Die drei Musketiere 11
Alexander Dumas d. Ä.
Die drei Musketiere
1. bis 3. Bändchen
Historischer Roman, aus dem Französischen von August Zoller, Stuttgart 1844, überarbeitet nach der neuen deutschen Rechtschreibung
XI.
Die Intrige schürzt sich
Als d’Artagnan seinen Besuch bei Monsieur de Tréville gemacht hatte, nahm er den weitesten Weg, um nach Hause zu gehen.
An was dachte d’Artagnan, als er sich so weit von seiner Straße entfernte, die Gestirne des Himmels betrachtete, bald seufzte, bald lächelte?
Er dachte an Frau Bonacieux. Für einen Musketierlehrling war diese junge Frau fast ein Liebesideal. Hübsch, mysteriös, beinahe in alle Geheimnisse des Hofes eingeweiht, welche so viel reizenden Ernst auf ihren anmutigen Zügen widerspiegelten, stand sie im Verdacht, nicht unempfindlich zu sein, was für Neulinge in der Liebe einen unwiderstehlichen Reiz bildet. Überdies hatte d’Artagnan sie aus den Händen dieser Teufel befreit, die sie misshandeln und durchsuchen wollten. Dieser wichtige Dienst hatte Dankbarkeitsgefühle bei ihr gegründet, welche so leicht einen zärtlicheren Charakter annehmen.
D’Artagnan sah bereits, so rasch gehen die Träume auf den Flügeln der Einbildungskraft, einen Boten von der jungen Frau vor sich, der ihm ein Rendezvousbillett, eine goldene Kette oder einen Diamant zustellte. Wir haben schon erwähnt, dass junge Kavaliere, ohne sich zu schämen, Geld von ihrem König annahmen. Fügen wir noch bei, dass sie in jenen Zeiten leichter Moral auch vor ihren Geliebten nicht erröteten, und dass diese ihnen beinahe beständig kostbare und dauerhafte Erinnerungen zurückließen, als ob sie die Gebrechlichkeit ihrer Gefühle durch die Festigkeit ihrer Geschenke hätten gutmachen wollen.
Man machte damals seinen Weg durch die Frauen, ohne sich dessen zu schämen. Diejenigen, welche nur schön waren, gaben ihre Schönheit, und hiervon rührt ohne Zweifel das Sprichwort, dass das schönste Mädchen der Welt nur das geben kann, was sie hat. Die Reichen gaben überdies einen Teil ihres Geldes, und man könnte gar manche Helden aus dieser galanten Epoche anführen, welche erstens ihre Sporen und zweitens ihre Schlachten nicht gewonnen hätten, ohne die mehr oder minder gespickte Börse, die ihre Geliebte ihnen an den Sattelbogen befestigte.
D’Artagnan besaß nichts. Die Blödigkeit des Provinzbewohners, ein leichter Firnis, eine ephemere Blüte, ein Pfirsichflaum, war unter dem Wind der nicht sehr orthodoxen Ratschläge verdunstet, welche die drei Musketiere ihrem Freund gaben. D’Artagnan betrachtete sich, nach dem seltsamen Gebrauch jener Zeit, in Paris wie im Feld, und dies nicht mehr und nicht weniger als in Flandern: der Spanier da unten, die Frau hier. Es gab überall Feinde, die man zu überwinden hatte, überall waren es Steuern, die man eintreiben zu müssen glaubte.
Aber wir können nicht leugnen, dass d’Artagnan in diesem Augenblick von einem edleren, uneigennützigeren Gefühl bewegt war. Der Krämer hatte ihm gesagt, er sei reich. Der junge Mann konnte sich leicht denken, dass bei einem albernen Menschen, wie Monsieur Bonacieux, die Frau den Kassenschlüssel in der Hand haben musste. Aber all dies übte durchaus keinen Einfluss auf die Empfindung aus, welche der Anblick der Frau Bonacieux hervorgebracht hatte, und das Interesse war diesem Liebesanfang, der Folge dieses Anblicks, beinahe fremd geblieben. Wir sagen beinahe, denn der Gedanke, dass eine schöne, anmutige, geistreiche junge Frau zu gleicher Zeit reich ist, benimmt diesem Liebesanfang durchaus nichts, sondern verstärkt ihn vielmehr. Es gibt bei der Wohlhabenheit eine Menge von aristokratischen Launen und Bedürfnissen, die der Schönheit sehr gutstehen. Ein feiner weißer Strumpf, ein seidenes Kleid, ein Spitzenbesatz, ein schöner Schuh am Fuß, ein frisches Band auf dem Kopf machen eine hässliche Frau nicht hübsch, aber eine hübsche Frau schön, abgesehen von den Händen, die bei alldem gewinnen. Die Hände müssen bei den Frauen müßig bleiben, um schön zu bleiben.
Dann war d’Artagnan, wie der Leser wohl weiß, da wir ihm seinen Vermögensstand nicht verborgen haben, kein Millionär. Er hoffte, es eines Tags zu werden, aber die Zeit, die er selbst für diese glückliche Veränderung der Dinge feststellte, war ziemlich weit entfernt. Bis dahin, welche Verzweiflung, eine Frau die tausenderlei Kleinigkeiten verlangen zu sehen, die das Glück der Frauen bilden, und ihr eben diese tausenderlei Kleinigkeiten nicht geben zu können! Wenn die Frau reich ist und der Liebhaber nicht, so gibt sie sich selbst, was ihr der Liebhaber nicht bieten kann. Obwohl sie sich diesen Genuss gewöhnlich mit dem Geld ihres Mannes verschafft, so fließt doch ihr Dank sehr selten diesem zu.
