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Die Fahrten und Abenteuer des kleinen Jacob Fingerlang 24

Die Fahrten und Abenteuer des kleinen Jacob Fingerlang
Ein Märchen von Gotthold Kurz
Nürnberg, bei Gottlieb Bäumler 1837

Vierundzwanzigstes Kapitel

Wie Jacob mit seinem Freund Gottlieb wieder zusammentrifft

Welches Staunen, welche Freude von beiden Seiten! Welches Fragen hin und her unter den wiedervereinigten Freunden, die sich beide gegenseitig für tot gehalten hatten! Denn Jacob hatte auf alle Nachforschungen, die er in Holland wegen seines Gottliebs anstellte, keine weitere Auskunft erhalten können, als die, dass er sich auf einem Ostindienfahrer als Matrose habe anwerben lassen und wahrscheinlich mit dem Schiff untergegangen sei. Gottlieb war aber seinerseits nicht minder erstaunt, ihn, der vor seinen Augen einst vom grimmigen Kater auf Tod und Leben verfolgt worden war, hier aus dem Haifisch steigen zu sehen, und noch dazu in so guter feiner Gesellschaft. Der derbe Seemann konnte sich am niedlichen Prinzesschen, das er auf seiner Hand hielt, gar nicht satt sehen. Jacob hatte seine Not, dass er die zarte Jungfrau mit seinen Huldigungen nicht zu sehr erschreckte oder gar verletzte.

»Nun fehlt es nicht an Compagnie für dich«, rief Gottlieb endlich seinem kleinen Freund zu. »Wir haben auf unserem Schiff eine ganze Mandel solcher Herrlein und Fräulein.«

»Wie? Lebendig?«, fragte Jacob hastig. »So groß wie wir?«

»Ja«, versetzte der Freund. »Allerdings, so groß oder so klein wie ihr, nach Belieben! Unser Boot hat eine ganze Hofhaltung vor Kurzem im Netz aufgefischt, nahe bei einer unbekannten Insel, wo es Wasser aufnehmen wollte. Die armen Närrchen hatten Schiffbruch gelitten und wären ohne unsere Dazwischenkunft jetzt wahrscheinlich längst schon den Fischen zur Speise geworden.«

»Wäre es möglich?«, rief erschüttert die Prinzessin ihrem Freund zu. »Gott! Sollten es meine Eltern, meine Landsleute sein? O, schaffen Sie mir Gewissheit!«

Gottlieb, der ihre Sprache gar nicht verstand, konnte jedoch recht gut den Ausdruck des Verlangens auf ihren Zügen bemerken und schaffte ohne Säumen seine beiden Findlinge mit ihrem ganzen Haus hinüber zum großen Schiff. Dort wurden sie zu den geretteten Schiffbrüchigen geführt. Welches Entzücken für die Prinzessin! Es waren wirklich die als tot betrauerten Eltern und Gefährten, welche sie hier wiederfand, und denen sie selbst wie eine vom Tod Auferstandene erschien. Wer kann die Wonne schildern, die in diesen kleinen Herzen schlug? Wer hätte nicht mit Rührung den Äußerungen ihrer Zärtlichkeit zugeschaut?

Auch Jacob genoss des schönen Augenblicks mit inniger Teilnahme, aber bald drängte sich ihm auch ein schmerzliches Gefühl der eigenen Vereinzelung auf. Er war ja der einzige Fremde unter all diesen innig Befreundeten! Ihm kam ja niemand entgegen, der ihn vermisst hätte, kein Vater, keine Mutter, die Leid um ihn getragen hatten, in deren Umarmungen er jetzt auch glücklich gewesen wäre! Er ging hinaus und weinte. Es war ein Glück, dass ihn sein alter Freund aufsuchte und mit sich in seine Kajüte nahm, um ihm dort die Geschichte seiner seitherigen Wanderungen und Abenteuer zu erzählen.

