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Atlantis Teil 43

Die weiten Gesellschaftsräume des Kasinos in Monte Carlo erstrahlten in blendender Lichtfülle. Der große Maskenball war glänzender Abschluss der Saison. Von allen Teilen der Riviera traf man sich zum letzten Mal in zwangloser Freiheit, bevor die Gesellschaft sich in alle Winde zerstreute.

In einer Loge saßen Christie, Uhlenkort und Tredrup. Mit blitzendem Auge verfolgte Christie das frohe Leben und Treiben unten im Saal.

»Du hattest recht, Klaus«, wandte sich Uhlenkort zu Tredrup. »Dein Vorschlag, an der Riviera Station zu machen, war gut. Christie bedarf mehr der Zerstreuung als der Ruhe. Ihre Erlebnisse in den letzten Wochen waren zu viel für ihr schwaches Frauenherz. Tante Harlessen wird morgen kommen, bei ihr bleiben, bis sie sich erholt, bis sie zurückkommen kann in das Vaterhaus nach Hamburg.«

Er wandte sich wieder zu Christie.

»Ermüdet es dich nicht, Christie, dem bunten Treiben da unten so lange zuzusehen?«

»Nein, Walter, nicht im Geringsten. Ich fühle mich so wohl, so wohl wie selten. Immer Neues, immer Interessanteres bietet das frohe Bild da unten. Sieh da! Eine Mexikanerin tritt durch die Tür.« Sie klatschte leicht in die Hände. »Wie schön! Wie schön ist das Bild, das so viele Erinnerungen in mir lebendig macht. Dein Glas, Walter!«

Sie sah eine Weile hindurch, gab es ihm zurück.

»Sieh, Walter, das wunderbare Kostüm. Es ist echt bis in die kleinste Einzelheit. Ich verstehe mich nur zu gut darauf, trug ich es doch in meiner Jugend so häufig in Tejada.«

Uhlenkort nickte. »Bin zwar nicht ganz Sachverständiger, aber abgesehen von dem Kostüm sagt mir die Gestalt seiner Trägerin, dass in dem echten Kostüm eine echte Mexikanerin stecken muss Was meinst du, Tredrup? Warst doch lange genug da unten. Hab’ ich nicht recht?«

Tredrup gab keine Antwort. Als das Wort Mexikanerin von Christies Lippen kam, hatte er das Glas vor die Augen genommen, hinuntergeschaut, sie verfolgt, den Blick nicht zur Seite gewandt, als wäre nur die eine dort unten, die Mexikanerin.

»Ah! Jetzt tanzt sie!« rief Christie dazwischen. »Sieh nur, Walter, wie eine Feder schwebt sie am Arm ihres Partners. Und das feurige Temperament, das aus jeder Bewegung spricht! Du hast recht, sie ist eine Mexikanerin. So kann nur eine tanzen, die in Mexiko geboren ist.«

Beide beugten sich über den Logenrand. Das tanzende Paar hielt an, stand zu ihren Füßen.

»Wer mag sie sein?« fragte Christie. »Ein junges Mädchen, wie es scheint.«

Uhlenkort zuckte die Achseln. »Riviera … Monte Carlo … aus den entlegensten Teilen der Welt trifft hier die Menschheit zusammen …«

Er wollte weitersprechen, da nahm ihm Christie mit hastiger Bewegung das Glas aus der Hand, richtete es auf die Tänzerin, starrte sie an, als könnten sich ihre Augen nicht losreißen. Ihre Rechte fuhr zum Halsausschnitt, riss die kleine Goldmünze, die am dünnen Kettchen hing, aus dem Kleid.

Tredrups Hand mit dem Glas war herabgesunken, er starrte zu Christie hinüber wie einer, der Unheil erwartet.

Da unten im Saal trat die Tänzerin von neuem zum Tanz an, drehte sich langsam um den Partner.

»Elf!«, schrie Christie. »Elf Hidalgos, die goldene Kette an ihrem Hals!«

Das Glas aus Tredrups Hand fiel polternd zu Boden. Uhlenkort wandte sich nach links und rechts. »Was? Was ist euch? Was ist es mit elf?«

Tredrup war aufgesprungen und stand mit bebenden Lippen.

