Archive

Jacob von Molay, der letzte Templer 35

Franz Theodor Wangenheim
Jacob von Molay, der letzte Templer
Dritter Teil
König Philipp
Verlag von Joh. Fr. Hammerich, Altona, 1838

Zehntes Kapitel

Die Abgeschiedenheit, in welcher das königliche Ehepaar, seitdem Philipp vom Tempel Besitz genommen hatte, lebte, entzog die Königin und ihre Umgebung seiner Aufmerksamkeit. Auch war er viel zu sehr mit hochwichtigen Dingen beschäftigt, als dass er für sein Haus Auge und Ohr gehabt hätte. Der Königin war es einesteils recht lieb, dass der König, ihr Gemahl, sich jetzt beinahe gar nicht um sie bekümmerte, denn in ihrer nächsten Umgebung befand sich ein weibliches Wesen, tief in Trauer gehüllt. Es war Margot. Bleich, aber schön wie eine weiße Rose, war sie anzuschauen, obwohl der Schmerz aus ihren Zügen sprach. Was kommen musste, kam. Die Gewissensbisse hatten den Waffenschmied, ihren Vater, auf das Siechbett geworfen, von welchem er sich seit jenem Augenblick, da er im Tempel mit eingeschlossen wurde, nicht wieder erheben sollte. Wie er gestorben war, davon erfuhr niemand etwas, doch ist leicht zu ermessen, welche Vorstellungen sich Margot von seiner Todesstunde machte, da sie sich ihres Vaters beim letzten abenteuerlichen Begegnen erinnerte. Waren nicht auch die Gerüchte vom namenlosen Elend der Tempelherren auch zu ihm gedrungen? Was im Louvre die Königin und ihre nächste Umgebung bestürzt machte, musste das nicht des Waffenschmieds Geist ganz und gar verwirren? Und hätte man ein Herz, aus kaltem Marmor geformt, in der Brust getragen, das Verfahren gegen die Tempelherren hätte es erweichen müssen. Ein Parlament zu Pontoise, dem König Philipp in aller Form beiwohnte, die letzte Bulle des Papstes, in welcher er den Vätern der Konzilien erlaubte, über die Ritter ein letztes Endurteil zu sprechen und in ihrem Urteilsspruch nicht den ganzen Orden überhaupt, sondern jeden Tempelherrn insbesondere zu begreifen, die Zeugen durch alle Mittel und Wege zur Aussage zu zwingen – und König Philipp mit seinem Parlament zu Pontoise, König Philipp, der weltliche Arm, der Feuerball, der den Hass der Geistlichkeit noch höher aufflammen machte, als er je gewesen war!

Die Königin fühlte jetzt ihre Ohnmacht. Warum kam Philipp jetzt gar nicht mehr in den Louvre? Wäre er nur gerecht gegen die Tempelherren gewesen, so würde er Johannas Vorwürfe nicht ausgewichen. Sie erkannte nur zu gut, dass Philipp sein Unrecht fühlte. Hier war nicht mehr zu helfen, nicht mehr zu retten. In den abscheulichen Kerkern, bewacht von des Königs Helfershelfern, harrten die Ritter ihres Endurteils. Wer konnte der Königin verargen, dass sie es kaum noch wagte, zum Vorteil der Unglückseligen zu sprechen? Sie schwieg und erwartete, in tiefe Trauer versenkt, wie sich die hoffnungslose Sache entscheiden würde. Dennoch aber konnte sie nicht unterlassen, jede Kunde anzuhören, welche in den Louvre drang. Getreulich überbrachte diese stets einer von denjenigen Rittern, welche der Königin Dienste versahen. Er hieß Placian, war im Dienst bei Hofe ergraut und ehemals ein Freund des Großmeisters Molay gewesen. Auch heute berief Johanna den Ritter Placian zu sich, denn ein dunkles Gerücht, dass man ein Endurteil zu Pontoise gefällt habe, durchlief Paris und war auch an sie gekommen. Da stand Johanna dem Ritter gegenüber. Sie bebte, ihn zu fragen, denn nur noch größeres Unheil, als sie schon erfahren hatte, fürchtete sie aus seinem Mund.

