesse zu erwecken?«

»Er ist einer der unterhaltendsten Schelme, die ich je getroffen habe«, erwiderte Herr Maes. »Er kennt eine Menge von Zauberstückchen, wegen welcher er in Europa vor zweihundert Jahren unfehlbar verbrannt worden wäre, die mich aber außerordentlich unterhalten. Deshalb liebe ich ihn und nicht etwa, weil ich seinen Kunststückchen die geringste Wichtigkeit beilege. Ja, ich glaube an das Gift seiner Schlangen, aber ich glaube nicht an seine Zauberkraft. Übrigens bringt man dabei doch immer einige Minuten angenehm zu.«

»Aber noch einmal, was ist er denn für ein Mensch?«, fragte Eusebius, der bemerkte, dass der Schlangenbeschwörer ihn mit auffallendem Wesen betrachtete. »Wie mir scheint, ist er ein Malaye.«

»Nein, er ist ein Inder, von den Ufern des Ganges, ich sollte eigentlich sagen Parses, denn er gilt für einen Abkömmling jener Guebern, welche das Feuer anbeteten und sich der Verfolgungen der Muselmänner entzogen, als ihr Land durch die Kalifen erobert wurde und sie ein Asyl bei ihren ehemaligen Brüdern suchten, von denen man sie seit vierzig Jahrhunderten getrennt hatte.«

»Und dieser Mensch macht aus der Magie sein Geschäft?«, sagte Eusebius, indem er die größte Gleichgültigkeit erheuchelte.

»Meiner Treu, ja. Ich muss gestehen, dass ich ihn höchst unterhaltende Kunststücke habe ausführen sehen. Außerdem wird ihm aber noch ziemlich allgemein die Gabe zugeschrieben, in die Zukunft sehen zu können. Sie begreifen wohl, mein junger Freund, dass ich daran kein Wort glaube, aber das Volk unterhält sich dabei und ich mache es wie das Volk. Allein was wollen Sie?«

»Und welches ist die Spezialität seiner Wissenschaft?«, fragte Eusebius mit steigender Neugier, obwohl er sich bemühte, diese nicht blicken zu lassen.

»Er betreibt alle Zweige, aber besonders behauptet man von ihm, dass er wundertätige Amulette machen kann, um die bösen Geister zu beschwören. Hat irgendjemand Ihnen ein Los geworfen«, fügte der Notar lachend hinzu, »so wenden Sie sich an Harruch, mein lieber Eusebius. Er wird Sie davon befreien.«

Eusebius lachte, aber das Lachen war nur auf den Lippen. Sein Herz klopfte, um ihm die Brust zu zersprengen. Verworrene Gedanken stürmten in seinem Gehirn und brachten jenes unbestimmte Gemurmel hervor, wie das Meer es hören lässt, wenn es sich am Fels bricht. In der täglichen Todesqual, zu welcher sein Leben geworden war, stieg der Gedanke in ihm auf, sich an Harruch zu wenden, um von ihm zu erfahren, was er vom Doktor Basilius glauben oder fürchten sollte.

Der Hindu, der seine Einsammlung bei den Umstehenden beendet und seine Schlangen wieder in den Korb getan hatte, verlor währenddessen die beiden Europäer nicht aus den Augen und näherte sich jetzt Eusebius in eben dem Augenblick, als Herr Maes, der die Regung der Neugier, die er bei seinem jungen Freund zu bemerken glaubte, zu benutzen suchte und Eusebius vor sich her stieß. Harruch ging zu van der Beek und flüsterte ihm ins Ohr: »Der, welcher tot war, hat sich in den Quellen des Lebens verjüngt und gleicht dem Geier, der sich unter dem Laubwerk der Jungen verbirgt.«

Eusebius wandte sich rasch um und wollte den Arm des Hindu ergreifen. Dieser aber war bereits verschwunden, als besäße er den Ring des Gyges und brauchte den Stein desselben nur nach innen zu wenden, um unsichtbar zu werden.

»Wie ist er? Wo ist er?«, fragte Eusebius.

»Wer, Harruch?«, fragte der Notar. »Er ist auf den freien Platz getreten; aber hat er mit Ihnen gesprochen. Was sagte er Ihnen denn so Entsetzliches?«

»Nichts«, versuchte Eusebius zu leugnen.

»Gut; aber Sie sind leichenblass!«

»Ich will ihn sehen! Ich will mit ihm sprechen«, rief Eusebius, ohne unmittelbar auf die Frage des Herrn Maes zu antworten, aber zitternd wie ein Blatt im Sturm.

»Ha, der elende Schuft! Er wird Ihnen einen Zauber gesteckt haben. In der Tat, mein junger Freund, Sie übertreffen noch meine Neigung zu Harruch, denn Sie laufen ihm nach wie ein Dandy der Stadt unseren hübschen Chinesinnen. Folgen Sie mir in die Anstalt. Er ist sicher darin …«.

»Ha! Hier eintreten?«, sagte Eusebius mit neuem Zögern.

»Ei was«, entgegnete Herr Maes, »ich gehe auch hinein und die reichsten Leute vom Weltevredeplatz auch. Übrigens können Sie nur dort allein den finden, den Sie suchen. Der arme Harruch geht nicht auf die Börse.«

Eusebius zögerte noch einen Augenblick, dann ergriff er den Arm seines Begleiters und stürzte sich in den engen Gang, wie ein Mensch, der einen verzweifelten Entschluss gefasst hat.

Sein Blick traf auf ein eigentümliches Schauspiel.