Geneigt, der zärtlichste Liebhaber zu sein, war d’Artagnan mittlerweile der ergebenste Freund. Mitten unter den verliebten Entwürfen auf die Frau des Krämers, vergaß er die seinen nicht. Die hübsche Bonacieux war ganz die Frau, die man auf der Ebene St. Denis oder auf dem Markt St. Germain spazieren führen konnte, in Gesellschaft von Athos, Porthos und Aramis, denen er eine solche Eroberung mit Stolz zeigen würde. Wenn man lang gegangen ist, stellt sich der Hunger ein. Dies hatte d’Artagnan seit ewiger Zeit bemerkt. Man konnte da jene kleinen Diners einnehmen, wobei man auf der einen Seite die Hand eines Freundes und auf der anderen den Fuß einer Geliebten berührt. Und dann konnte d’Artagnan in dringlichen Augenblicken und peinlichen Lagen der Retter seiner Freunde werden.
Monsieur Bonacieux aber, den d’Artagnan in die Hände der Sbirren gestoßen, den er laut verleugnet und dem er ganz leise Rettung versprochen hatte? Wir müssen unseren Lesern gestehen, dass d’Artagnan auf keine Weise daran dachte oder dass er, wenn er auch daran dachte, sich höchstens sagte, der Mann sei ganz gut da, wo er sich befinde, wo dies auch sein möge. Für den Augenblick wollen wir es machen wie der verliebte Gascogner. Wir kommen jedoch später auf den würdigen Krämer zurück.
Während d’Artagnan seine zukünftige Liebe überdachte, mit der Nacht sprach und den Sternen zulächelte, ging er die Rue du Cherche-Midi oder Ru du Chasse-Midi, wie man sie damals nannte, hinauf. Da er sich im Quartier von Aramis befand, so kam ihm der Gedanke, seinem Freund einen Besuch zu machen und ihm die Gründe auseinanderzusetzen, die ihn bewogen hatten, denselben durch Planchet zu einem augenblicklichen Besuch in der Mausfalle auffordern zu lassen. Wäre Aramis zu Hause gefunden worden, so würde er ohne Zweifel zur Rue des Fossoyers gelaufen sein und dort niemand als seine zwei Kameraden gefunden haben, welche ebenso wenig, wie er selbst gewusst hätten, was dies bedeuten sollte. Diese Störung verdiente wohl aufgeklärt zu werden. Das war es, was sich d’Artagnan ganz laut sagte.
Ganz leise dachte er, es sei für ihn eine Gelegenheit, von der hübschen, kleinen Bonacieux zu sprechen, welche seinen Geist, wenn auch nicht sein Herz, bereits gänzlich erfüllt hatte. Bei einer ersten Liebe darf man keine Diskretion fordern. Diese erste Liebe ist von so großer Freude begleitet, dass sie ausströmen muss, wenn sie uns nicht ersticken soll.
Paris war seit zwei Stunden düster und fing an, öde zu werden. Es schlug elf Uhr auf allen Glockentürmen des Faubourg St. Germain. Das Wetter war mild. D’Artagnan ging eine Gasse entlang, welche auf der Stelle lag, wo sich jetzt die Rue d’Assas hinzieht. Er atmete die balsamischen Ausdünstungen ein, welche der Wind aus der Rue de Vaugirard und den daran anstoßenden, vom Abendtau erfrischten Gärten herübertrug. Aus der Ferne tönte das durch gute Fensterläden etwas gedämpfte Geräusch der auf der Ebene zerstreuten Schenken. Am Ende der Gasse angelangt, wandte sich d’Artagnan nach links. Das von Aramis bewohnte Haus lag zwischen der Rue Cassette und der Rue Servandoni. D’Artagnan hatte bereits die Rue Cassette durchschritten und erkannte die Haustür seines Freundes, welche unter Sykomoren und Rebwinden verdeckt war, die über derselben einen schweren Wulst bildeten, als er etwas wie einen Schatten erblickte, der aus der Rue Servandoni hervorkam. Dieses Etwas war in einen Mantel gehüllt und d’Artagnan hielt es anfangs für einen Mann. Aber an der Feinheit des Wuchses und der Unsicherheit des Ganges erkannte er bald, dass es eine Frau war. Diese Frau schlug, als wäre sie ungewiss über das Haus, das sie suchte, die Augen auf, um sich zu orientieren, blieb ruhig stehen, kehrte sich um, ging einige Schritte rückwärts und wieder vorwärts. Das reizte die Neugierde d’Artagnans.
Wenn ich ihr meine Dienste anböte, dachte er. An ihrem Wesen erkennt man, dass sie jung ist. Vielleicht ist sie auch hübsch. Oh! ja. Aber eine Frau, welche um diese Zeit in den Straßen umherläuft, sucht in der Regel nichts anderes als ihren Liebhaber. Pest! Rendezvous zu stören, wäre eine schlimme Einleitung zu meinem Liebeshandel!
Die junge Frau ging indessen immer vorwärts und zählte die Häuser und Fenster. Das war übrigens weder schwierig noch langwierig. Es gab in diesem Teil der Straße nur drei Villen und zwei Fenster, welche auf die Straße gingen. Das eine war das eines Pavillons, welcher mit der Wohnung von Aramis parallel lag, das andere das von Aramis selbst.
»Bei Gott«, sprach d’Artagnan, dem die Nichte des Theologen einfiel, zu sich selbst, »bei Gott, es wäre drollig, wenn diese verspätete Taube das Haus unseres Freundes aufsuchte. Aber, bei meiner Seele, es sieht so aus. Ah, mein lieber Aramis, diesmal wollen wir dir auf die Sprünge kommen.«
D’Artagnan machte sich so schmal wie möglich und verbarg sich auf der dunkelsten Seite der Straße bei einer steinernen Bank, welche im Hintergrund einer Nische stand.
