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Jacob von Molay, der letzte Templer 36

Franz Theodor Wangenheim
Jacob von Molay, der letzte Templer
Dritter Teil
König Philipp
Verlag von Joh. Fr. Hammerich, Altona, 1838

Elftes Kapitel

Der Prevot von Paris hatte den Großmeister und den Dauphin von Auvergne wieder in ihr Gefängnis zurückgeführt.

Es war nachmittags 2 Uhr am elften Tag des Monats März des Jahres 1312, als man diesen beiden letzten übriggebliebenen Tempelherren die Todesnot verdoppelte. Beide waren nicht wiederzuerkennen gegen ehemals. Der Kerker hatte das seine getan in den langen Jahren. Vom rechten Arm fiel eine schwere Fessel herab, die der Eisenring am linken Fuß festhielt. Ärmlich war das Lager von Stroh mit dünnen Decken belegt. Die Speise, welche sie für zwölf Heller erhalten konnten, war nicht hinreichend, ihre Körper vor dem Abmagern zu bewahren. Des Großmeisters Aussehen war grauenerregend; verwildert das Haar, der Bart, welche seit so langen Jahren der Schere und des Messers entbehrt hatten; eingefallen die Augen, deren Glanz erloschen; seinen Zügen aufgeprägt die schreckliche Tünche der Reue, der Reue über Geständnisse, zu welchen ihn Folter und schmeichelnde Verlockung geführt hatten.

Und der Dauphin von Auvergne? Wohin war die Jugendkraft? Wohin die Mannesschöne? Wohin die herrliche Gestalt? Unglückselige, die Kerkerluft jahrelang atmen! Eure Kraft geht versiegen, die Kraft des Geistes und des Körpers. Euch erquickt kein Schlaf, denn mit dem Erwachen schwinden die lieblichen Bilder des Traumes. Im Vergleich mit ihnen, fühlt Ihr Euer Unglück doppelt. Unglücklicher, dem der Diener winkwillige Schar auf silbernen und goldenen Schüsseln und Gefäßen Speise und Trank dargereicht hat – ein irdener Napf, ein hölzerner Löffel; das stumm verächtliche Gesicht eines Kerkermeisters. Du würdest dein Unglück nicht so tief empfinden, wenn nicht der Diener winkwillige Schar die herrlichen Speisen, die köstlichen Weine auf silbernen Schüsseln in goldenen Gefäßen dir zugetragen. Hier ein Fürst unter Fürsten, durch Tapferkeit und Klugheit Großmeister des Tempelherrenordens; hier ein Prinz aus königlichem Geblüt, ein Dauphin von Auvergne und eben zurückgeführt aus dem Vorhof der Kirche Unserer lieben Frauen, zurückgeführt in den erbärmlichen Kerker und mit Ketten belastet. Ohne die beiden weiter vernommen zu haben, hatte man dahin entschieden, sie auf ihre Lebenszeit zwischen vier Mauern zu setzen. Furchtbares Schicksal, gegen welches ein Tod auf dem Scheiterhaufen Wollust ist! Abgeschieden vom Leben dem Tod entgegen zu weinen, welcher, wer weiß, wie spät erscheint. Der Wankelmut aber, dessen der Großmeister sich schuldig gemacht hatte, da er das tiefste Geheimnis des Ordens in Ausführung zu bringen gedachte, da er nach einer Krone von Jerusalem gerungen hatte, der Wankelmut war jetzt geschwunden. Überdies hatte man weder ihn noch den Dauphin mit der Folter verschont. Auch ihnen hatte man königliche Briefe vorgezeigt, mit Versprechungen aller Art, wenn sie die Verbrechen bestätigten, die zur Grundlage der Ausrottung des Ordens dienen sollten. Als sie aber das Schicksal der Brüder erfahren hatten, die als verhärtete Ketzer dem Feuertod überantwortet wurden, da schämten sich Jacob von Molay und der Dauphin jeglichen Eingeständnisses. Sie bereuten es sehr, zum Nachteil des Ordens das Mindeste ausgesagt zu haben. Sie fanden sich furchtbar enttäuscht, als der Kardinal von Alban und die verordneten Kommissarien das Gerüst im Vorhof der Kirche Unserer liehen Frauen bestiegen, man sie hinaufführte und das Urteil verlas, dass ein ewiger Kerker ihr Los sein sollte. Der Großmeister selbst unterbrach den Kardinal, trat an den Rand des Gerüstes, schüttelte wild die Ketten und verlangte Gehör vor dem versammelten Volk. Man durfte ihn nicht daran verhindern, denn im Volk war eine für den König sehr gefährliche Stimmung eingenistet. Fühlt man doch Mitleid mit dem verabscheuungswürdigsten Verbrecher, wenn er dem Henker überantwortet ist und so viel edle Herren, deren Glanz und Größe sich das Volk erinnerte, so viele gepriesene Männer, die mit bewunderungswürdiger Standhaftigkeit sich lieber dem Tod in die Arme warfen; die vor den Augen des Volkes unter Martern lieber den Geist aufgaben, ehe sie Geständnisse bestätigten, welche von ihnen die Folter erpresst hatte. Um wie viel mehr musste deren böses Geschick der Menge zu Herzen gehen. Niemand im Vorhof wagte den Großmeister am Sprechen zu hindern, den Atem selbst bannte man in die Brust zurück, um ihn zu hören. Er sprach für sich und den Dauphin, widerrief alles, was sie beide ausgesagt hatten. Durch die Marter und durch List seien sie dazu gezwungen und verführt worden. König und Papst hätten sie dazu verleitet. Alles, alles widerriefen sie vor dem versammelten Volk, der Orden sei rein und heilig. Sie aber wären bereit, diese einzige Wahrheit in dem großen Lug- und Truggewebe mit dem Tod zu besiegeln. Die Kommissarien erschraken ob dieses entschiedenen Widerrufs, der Kardinal bot alle Macht der Überredungskunst auf, damit sich die beiden demütigten, damit sie doch mindestens dem Feuertod entrinnen möchten, ja, er bot ihnen am Ende sogar die Freiheit an. Doch alles war vergebens, und man erkannte gar gut, dass man die beiden dem Auge des Volkes entziehen müsste. So waren sie wieder zurückgekommen in ihren Kerker. Hier stärkten sie einer den anderen mit allem Trost, der dem gläubigen Christen am Rand des Grabes zuteilwerden kann. Sie sahen ein, dass ihr Tod beschleunigt würde, denn so lange zwei so edle Häupter des Ordens am Leben waren, bestand der Orden noch. Das war auch König Philipps Meinung. Er versammelte seinen geheimen Rat auf der Stelle, doch kein Geistlicher wurde hinzugezogen. Willkürlicher als jemals ging man in dieser Sitzung zu Werke. Ohne Zeitverlust, befahl Philipp, solle man die beiden hinrichten, nicht anders als es bei denjenigen geschehen, welche als zurückgefallene, verhärtete Ketzer verdammt worden waren. Philipp selbst erteilte die Befehle zur Errichtung des Scheiterhaufens auf der Insel zwischen den Gärten und dem Augustiner-Kloster. Das Volk zu überraschen, wurden alles mit der größten Eile betrieben.