»Elf Hidalgos!«, rief Christie. »Zwölf waren es! Der zwölfte, hier!«

In höchster Erregung beugte sich Uhlenkort über Christie, ergriff ihre Hände, drückte sie an sein Herz.

»Christie! Was ist dir? Was willst du sagen? Elf Hidalgos?«

Die Logentür fiel hinter Tredrup ins Schloss Uhlenkort merkte es nicht. Christie war schwer atmend in den Sessel zurückgesunken.

»Lass uns gehen, Christie! Ich weiß nicht, was dich so erregte. Doch wo ist Tredrup? Was habt ihr gesehen? Die Tänzerin? Kennt ihr sie?«

Christie schüttelte den Kopf. »Ich kenne sie nicht, kenne nur den Schmuck, den sie trägt. Den Schmuck, den der stahl, der meinen Vater ermordete. Elf Hidalgos! Der zwölfte blieb in des Vaters Hand. Als Amulett trug ich ihn seit jenem Tag bis heute.«

Mit müder Bewegung erhob sie sich, legte ihren Arm in den Uhlenkorts. »Lass uns gehen!«

Im selben Augenblick, als sie aus der Loge traten, fiel auch auf der anderen Seite eine Logentür ins Schloss Eine hochgewachsene Männergestalt, eine leichte Seidenhalbmaske vor dem Gesicht, trat aus der Loge in den Umgang, ging die Treppe hinab zum Saal. Mit Mühe bahnte er sich einen Weg durch das Gedränge in den Raum, wo die Paare sich bewegten. Sein Auge suchte die Mexikanerin. Da tanzte sie am anderen Ende des Saales eben im Arm eines neuen Partners, eines einfachen Dominos. Er drängte sich in die vordersten Reihen, wo das Paar an ihm vorbeikommen musste.

Da sah er die Tänzerin zusammenzucken, das Paar stehenbleiben, im Gewühl der Zuschauer verschwinden. Rücksichtslos bahnte er sich ungeachtet der empörten Zurufe links und rechts einen Weg durch die Menge. Das Paar schien verschwunden zu sein. Er stürzte durch eine der Pforten, die in die Nebensäle führten. Da sah er das Paar am anderen Ende im Ausgang verschwinden. Jagend, fast stürzend, eilte er hinter ihm her. Immer wieder sperrten ihm die Massen den Weg. Die Tür zum Park war der letzte Ausgang des Raumes. Er stürzte hinaus. Vor ihm schritt das Paar, der Domino, die Mexikanerin.

Mit ein paar Sprüngen war er neben ihnen.

»Juanita!«

Die beiden standen still, wandten sich um. Der Domino riss die Maske vom Gesicht.

»Wer ruft?«

Da erkannte er in der hohen, schlanken Gestalt seinen Feind. Sein furchtbarer Faustschlag traf den anderen ins Gesicht. Der Getroffene taumelte zurück, seine Maske flog hinunter.

Die Mexikanerin schrie laut auf: »Klaus, was tust du?«

Klaus Tredrup stand mit geballten Fäusten wie in Erwartung, dass der andere sich zur Wehr setzte. »Schuft du! Guy Rouse, komm her!« Er schüttelte den Frauenarm von sich ab. »Heute gibt es Abrechnung zwischen uns beiden! Schuft du, Schurke!«

Die hagere Gestalt vor ihm drehte sich leicht zur Seite. Die Hand fuhr zur Tasche.

»Guy!« Juanita wollte sich zwischen die beiden stürzen. »Erst mich! Dann ihn!«

Da klang die schneidende Stimme Tredrups: »Wo ist der zwölfte Hidalgo, du Mörder?«

Rouse taumelte zurück. Es klirrte etwas am Boden, seine Hand fuhr zum Gesicht. Einen Augenblick stand er, die lange, hagere Gestalt zusammengekrümmt, das Gesicht abgewendet als sähe er eine Vision.

Dann plötzlich waren sie allein, Tredrup und Juanita.

