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Deutsche Märchen und Sagen 9

Johann Wilhelm Wolf
Deutsche Märchen und Sagen
Leipzig, F. A. Brockhaus, 1845

9. Das kleine alte Männlein

Es waren einmal drei Schwestern und davon lebten zwei zusammen in einem Häuschen. Die Jüngste wohnte in einem anderen Häuschen, denn die zwei älteren Sprachen immer, sie wäre zu dumm, um tot zu tun.

Eines Abends nun geschah es, dass ein kleines altes Männchen kam und am Haus anklopfte, wo die zwei Schwestern wohnten.

Da legte sich die Älteste ins Fenster und fragte: »Was wollt Ihr?«

»Ich hätte gern ein Unterkommen für die Nacht, dieweil es so kalt ist, dass ich nicht draußen schlafen kann«, antwortete das Männchen.

»Wir haben keinen Platz im Haus«, sprach da die Älteste, »und ließe ich Euch herein, dann brummte mir meine Schwester acht Tage lang und das geht nicht. Darum sucht Euch anderswo ein Unterkommen.«

Mit diesen Worten schlug sie das Fenster zu und hörte das alte Männchen nicht mehr an, wie sehr dasselbe auch bat und flehte.

Als nun alles nichts half, da ging das alte Männchen zu dem Häuschen, wo die Jüngste wohnte, und klopfte daran.

Da öffnete die Jüngste das Fenster und fragte: »Was hättet Ihr gern, lieber Freund?«

»Ich hätte gern ein Unterkommen für die Nacht, dieweil es draußen so sehr friert«, sprach das Männchen.

Und alsbald sprang die Jüngste an die Tür, machte ihm auf und führte es in ein warmes Kämmerlein. Sie kochte ihm Brei von Milch und Mehl und brauchte das letzte Krümlein Brotes hinein, welches sie in ihrem Schrank fand. Dann ging sie hin und nahm ihr Stroh und schüttelte es recht auf, damit das Männchen weich darauf liege. Sie selbst schlief aber auf der Erde. Am anderen Morgen war das Männchen schon früh auf und sprach, es müsse nun weiterziehen. Das litt das gute Mädchen aber nicht. Sie kochte zuvor noch einen Brei zum Frühstück. Als das Männchen den gegessen hatte, bedankte es sich freundlich und sprach: »Es tut mir leid, dass ich Euch Eure Liebe und Freundlichkeit nicht vergüten kann.«

»Oh, was macht das«, sprach das Mädchen. »Ich habe an keine Bezahlung gedacht und wenn Ihr nicht wisst, wo aus, wo ein, dann kommt nur noch mehr zu mir und macht Euch darum keinen Kummer.«

»Ich danke Euch vielmals von ganzem Herzen«, entgegnete das Männchen, »und ich bitte Gott den Herrn, dass er Euch immerdar seinen Segen schenke und dass das Erste, was Ihr heute beginnen werdet, sowohl gelinge und Euch also zu Nutzen sei, dass Ihr den ganzen Tag nichts anderes tun könnt.«

Mit den Worten verbeugte es sich und ging weg.

Das gute Mädchen sprang ins Haus zurück, um sich an die Arbeit zu begeben. Auf den Wunsch des kleinen alten Männchens hatte es gar nicht gehorcht. Es holte schnell ein Stückchen Linnen vom Speicher, wo dasselbe getrocknet hatte, und wollte es fälteln, und es fältelte und fältelte immerfort bis zum Mittag und den ganzen Nachmittag. Das Linnen nahm gar kein Ende und die ganze Stube wurde davon voll. Es würde auch nicht eher auf, bis es stichdunkel war, da kam das Ende erst.

Die zwei älteren Schwestern aber waren sehr verwundert, dass sie die Jüngste den ganzen Tag nicht sahen, und gingen darum am Abend zu ihr hin. Dann machten sie aber Augen und das war ein Verwundern!

»Herrgott im Himmel«, schrie die Älteste, »wo hast du das Linnen her? In meinem ganzen langen Leben habe ich nicht so viel zusammen gesehen.«

Der erzählte die Jüngste, sie hätte es von dem kleinen alten Männchen. Die beiden anderen wurden so giftig darüber, dass sie wie Schlangen spien.