Die junge Frau schritt immer vorwärts. Abgesehen von dem leichten Gang, der sie verraten hatte, ließ sie ein leichtes Husten vernehmen, das eine äußerst frische Stimme offenbarte. D’Artagnan hielt es für ein Signal. Aber ob nun das Husten durch ein gleichbedeutendes Zeichen erwidert wurde, das der Unentschlossenheit der nächtlichen Sucherin ein Ende machte, oder ob sie ohne fremde Hilfe erkannt hatte, dass sie am Ziel ihrer Wanderung angelangt war, sie näherte sich entschlossen dem Fensterladen von Aramis und klopfte dreimal in gleichen Zwischenräumen mit gekrümmtem Finger daran.
»Das ist allerdings bei Aramis«, murmelte d’Artagnan. »Ah, Monsieur Heuchler, ich ertappe Euch bei den theologischen Studien!«
Die Unbekannte hatte kaum dreimal geklopft, als der innere Kreuzstock sich öffnete und ein Licht durch den Laden sichtbar wurde.
»Ah, ah!«, flüsterte der Horcher, »nicht durch die Türen, sondern durch die Fenster, ah, ah! Der Besuch war erwartet. Schön! Der Laden wird sich öffnen und die Dame einsteigen. Sehr gut!«
Aber zum großen Erstaunen d’Artagnans blieb der Laden geschlossen, das Licht, welches einen Augenblick geflammt hatte, verschwand wieder, und alles versank abermals in die frühere Dunkelheit.
D’Artagnan dachte, dies könne nicht lange so dauern, horchte und schaute mit gespannten Ohren und weit geöffneten Augen. Er hatte recht. Nach Verlauf einiger Sekunden ertönten zwei dumpfe Schläge im Inneren.
Die junge Frau auf der Straße antwortete durch ein einmaliges Klopfen und der Laden öffnete sich.
Man kann sich leicht denken, mit welcher Gier d’Artagnan schaute und horchte.
Zum Unglück hatte man das Licht in ein anderes Zimmer gebracht. Aber die Augen des jungen Mannes waren an die Nacht gewöhnt. Überdies haben die Augen der Gascogner, wie man versichert, die Eigenschaft, dass sie, wie die Katzen, in der Finsternis sehen.
D’Artagnan bemerkte also, wie die junge Frau aus ihrer Tasche einen weißen Gegenstand herausholte, den sie lebhaft auseinanderwickelte und der sodann die Gestalt eines Sacktuches annahm. Sobald dieser Gegenstand entwickelt war, zeigte sie der Person im Haus eine Ecke desselben.
Dies erinnerte d’Artagnan an das Taschentuch, das er zu den Füßen der Frau Bonacieux gefunden und ihn an das zu den Füßen von Aramis gefundene erinnert hatte.
»Was Teufel konnte denn dieses Taschentuch bedeuten?«
Auf der Stelle, wo er stand, vermochte d’Artagnan das Gesicht von Aramis nicht zu sehen. Wir sagen, von Aramis, weil d’Artagnan nicht im Geringsten zweifelte, dass sein Freund es sei, der von innen mit der Dame außen sprach. Die Neugierde trug den Sieg über die Klugheit davon. Den Umstand benutzend, dass die zwei Personen, welche wir in Szene gesetzt haben, ganz von der Aufmerksamkeit gefesselt zu sein schienen, die sie dem Anblick des Taschentuchs widmeten, verließ er sein Versteck und drückte sich, rasch wie ein Blitz, aber mit gedämpften Tritten, an eine Mauerecke, von wo aus sein Blick vollkommen ins Innere von Aramis Wohnung dringen konnte.
Hier angelangt, stieß d’Artagnan beinahe einen Schrei des Erstaunens aus. Nicht Aramis sprach mit dem nächtlichen Besuch, sondern eine Frau. D’Artagnan sah wohl genug, um die Form ihrer Kleidung zu erkennen, aber nicht genug, um ihre Züge zu unterscheiden.
Im selben Augenblick zog die Frau in der Wohnung ein zweites Taschentuch hervor und vertauschte es mit dem, welches man ihr gezeigt hatte. Dann wurden einige Worte zwischen den zwei Frauen gewechselt, der Laden verschloss sich wieder, die Frau, welche sich außen befand, wandte sich um und ging auf vier Schritte, die Kappe ihres Mantels niederschlagend, an d’Artagnan vorüber. Aber letztere Vorsichtsmaßregel war zu spät genommen worden, d’Artagnan hatte bereits Frau Bonacieux erkannt.
Frau Bonacieux! Dieser Verdacht hatte sich schon in seinem Geist geregt, als sie das Taschentuch hervorzog. Aber welche Wahrscheinlichkeit war vorhanden, dass Frau Bonacieux, die nach Monsieur de la Porte geschickt hatte, um sich zum Louvre zurückführen zu lassen, allein um halb zwölf Uhr in der Nacht, auf die Gefahr, abermals verhaftet zu werden, in den Straßen umhergehen würde?
Es musste also eine sehr wichtige Angelegenheit im Spiel sein, und was für wichtige Angelegenheiten gibt es für eine Frau von fünfundzwanzig Jahren? Die Liebe.
Aber setzte sie sich für eigene Rechnung oder für Rechnung einer anderen Person solchen Zufällen aus? Das war es, was sich der junge Mann selbst fragte, denn der Dämon der Eifersucht nagte nicht mehr und nicht minder an seinem Herzen, als ob er bereits ein in volles Recht eingesetzter Liebhaber gewesen wäre.