»Juanita! Er ist fort, geflohen, der Feigling. Du!« Er riss sie an sich. Sein starker Arm presste sich um die schlanken Schultern, als wollte er sie zerbrechen.

»Du bist frei von ihm …«

 

*

 

War es ein Wahnsinniger, der, Verfolger hinter sich, durch die menschenleeren, dunklen Wege des Parks um das Kasino stürzte? Eine lange, hagere Gestalt im Abendanzug, wie ein gehetztes Wild durch die Anlagen stürmend. Stundenlang ging die sinnlose Flucht. Die Mondscheibe, durch die dunkle Wolkenbank brechend, verscheuchte das Dunkel. Fast taghell war plötzlich der Park. Mit jähem Ruck hielt er an. Stand im breit flutenden Licht des Nachtgestirns, schaute wirr um sich.

Die Brust keuchte unter rasenden Atemstößen. Eine Bank tauchte vor ihm auf. Er sank erschöpft darauf nieder. Seine Hand entnahm der Brusttasche ein Schächtelchen Beruhigungstabletten. Zwei Tabletten höchstens, hatte ihm der Arzt gesagt. Er nahm die doppelte Anzahl. Die Arme griffen nach hinten zu der Rückenlehne, umklammerten sie. Den Kopf weit zurückgebeugt, sog er die kühle Abendluft ein. Seine Züge entspannten sich allmählich, ein fast ruhiger Glanz trat in die Augen. Die klare Vernunft schien zurückzukehren. Eine leichte Falte bildete sich zwischen den Augen. Er zwang sich zu logischem Denken.

Monte Carlo? Wie kam er hierher? Von Santa Barbara, von Juanita. Zu ihr war er gestern gekommen. Froh hatte sie ihn begrüßt. Kaum noch Spuren der Krankheit. Er hatte sie in die Arme geschlossen, sie an sich gedrückt. Den letzten Anker. Vergessen wollte er an ihrer Seite alles, was er hinter sich gelassen hatte.

Sie waren spazieren gegangen. Das frohe, lustige Geplauder Juanitas, noch klang es in seinem Ohr.

»Morgen Abend ist Maskenball im Kasino. Willst du nicht mit mir dorthin gehen?«

Schmeichelnd hatte sie ihn gefragt. Er wollte die Bitte nicht abschlagen. Die erwachte Lebenslust Juanitas, ein günstiges Zeichen schien es.

Kostümieren! Tanzen! Juanita hatte weiter gebeten, er hatte gern zugestimmt.

Als es Zeit zum Aufbruch war, war er in Juanitas Zimmer getreten. Im mexikanischen Kostüm stand sie vor ihm. Die lachende, frohe Gestalt sich wiegend in den verführerischen Schritten des Fandangos. Wie ein bunter Schmetterling hatte sie sich, leise die Melodie des Tanzes summend, vor ihm gewiegt.

Seine Augen hatten das Bild verschlungen. In plötzlicher Eingebung war er aufgesprungen und hatte um Juanitas Nacken ein goldenes Halsband geschlungen.

Sie war vor den Spiegel getreten, hatte in die Hände geklatscht.

»So bin ich schön! Ein Halsband fehlte mir!«

Sie waren in den Wagen gestiegen, waren zum Kasino hinübergefahren. Von seiner Loge aus hatte er den Tanzenden zugeschaut. Seine Augen konnten sich nicht losreißen von ihrer Gestalt, weideten sich an dem Aufsehen, das die schöne junge Mexikanerin im ganzen Saal erregte.

Vergessen war alles, was er an Bord des Flugzeuges dachte. Juanita, du mein einziger, mein bester, mein letzter Besitz. Du an meiner Seite, noch einmal will ich es wagen, das Spiel um Reichtum und Macht!

Und dann! Seine Gedanken stockten. Was war dann geschehen? Er drückte die Hand vor die Augen, fand nicht den Faden, der weiterführte bis hierher. Wieder ein paar Tabletten! Er hielt das Schächtelchen vor die Augen. Das Wort ›Gift‹ stand darauf.

Er lachte. Und wen es den Tod gilt, ich muss es wissen, was dann geschah!

