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Deutsche Märchen und Sagen 14

Johann Wilhelm Wolf
Deutsche Märchen und Sagen
Leipzig, F. A. Brockhaus, 1845

14. Vom glücklichen Schäfer

Es war einmal ein Schäfer, der hatte nur ein kleines Häuschen, eine ganz kleine Herde, eine Katze und einen Hahn. Er hatte aber keine Ruhe im Land und wollte durchaus reisen. Darum verkaufte er sein Häuschen und seine kleine Herde, nahm seine Katze und den Hahn als Gesellschafter und begab sich auf die Reise. Als er schon weit weg war und kein Geld mehr hatte, da kam er in ein Land, wo keine Katzen waren und man diese Tiere gar nicht einmal dem Namen nach kannte. Es gab auch so viele Mäuse dort, dass man die Wiegen mit den Kindern abends an die Stubendecken hing, denn sonst hätten die Mäuse die Kinder gefressen. In der Herberge, wo der Schäfer übernachtete, wunderte sich jedermann über das sonderbare Tier, welches er mit sich führte. Dies Erstaunen stieg jedoch noch mehr, als man sah, wie die Katze hinter den Mäusen herlief und der Schäfer erzählte, dass sie überaus gern Mäuse fräße. Da schrien die Leute alle – denn das war bald im Land bekannt – er möge ihnen doch die Katze verkaufen. Sie wollten ihm dafür geben, was er nur haben wolle. Der Schäfer war mit dem Handel zufrieden, forderte fünfhundert Gulden für seine Katze. Am anderen Tag hatte er das Geld schon, gab ihnen das Tier und zog aus dem Land weg. Als er aber kaum einige Schritte weit gegangen war, da kamen die Obersten des Landes ihm nachgelaufen und riefen, er möge ihnen sagen, was die Katze fresse.

»Alles, was Menschen essen«, antwortete der Schäfer und schritt seines Weges weiter fort.

Die Obersten hatten aber verstanden: »Sie mag nur tote Menschen essen.« Sie waren sehr in Verlegenheit, wo sie einen toten Menschen finden sollten, denn seit Langem war keiner im Land gestorben. Alle Leute sahen so frisch und gesund aus, dass man nicht sobald auf den Tod eines von ihnen rechnen konnte. Während sie nun beratschlagten, was in diesem so wichtigen Fall anzufangen wäre, bekam die Katze Hunger. Als man ihr nichts zu fressen gab, da wurde sie wütend, biss und kratzte um sich und trieb es so arg, dass man endlich ein Haus, in welches sie gerade hineingelaufen war, anzündete und mit ihr verbrannte.

Der Schäfer war aber immer weiter und weiter gezogen, bis in ein Land, wo die Leute morgens sehr lange schliefen. Er ging in eine Herberge und übernachtete dort. Am folgenden Morgen um vier Uhr begann der Hahn zu krähen.

»Kikeriki! Kikeriki!«

Die Leute erwachten alle und fragten, wer da so gerufen hätte. »Das hat mein Hahn getan«, sprach der Schäfer. »Er weckt mich so jeden Morgen.«

»Ach, das Tier ist nicht zu bezahlen«, sprachen die Leute, »wir haben keinen, der uns weckt, und verschlafen stets. Willst du uns den Hahn nicht verkaufen?«

»Doch«, antwortete der Schäfer, »aber es ist ein rares Vieh und ihr müsst mir fünfhundert Gulden dafür geben.«

Dessen waren die Leute zufrieden und brachten dem Schäfer am anderen Morgen das Geld. Er zog aus dem Land weg.

Als er nun wieder weit, weit gegangen war, da kam er an einen großen Wald. In diesem hing an einem Baum ein Kesselchen, welches lustig schmorte. Der Schäfer hatte Hunger, ging und probierte an dem, was in dem Kesselchen war. Das schmeckte ihm so gut, dass er alles aufaß. Dann kletterte er auf den Baum, um da abzuwarten, was folgen würde, denn er glaubte, das Kesselchen hätte Räubern gehört. Es kamen aber keine Räuber, wie lange der Schäfer auch auf dem Baum wartete. Dagegen kam eine Katze. Die schlich zu dem Kesselchen, schaute hinein, schüttelte den Kopf und schaute hinauf.

