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Sir Henry Morgan – Der Bukanier 14

Kapitän Marryat
Sir Henry Morgan – Der Bukanier
Aus dem Englischen von Dr. Carl Kolb
Adolf Krabbe Verlag, Stuttgart 1845

Vierzehntes Kapitel

Morgan legt sein Glaubensbekenntnis ab, welches sehr vermessen lautet. Eine polemische Unterhaltung mit seinem Freund, der daraus die Überzeugung gewinnt, dass unser Held nur ein ärmlicher Wicht ist.

Der Schiffskurs wurde gegen Cartagena gerichtet. Das Wetter war schön und an Bord alles gemächlich und heiter. Nein, nicht alles heiter – denn es fanden sich auch viel Verwundete vor, die sterbend in den dunklen, heißen Winkel des Schiffes lagen. Wunden waren damals bei Personen von der Lage unserer Seeräuber, wenn sie nicht etwa ganz unbedeutend waren, ebenso viele Todesurteile.

Sir Paul hatte alles, was bei der Schlemmerei des letzten Abends vorgefallen war, ganz vergessen und erkünstelte gegen Morgan eine derbe Herzlichkeit, welche denselben fast täuschte. Unsere Helden speisten wieder mit ihm, brachen aber früh auf, und es kam zu keinem Übermaß.

Um die Mittelwache saßen Morgan und sein Freuud auf der hohen einsamen Bramhütte, ohne dass jemand in der Nähe gewesen wäre. Es hatte den Anschein, als sei die Domäne des weiten Gewässers ihr Eigentum, als zögen sie in ihrem Triumphwagen darüber hin. Groß und glänzend hingen über ihnen die Sterne. Es war kein Mond vorhanden, um ihnen ihren klaren Schimmer streitig zu machen. An der Stelle, wo die Freunde sich niedergelassen hatten, war nirgends ein menschliches Wirken zu sehen. Das Schiff schien mit freiwilliger Bewegung begabt zu sein und ohne Unterstützung seinen raschen Knrs zu verfolgen. Die Prise spielte erfrischend um die Stirnen der einsamen Jünglinge. Eine Weile ergingen sich beide genussreich in ihren eigenen Gedanken.

Endlich begann Bradley. »Jetzt in Wales …«

»Nein, mein Freund, sprich jetzt nicht von solchen Dingen, die uns vielleicht unmännlich machen könnten. Höre mir aufmerksam zu, mein teurer Joseph. Über mich ist ein sehr großer, vollständiger, bleibender Wechsel gekommen. Zwar schon früh zuckten in meinem Geist ähnliche Impulse wie flüchtige Schatten auf – eine plötzliche Dunkelheit, die rasch wieder entschwand. Glaubst du an einen Gott?«

Die Frage war befremdend, nicht nur um ihrer Vermessenheit willen, sondern auch wegen der finsteren Weise, in welcher sie so plötzlich gestellt wurde. Bradley sah beim Sternenlicht in Morgans Gesicht. Es kam ihm blass und gespenstisch vor. So mangelhaft auch Bradley erzogen worden war – denn die Strenge seiner Erziehung lag nur in den vielen erlebten Prüfungen und Wechselfällen – glaubte er doch an den einzigen, heiligen, unbegreiflichen und dreieinigen Gott. Statt aller Antwort auf diese kecke Frage deutete er daher nur mit zitternder Hand zum sternenbesäten Firmament hinauf.

»Ich gebe zu, dass der Beweis kräftig ist. Da ist Macht, aber ist Macht stets auch Gerechtigkeit? Betrachte unsere elenden Personen. Ist nicht dies eine schwimmende Hölle, die über dem Wasser von allen Gräueln der Ungerechtigkeit stinkend geworden ist? Die unschuldigen Wellen tragen sie so rüstig dahin, wie jene Arche, welche die einzige lebende Familie des Erdballs barg. Die Gottheit achtet entweder nicht auf uns oder wir sind, ohne es zu wissen, zu Werkzeugen ihrer Gerechtigkeit geschaffen, um uns gegenseitig zu strafen.«

»Es scheint mir doch, dass Gott auf uns achtet, Morgan. Du weißt, wie wenig gelehrt ich in derartigen Dingen bin. Aber wohin soll all dies führen? Mag auch das Schlimmste kommen, so haben wir doch einen erträglichen Anteil von Glück genossen. Ergeben wir uns in das, was vielleicht noch folgt. Kämpfen wir mit dem Übel und erfreuen wir uns des Guten.«