»Was ist Euch zu Befehl, gnädigste Frau?«, fragte Placian.

»Ich befehle nicht, Herr Ritter. Befehlen ist in dieser Zeit Verlockung zur Sünde, zum Verbrechen und doch … doch! Wenn ich befehlen dürfte, willkürlich befehlen dürfte wie mein königlicher Herr und Gemahl … ich glaube nicht, dass ich mich versündigen würde. Ich wollte Euch etwas fragen: Man sagt mir, vor dem Louvre sei gestern ein Volksauflauf gewesen. Auch war mir so, als ob ich das dumpfe Geräusch von vielen Stimmen hörte. Ist es wahr, Herr Ritter? Was wollte das Volk vor dem Louvre?«

»Hohe Königin, lasst mich schweigen. Wenn ich Euch das beschriebe, so würdet Ihr Euch entsetzen.«

»Glaubt das ja nicht, Ritter. In dieser Zeit ist es sehr notwendig, dass man ein eisenstarres Herz in der Brust trage, damit es auch nicht breche, und die Gräuel, welche jetzt geschehen, ertragen könne. Freilich wird nagender Gram, Schmerzensglut, auch das harte Erz durchdringen. Doch was tut es! Behalten wir doch davon Schlacke in der Brust, und das ist genug für einen Thron von Frankreich.«

»Ihr werdet bitter, große Königin …«

»Bitter könnte ich werden, wenn Ihr mich große Königin scheltet! Ich brachte Philipp ein Königreich zu, besaß sein Herz, teilte seinen Thron. Meine flehentliche Bitte aber rührt sein Herz nicht, und dann, statt auf seinem Thron zu sitzen, lässt er mich im Louvre gleich einer Gefangenen bewachen!«

»Nicht doch, hohe Frau …«

»Aber Navarra ist mein!«, loderte die Königin auf, ohne des Ritters Worte zu beachten. »Meinem Ludwig zwar ist der Thron verliehen; der wird seiner Mutter Bitte nicht von seinem Herzen weisen. Flüchte sich der Tempelherren Schar aus allen Reichen der Christenheit in das paradiesische Navarra. Stark wird es werden durch sie, und sie werden erstarken unter meinem Schutz!«

»Königin, vergebt, ich darf solche Worte nicht hören.«

»Ihr habt recht, Herr Ritter, ich fühle, dass ich zu weit gegangen bin. Es kommt mir zu, Euch nicht in die Verlegenheit zu versetzen, dem König solches hinterbringen zu müssen. Doch darf ich wohl von Euch verlangen, dass Ihr mitteilt, was den Volksauflauf vor dem Louvre veranlasst hat. Mir kann das Volk nicht zürnen, dessen bin ich gewiss, denn ich war immer seine gnädige Königin.«

»Euch Königin? Euch das Volk zürnen …? Euch …? Nein, Königin! Euch zürnt das Volk nicht. Wie könnte es auch? Das französische Volk, Königin, ist ein gutes Volk und seine Stimme kommt vom Herzen und dringt zum Herzen. Hier in diese Gemächer herein konnte diese Stimme nicht dringen, denn ein Steinklumpen birgt den Kern des Guten, birgt Euch, Königin! Aber ich habe es gehört, das empörte Volk, und nur des Einganges in den Louvre wahrend, meiner Ritterpflicht getreu, durfte ich mich nicht entfernen.«

»Was war es denn, Herr Ritter? Was empörte denn das Volk so sehr? So sprecht doch! Eure Züge sehe ich ja erbleichen! Als ob ein furchtbar Grauen aufgestiegen wäre in Eurer Brust, so zuckt Euer Auge von einem Winkel in den anderen!«