Als sie den Schäfer sah, da rief sie: »Ei, Schäfer, Ihr seid es. Ihr habt an meinem Kesselchen geleckt. Es tut aber nichts und Ihr müsst nichts fürchten. Darum kommt getrost herunter und versucht, ob Ihr den Busch hier bis zum Abend niederhauen könnt, sodass kein einziger Baum mehr stehen bleibt. Bringt Ihr es fertig, dann gebe ich Euch zwölfhundert Gulden wohl gezählt.«

Dessen war der Schäfer zufrieden und die Katze ging fort. Er nahm ein Beil und begann die Bäume umzuhauen. Das ging aber sehr schlecht und langsam, denn in der Zeit von vier Stunden hatte er nur drei Bäume niederlegen können und der Busch war so groß, dass es nicht zu sagen ist. Eben wollte er ein wenig rasten, als die Katze kam und sprach: »Ei, Schäfer, wie steht es. Habt Ihr erst drei Bäume umgehauen. Da werdet ihr schwerlich fertig.«

»Ja«, sprach der Schäfer da, »es hält schwer und ist viel Arbeit.«

Da sprach die Katze: »Ich will Euch helfen, nehmt Euer Beil und haut noch einmal.«

Das tat der Schäfer und als er nur einen Schlag getan hatte, da fielen die Bäume mit Hunderten. Lustig schlug er weiter und in einer halben Stunde lag der ganze Wald da.

»Nun müsst Ihr morgen die Bäume all auf einen Haufen legen«, fuhr die Katze alsdann fort, »und wenn Ihr das getan habt, dann gebe ich Euch noch einmal zwölfhundert Gulden.« »Gut«, sprach der Schäfer, »ich will es versuchen«.

Und die Katze ging fort.

Der Schäfer packte des anderen Morgens einen Baum, schleppte, zog und arbeitete, bis er ihn auf einen anderen gelegt hatte. Dann packte er den Zweiten und Dritten. Als er aber den Vierten kaum zu den anderen gelegt hatte, da begann die Sonne schon sich zu neigen.

Die Katze kam wieder und fragte: »Schäfer, seid Ihr bald fertig?«

»Ja fertig, hätte ich gedacht«, sprach der Schäfer. »Es ist zu viel Arbeit für einen Menschen.«

Da sprach die Katze: »Schäfer, ich will Euch helfen. Nehmt den Rechen dort, fasst die drei ersten Bäume und zieht sie auf den Haufen.«

Das tat der Schäfer und den drei Bäumen folgten die anderen alle. In einer halben Stunde lag der ganze Wald auf einem Haufen.

»Nun zündet den Haufen an«, sprach die Katze da.

Der Schäfer folgte ihr.

Als die Bäume recht lustig brannten, da fuhr die Katze fort: »Nun werft mich ins Feuer und wenn Ihr seht, dass ich bald verbrannt hin, dann zieht mich am Schwanze wieder heraus.« »Das tue ich nicht«, antwortete der Schäfer, »Ihr habt mir so treulich geholfen und ich wäre ein schlechter Kerl, wenn ich Euch verbrennte.«

»Tut es«, sprach die Katze, »es soll Euer Schaden nicht sein.« Der Schäfer ließ sich endlich bereden und tat, wie die Katze ihm befohlen hatte. Als er sie aber am Schwanz herauszog, da stand die schönste Königstochter vor ihm, die man nur mit Augen sehen kann.

»Du hast mich erlöst, Schäfer«, sprach sie. »Zum Dank dafür will ich dich heiraten. Komm nun und gehe mit mir auf meines Vaters Schloss.«

Darüber war der Schäfer höchlich erstaunt. Er willigte mit vergnügtem Herzen in das Anerbieten der Königstochter und sie gingen zusammen fort und kamen in einen großen Wald. Da ritt ihnen ein Reitersmann entgegen. Als der bei ihnen war, stieg er ab und sprach zu dem Schäfer: »Junge, halte mir das Pferd einmal an, bis ich wiederkomme.«

»Gut«, sprach der Schäfer, und der Reiter ging in den Wald. Als er aber fort war, da schwang sich der Schäfer mit der Königstochter auf das Pferd. Sie ritten zusammen fort bis an einen großen Fluss. Da schnitt er dem Pferd den Schwanz ab und warf den in das Wasser. Danach schwammen sie herüber an das andere Ufer und ritten weiter fort. Als der Reiter aber aus dem Wald zurückkehrte und sein Pferd nicht fand, da lief er dem Schäfer nach und kam auch an den Fluss. Als er den Schwanz schwimmen sah, da dachte er, das Pferd wäre mit dem Schäfer versunken und von den Fischen gefressen worden. Er ging weiter am Ufer herauf und suchte die Brücke.

Dem Schäfer fiel jedoch bald ein, dass er seine Mütze am Fluss hatte liegen lassen. Darum sprach er zu der Königstochter: »Wartet hier ein wenig mit dem Pferd, ich gehe zurück und hole meine Mütze.«

In der Zeit aber, wo er seine Mütze holte, kam der Reiter zu der Königstochter, erkannte sein Pferd, welches sie hielt, schwang sich mit ihr darauf und ritt fort.

Als der Schäfer zurückkehrte, da hatte er das Nachsehen und vierundzwanzighundert Gulden, die er in seiner Tasche fand.