»Gesprochen wie mein Freund und Bruder, Joseph. Lass uns gegen das Übel ankämpfen, aber das Übel lässt sich nur durch etwas überwinden, was die hohlköpfige Welt ein noch größeres nennt. Meinem Gehirn ist die Überzeugung eingepflanzt, dass der Mensch seine eigene Vorsehung ist. Der Erfolg hat mir nur gefehlt, weil ich eines Blutopfers bedurfte. Aber gleichviel – mag nun eine waltende Vorsehung über den Menschen wachen oder nicht. Das Resultat muss und soll mir hinfort das gleiche sein. Wenn der Mensch seine eigene Vorsehung ist, so will ich allem aufbieten, um die meine herrlich und siegreich zu machen. Waltet die Vorsehung durch menschliche Mittel, Tätigkeit und Werkzeuge, so will ich eines dieser Werkzeuge sein – ein recht wirksames schreckliches Werkzeug! Verdient nicht dieser Vagardo oder Sir Paul reichlich den Tod? Höre auf mich, Owen! Ich meine kein gewöhnliches Dahinsterben, kein ruhiges Hinübergleiten aus der Zeit in die Ewigkeit, sondern einen Tod mit verlängertem Sterben mit nachhaltiger Todesangst und Qual! Weder der Strick noch das Beil würde ihn nach Verdienst belohnen. Aber ich bin das Schicksal dieses Mannes. Bei dem Strahlenglanz der Sterne dort oben, welche der Mensch nicht begreift, und bei dem noch unbegreiflicheren Zufall, der sie ins Dasein rief, ich will seine Vergeltung auf Erden sein, gleich viel wie es ihm jenseits ergehen möge!«

»Zufall Morgan, du machst mich schaudern.«

»Das Wort war übel gewählt. Glaube mir, dass ich es im Geist und in der Wahrheit zurückrufe. Ich habe keinen Namen für die geheimnisvolle erste Ursache. Und doch, obwohl du mich fast für einen Atheisten und für einen völligen Ungläubigen halten magst, bin ich sehr abergläubisch. Ich glaube, dass mein künftiges Gedeihen auf das Vergießen von Menschenblut gegründet ist. Es schwebt mir dunkel die Überzeugung vor, ich sei auserkoren, um das Amt des Schicksals durch Opferung von Leben zu üben. Bradley, ich habe den Menschen stets menschlich nahegestanden, habe mein ganzes Geschlecht geliebt und einige davon mit Innigkeit in mein Herz aufgenommen. Aber diese Schwäche hat mir alle meine Erfolge vergällt. Mein erstes Fehlschlagen war, dass ich das Leben jenes verwünschten Spaniers des Don Alonzo zum zweiten Mal rettete. Die Kugeln, die ihn verwundeten, kamen nicht aus meinem Rohr. Jenkins ap Sweyne, der oberste Ziegenhirt meines Vaters, nahm es auf sich, die mir zugegangene vermeintliche Unbill zu rächen. Ich war es, der ihm die Arkebuse beiseite schlug, sodass der Schuss nicht tödlich werden konnte. Seitdem bin ich übel gefahren.«

»Ich wüsste nicht, wie du deine Lage hättest verbessern können, wenn der Mann gestorben wäre. Auf alle Fälle hättest du fliehen müssen, denn du würdest Sweyne nicht verraten haben.«

»Ich sage dir, du verstehst nichts von dem, was wahrscheinlich gekommen wäre. Ältere Köpfe als der meine hatten berechnet, dass die eine Hälfte von den Schätzen des Mannes dem Staat, die andere mir zugefallen sein würde – und die stolze schöne Katholikin. Welche Jahre von Glück habe ich verloren, indem ich schwachherzig ein bischen papistisches Blut rettete!«

»Jedenfalls freut es mich ungemein, Morgan, dass du nicht so jung schon ein Meuchelmörder wurdest. Sei nicht weniger ehrenhaft in deinen reiferen Jahren.«

»Nachdem wir von diesem Schurken gestohlen wurden, machte ich mir viele Gedanken darüber. Ich sah, dass Menschlichkeit mein Unglück war. So zettelte ich es an, dass im Delphin ein wenig Blut gelassen wurde. Aber du hast jenen Anschlag und unser gutes Glück vereitelt, Joseph.«

»Und bin auch herzlich froh darüber. Ist nicht zuletzt alles zu unserem Besten ausgefallen?«

»Höre mir eine Weile ruhig zu! Du vergisst all das Elend und die Beschimpfungen, welche deiner Handlung folgten. Das Elend wollen wir vergessen, wenn wir können, aber nicht die Schmach. Was kam weiter? Als die törichten Sklaven von Barbados ihren Aufstand verabredeten, überlegte ich eine volle Stunde und kam dadurch zu der Überzeugung, wir würden hundertfältig besser fahren, wenn wir das Gemetzel beginnen ließen. Es wäre immerhin noch Zeit gewesen, die meisten Pflanzer zu retten. Je größer die Gefahr, desto größer musste unser Lohn sein, während zugleich auch dem niederträchtigen Mandeville die Kehle durchgeschnitten worden wäre. Aber die Milch, die meine Mutter in meinen Herzen zurückgelassen hatte, wandelte sich in den Gährungsstoff des Mitleids um. Ich hatte Mitgefühl mit menschlichen Leiden und rettete viele Menschenleben. Der Umstand, dass nicht Blut floss, ist mir zum Gift geworden.«