»Wie ich dich dort vor dem Wirtshaus auf einmal so ausreißen sah«, sagte er, »mit deiner Maus und den Kater hinter dir her, wandelte mich zunächst ein unwillkürliches Lachen an, denn es war gar zu possierlich! Gleich darauf aber war ich voll Schrecken und Grimm. Was vor mir auf dem Tisch lag, Teller, Flaschen, Gläser, alles warf ich der Bestie nach und rannte dann wie ein Besessener ins Feld hinein, hinter der Katze her, schrie, lärmte und schwang meinen Stock, dem abscheulichen Würgengel das Genick einzuschlagen. Da wurde ich mit einem Mal selber von jemanden gepackt, der hinter mir daherkam. Es war der Flurschütz, der mich pfänden wollte, weil ich die Saat zertreten hatte. Vergebens bedeutete ich ihm, dass ich keine Zeit hätte. Ich musste mich gewaltsam zurückführen lassen und mit schwerem Geld auslösen. Nun wurden wohl Leute aufgestellt, die nach dir forschen sollten, aber wer kann einer Maus in ihre Löcher nachkriechen oder Steckbriefe nach einem revierenden Kater erlassen? Ich suchte und forschte noch mehrere Tage. Als alles vergeblich war, zog ich recht betrübt und schweren Herzens meines Weges. Die Herzensangelegenheit in Nürnberg, von der du weißt, ließ mich auch nicht ruhen! So wurde bald der Schere und der Nadel Valet gesagt, an denen ich ohnehin keine Freude mehr hatte. Ich war nun mit mir eins, meiner längst gehegten Neigung nachzugehen und es zur See zu probieren, wie weiland mein Herr Vater. Mit genauer Not entwischte ich den Seelenverkäufern, die mich in den bunten Rock stecken wollten, und kam nach Amsterdam, wo eben ein Ostindienfahrer in Ladung lag. Da ließ ich mich auf gut Glück als Matrose anwerben. Freilich ging es anfangs dem sündhaften Fleisch hart genug in diesem neuen Stand! Viel Strapazen, Püffe und Stöße zur Rekreation und lauter Gesalzenes und Gedörrtes zur Kost. Aber der Mensch gewöhnt sich an alles. Bald war ich zum Dienst passabel dressiert und imstande, mich sonst auch umzusehen in allerlei Dingen. Ich blieb nüchtern, wenn andere sich betranken, und parierte Ordre. Das machte mir bei den Herren Offizieren einen guten Namen. Sie vertrauten mir dies und jenes an. Meine Kräfte nahmen mit der Arbeit zu. Bei einem hitzigen Gefecht mit einem Kaper, der unser Schiff durch Entern nehmen wollte, schlug ich wie ein Löwe drein und den Anführer auf den Kopf, sodass der Rest Reißaus nahm und das Schiff gerettet wurde. Bei den Antillen überfiel uns ein wütender Sturm und warf uns drei Tage jämmerlich in den heulenden Meereswogen herum, bis das Fahrzeug auf einem Riff aufstieß und auseinander barst. Schade um das schöne Schiff, schade um die wackeren Zungen! Ich sehe sie noch vor meinen Augen zappeln und Wasser schlucken und hatte selbst wie ein Verzweifelter zu arbeiten, bis ich festen Boden unter meine Füße bekam! Da sah ich aber den Kapitän nicht weit von mir auftauchen und ebenso schnell wieder einsinken. Noch einmal hinein, mit meinen letzten Kräften ihm nach, ich packte ihn, warf ihn herüber, und da war auch er geborgen! So kamen wir vollends an Land und blieben da eine Weile liegen, halb tot vor Ermattung. Es war eine wüste Insel, wo wir uns befanden. Wir hatten nichts zu nagen und zu beißen als ein Stück Zwieback, vom Seewasser durchnässt. Ein widriger Bissen! Was war zu tun? Vorerst Schlafen! Gut, das taten wir auch. Die müden Glieder schickten sich gut dazu an. Die Nacht brach ein und verging. Die Sonne war schon aus dem Meer aufgestiegen, ehe wir erwachten. Das war Erquickung! Und frische Kräfte, frischer Mut! Das Wetter war schön geworden, wir gingen dem Strand zu. Vom Wrack war nur wenig, von den Kameraden weit und breit nichts mehr zu sehen! Aber dafür tröstete uns ein Segel, das heraufkam und seine Richtung gegen uns nahm. Der gütige Himmel hatte es recht sichtbar zu unserer Rettung gesandt. Wir richteten flugs von herumliegenden Stangen und Segeln ein Signal auf. Das Schiff legte bei und sandte ein Boot aus, das uns samt einigen geretteten Kisten und Koffern aufnahm. Es war ein holländischer Kriegskutter, meinem Kapitän gar wohl bekannt. Da jener unterwegs einige Mannschaft verloren hatte, war ich willkommen und wurde bald nachher zum Lohn für meine Tat als Hochbootsmann angestellt. Nun habe ich in diesem Ehrenamt schon verschiedene Fahrten mitgemacht. Wir waren eben auf dem Heimweg nach Europa begriffen, als wir von Stürmen in diese unbekannten Gewässer verschlagen wurden und hier Bekanntschaft mit dem schwimmenden liliputanischen Hof und mit dem gewaltigen Behemot machten, aus denen du wie ein zweiter Prophet Janas mit der Prinzessin herausgestiegen bist. Nun gedenken wir, die hohen Herrschaften in ihr Reich zurückzubringen, das irgendwo in einem Sackgässchen dieses Meeres aufzufinden sein soll. Dann wollen wir unverzüglich umkehren und den gelobten Niederlanden zueilen, wohin du mich wohl begleiten wirst! Nicht wahr, mein tapferer Junge?«