Es war 4 Uhr nachmittags. Kaum zwei Stunden lang ließ man den beiden Herren noch Frist zum Leben. Der Prevot von Paris führte sie auf die Insel. Der Scheiterhaufen war noch nicht vollendet. Des Königs zahlreiche Wachen vermochten nicht dem Andrang des Volkes zu wehren, doch ihre blanken Waffen drohten jedem, der sich nicht ruhig verhielte. Weder Kardinäle noch Bischöfe waren hier zu sehen, nur königliche Ritter umstanden den Scheiterhaufen. Ein Pfahl ragte hoch über die Scheite hinaus, zwei starke Eisenringe erblickte man etwa in Mannshöhe an demselben. Noch waren die Henker beschäftigt, den Raum zwischen den Scheiten, der einem Kessel glich, mit Kohlen anzufüllen; da mühten sich schon andere von ihnen, den Großmeister auf die Höhe des Scheiterhaufens zu bringen. Der König hatte ja die größte Eile anbefohlen. Jacob von Molars Glieder waren morsch geworden. Auch hier war er noch mit Ketten belastet und auch der Dauphin, der ihm nicht von der Seite wich. Dicht an drängte er sich an den Meister, dem die Kraft fehlte, allein die Todesstätte zu besteigen. Jetzt waren sie beide oben. Man hörte schon das Knistern der anbrennenden Kohlen.