Es gab übrigens ein sehr einfaches Mittel, sich zu überzeugen, wohin Frau Bonacieux ging. Er brauchte ihr nur zu folgen. Dieses Mittel war so einfach, dass d’Artagnan es ganz von selbst und instinktmäßig anwandte.
Aber beim Anblick des jungen Mannes, der von der Mauer hervortrat, wie eine Statue aus ihrer Nische, und bei dem Geräusch der Tritte, die sie hinter sich dröhnen hörte, stieß Frau Bonacieux einen kurzen Schrei aus und floh.
D’Artagnan lief ihr nach. Es fiel ihm nicht schwer, eine Frau zu erreichen, die durch ihren Mantel im Lauf gehemmt wurde. Er hatte sie also schon innerhalb des ersten Drittels der Straße eingeholt, in die sie sich flüchtete. Die Unglückliche war erschöpft, nicht vor Ermüdung, sondern vor Schrecken.
Als ihr d’Artagnan die Hand auf die Schulter legte, stürzte sie auf die Knie und schrie mit erschreckter Stimme: »Tötet mich, wenn Ihr wollt, aber Ihr sollt nichts erfahren.«
D’Artagnan schlang seinen Arm um ihren Leib und hob sie auf. Da er aber an ihrem Gewicht bemerkte, dass sie einer Ohnmacht nahe war, so beeilte er sich, sie durch Beteuerungen seiner Ergebenheit zu beruhigen. Diese Beteuerungen galten der Frau Bonacieux nichts, denn man kann solche mit den schlimmsten Absichten der Welt geben, aber die Stimme war alles. Die junge Frau glaubte den Klang dieser Stimme zu erkennen. Sie öffnete die Augen, warf einen Blick auf den Mann, der ihr so bange gemacht hatte, erkannte d’Artagnan und stieß einen Freudenschrei aus.
»Ah, Ihr seid es, Ihr seid es«, sprach sie. »Gott sei gelobt!«
»Ja, ich bin es«, erwiderte d’Artagnan, »Gott hat mich gesandt, über Euch zu wachen.«
»Seid Ihr mir in dieser Absicht gefolgt?«, fragte mit kokettem Lächeln die junge Frau, deren etwas spöttischer Charakter wieder die Oberhand gewann und deren Furcht gänzlich verschwunden war, seit sie in dem vermeintlichen Feind einen Freund erkannt hatte.
»Nein«, sprach d’Artagnan, »nein, ich gestehe es, der Zufall hat mich Euch in den Weg geführt. Ich sah eine Frau an das Fenster eines meiner Freunde klopfen.«
»Eines Eurer Freunde?«, unterbrach ihn Frau Bonacieux.
»Allerdings, Aramis ist einer meiner besten Freunde.«
»Aramis? Wer ist dies?«
»Geht doch! Wollt Ihr etwa behaupten, Ihr kennt Aramis nicht?«
»Ich höre zum ersten Mal seinen Namen aussprechen.«
»Ihr kommt also auch zum ersten Mal an dieses Haus?«
»Allerdings!«
»Und Ihr wusstet nicht, dass es von einem jungen Menschen bewohnt war?«
»Nein.«
»Von einem Musketier?«
»Keineswegs.«
»Ihr habt also nicht ihn aufgesucht?«
»Durchaus nicht. Überdies habt Ihr wohl gesehen, dass die Person, mit der ich sprach, eine Frau war.«
»Allerdings, aber diese Frau gehört wohl zu den Freundinnen von Aramis?«
»Ich weiß es nicht.«
»Da sie bei ihm wohnt.«
»Das geht mich nichts an.«
»Aber wer ist sie denn?«
»Oh! Das ist nicht mein Geheimnis.«
»Liebe Frau Bonacieux, Ihr seid reizend, aber zugleich die geheimnisvollste Frau …«
»Verliere ich dabei?«
»Nein, Ihr seid im Gegenteil anbetungswürdig.«
»Dann gebt mir den Arm.«
»Sehr gerne; und nun? …«
»Nun führt mich.«
»Wohin?«
»Wohin ich gehe.«
»Aber wohin geht Ihr?«
»Ihr werdet es sehen, da Ihr mich an der Tür verlassen müsst.«
»Soll ich Euch erwarten?«
»Das wird unnötig sein.«
»Ihr werdet also allein zurückkehren?«
»Vielleicht ja, vielleicht nein.«
»Aber wird die Person, die Euch sodann begleitet, ein Mann oder eine Frau sein?«
»Ich weiß es noch nicht.«
»Das werde ich wohl erfahren.«
»Wie dies?«
»Ich werde Euch erwarten, um Euch herauskommen zu sehen.«
»In diesem Fall adieu!«
»Wieso?«
»Ich bedarf Eurer nicht.«
»Aber Ihr erbatet Euch ja …«
»Die Hilfe eines Edelmannes und nicht die Überwachung eines Spions.«
»Das Wort ist etwas hart.«
»Wie nennt man diejenigen, welche den Leuten ungeheißen folgen?«
»Indiskrete.«
»Das Wort ist zu weich.«
»Nun, Madame, ich sehe wohl, dass man alles tun muss, was Ihr haben wollt.«
»Warum habt Ihr Euch des Verdienstes beraubt, es sogleich zu tun?«
»Gibt es nicht Menschen, welche zu bereuen wissen?«
»Ihr bereut also ernstlich?«
»Ich weiß dies selbst nicht. Ich weiß nur so viel, dass ich Euch alles zu tun verspreche, was Ihr haben wollt, wenn Ihr mich Euch bis dahin begleiten lasst, wohin Ihr geht.«
»Und Ihr verlasst mich sodann?«
»Ja.«
»Ohne mich bei meinem Austritt zu bespähen?«
»Nein.«
»Auf Ehrenwort?«
»So wahr ich ein Edelmann bin!«
»Gebt mir Euren Arm und dann vorwärts!«
D’Artagnan bot seinen Arm der Frau Bonacieux, welche sich halb lachend, halb zitternd daran hing, und sie gewannen die Höhe der Rue de la Harpe. Hier angelangt, schien die junge Frau zu zögern, wie sie dies bereits in der Rue de Vaugirard getan hatte.