»Mag es denn, Königin, länger kann ich es Euch doch nicht verhehlen. Durch alle Provinzen dieses Reiches hat sich das Gerücht verbreitet, dass man darauf ausginge, die Güter der Tempelherren auszuplündern. Räuberisches und diebisches Gesindel strömte nach Paris, unter ihm ein wild verwegener Köhlerhaufen aus dem Wald bei Roucy. Der erwartete gierig, dass man das Zeichen gäbe zu der allgemeinen Plünderung, trieb sich umher in den Straßen, und nährte sich die Zeit vom diebischen Erwerb. Da kam die Nachricht vom Endurteil, welches über die Tempelherren gefällt worden war.«

»Es lautet, Ritter …?«

»O, dass ich taub wäre, um es nicht gehört zu haben!«

»Doch nicht blutig?«

»Nein – o, nein! Nicht blutig! Keineswegs blutig! Aber man unterscheidet scharf auf einem Concilio. Die heiligen Väter wissen recht gut die Quelle, in welcher sie sich die Hände waschen. Nun, es sind ja nur an die sechszig oder siebzig, welche ihre Aussagen widerrufen haben. Das ist ja Kinderspiel, so wenige Scheiterhaufen anzuzünden!«

»Was sagt Ihr, Ritter? Ihr macht mich beben und mein Herz schrumpft zusammen, von diesen Worten verzehrt. Man wird doch nicht …?«

»Man wird, fragt Ihr, Königin. Freilich! Wird man nicht«, brach er grimmig hervor, »was man getan hat, wird man nicht mehr!«

Diese Nachricht erschütterte die Königin so sehr, dass sie sprachlos nach der Lehne eines Sessels greifen musste. Ritter Placian trocknete eine Träne vom alten Auge. Mit viel Mühe gelang es endlich der Königin, sich soweit wieder zu fassen, dass sie dem Ritter befehlen konnte, weiter fortzufahren. Der gehorsamte mit Widerstreben.

»Auf dem St. Antonius-Feld, Königin, waren zwanzig Scheiterhaufen angezündet. Sie brannten aber nicht lichterloh, denn nur Kohlen glimmten darin. Die Haufen waren anzuschauen wie glühende Betten, und in schwarzen Wolken stieg der erstickende Qualm hinauf zu des Himmels Blau. Eine unzählbare Menschenmenge versammelte sich schon mit Tagesanbruch. Sie wuchs mehr und mehr, Kopf an Kopf stand das Volk von Paris und harrte eines Schauspiels, wie es noch nicht in der Weltgeschichte dagewesen war. Die Sonne stand beinahe im Mittag, da trennten des Königs Wachen das Volk und öffneten eine Gasse, die zu den Scheiterhaufen führte. Selbst die wilden Gesichter der rohen Krieger sprachen Schrecken aus und Angst, da ihre Blicke auf die glühenden Haufen und die verwilderten Henkersgestalten fielen. Aber dem Befehl getreu, kreuzten sie die Schafte der Hellebarden, deren scharfe, emporgestreckte Spitzen und Schneiden einem jeden drohten, der es wagte, in die Gasse zu dringen. Ein dumpfes Gemurmel durchlief plötzlich das Volk. ›Sie kommen! Sie kommen!‹, raunte einer dem anderen zu. Und siehe da! Durch die Gasse daher bewegte sich der Zug der Kardinäle, Bischöfe und sämtlichen Geistlichen, um den Urteilsspruch zu vollziehen.«