Wieder lehnte er sich zurück. Das beruhigende Gift tat seine Wirkung. Jetzt hatte er wieder den Faden. Ein Domino an Juanitas Seite. Die beiden gingen hinaus in den Park. Er war ihnen gefolgt, hatte sie erreicht.

»Juanita!«, hatte sein Mund geschrien. Da, er griff sich mit der Hand ans Herz, als könne er das rasende Pochen unterdrücken. Ein Schlag ins Gesicht von dem Mann an Juanitas Seite. Die Hand! Nicht das erste Mal war es, dass sie es wagte, in sein Leben einzugreifen. Die Hand! Er fuhr mit dem Taschentuch über die schweißbedeckte Stirn. Ins Gesicht hatte er ihn geschlagen vor den Augen Juanitas. Und er, er hatte den Schlag hingenommen. Hatte ihn ungesühnt gelassen. Wie war das möglich?

Er ein Schwächling? Ein Feigling? Er, Guy Rouse. Nein! Er war es nicht, war es nie gewesen. Die Pistole hielt er schon in seiner Hand, den anderen niederzuschießen. Da hatte dieser geschrien:

»Wo ist der zwölfte Hidalgo, du Mörder?«

Die Worte, das tiefste Geheimnis seines Lebens berührten sie. Er war zusammengezuckt, hatte hinübergestarrt. Da, er war zurückgetaumelt, ein anderer stand an dessen Stelle. Ein alter Mann mit dem bleichen Antlitz eines Toten, eine tiefe, blutige Wunde an der Schläfe.

Von Entsetzen gepackt, war er davongestürmt …

Er blickte auf die Uhr. Mitternacht. Stundenlang musste er im Park umhergeirrt sein. Er stand auf. Die Knie zitterten unter ihm, fast wäre er zurückgetaumelt.

Vorbei! Vorbei! Der letzte Anker gerissen. Ziellos, steuerlos trieb sein Schiff auf dem Weg vor ihm. Der Weg, kein anderer als der, den hier schon mancher ging, dem im Spielsaal das Geld geraubt.

Seine Hand fuhr unwillkürlich zur Brieftasche. Sie barg große Summen, gewaltige Werte. Alles, was er an Barem hatte zusammenraffen können.

Er zog sie heraus, überflog die Summe. Mitnehmen auf den Weg? Nein! Er brauchte sie nicht. Zur Henkersmahlzeit sollten sie dienen. Er lachte laut auf. Henkersmahlzeit am Spieltisch.

Gold war die Speise. Hier, wo Millionen rollten, wollte sein Auge sich noch einmal satt sehen an dem gleißenden Glanz des Goldes.

 

*

 

Der Spielsaal von Monte Carlo. Um die großen Roulettetische drängten sich die Spieler. Da war einer, der mit unerhörten Einsätzen pointierte. Das Spiel des Mannes va banque in jedem Zug!

Rouge et noir! Bald türmten sich Banknoten und Goldmünzen vor seinem Platz. Bald war der Turm verschwunden. Der Griff in die Brieftasche. Die Dollarnoten flatterten über den Tisch.

Faites votre jeux!

Das Spiel ging weiter. Von den Nebentischen her kamen die Spieler. Man umringte den einen.

Die Brieftasche war schmäler und schmäler geworden. Der Spieler am Ende! Mit grausamem Behagen warteten alle darauf.

Da! Eine neue Serie. Schlag auf Schlag. Das Glück schien ihm günstig. Die Scheine vor ihm häuften sich wieder zu Bergen.

Va banque! Der Spieler schob den Turm dem Croupier zu. Zählt sie!

»Faites votre jeux!« Der stereotype Ruf.

Die Kugel rollte im Roulette. Jetzt stand sie.

Gewonnen! Die Bank gesprengt!

Eine neue Bank. Dasselbe unerhörte Pointieren des Spielers … Die Bank wieder gesprengt … und wieder … wieder, bis der Spielsaal geschlossen werden sollte.

Ah, da standen sie alle, stierten auf den, der die Riesensumme ruhig entgegennahm. Der Glückliche, der König der Spieler.