»Muss dem Dummohr da ein solches Glück zuteil werden. Ich könnte mich an ihr vergreifen, der Gans«, schrie die Zweite in ihrem Ärger.

Aber die Älteste sprach: »Ereifere dich nicht, Schwester, und komm, dann wollen wir sehen, ob wir das Männchen noch einholen.«

Da stürmten beide zur Tür heraus, um das Männchen zu suchen. Sie waren kaum einige Schritte weit gegangen, als sie es schon von fern heranschleichen sahen. Husch, husch waren sie bei dem Männchen, machten einen Knicks und verneigten sich.

Die Zweite sprach: »Ach lieber Herr, Ihr wolltet es meiner Schwester doch nicht übel nehmen, dass sie Euch gestern nicht in unser Haus gelassen und beherbergt hat. Ich habe vor lauter Leidwesen darüber die ganze Nacht kein Auge zugetan. Ach, wollt mir doch den einzigen Gefallen tun und diesen Abend bei uns einkehren. Ihr macht uns alle beide zu den glücklichsten Menschen auf der Welt.«

Das kleine alte Männchen war darüber zufrieden und ging mit den beiden Schwestern, welche ihm auf das Höflichste auftischten und am Ende ihn in ein ganz weiches Bett trugen, worin er schlief wie ein Prinz. Kaum hatte er sich am anderen Morgen aus den Federn gemacht, als die Schwestern ihn schon Kaffee mit Bisquit brachten.

Er dankte für alles recht höflich und fein. Als er sein Frühstück verzehrt hatte, das sprach er: »Es tut mir sehr sehr leid, dass ich Eure Freundlichkeit nicht vergüten kann, aber …«

»Oho«, viel da die Älteste ein, »meint Ihr denn, wir wollten etwas haben für die Bewirtung? Gott bewahre, daran haben wir nicht im Geringsten gedacht. Im Gegenteil, wir wünschten nur, dass Ihr uns recht oft die Freude macht, bei uns einzukehren.«

»Das wird schwerlich möglich sein«, sprach das Männchen, »aber ich danke Euch noch herzlich für Euren guten Willen und wünsche nur, dass das Erste, was Ihr diesen Morgen tut, den ganzen Tag Tag sich fortsetze und Ihr nichts anderes tun könnt.« Damit empfahl sich das Männchen und die beiden Schwestern wünschten ihm eine glückliche Reise.

Kaum hatte das Männchen die Tür gefasst, als die Älteste der Magd zurief: »Geschwind, Mieken, geschwind, hole die Wäsche vom Boden, damit wir nur gleich anfangen können zu fälteln. Wir müssen doppelt so viel haben als das Dummohr nebenan.«

Die Magd sprang schnell auf dem Boden, um die Wäsche zusammenzulesen. In der Zwischenzeit sprach die Zweite: »Aber Schwestern, wir wollen uns doch erst ein bisschen stärken. Da steht noch ein Krug frischen Bieres, das wollen wir zu einem Butterbrot genießen. Mache nur alles bereit, ich gehe indessen in den Garten, um zuvor schnell mein Wasser noch zu lassen.«

»Gut, tue das, Schwester«, sprach die Älteste, »aber beeile dich!« Damit fasste sie den Krug und setzte den vor den Mund.

Die Magd hatte aber die Wäsche schon lange zusammengelesen und in die Stube gebracht. Sie warteten nur auf die Schwestern, aber die kamen nicht und kamen nicht. Da ging sie in die Küche, um einmal nachzuschauen, was sie machten. Doch was kriegt das Mädchen nicht für einen grausamen Schreck! Denn, denke doch nur, das stand die Älteste und trank und trank und konnte nicht aufhören zu trinken, und die andere schrie aus dem Garten, sie könne nicht aufhören, ihr Wasser zu lassen. Das dauerte fort, bis es ganz stichdunkel war, das stand Hof und Haus in Wasser. Sie mussten alle die ganze Nacht arbeiten, um nur trockenes Plätzchen zu gewinnen, wo sie ihre Füße hinsetzen konnten. Die Jüngste verkaufte aber das Leinen, wurde reich und glücklich für ihr ganzes Leben lang.