Aber sie erkannte wohl an gewissen Zeichen die Tür, näherte sich dieser und sprach: »Nun, Monsieur, hier habe ich Geschäfte. Ich danke Euch tausendmal für das ehrenvolle Geleit, das mich vor allen Gefahren beschützt hat. Aber der Augenblick, Wort zu halten, ist gekommen. Ich bin am Ort meiner Bestimmung.«
»Und Ihr habt bei Eurer Rückkehr nichts mehr zu befürchten?«
»Ich habe nur die Diebe zu fürchten.«
»Ist das nichts?«
»Was könnten sie mir nehmen? Ich habe keinen Pfennig bei mir.«
»Ihr vergesst das schön gestickte Taschentuch mit dem Wappen.«
»Welches?«
»Das, welches ich zu Euren Füßen gefunden und wieder in Eure Tasche gesteckt habe.«
»Schweigt, schweigt. Unglücklicher!«, rief die junge Frau. »Wollt Ihr mich verderben?«
»Ihr seht, dass immer noch Gefahr für Euch vorhanden ist, da Euch ein einziges Wort zittern macht und Ihr eingesteht, dass Ihr verloren wäret, wenn man dieses Wort hören würde. Ah! Madame«, fuhr d’Artagnan fort, indem er ihre Hand ergriff und mit glühenden Blicken betrachtete. »Seid edelmütiger, vertraut Euch mir an. Habt Ihr nicht in meinen Augen gelesen, dass in meinem Herzen nur Ergebenheit und Mitgefühl herrschen?«
»Allerdings«, antwortete Frau Bonacieux, »verlangt meine Geheimnisse von mir und ich werde sie Euch sagen, aber bei fremden Geheimnissen ist mir dies nicht möglich.«
»Gut«, sprach d’Artagnan, »ich werde sie zu entdecken wissen. Da diese Geheimnisse Einfluss auf Euer Leben üben können, so müssen sie die meinen werden.«
»Hütet Euch wohl«, rief die junge Frau mit einem Ernst, der d’Artagnan unwillkürlich beben machte. »Oh! Mischt Euch auf keinerlei Weise in meine Angelegenheiten, sucht mich nicht in der Erfüllung meiner Aufgabe zu unterstützen. Ich bitte Euch darum, bei der Teilnahme, die ich Euch einflöße, bei dem Dienst, den Ihr mir geleistet habt und den ich in meinem ganzen Leben nicht vergessen werde. Glaubt vielmehr, was ich Euch sage. Beschäftigt Euch nicht mehr mit mir, ich sei für Euch gar nicht mehr vorhanden, es sei, als ob Ihr mich gar nicht gesehen hättet.«
»Muss Aramis dasselbe tun wie ich?«, fragte d’Artagnan gereizt.
»Ihr habt diesen Namen schon zwei- oder dreimal ausgesprochen, Monsieur, und ich sagte Euch doch, dass ich ihn nicht kenne.«
»Ihr kennt den Mann nicht, an dessen Laden Ihr geklopft habt? Ihr haltet mich doch für gar zu leichtgläubig, Madame!«
»Gesteht, dass Ihr, um mich zum Sprechen zu veranlassen, diese Geschichte erfindet und diese Person schafft.«
»Ich erfinde nichts, ich schaffe nichts, Madame, ich sage die reinste Wahrheit.«
»Und Ihr behauptet, einer von Euren Freunden wohne in diesem Haus?«
»Ich behaupte und wiederhole es zum dritten Mal: In diesem Haus wohnt mein Freund, und dieser Freund ist Aramis.«
»All das wird sich später erklären, für jetzt, Monsieur, schweigt.«
»Wenn Ihr mein Herz ganz unverhüllt sehen könntet«, sprach d’Artagnan, »so würdet Ihr darin so viel Neugierde lesen, dass Ihr Mitleid mit mir hättet, und so viel Liebe, dass Ihr sogleich eben diese Neugierde befriedigen würdet. Man hat von Liebenden nichts zu befürchten.«
»Ihr sprecht sehr rasch von Liebe, Monsieur«, sagte die junge Frau, den Kopf schüttelnd.
»Weil die Liebe mich rasch und zum ersten Mal erfasst hat, und weil ich noch nicht zwanzig Jahre alt bin.«
Die junge Frau schaute ihn verstohlen an.
