Gold Band 3 – Kapitel 3.1
Friedrich Gerstäcker
Gold Band 3
Ein kalifornisches Lebensbild aus dem Jahre 1849
Kapitel 3.1
Mr. Smith
Das kleine Minenstädtchen Golden Bottom, in welchem die County Court dieses Distrikts gehalten wurde und in dessen Nähe sich eine große Zahl von Amerikanern niedergelassen hatte, lag nicht sehr entfernt vom Paradies und eigentlich nur durch einen breiten Bergrücken, der zugleich die Wasser des Calaveres und Stanislaus schied, von ihm getrennt. Trotzdem führte kein wirklicher Fahrweg hinüber. Die Lastwagen, die, von Stieren gezogen, von einem Ort zum anderen hinüber wollten, mussten sich, wie das eben am Besten ging, ihre Bahn selber durch den Wald suchen und dabei häufig mit der Axt erst Bahn durch Busch und Strauchwerk hauen. Ein Reitpfad lief aber in ziemlich gerader Richtung an einem der Tributarien des Teufelswassers hinauf und überschritt den scheidenden Bergrücken in einem sogenannten low gap oder an einer niederen Stelle des Sattels, von wo aus dann ein grasiger, wenig bewaldeter Hang in das andere Tal hinabführt. An diesem Tributar des Teufelswassers, an dem sich noch nicht ein einziger Goldwäscher niedergelassen hatte, arbeiteten seit einigen Tagen erst zwei Deutsche, und zwar Bekannte von uns: jener junge Graf Beckdorf und sein Compagnon Fischer, die Ufer des kleinen freundlichen Baches dort einmal ordentlich zu durchsuchen, ob sie nicht vielleicht ebenso goldhaltig wären, wie manche der anderen benachbarten Gewässer.
Der Platz lag übrigens ein wenig entfernt vom Lager selber. Um nicht zu viel Zeit mit Hin- und Hergehen zu verlieren, hatten sie sich ihr Frühstück gleich mit hinausgenommen, es draußen im freien Wald zu verzehren. Ob sie nun Gold genug hier fanden, die daran gewandte Mühe und Arbeit zu bezahlen, blieb noch ungewiss. Heute Morgen wollten sie das erst in dem schon niedergegrabenen Loch erproben. Ein reizenderes, heimlicheres Plätzchen hätten sie sich aber nicht auf der weiten Welt zu ihrer Arbeit aussuchen können. Rings um sie her streckten jene herrlichen Zedern und Kiefern die riesigen, vollkommen glatten Schäfte himmelhoch empor, weit oben einen grünen Dom von festverschlungenen Zweigen bildend, der nur hier und da einem einzelnen Sonnenstrahl gestattete, sich in dem unten vor übermurmelnden Bach zu spiegeln. Tausend Blumen und Blüten deckten trotzdem das ganze Uferbett, schimmerten und glühten in den lebendigsten herrlichsten Farben.
Des Baches Ufer selber war von einer ordentlichen Girlande grellroten Löwenmauls dicht eingefasst, aus dem nur hier und da ein kleines Bukett hellblauer Vergissmeinnicht ähnlicher Blumen hervorschimmerte, während zwischen dem Karmoisinrot, Blau und Violett der verschiedenartigsten Blüten überall die zierlichsten hochgelben Sternblumen ihre Köpfchen vorstreckten.
Über das Wasser aber wölbten sich schlankstangige Haselstauden, die für den Herbst eine reiche Ernte versprachen. Wilde Kirschbäume, dunkle Tarusbüsche mit ihren rosenroten süßen Beeren und ein feines, außerordentlich zartes Schilfgras streckte dazwischen die langen zierlichen Halme hoch empor.
Dem Goldwäscher ist freilich, in Verfolgung seines Zieles, nichts heilig, und wenn es die Natur mit ihren höchsten Reizen übergossen hätte. Der Busch, der ihm im Wege steht, und wenn er die duftigsten Blüten, die süßesten Früchte trüge, muss fallen. Die prachtvollste Zeder, unter deren Wurzel er eingeschwemmte Körner vermutet, trifft seine Axt. Blumen und Blüten schlägt die erbarmungslose Spitzhacke in den Boden hinein oder deckt der Spaten mit der ausgeworfenen Erde. Was sind auch Blumen und Blüten! Ja, sie haben Farbe und Duft, aber kein Gewicht. Sie lassen sich nicht verwerten, deshalb mögen sie eben duften und blühen, wo sie gerade nicht im Wege sind.