»Entsetzen!«

»Bleibt ruhig, Königin, bleibt ruhig, ich will es Euch weiter erzählen und dann sorgt, dass Ihr Tränen habt, damit Euer mildes Herz erleichtert werde. Den Zug eröffnete der Beichtvater unseres allergnädigsten Königs, Pater Wilhelm, an seiner Seite die beiden Zeugen, welche des Waffenschmieds Anklage bestätigt hatten – der Prior von Montfaucon und Noffo Dei. Hinter der Geistlichkeit erschien eine unabsehbare Reihe von Karren mit schlechten Pferden bespannt. Auf jedem derselben saß ein Tempelherr mit Ketten belastet und ein Bettelmönch neben ihm. Vierundfünfzig Karren zählte ich, Königin, und die Totenstille welche sich aufs Volk herniedergesenkt hatte, drohte mich zu ersticken. Unseres allergnädigsten Königs Leibwache beschloss diesen traurigen Zug. Ihr schlossen sich die Krieger an, welche die Gasse gebildet hatten und zogen einen bewaffneten Kreis um die Scheiterhaufen, um die Henker, um die Ritter, welche man von den Karren gehoben hatte. Der Glaubensinquisitor verfügte sich nun auf seinen erhöhten Sitz, ermahnte sämtliche Ritter, dass sie die erste Aussage bestätigen möchten und sie sollten nicht des Feuertodes sterben. Der König wolle ihnen Leben und Freiheit schenken, nur möchten sie der Kirche den Sieg lassen und nicht in der Ketzerei verharren. Sie aber blickten einer den anderen an, reichten einander die Hände und verbanden sich so zum gemeinschaftlichen Tod. ›Ha!‹, rief einer unter ihnen, ich glaube, man nannte ihn Montroyal, ›oft, Ihr Brüder, war ich Euer Vorkämpfer in der Schlacht, so lasst mich denn heute Euch den Weg zum Tod zeigen! Fahret wohl – dort sehen wir uns wieder!‹ Und trotz seiner schweren Fesseln sprang der Ritter zum Scheiterhaufen hinauf, ihm folgten zwei, drei, vier seiner Brüder. Das Bett war zu klein, zum anderen drängten sie sich hin, drängten sich zum Tod und priesen Gott, den Herrn! Noch höre ich sie, die Jubelhymnentöne, wie von der Höllenglut verdorrt, der eine nach dem anderen war, verstummt. Den Preisgesang des Herrn erstickten bald Qualm und Glut! Was ist Euch, Königin? Soll ich um Hilfe rufen? Ihr seid blass und leichenfarbig ist Euer Antlitz!«

»Still, still, Herr Ritter, das geht vorüber; eine kleine Anwandlung, nichts weiter.« Johanna seufzte tief auf. »Auch sie mussten ja überwinden und, durch die Feuertaufe geheiligt, stehen sie nun vor Gott. O, Philipp! Philipp! Mögen sie dich an seinem Thron nicht verklagen!«

»Im letzten Stündlein sei ihm Gott gnädig«, murmelte Placian vor sich hin.

»Was sagt Ihr da, Ritter?«

»O, nichts, Königin, ich wollte … Euch nur … wegen des Auflaufs, wegen des Volksauflauf vor dem Louvre wollte ich Euch erzählen.«

»Recht so, Herr Ritter, von etwas anderem … recht … von etwas ganz anderem.«

»Es wird Euch wohltätig berühren, Königin, vernehmt. Die Scheiterhaufen waren zusammengefallenen. Doch nicht, wie es sonst wohl zu geschehen pflegt, gab das Volk seinen Beifall zu erkennen: Mitleid, Erstaunen, Schrecken und Entsetzen sprach sich auf den Tausenden von Gesichtern aus. Des Volkes Menge flog vom St. Antonius-Feld, als ob der Wolf eine Herde Schafe scheucht. Mit fortgerissen vom unwiderstehlichen Strom und, als ob der Himmel selbst das Richteramt verwalten wollte, waren der Prior von Montfaucon und Noffo Dei bis vor den Louvre gedrängt, um sie her ein wilder Köhlerhaufen, mit tollem Geschrei auf sie eindringend. ›Hei! Ihr wackeren Männer, gebt uns die Schätze der Tempelherren! Alte Bekannte sind wir ja aus dem Wald Roucy!‹ Ich eilte in den Louvre, ließ einige von den Wachen hinaustreten und das Volk zur Ruhe ermahnen, um wo möglich, den beiden zu Hilfe zu kommen, da sie unseres allergnädigsten Königs Huld und Gnade teilhaftig geworden waren. Es gelang mir, das Gesindel, auf einige Schritte wenigstens, von ihnen zu entfernen. Sie beide und ich, wir standen frei, von den Wachen beschützt, inmitten der Menge. ›Kennst du uns nicht mehr?‹, rief eine barsche Stimme aus derselben. ›Kennst du uns nicht mehr, ehemals unser Kumpan?‹