»Hört, ich bin der Sache bereits auf der Spur«, versetzte d’Artagnan. »Vor drei Monaten hätte ich beinahe ein Duell mit Aramis wegen eines Taschentuchs gehabt, das ganz dem ähnlich ist, das Ihr der Frau, welche bei ihm war, gegen ein auf dieselbe Weise bezeichnetes Tuch vorwieset.«
»Monsieur«, erwiderte die junge Frau, »ich schwöre Euch, Ihr ermüdet mich mit diesen Fragen.«
»Aber Ihr, die Ihr so klug seid, Madame, bedenkt doch: Wenn man Euch verhaftete und dieses Taschentuch bei Euch fände, würdet Ihr hierdurch nicht gefährdet?«
»Warum denn, sind die Anfangsbuchstaben nicht die meinen: C. B. Constance Bonacieux?«
»Oder Camille von Bois-Tracy.«
»Stille, Monsieur, stille! da die Gefahren, denen ich ausgesetzt bin, Euch nicht zurückhalten, so bedenkt, wie Ihr gefährdet seid.«
»Ich?«
»Ja, Ihr, Eure Freiheit ist bedroht. Euer Leben steht auf dem Spiel, wenn Ihr mich kennt.«
»Dann verlasse ich Euch nicht mehr.«
»Monsieur«, sprach die junge Frau flehend und die Hände faltend. »Monsieur, im Namen des Himmels, im Name der Ehre eines Militärs, im Namen der Ritterlichkeit eines Edelmannes, entfernt Euch. Hört, es schlägt Mitternacht, es ist die Stunde, wo man mich erwartet.«
»Madame«, erwiderte der junge Mann sich verbeugend, »wenn man mich so bittet, kann ich nichts verweigern. Seid ruhig, ich entferne mich.«
»Aber Ihr folgt mir nicht, Ihr bespäht mich nicht?«
»Ich gehe sogleich nach Hause.«
»Oh! Ich wusste wohl, dass Ihr ein braver junger Mann seid!«, rief Frau Bonacieux, indem sie ihm eine Hand reichte und die andere an den Klopfer einer beinahe in der Mauer verborgenen Tür legte.
D’Artagnan ergriff die Hand, die man ihm darbot, und bedeckte sie mit glühenden Küssen.
»Ach! Ich wollte, ich hätte Euch nie gesehen«, rief d’Artagnan mit jener naiven Derbheit, welche die Frauen häufig den künstlichen Redensarten der Höflichkeit vorziehen, weil sie den Grund der Denkungsart enthüllt und zum Beweis dient, dass das Herz den Sieg über den Geist davonträgt.
»Nun!«, erwiderte Frau Bonacieux mit beinahe schmeichelndem Ton und drückte dabei d’Artagnans Hand, welche die ihre noch nicht losgelassen hatte. »Nun! Ich sage noch nicht so viel, wie Ihr. Was für heute verloren ist, ist nicht für die Zukunft verloren. Wer weiß, ob ich nicht, wenn ich eines Tags entbunden bin, Eure Neugierde befriedige.«
»Und leistet Ihr meiner Liebe dasselbe Versprechen?«, rief d’Artagnan in der höchsten Freude.
»Ah! Von dieser Seite will ich mich zu nichts verpflichten, das hängt von den Gefühlen ab, die Ihr mir einzuflößen wissen werdet.«
»Also heute, Madame …«
»Heute, Monsieur, stehe ich erst bei der Dankbarkeit!«
»Ah! Ihr seid zu reizend«, sprach d’Artagnan traurig, »und Ihr missbraucht meine Liebe.«
»Nein, ich gebrauche Euren Edelmut, das ist das Ganze. Aber glaubt mir, bei gewissen Menschen findet sich alles wieder.«
»Oh! Ihr macht mich zum glücklichsten Sterblichen. Vergesst diesen Abend nicht, gedenkt dieses Versprechens.«
»Seid unbesorgt, zu geeigneter Zeit, an geeignetem Ort werde ich mich an alles erinnern. Aber nun geht, geht in des Himmels Namen! Man erwartet mich auf den Schlag zwölf, und ich habe mich bereits verspätet.«
»Um fünf Minuten.«
»Ja, aber unter gewissen Umständen sind fünf Minuten fünf Jahrhunderte.«
»Wenn man liebt.«
»Ei! Wer sagt Euch denn, dass ich es nicht mit einem Liebenden zu tun habe?«
»Ein Mann erwartet Euch«, rief d’Artagnan, »ein Mann?«
»Geht, soll der Streit schon wieder beginnen?«, sprach Frau Bonacieux mit einem leichten Lächeln, das nicht ganz von Unruhe frei war.
»Nein, nein, ich gehe, ich gehe, ich entferne mich, ich glaube Euch, ich will das volle Verdienst meiner Ergebenheit haben, und wäre diese auch eine Albernheit. Gott befohlen, Madame! Gott befohlen!«
Als fühlte er nicht die Kraft in sich, von der Hand, die er hielt, sich anders als durch ein gewaltsames Losreißen zu trennen, lief er rasch weg, während Frau Bonacieux, wie bei dem Fensterladen, dreimal langsam und in denselben Zwischenräumen klopfte. An der Ecke der Straße drehte er sich um. Man hatte die Tür geöffnet und wieder geschlossen. Die schöne Krämerin war verschwunden.
D’Artagnan setzte seinen Weg fort. Er hatte sein Wort gegeben, Frau Bonacieux nicht zu beobachten, und hätte sein Leben von dem Ort, wohin sie ging, und von der Person, die sie begleiten sollte, abgehangen. D’Artagnan wäre nach Hause gegangen, weil er es zugesagt hatte. Nach fünf Minuten befand er sich in der Rue des Fossoyeurs.
»Armer Athos«, sprach er, »er wird nicht wissen, was dies heißen soll. Er ist ohne Zweifel, mich erwartend, eingeschlafen oder nach Hause gegangen. Dort wird er erfahren haben, dass eine Frau in seine Wohnung gekommen ist. Eine Frau bei Athos. Übrigens war auch eine bei Aramis«, fuhr d’Artagnan fort. »Das ist eine ganz seltsame Geschichte, und ich bin neugierig, wie das alles enden wird.«
»Schlimm, gnädiger Monsieur, schlimm«, antwortete eine Stimme, an welcher der junge Mann Planchet erkannte, denn nach Art der Leute, welche ganz und gar von ihren Gedanken in Anspruch genommen sind, war er laut mit sich sprechend in den Gang gelangt, an dessen Hintergrund die Treppe lag, die zu seinem Zimmer führte.
