Archive

Die Gespenster – Zweiter Teil – Einundzwanzigste Erzählung

Die Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Zweiter Teil

Einundzwanzigste Erzählung

Das lichtscheue Nachtgespenst zu Quedlinburg

Der um die Naturlehre so verdiente verstorbene Prediger Götze zu Quedlinburg erzählt uns von einem höchst sonderbaren Gespenst, welches ihn in einer Oktobernacht zwar nicht in Angst und Schrecken, aber doch in Verwunderung und Erstaunen setzte.

Einst war ich – dies sind seine eigene Worte – bis spät in die Nacht damit beschäftigt, bei der Lampe das kleine seltene Wassertierchen, welches ich den Wasserbären genannt habe, unter dem Vergrößerungsglas anhaltend, und genau zu beobachten. Ich befand mich in einem Zimmer neben dem großen Saal mit Naturalien, dessen Tür allein aufstand. Alle übrigen Türen meiner Wohnung waren gehörig verschlossen, und weder Hund noch Katze konnten mich in meinen einsamen Betrachtungen stören.

Als ich nun so dastand und alle meine Sinne und Seelenkräfte auf den Wurm unter dem Vergrößerungsglas gerichtet hatte, ließ sich im erwähnten Saal eine dumpfe, heulende Stimme hören. Es war fast, als ob ein Unerfahrener ein paar Mal sachte in ein Horn bliese. Anfänglich achtete ich nicht darauf, sondern setzte meine Beobachtungen fort und war eben im Begriff, etwas niederzuschreiben, als sich die Stimme abermals hören ließ, die ich mit keiner bekannten Tierstimme vergleichen konnte. Ich zündete ein anderes Licht an und suchte im Saal nach, ob sich etwa dennoch eine Katze eingeschlichen hätte, mit deren Mauen, wenn sie eingesperrt ist, die Stimme wenigstens eine entfernte Ähnlichkeit hatte. Allein ich fand nichts, und es herrschte nun wieder überall eine wahre Totenstille.

Ruhig trat ich wieder vor meinen Tisch, frischte das Tröpfchen auf dem Schieber mit etwas Wasser an und freute mich, meinen kleinen, bald vertrockneten Bär wieder aufleben zu sehen In dem Augenblick unterbrach die rätselhafte Stimme meine Beschäftigung wiederum. Dieses Mal kam es mir vor, als säße das Ding dicht vor meiner Stubentür.

Verdrießlich nahm ich das Licht und suchte abermals nach, ohne etwas zu finden. Um nachher desto ruhiger und ungestörter in meinen Betrachtungen fortfahren zu können, blieb ich einige Zeit mit dem Licht im Saal, um es abzuwarten; sah und hörte aber nichts. Kaum war ich in die Stube getreten, so heulte es wieder hinter mich her. Ich eilte gleich zurück, setzte mich abermals hin und horchte auf das Genaueste, aber alles blieb still. Sobald ich wieder in der Stube war, heulte es von Neuem.

Ich bitte meine Leser, sich hier zu prüfen, was sie getan haben würden oder auf was für Gedanken sie gekommen sein würden, dieses Rätsel zu lösen.

Beinahe eine Stunde hatte mich das bereits zum Besten gehabt, sodass ich mich genötigt sah, mein Vergrößerungsglas einzupacken, jedoch nicht aus Gespensterfurcht, sondern um die Sache zu erforschen, koste es, was es wolle. Einem anderen würden vielleicht die Haare zu Berge gestiegen sein.

In der Tat war auch die ganze Sache gespensterartiger Natur und gewann durch die vereinigten Umstände im hohen Grad ein spukhaftes Ansehen. Das Zimmer, worin ich mich befand, grenzte an den Kirchhof. Kaum sechs Schritte vom Fenster war unter den Ruhestätten manches Verstorbenen noch ein ganz frischer Grabhügel. Um mich Einsamen her herrschte außer den grausenvollen Tönen des Gespenstes eine feierliche Stille, denn alle meine Hausgenossen lagen bereits im ersten tiefen Schlaf. Der Nachtwächter hatte die Stunde der Gespenster angezeigt. Ich sah zu einem der Kirchhoffenster hinaus. Mitternächtliche Finsternis deckte die Natur. Ich verweilte einen Augenblick. Ein verlassenes Käuzchen ließ seine melancholische Stimme hören.

Ja, ich wiederhole es, manchem in meiner Lage würde in diesem Augenblick die Haut gegrauset haben. Er würde schon hunderterlei schreckliche Gestalten gesehen und geschworen haben, es sei ein Gespenst, das ihn äffe. Vielleicht hätte er sich geschwind zu Bett verfügt und den anderen Morgen es sich nicht ausreden lassen, dass irgend ein unsichtbares Nachtgespenst sein schalkhaftes Spiel mit ihm gehabt habe.

Nichts von dem allen kam in meine Gedanken. Ich glaubte fest, es sei irgendein Tier in der Nachbarschaft, das diesen Ton von sich gäbe, der mir nur wegen der Stille der Nacht so nahe und wegen der ungewöhnlichen Zeit und Umstände so grausenerregend vorkäme. Nur war mir die Stimme unbekannt. Auch wusste ich nicht, dass sie so ganz nah bei mir war.

Kaum hatte ich mein Beobachtungswerkzeug über die Seite gebracht, so hörte ich die Stimme abermals. Endlich machte ich nun den allerdings richtigen Schluss: Da du so oft mit dem Licht im Saal gewesen bist und nichts gehört hast, so muss es ein Tier sein, welches das Licht scheut und still ist, wenn es Licht sieht. Du wirst also das Licht in der Stube stehen lassen und im Finstern in den Saal laufen müssen.

Nur einige Minuten hatte ich so gesessen, als sich das Ding lebhaft und mit einer wirklich graulichen Stimme hören ließ. Ich merkte offenbar, dass es am Fenster zum Hofe zu war. Ich schlich zu dieser Gegend und hörte es nun dicht neben mir schreien.

Wer war nun dies sonderbare Gespenst, das mich einige Stunden beunruhigt hatte? Es war ein großer Frosch, den ich an demselben Tag zu einigen Versuchen in ein Zuckerglas mit Wasser gesetzt hatte.

Es fiel mir gar nicht ein, dass dieses Tier da stand und diesen Laut, der in der Stille der Nacht sonderbar genug klang, verursacht haben könne. Ging es aber mir so, was würden vollends Leute, in deren Köpfen es am hellen Tag spukt und die so leicht eine Mücke für einen Elefanten ansehen, aus diesem Dianenkind gemacht haben? Wüsste man bei vermeinten Gespenstergeschichten jedes Mal die näheren Umstände genau: Gewiss, es würde sich zeigen, dass auch die Allerfürchterlichsten durch natürliche Zufälligkeiten veranlasst werden, und dass diese Letzteren nicht selten höchst unbedeutend sind.