›Er hat vergessen‹, riefen andere, ›dass wir ihn der Bande entledigten, als ihn des Königs Knechte vorbeiführten!‹

›Jetzt trägt er den Kopf hoch‹, mischten sich wieder andere hinein, ›der damals unter dem Bauch des Pferdes hing! Der Abtrünnige! Der Tempelherr! Alles will er für sich allein behalten! Und wir sollen leer ausgehen!‹

›Haben wir nicht sonst die Beute mit dir geteilt? Ehrlich geteilt, wie es Spitzbuben zukommt?‹ Es war ein alter Mann, der, kühner als die anderen, hervorgetreten war. ›Ist das Recht, Prior von Montfaucon? Wir sind gen Paris gezogen, um etwas zu erwerben. Hallo! Du, führe uns! Hast uns ja so oft geführt! Hin, wo die Schätze liegen, welche die Ketzerbrut aufgehäuft hat! Wer würde solch ein Narr sein, in solcher Zeit etwas liegen zu lassen?‹

›Was wollt Ihr?‹, entgegnete der Prior, ›ich kenne Euch nicht; habe nichts gemein mit Dieben und mit Räubern.‹

Königin, glaubt, es war mir Wollust, die beiden vor dem Alten zittern zu sehen, und ich ließ gewähren.

›Was!‹, schrie der Alte, ›du nichts gemein mit uns? Du nichts gemein mit Dieben und mit Mördern? Hast du die Gesetze aus dem Wald bei Roucy so bald vergessen?! Da! Da! Und noch einmal!‹

Und ehe ich mich dessen versehen konnte, war des Alten Messer dem Prior von Montfaucon dreimal in die Brust gefahren. Da eilte ich hinweg, Königin, ich meinte des Himmels Rachearm habe ihn erreicht. Was aus dem Noffo Dei geworden ist, das weiß ich nicht. Aber diese wild verwegene Bande wird ihn nicht gar sanft gebettet haben.«

»Grässliches und Blutiges begibt sich in Paris«, sprach die Königin durch Tränen. »Ach! Es kann nicht anders sein, Herr Ritter. Ein König gab das Beispiel. Wird sein Volk ihm nicht folgen? Schrecklich getreues Volk! Und Philipp du! An der Spitze dieses Volkes. Was willst du, Margot? Ich habe dich nicht hierher gerufen.«

»Hohe Frau, ich hörte alles«, versetzte sie mit metallloser Stimme, »weiß nun, welches Schrecken mein Vater herbeigeführt hat.«

»Ihr seid entlassen, Herr Ritter«, unterbrach sie die Königin. »Erwartet jedoch zu jeder Minute meine Befehle. Margot, ich begreife wohl, wie all diese Schrecken dich empören müssen. Unglückseligste Tochter eines Sterblichen, du schontest meiner königlichen Ehre, meine Gnade sei dir Stab und Stütze fürderhin.«