»Wieso schlimm? Was willst du damit sagen, Dummkopf?«, fragte d’Artagnan, »und was ist denn vorgefallen?«
»Alles mögliche Unglück.«
»Was denn?«
»Erstens hat man Athos verhaftet.«
»Verhaftet! Athos! Verhaftet! Warum?«
»Man hat ihn in Eurer Wohnung gefunden und für Euch gehalten.«
»Und durch wen ist er verhaftet worden?«
»Durch die Wache, welche die schwarzen Menschen holen wollte, welche Ihr in die Flucht geschlagen habt.«
»Warum hat er nicht seinen Namen genannt? Warum hat er nicht gesagt, dass er gar nichts von dieser Angelegenheit wisse?«
»Er hat sich wohl gehütet, gnädiger Monsieur. Er näherte sich mir im Gegenteil und sagte: ›Dein Monsieur bedarf seiner Freiheit in diesem Augenblick, ich nicht, da er alles weiß und ich nichts. Man wird glauben, er sei verhaftet, und dadurch gewinnt er Zeit. In drei Tagen sage ich, wer ich bin, und dann muss man mich wohl gehen lassen.‹«
»Bravo, Athos! Edles Herz, daran erkenne ich ihn«, murmelte d’Artagnan. »Und was taten die Sbirren?«
»Vier haben ihn, ich weiß nicht, wohin, zur Bastille oder zum Fort-l’Evêque geführt, zwei sind mit den schwarzen Männern zurückgeblieben, welche alles durchsuchten und alle Papiere in Beschlag nahmen. Während dieser Expedition hielten die zwei letzten Wache vor der Tür. Sobald alles zu Ende gebracht war, zogen sie ab und ließen das Haus leer und offen.«
»Und Porthos und Aramis?«
»Ich fand sie nicht, sie kamen nicht.«
»Aber sie können jeden Augenblick kommen, denn du hast ihnen doch sagen lassen, dass ich sie erwarte?«
»Ja, gnädiger Monsieur.«
»Gut, geh nicht von der Stelle. Wenn sie kommen, sage ihnen, was mir begegnet ist. Sie mögen mich in der Herberge Zum Fichtenapfel erwarten. Hier ist Gefahr, das Haus kann bespitzelt werden. Ich laufe zu Monsieur de Tréville, um ihm alles mitzuteilen, und kehre dann zu ihnen zurück.«
»Ganz wohl, gnädiger Monsieur«, sprach Planchet.
»Aber du bleibst. Du hast keine Furcht?«, sagte d’Artagnan, noch einmal zurückkehrend, um seinem Diener Mut einzuschärfen.
»Seid ruhig«, erwiderte Planchet, »Ihr kennt mich noch nicht. Ich bin mutig, wenn ich einmal anfange. Ich brauche nur anzufangen. Außerdem bin ich ein Picarde.«
»Abgemacht also«, sagte d’Artagnan. »Du lässt dich eher töten, als dass du von deinem Posten weichst.«
»Ja, Monsieur, es gibt nichts, was ich nicht tun würde, um Euch meine Anhänglichkeit zu beweisen.«
»Gut«, sprach d’Artagnan zu sich selbst, »die Methode, welche ich bei diesem Burschen in Anwendung gebracht habe, scheint offenbar gut zu sein. Ich werde bei Gelegenheit weiteren Gebrauch davon machen.«
Mit der ganzen Geschwindigkeit seiner, durch die verschiedenen Märsche dieses Tages bereits etwas ermüdeten Beine lief d’Artagnan zur Rue du Colombier.
Monsieur de Tréville war nicht zu Hause. Seine Kompanie hatte die Wache im Louvre; er war bei seiner Kompanie.
Man musste notwendig zu Monsieur de Tréville gelangen. Es war sehr wichtig, ihn von allen Vorgängen in Kenntnis zu setzen. D’Artagnan beschloss, den Versuch zu machen, ob er in den Louvre könnte. Seine Uniform als Gardist von der Kompanie des Monsieur des Essarts sollte ihm als Pass dienen.
Er ging also durch die Rue des Petits-Augustins hinab und am Kai hinauf, um den Pont Neuf zu erreichen. Einen Augenblick kam ihm der Gedanke, in der Fähre über den Fluss zu setzen. Als er aber am Rand des Wassers stand, steckte er mechanisch die Hand in die Tasche und bemerkte, dass er kein Geld bei sich hatte, um den Fährmann zu bezahlen.
In dem Augenblick, wo er auf die Höhe der Rue Guenegaud gelangte, sah er aus der Rue Dauphine eine aus zwei Personen bestehende Gruppe hervorkommen, deren Erscheinung ihn sehr in Erstaunen setzte.
Die zwei Personen, welche die Gruppe bildeten, waren ein Mann und eine Frau.
Die Frau hatte die Gestalt der Frau Bonacieux, und der Mann war Aramis zum Täuschen ähnlich.
Die Frau trug überdies den schwarzen Mantel, dessen Umrisse d’Artagnan noch auf dem Laden der Rue Vaugirard und an der Tür der Rue de la Harpe vor sich sah.
Noch mehr, der Mann trug die Musketieruniform.
Die Mantelkappe der Frau war vorgeschlagen. Der Mann hielt ein Sacktuch vor sein Gesicht. Beide hatten, wie diese Vorsicht bewies, ein Interesse dabei, nicht erkannt zu werden.
Sie schlugen den Weg zur Brücke ein. Es war auch d’Artagnans Weg, da sich dieser zum Louvre begab. D’Artagnan folgte ihnen. Kaum hatte er aber zwanzig Schritte gemacht, als er überzeugt war, dass diese Frau nur Frau Bonacieux, dieser Mann nur Aramis sein könne.