Auch unsere beiden Freunde hatten schon arge Verwüstung unter dem Blumenflor des Tales angerichtet und einen hässlichen Streifen braunroter Erde in den roten Blütenstreif gerissen, der das freundliche Ufer an beiden Seiten begrenzte. Aber trotzdem, dass der früher so klare murmelnde Bach, jetzt die gelbrote hineingeworfene Erde mit sich führend, trübe und schlammig zu Tal lief, saßen sie eben sehr vergnügt mit ihrer Arbeit, die sie am Morgen schon fertiggebracht hatten, zwischen den von ihren Händen ausgesäten Trümmern und verzehrten ihr mitgebrachtes Frühstück, nach diesem die schon am Bach aufgestellte Waschmaschine zu versuchen und dabei zu sehen, ob sich die bisher getane Arbeit lohnen würde.
Von den Vorgängen in der Flat wussten sie kein Wort, hätten auch hier, so weit in den Hügeln drin, kaum einen Schuss von dort herüber hören können. Dass sich die Mexikaner gestern Abend zusammengerottet hatten, konnte ihnen allerdings nicht entgangen sein. Sie glaubten aber, es sei nur geschehen, um die Minen gemeinschaftlich zu verlassen und andere Plätze aufzusuchen, wo sie von den Amerikanern nicht so sehr belästigt würden, und der Taxe besser aus dem Wege gehen konnten. Zu ihrem Erstaunen sahen sie indes die Indianer heute Morgen in ganz ungewohnter Bewegung. Mehrere Trupps derselben hatten schon das Tal gekreuzt, ohne sie jedoch auch nur im Geringsten zu belästigen.
Eben jetzt, wie sie behaglich in dem weichen Gras, mit ihren Lebensmitteln zwischen sich, ausgestreckt lagen, prasselte es da plötzlich dicht unter ihnen in den Büschen, dass beide erschreckt emporfuhren. Im selben Moment brach aber auch ein einzelner Indianer, den Köcher, der aus einem abgestreiften Fuchsbalg bestand und den Bogen in einer Hand haltend, daraus hervor, und sprang nicht zwei Schritte von ihnen entfernt, an der Stelle, wo sie lagen, vorbei. So überraschend mochte ihm dabei selber die Nähe der hier nicht vermuteten Weißen sein, dass er, als er sie bemerkte, erschreckt einen weiten Satz zur Seite machte. Mit einem Blick hatte er aber auch erkannt, dass er von den beiden Leuten nichts zu fürchten habe. Ihnen nur ein flüchtiges Walle Walle zurufend, sprang er den dort ziemlich steilen Hang in vollem Lauf empor, wo er, ohne nur ein einziges Mal innezuhalten und Atem zu schöpfen, kaum drei Minuten später im dichten Holz der Waldung verschwand.
»Was diese Burschen für eine Lunge haben müssen«, sagte lachend Graf Beckdorf, indem er die in der ersten Überraschung aufgegriffene Brechstange wieder neben sich niederwarf. »Ich glaubte übrigens Wunder, wer da angekrochen kam.«
»Hol’s der Henker, ich dachte es wäre ein Grizzly, der uns einen Besuch abstatten wollte«, gab Fischer lachend von sich. »Es ist mir ordentlich ganz eiskalt über den Rücken heruntergelaufen. Mit derartigen Bestien ist gerade nicht zu spaßen.«
»Was die Rothhaut nur so zu laufen hatte? Er ist übrigens soviel vor uns erschrocken, wie wir vor ihm – hahaha, wenn er noch einen Schritt weiter rechts sprang, wäre er in das ausgeworfene Loch hinuntergepoltert.«
»Ich weiß überhaupt nicht«, sagte Fischer, »was die braunen Burschen heute Morgen im Wind haben. Irgendetwas ist aber los, und ich wollte doch, wir hätten unsere Gewehre oder wenigstens Ihre Pistolen mitgenommen, sie uns im Fall der Not vom Leibe zu halten.«
»Bah,« entgegnete Beckdorf, »wir haben von ihnen nichts zu fürchten, und ich bin oft ganz allein und unbewaffnet in ihren Lagern gewesen.«
»Nun, mit den Amerikanern wollen sie doch nicht viel zu tun haben?«
»Nein, aber sie wissen auch recht gut einen Unterschied zwischen Amerikanern und Fremden zu machen. Mit den Alemanes gehen sie am Liebsten um, weil ihnen von denen am seltensten ein Unrecht geschieht. Ich glaube nicht, dass es einen gutmütigeren wilden Volksstamm in der Welt gibt wie diese Burschen.«
»Und doch sollen sie alle Augenblicke Amerikaner überfallen haben.«