»Du bringst den Wahnsinn in Methode. Ich glaube, jene Angelegenheit hat ganz herrlich für uns gewirkt. Wären wir nur wieder auf unserer Pflanzung.«

»Es tut mir leid, dass ich dich nicht überzeugen kann, aber du siehst das geheimnisvolle Kettenglied nicht, das mich an das Unglück bindet. Schon gut, höre nur weiter. Ich hatte beabsichtigt, den Mandeville eines peinlichen Todes sterben zu lassen, ehe ich mich von der Insel entfernte.«

»Barmherziger Himmel, höre ich recht?«

»Jawohl. Aber die Gedanken an meine Heimat, mein Glück – alles stimmte mich mild und ich sagte: ›Mag der Wurm immerhin leben!‹ Ich glaube, dass ich sogar schwach genug war, ihm zu vergeben, aber diese Vergebung widerrufe ich für immer und immer!«

»Das tut mir sehr leid. Der Mensch hat mich ebenso oft gestriemt, wie er dich peitschte, aber ich habe seitdem als ein verständiger Mann und als ein Gentleman Genugtuung genommen, indem ich ihn überflüssig mit Fußtritten behandelte und ihm sein Lieblingsindianermädchen abnahm.«

»Ja, diese Rache reicht für dich zu. Dein Glück muss nicht die Bluttaufe erstehen. Gut; hätte ich nur vierundzwanzig Stunden länger verweilt, um meine Absicht auszuführen, so wären wir nicht von diesem, meinen Erzfeind gekapert worden.«

»Ja, du greifst dies in der Tat recht geschickt an, aber um deine Grundsätze passend auszuführen, musst du allen, die dir in den Weg kommen, die Kehlen durchschneiden. Vielleicht kommt seinerzeit auch an mich die Reihe.«

»Wie du mich missverstehst! Mein künftiger Grundsatz soll darin bestehen, kein Leben zu schonen, das meinen Interessen entgegentritt. Ich will bloß atmende Menschen aus meinem Weg schaffen, wie du jedes tote Hindernis beseitigen würdest, welches deinen Pfad beengt, ohne dass ich übrigens mein eigenes Leben dabei in Gefahr zu bringen gedenke. Auch werde ich nie eine persönliche Kränkung oder Beschimpfung vergeben.«

»Der mildeste und menschlichste Kodex von dem ich je gehört habe! Henry, Henry, das ist bloß ein Werk deiner Einbildungskraft. Du kannst nicht danach handeln. Dein Blut ist erhitzt. Sir Paul verdient den Tod. Ich will dir diese Genugtuung nicht streitig machen, da ich ein Gentleman zu sein beabsichtige. Aber spieße ihn mit deinem Rapier, wie es der Brauch ist. Zeichne und kitzle ihn wissenschaftlich nach den Gesetzen der Ehre. Ich möchte dir auch das Vergnügen nicht versagen, dass du ihn zuerst tüchtig mit Füßen trätest, aber nur keinen Meuchelmord, Heinz … an hellem Tag … der Mann vor dir mit seiner Parade … und dann … eins, zwei, drei … da!«

»Ich kann nur mit meinesgleichen fechten«, sagte Morgan, indem er seine Arme stolz kreuzte und zu den Sternen aufblickte. »Gewürm muss ich zerstören, wie es beim Gewürm üblich ist, ohne dass ich meine Hände durch eine schnöde Handlung beflecke. Aber er versteht mich nicht. Er sieht nichts von dem geheimnisvollen Schicksal, das durch mich wirkt. O du Unerforschlicher, war es nicht dieses Mitleid mit dem Menschenleben, das mich wieder zugrunde richtete? Ich ließ mein Schiff kämpfen, bis ich glaubte, dass aller Widerstand vergeblich sei. Dann fühlte mein irregeleitetes Herz für meine Nebenmenschen. Wäre ich nicht schwach gewesen und hätte den Kampf nur noch eine halbe Stunde fortgeführt, so wäre mein Feind und alles, was sich mir entgegensetzte, seinem Schicksal verfallen. Sein Todesgeschrei wäre mein Triumphlied und das Losungswort meines Glückes gewesen. Nein! Ich will nicht mehr schonen, Bradley. Begreifst du dies?«

»Nein. Du bist unmutig, und so will ich mir nicht länger Mühe geben, dich zur Vernunft zu bringen. Außerdem wirst du bald genug hübsch säuberlich in einer Zuckerpflanzung jäten und häkeln. Der Herr helfe uns zwei armen jungen Welschmen! Und da spricht dieser, mein Freund, wie ein König der Erde vom Umbringen der Leute nach Dutzenden und Hunderten! Ich schäme mich deiner, Henry. Ich will zu meiner Hängematte gehen und versuchen, ob ich nicht von Ale und geröstetem Käse träumen kann.«

»Ein guter Kerl,« sagte Morgan, als er sich allein sah, »ein sehr guter Kerl, aber aus recht gemeinem Ton geformt. Man braucht nur seinen Wanst zu füllen und kann ihn dann ungestraft in die Nase zwicken.«