Sogleich regte sich der ganze Argwohn der Eifersucht in seinem bewegten Herzen.
Er glaubte sich doppelt verraten: von seinem Freunde und von derjenigen, welche er bereits wie eine Geliebte liebte. Frau Bonacieux hatte ihm bei allen Göttern geschworen, sie kenne Aramis nicht, und eine Viertelstunde nach diesem Schwur findet er sie am Arme von Aramis.
D’Artagnan bedachte nicht einmal, dass er die hübsche Frau erst seit drei Stunden kannte, dass sie ihm zu nichts verpflichtet war, als zu einiger Dankbarkeit für ihre Rettung aus den Händen der schwarzen Männer, und dass sie ihm gar nichts versprochen hatte. Er betrachtete sie als einen beleidigten, verachteten, verspotteten Liebhaber. Das Blut und der Zorn stiegen ihm ins Gesicht, und er beschloss, sich Aufklärung über alles zu verschaffen.
Die junge Frau und der junge Mann bemerkten, dass man ihnen folgte, und verdoppelten ihre Schritte.
D’Artagnan lief schneller, überholte sie und drehte sich gegen sie in dem Augenblick um, wo sie sich vor der Samaritaine befanden, welche durch eine Laterne beleuchtet wurde, die ihr Licht über diesen Teil der Brücke verbreitete.
D’Artagnan blieb vor ihnen stehen und sie standen vor ihm stille.
»Was wollt Ihr, Monsieur?«, fragte der Musketier, einen Schritt zurückweichend und mit einer fremdartigen Betonung, woraus d’Artagnan ersah, dass er sich in einem Teil seiner Vermutung getäuscht habe.
»Das ist nicht Aramis«, rief er.
»Nein, Monsieur, es ist nicht Aramis, und da ich aus Eurem Ausruf erkenne, dass Ihr mich für einen anderen gehalten habt, so vergebe ich Euch.«
»Ihr vergebt mir!«, rief d’Artagnan.
»Ja«, erwiderte der Unbekannte, »lasst mich meines Wegs ziehen, da Ihr mit mir nichts zu schaffen habt.«
»Ihr habt recht, Monsieur, ich habe mit Euch nichts zu tun, wohl aber mit dieser Frau.«
»Mit dieser Frau! Ihr kennt sie nicht«, sprach der Fremde.
»Ihr täuscht Euch, Monsieur, ich kenne sie.«
»Ah!«, sagte Frau Bonacieux mit einem Ton des Vorwurfs, »ah, Monsieur, ich hatte Euer Ehrenwort als Militär und Edelmann und glaubte darauf zählen zu dürfen.«
»Und Ihr, Madame«, erwiderte d’Artagnan verlegen, »Ihr habt mir versprochen …«
»Nehmt meinen Arm, Madame«, sprach der Fremde, »wir wollen weitergehen.«
Betäubt, niedergebeugt, vernichtet durch alles, was ihm begegnete, blieb d’Artagnan indessen mit gekreuzten Armen vor dem Musketier und Frau Bonacieux stehen.
Der Musketier trat zwei Schritte vorwärts und suchte d’Artagnan mit der Hand auf die Seite zu schieben.
D’Artagnan sprang zurück und zog seinen Degen.
Zu gleicher Zeit und mit Blitzesschnelle zog der Unbekannte ebenfalls vom Leder.
»Im Namen des Himmels, Mylord«, rief Frau Bonacieux, sich zwischen die Kämpfenden werfend und nach dem Degen greifend.
»Mylord«, rief d’Artagnan, plötzlich durch einen Gedanken erleuchtet, »Mylord, um Vergebung. Gnädiger Monsieur, solltet Ihr es sein …«
»Mylord Herzog von Buckingham«, sagte Frau Bonacieux mit lauter Stimme, »und nun könnt Ihr uns alle ins Verderben stürzen.«
»Mylord und Madame, ich bitte um Vergebung, tausendmal um Vergebung; aber ich liebe, Mylord, und war eifersüchtig. Ihr wisst, was lieben heißt, Mylord. Vergebt mir und sagt mir, wie ich mich für Eure Herrlichkeit kann töten lassen?«
»Ihr seid ein braver junger Mann«, sprach Buckingham und reichte d’Artagnan eine Hand, die dieser ehrfurchtsvoll drückte. »Ihr bietet mir Eure Dienste, ich nehme sie an. Folgt mir auf zwanzig Schritte bis zum Louvre, und wenn uns jemand verfolgt, so tötet ihn.«
D’Artagnan nahm seinen bloßen Degen unter den Arm, ließ Frau Bonacieux und den Herzog zwanzig Schritte vorausgehen und folgte ihnen, bereit, die Anweisung des edlen und eleganten Ministers von Carl I. buchstäblich zu vollstrecken.
Glücklicherweise hatte der junge Mann keine Gelegenheit, dem Herzog diesen Beweis von Ergebenheit abzulegen, und die junge Frau und der hübsche Musketier erreichten die Pforte des Louvre an der Rue de l’Echelle, ohne belästigt zu werden.
D’Artagnan begab sich sogleich zur Schenke Zum Fichtenapfel, wo er Porthos und Aramis fand, die seiner harrten.
Er gab ihnen keine nähere Erklärung über die Störung, die er beiden verursacht hatte, sondern sagte nur, er habe die Angelegenheit, wobei er ihren Beistand einen Augenblick für notwendig erachtet hatte, allein abgemacht. Fortgerissen durch den Gang unserer Erzählung, wollen wir die drei Freunde nach Hause gehen lassen und dem Herzog mit seiner Führerin in die Gänge des Louvre folgen.