»Und wenn sie es täten, wer in der Welt könnte es ihnen verdenken. Plötzlicher und mit weniger Grund ist noch nie eine indianische Nation vertrieben, misshandelt und vernichtet worden, seit Cortez’ und Pizarros Zeiten wenigstens. In allen anderen Ländern der Welt wurde doch wenigstens eine Form beachtet, und das Land ihnen, wenn auch um Spielereien, doch abgekauft. Hier aber treibt man sie gerade so rücksichtslos von allem, was bisher ihr rechtliches Eigentum war, fort, wie man bei uns die Sperlinge aus einem Feld scheuchen würde.«
»Ja, und wir helfen mit«, sprach Fischer, »denn auf dieser Stelle hätte eben jener Indianer, wenn wir hier nicht seit zwei Tagen gehackt und spektakelt hätten, vielleicht einen Hirsch schießen und einen Sonntagsbraten für seine ganze Familie haben können.«
»Wenn er so fortrennt, fängt er sich vielleicht einen im Laufen«, sagte Beckdorf. »Was können wir aber tun? Wären wir nicht hergekommen, säßen heute oder morgen jedenfalls andere hier, und das Resultat bleibt doch immer dasselbe. Diese Goldgruben fressen sich tiefer und tiefer in das Land hinein, und die Indianer werden mit jedem Tag, mit jeder Stunde höher in die Schneeberge hinaufgetrieben. Ob sie sich dort oben am Leben erhalten können oder nicht, ist den Amerikanern gleichgültig. Sie sollen sterben, wenn sie nichts Besseres zu tun wissen.«
»Wenn sie das Land bebauen wollten, könnten sie aber in Frieden leben«, meinte Fischer, »und niemand würde sie belästigen. Ja ich bin überzeugt, dass die Vereinigten Staaten ihnen darin jede nur mögliche Unterstützung angedeihen ließen.«
»Der alte Unsinn«, sagte Beckdorf, »den sich die Professoren in den Städten ausbrüten. Es ist gerade so, als ob ich dem Fuchs Vorwürfe mache, dass er ein Fuchs ist, und von ihm verlange, er solle sich bei einem Schäfer als Schäferhund vermieten. Gott hat die Leute so erschaffen, wie sie sind, und ihnen das Land zum Aufenthalt gegeben. Wir können unser Verfahren, sie daraus zu vertreiben, nicht einmal mit der Entschuldigung beschönigen, dass wir ihnen das Land nur nehmen, um sie zu zivilisieren, denn es hat kein Mensch Zeit oder Lust dazu, sich damit abzugeben. Aber das ist eine alte, schon hundertmal besprochene und sehr nutzlose, für die Indianer freilich auch sehr traurige Geschichte. Den einzigen Trost haben sie in Kalifornien, dass ihnen das Blut nicht wie in anderen Ländern tropfenweise abgezapft wird, sondern dass ihnen hier kaum soviel Jahre, wie ihren Leidensgefährten Jahrzehnte gegeben werden, sich einander zu begraben.«
Fischer hatte eine Weile nachdenkend vor sich niedergesehen, seine nächste Frage aber bewies, wie wenig er sich das Schicksal der eben besprochenen Indianer zu Herzen nahm.
»Ich bin merkwürdig neugierig«, sagte er, »ob wir was Gescheites finden werden. Der Boden sieht gut aus, und dass schon in dem oberen Ton ein paar Körner steckten, ist ein vortreffliches Zeichen.«
Beckdorf lächelte still vor sich hin.
»Es ist doch ein wunderliches Leben, was wir hier führen«, rief er endlich, »und ich gäbe etwas darum, wenn sie uns daheim einmal so zusammensitzen sehen könnten oder zuschauen, wie wir im Schweiß unseres Angesichts den Boden aufwühlen, ein paar Körner des gelben Metalls herauszuwaschen. Manchmal kommt es mir bei Gott so vor, als ob ich nur im Traum so arbeite.«
»Ich danke schön«, sagte Fischer, »wenn ich auch noch im Traum so hacken und graben sollte und Erde schleppen und alte wacklige Maschinen schütteln, da könnte der Böse dieses Leben holen, sobald er Lust hätte. Dass es uns übrigens ziemlich sonderbar vorkommt, ist eben kein Wunder, denn wir sind es wohl beide früher anders gewohnt gewesen.«
»Aber hübsch ist es doch«, rief da Beckdorf aus, »hol es der Böse, nicht um alles in der Welt möchte ich die Zeit ungeschehen machen, die ich hier schon, wenn auch oft nutzlos, in dem harten Boden herumgehackt und gewühlt, wie ein wahnsinniger Maulwurf. Der wunderschöne Wald, die freie herrliche Luft, die Arbeit selber mit ihrer tüchtigen Bewegung.«
»Arm ausrenken«, sagte Fischer.