»Hohe Frau, das Gefühl ist erstorben in meiner Brust, wo ehemals das Herz warm und lebendig pochte, da fühle ich es öde werden, kalt und tot. Ganz fühle ich mich umgewandelt. Es ist mir, als müsste ich meines Vaters Schatten versöhnen. Ich will mich hineinwerfen in den Strudel des Lebens, dass seine Flammen wieder mein Herz erwärmen! Es wird wieder aufflammen, wird emporlodern, aber tötlich dem, der diesem Herzen sich anvertraut! Mein Vater war ein gläubiger Christ, ein wackerer Bürgersmann. Diese gläubige Seele hat man zur schändlichsten, abscheulichsten Tat missbraucht. So schwöre ich denn in Eure Hand, Königin, dass ich, die Verwaiste, den missbrauchten Vater rächen werde, an denen rächen werde, die ein so teuflisches Spiel mit ihm getrieben haben! In Sünden ist er hingefahren, Sünden von guter Absicht erzeugt! Auch ich will sündigen, Königin, mit der guten Absicht, das Gleichgewicht herzustellen, auf dass er nicht ewig verdammt bleibe, auf dass ich zu ihm komme … bald, sehr bald … sei es Himmel, sei es Hölle, wenn ich nur bei meinen Lieben bin!«

»Fassung! Fassung, Margot! Der Donner hat geschlagen, wer könnte ihn jetzt noch den Wolken zurückgeben? Fieberhaft rötet sich deine Wange, dein Auge glänzt von verzehrendem Feuer. Finde dich wieder, Mädchen!«

»Nicht wahr, Königin, diese Röte steht mir gut? Der Glanz des Auges reizt ja die Begierde des Mannes! Ha! Ich will ihn an die Brust drücken, den Mann! Hier soll er erwarmen, damit ihn des Todes kalte Schauer desto eisiger umfangen. Rechtet, mit wem Ihr wollt, Königin. Margot ist nicht mehr für die Schöpfung da. Dem Unglück war ich aufbehalten, bin gereift auf seinem verbrecherischen Boden. So will ich auch des Unglücks schreckliche Frucht tragen. Wo mein Fuß auch fernerhin noch wandeln möge, da verdorre die grüne Flur unter ihm. Der Hauch meines Mundes führe Pest und Vernichtung mit sich! Denn an dem Hauch des Mundes hat man meinen Vater festgehalten. Ha! Könnte ich der Erde Gewalten jetzt gegeneinander aufhetzen, dass unter dem Rossgestampfe, in wilder Schlacht, meines Vaters Sarg zusammenpolterte. Dann würde ich rufen: Vater! Sieh! Das habe ich getan, ich, deine Tochter, zur Sühne für dich!«

»Placian!«, rief die Königin. »Ritter von Placian! Bringt die Unglückliche hinweg! Der Wahnsinn soll nicht heimisch werden im Louvre!«

»Wahnsinn, Königin …? Denkt Ihr, dass ich wahnsinnig sei? O, heilige Himmelsmutter, umnachte du mir den Geist, dass ich, einem Tier gleich, sehe und höre und dennoch nichts dabei empfinde. Ha! Wäre der Wahnsinn bei mir eingekehrt, hätte er in diesem Kopf ein willkommenes Obdach gefunden. Mir wäre besser. Lebt wohl, hohe Frau! Gedenkt meiner nicht im Zorn, wenn Euch ein böses Schicksal überkommen sollte. Ich gehe nun meinen Weg allein, bin eine heimatslose Waise, ein schwaches Weib, dahingegeben den Stürmen dieses Lebensdranges. Ich werde unter seiner Last erliegen, werde untergehen, wie ich muss. Aber, Königin«, schloss sie mit erhobener Stimme, »für ein schwaches Weib ist es süßes Empfinden, wenn des Mannes Größe und Stärke an den Hauch seines Mundes geknüpft ist!«

»Mir wird angst, Herr Ritter. Bringt Margot hinweg – noch einmal!«

»Wohin, königliche Frau?«

»Bringt sie zum Kloster, welches sich Pontrouge zum Aufenthalt gewählt hat. Ich glaube, es ist das Kloster St. Antoine.«

»Folgt mir, Fräulein.«

»Alsogleich, Herr Ritter.« Und Margot kniete vor der Königin nieder, küsste den Saum ihres Kleides, rief: »Vergib, du Gute, der Sünderin!« Und eilte dem Ritter voran.