Da erhob der Großmeister, laut wie ehemals, seine klangreiche Stimme: »Ihr Ritter und Herren um mich her und Ihr, Franzosen! Im Angesicht des Himmels und der Erde, mit den heiligsten Eiden der Religion erkläre und beschwöre ich, dass wir unschuldig sind an den Verbrechen, deren man uns beschuldigt! Dass der heilige Orden, welchem wir anzugehören die Ehre haben, derselben gleichfalls nicht schuldig sei; dass wir aber ein abscheuliches Verbrechen begangen haben, da wir durch unsere Aussagen uns und unseren Orden so abscheulicher Gottlosigkeit und Gräuel bezichtigt! Die Martern der Folter haben uns Geständnisse erpresst, welche wir auf Bitten des Papstes und des Königs nachher bestätigten; ein abscheuliches Verbrechen, welches mein Herz mit den lebhaftesten Schmerzen durchbohrt! Mit Schrecken trete ich nun hin vor meinen Gott und bitte ihn nun demütig um Verzeihung – Ha! Wenn ich doch dieses abscheuliche Verbrechen nicht begangen hätte! Könnte ich es büßen, Gott versöhnen, ich möchte eine noch grausamere Strafe erleiden! Der Feuertod, dem ich jetzt überantwortet bin – ich habe ihn verdient durch die ehrlose Aussage, die ich getan habe – Man bot mir das Leben an, die Freiheit, wenn ich meinen Widerruf zurücknehme. Was sollte mir ein Leben nützen, das ich durch ein zweites Verbrechen erhielte, welches mich noch strafbarer machen würde? Es würde mir verhasst sein, unerträglich!«

In dem Augenblick, da der Großmeister sich an den Dauphin wandte, um von ihm auf immer Abschied zu nehmen, wurden die beiden von den Henkern ergriffen, mit Übereile an den Pfahl geschleppt und mit starken Stricken daran festgeschnürt, die Hände gekreuzt vor der Brust und auch die Füße übereinandergeschlagen, dass sie nicht fähig waren, ein Glied zu rühren. Schon stieg der Qualm von den Kohlen auf, das Knistern derselben zeigte an, dass die Glut überhandgenommen hatte.

Da rief Jacob von Molay dem Dauphin zu: »Wir sterben, Freund, wir werden uns mit Gott versöhnen! Stirb freudig, Bruder! Wirf von dir die Trauer, denn jetzt sind wir frei!«

»Ich bin nicht traurig, Meister«, war des Dauphins Antwort. »Eure Worte sind ja auch die meinen: Der Dauphin von Auvergne wird keinem nachstehen, wo es auf Standhaftigkeit im Tod ankommt! Mich tröstet die Unschuld des Ordens.«

»Und das Verbrechen, welches wir mit unseren Aussagen begangen haben«, gab der Großmeister zurück, »geht in diesen Flammen unter!«

Das »Amen« der versammelten Menge schloss sich unmittelbar an die Worte des Großmeisters. Die Königlichen umher erkannten das Gefährliche ihrer Lage, wenn das Volk noch weiter gerührt würde. Mehrere von ihnen riefen den Henkern zu, dass sie die Scheite anzünden sollten. Mit Blitzesschnelle wurden die Befehle ausgeführt, die Flammen züngelten hier und da, doch jagte sie der brennbare Stoff, mit welchem man den Scheiterhaufen versehen hatte, bald zu einer einzigen Glut hinauf. Ein Feuermeer umwogte die beiden Opfer, nur ihre Köpfe waren noch zu sehen. Da drang des Großmeisters Stimme durch die Flammen.

»Clemens!«, tönte es wie eherner Posaunenton. »Clemens! Treuloser Papst! Ungerechter Richter und Henker! Dich lade ich vor Gottes Richterstuhl. Du wirst vor ihm erscheinen binnen vierzig Tagen! Und du, ungerechter, mörderischer König, du binnen Jahresfrist!«

Eines jeden Herz erbebte, denn einer solchen Stimme war kein Mensch fähig. Prophetisch, unentrinnbar hielt man des Großmeisters Mahnung in der Sterbestunde. Verwirrung und Schreck lagen auf allen Gesichtern. Eine grauenerregende Stille, nur vom Prasseln der Flammen unterbrochen, ließ das Sterbelied des Meisters und des Dauphins deutlich vernehmen. Nicht aber bis zu Ende sollten sie es singen. In ein dumpfes Gepolter ging es unter. Wo es eben noch hell aufflammte, da wirbelte ein erstickender Qualm vom eingestürzten Scheiterhaufen.