»Was tut es – wo sich der Körper so kräftigt, bleibt auch der Geist frisch, und für mich selber hätte ich keine bessere Lehrzeit wünschen können.«
»Na, wenn Sie dies als Lehrzeit betrachten«, sagte Fischer, »dann wünsche ich, dass Sie diesen Morgen da in dem Loche drin Ihr Gesellenstück machen und einen tüchtigen faustdicken Klumpen herauspuddeln. Gebrauchen könnten wir ihn jedenfalls, denn wenn wir nicht bald etwas Ordentliches finden, sieht es mit unserem Kassenbestand erbärmlich dünn aus.«
»Bah, was tut es«, sagte Beckdorf, »unseren Lebensunterhalt gewinnen wir immer.«
»So? Danke Ihnen, damit bin ich aber wenigstens nicht zufrieden«, rief sein Compagnon, »denn meine Absicht ist, mir hier ein kleines Kapital zusammenzuschlagen, etwas damit beginnen zu können.«
»Dann rate ich Ihnen, lieber gleich etwas zu beginnen ohne Kapital und die schöne Zeit nicht durch senkrechte Lochgraberei zu vergeuden. Glauben Sie ernstlich, dass wir je etwas Gescheides an Goldwert finden, unsere Mühe zu bezahlen?«
»Und glauben Sie das nicht?«
»Nein«, sprach der junge Mann.
»Ja, weshalb um Gotteswillen graben Sie denn da?«, fragte ihn Fischer erstaunt. »Weshalb sind Sie überhaupt nach Kalifornien gekommen?«
»Allerdings in der Hoffnung«, sagte der junge Graf, »ja, eigentlich mit der festen Überzeugung, mir hier in kurzer Zeit ein bedeutendes Vermögen zusammenzuschlagen. Tausende sind in derselben Absicht herübergekommen. Ich wollte unabhängig von meiner Familie in Deutschland werden. Diese schönen Fantasien haben sich aber schon nach den ersten vier Wochen gründlich verloren, und ich bin jetzt so gebessert worden, dass ich gar nichts mehr erwarte. Finde ich dann wirklich etwas – denn dass wir unseren Tagelohn herausschlagen, ist eben kein Kunststück, und deshalb möchte ich keine Spitzhacke auch nur aufheben – desto besser – dann betrachte ich es als wirklich gefunden und kann mich darüber freuen.«
»Mit diesen Grundsätzen müssen Sie ein äußerst glückliches Leben in Kalifornien führen«, sagte Fischer, »aber genau genommen, befinde ich mich auch so wohl genug. Wir müssen zwar unseren Zwieback und Käse vom Boden essen. Kleider haben wir ebenfalls nur notdürftig, und nachts schlafen wir auf einer höchst mittelmäßigen Matratze, von einer Legion Flöhe gequält. Aber weiß in diesen Bergen auch wohl ein Mensch, was Sorgen sind? Kümmert man sich auch nur so viel um den nächsten Tag, ausgenommen, dass man hofft, einen Schatz zu finden? Nein, solange ein Goldwäscher gesund bleibt – und wie ein Mensch in der Luft krank werden könnte, weiß ich gar nicht – so lange befindet er sich auch glücklich. Wenn ich wohl glaube, dass ich dies Leben einmal satt bekommen könnte, so wird mir die Erinnerung daran doch immer eine ganz liebe bleiben. Jetzt aber wieder an die Arbeit. Donnerwetter, wir liegen hier, als ob wir vornehme Herren wären und uns nur eben überlegten, womit wir die Zeit am besten totschlagen könnten.«
»Und sind wir das nicht?«, prustete Beckdorf los. »Wer hat uns etwas zu befehlen? Wer uns vorzuschreiben? Wir sind freie Menschen, und bei Gott, lieber Fischer, die sogenannten vornehmen Herren können das gewöhnlich gerade am wenigsten von sich sagen. Je weniger der Mensch abhängig von seinen Mitmenschen ist, desto freier, desto vornehmer – oder aus der Masse hervorgenommen, ist er, und das als Norm aufgestellt, sind wir beide souveräne Fürsten. Aber jetzt wieder an die Arbeit, Sie haben recht, mich drängt es selber, zu sehen, was wir in der Grube finden werden.«