Seit Menschengedenken war solcher Gewinn eines Spielers gegen die allmächtige Bank in deren Geschichte nicht vorgekommen. Millionen, viele Millionen! Alle Augen hingen an dem Sieger.

Milliardär?

Der erhob sich, ein kühles Lächeln auf dem blassen Gesicht, eine leichte Handbewegung wie dankend für den Beifall der Zuschauer. Er stand auf, drehte sich zum Gehen.

Eine Riesengestalt vertrat ihm den Weg, eine Faust klammerte sich an seine Brust.

»Wo ist Juanita?«

Der Schrei gellte durch den Raum. Der Spieler stand wie erstarrt. Seine Augen bohrten sich in das Gesicht des Gegners.

»Juanita? Was geht sie dich an?« Ein heiseres Lachen begleitete die Worte. »Such sie bei dem anderen!«

Sein Gegenüber verstand nicht! »Wo ist Juanita? Gib sie raus, du Schuft! Mein ist sie, der Preis, um den ich alles tat.«

Die Gesellschaft stand stumm, schaute auf die Szene. Ein paar Saaldiener eilten herbei, wollten sich dazwischenwerfen.

Da, ein kurzer Knall! Der Spieler sank um, die lange, hagere Gestalt schlug zu Boden. Die Kugel von James Smith hatte dem Leben von Guy Rouse ein Ende gesetzt.

 

*

 

Presse und Fernsehen der Welt hatten unerschöpflichen Stoff, den die Geschehnisse des einen Sommers lieferten. Der Erdball schien aus seinen Fugen gerissen, seine Bewohner Spielzeug für die geheimnisvolle Macht. Die Macht bestand. Nur wenige Zweifler gab es in der gelehrten Welt. Nach dem ersten Meinungsaustausch waren die angesehensten Fachgelehrten auf den Plan getreten.

Telenergetische Konzentration! Theoretisch bis zu den letzten Auswirkungen längst erkannt. Die Übertragung in die Praxis war noch immer nicht gelungen, gescheitert am Widerstand der letzten Hindernisse.

Allerorts in den Hörsälen, in der Presse und auf dem Bildschirm gaben sie ihre Meinung kund. Das letzte Geheimnis, von weiser Natur den Menschen für immer verschleiert, dem einen offenbart! In streng logischen Deduktionen bewiesen sie, dass hier durch höhere Fügung einem Menschen gegeben worden war, was aller Fleiß, aller Scharfsinn der Gelehrten der Welt nicht zu erzwingen vermochte. Ihre Worte verbreiteten sich mit der Schnelligkeit der Ätherwellen über alle Weltteile hin. Millionen ergriff die bange Angst. Die Taten der Macht: Menschenleben waren dabei zugrunde gegangen.

Der geheimnisvolle Meister, schritt er zu neuer Tat? Wurden wiederum Tausende sein Opfer? Das ganze Erdenrund sein Feld? Wo würde er zur neuen Tat schreiten! Wo würde das Schlachtfeld sein? Jeder Erdbebenstoß wurde mit Angst und Sorge empfunden. Was das sein Werk?

Die Bilder aus Europa, die eitel Jubel und Freude brachten, wurden kaum noch beachtet. Wohl gab es da und dort Stimmen, dass nur Gutes für die Menschheit aus den Taten der Macht entsprungen. Die Furcht blieb, die Furcht vor der Macht.

Es war der letzte Septembertag des Jahres, als die Nachricht über die Welt ging: Erdbebenstöße auf den Azoren. Die Bewohner flüchteten auf hohe See.

Beklommen, atemlos erwartete man weitere Nachrichten. War das wirklich nur ein einfaches Erdbeben, eine natürliche Bewegung der Erde, durch die unterirdischen Kräfte hervorgebracht, oder …

Da kam um die Mittagsstunde desselben Tages eine weitere Nachricht: Neue Erdbebenbewegungen im Gebiet der Azoren. Die Inseln Floreo und Miguel um acht Meter gehoben. Letzte Flucht. Ozeandampfer wurden durch Funk dorthin dirigiert, um die Fliehenden aufzunehmen.

Ein Schauer ging durch die Welt. Die Macht war am Werk … Welchem Werk galt es? Da war es die Stimme eines deutschen Gelehrten, der in den Streit um die Lösung des Rätsels das Wort warf: Atlantis!

Das Wort zündete, wurde sofort gierig aufgegriffen. Nichts anderes wussten die Zeitungen zu berichten als: Atlantis! Die Sage, wie sie Plato berichtet, der erste Hinweis auf das alte, dort versunkene Land der Glückseligen. Ältester Mythos aus grauer Vorzeit. Eine Sage schon, als die Weltgeschichte anhub.

Wie hatte es ausgesehen, das versunkene Land? Wer hatte es bewohnt? Tausend Fragen. Die Antworten: eine fantastischer als die andere, sich überschlagend. Wie würde es aussehen, wenn … wenn? … Ja! Was wollte da die geheimnisvolle Macht? Wollte sie das Versunkene heben, bis es dastand, wie es einst gewesen war? Und wie würde es aussehen, was dort auftauchte aus vieltausendjähriger Versunkenheit? Ein neues Pompeji … oder nur ein neues Vineta, wo nur noch wenige Reste, dem Schlick des Meeresgrundes entrissen, davon zeugten, dass die Stätte, wo man es vermutete, die richtige war?

Die andere Frage: Wie war es versunken? Wie war es geschehen, dass eine große Insel, ein Kontinent, wie andere behaupteten, die Brücke zwischen der Alten und der Neuen Welt, vom Meer verschlungen wurde? Ein neuer Streit der Meinungen.

Das eine war sicher. Als vor etwa zwei Millionen Jahren die große Kontinentalscholle auseinanderriss und die mächtige Sialscholle des losgerissenen Amerikas auf der plastisch zähen Simamasse unter dem steten Flutdruck ihre Wanderung nach Westen antrat, da blieben abgerissene Schollenfetzen, Grönland im Norden, Atlantis im Süden, als selbständige Inseln, Kontinente, zurück.

Grönland war noch heute auf der Wanderung nach Westen. Atlantis blieb verschwunden. Vielleicht bezeichneten die Azoren, die einst ragenden Berggipfel von Atlantis waren, jetzt noch die Stätte des versunkenen Landes. Vielleicht gab die Delphinbank seine Umrisse wieder.

Was war die Ursache der Katastrophe, die nach alter Überlieferung vor dreizehntausend Jahren jäh über das glückliche Land hereingebrochen sein musste? Schroff standen sich die Meinungen gegenüber wie schon vor hundert Jahren.

Die kippende Kraft der hier im tropischen Gebiet übermächtigen Flutwelle war die Ursache der Katastrophe nach der Meinung der einen. Der plastische Simauntergrund, vom wegtreibenden amerikanischen Kontinent gezerrt, die Atlantisscholle einsaugend in gigantischem Erdbeben, verschlingend, so lautete die Meinung der anderen. Eine dritte Meinung gab es noch, an die Apokalypse in der Bibel anknüpfend, dass ein Mondgestirn der Erde niederstürzend Atlantis begrub oder ein neu eingefangener Mond, die Erdachse aus ihrer Lage drängend, die Katastrophe durch stürzende Meeresfluten bedingte.

Keine Lösung, die befriedigen, sichere Antwort geben konnte auf das, was jetzt zu erwarten stand.

Ein Heer von Reportern kreiste in Flugzeugen über den Azoren … über der Stätte des alten Atlantis. Die Aufnahmekameras sendeten unaufhörlich Bilder von dort unten in alle Welt.

Stieg das Land weiter aus dem Meer? Ein Fiebertaumel hatte die ganze Welt ergriffen. Unaufhörlich kamen Meldungen und Bilder der Berichterstatter von den Azoren. Ihre Flugzeuge kreisten in immer größer werdendem Schwarm über dem Atlantik. Sie hielten sich niedrig, die Kamera so nahe wie möglich auf das Objekt gerichtet.

Sie sahen nicht das einsame Flugzeug, das hoch, weit über ihnen, an des Äthers Grenze, still in Riesenkreisen dahinzog.