Katja Angenent – Die alte Freundin Dunkelheit
Die alte Freundin Dunkelheit
20 Schauergeschichten von Katja Angenent
Über das Buch
Wenn es dunkel wird, ist nichts mehr so, wie es scheint …
Sie ist zurückgekehrt.
Die alte Freundin Dunkelheit spielt die heimliche Hauptrolle in Katja Angenents Kurzgeschichten. Darin erkunden einsame Nachtgestalten verfallene Burgen, verlassene Psychiatrien und dunkle Wälder. Mit dem Trip ins Ungewisse beginnt eine Reise zum eigenen Ich – und oftmals ist nichts so, wie es scheint.
Ihre Kurzgeschichten spielen im Mittelalter, im 19. Jahrhundert, in phantastischen Welten oder direkt nebenan.
Katja Angenent erzählt von Sagengestalten, Königen und Menschen wie du und ich. Sie alle fürchten die Dunkelheit. Doch der Begegnung mit dem Unbekannten können sie nicht entkommen …
Drei Fragen an Katja Angenent
Braucht die Welt heute noch Schauergeschichten?
Unbedingt! Gerade heute geht das Phantastische, das Ideenreiche in unserer immer nüchterner werdenden Welt zunehmend verloren. Dabei kann uns die Faszination für alles Rätselhafte, die auch heute noch viele Menschen empfinden, helfen, mit unseren eigenen Ängsten besser umzugehen.
Dass Krimis zum Beispiel seit Jahren boomen, ist ein Zeichen dafür, dass wir uns nach mehr Rätseln sehnen – treibt uns nicht dabei die Frage um, wer der Mörder ist? In diesem Sinne regen die Geschichten zum Weiterdenken an.
Warum spielen alte und verfallene Gemäuer wie Klöster, Burgen und Ruinen in den Geschichten oft eine große Rolle?
Dunkle, einsame und verlassene Orte ziehen dunkle, einsame, verlassene Helden an. Allein sind wir am besten zu ängstigen, denn Menschen als Herdentiere sind allein weitaus hilfloser als in der Gruppe. Wenn wir nicht wissen, was hinter der nächsten Ecke, der nächsten Tür liegt, dann sind wir unsicher, dann kann die Dunkelheit Schrecken gebären. Und Schrecken, der war auch immer schon interessant und unterhaltsam.
An wen richtet sich das Buch?
An alle, die mal etwas anderes als Romane lesen möchten und Lust auf Rätsel und Grusel haben.
Über die Autorin
Katja Angenent, geboren 1982 in Ludwigshafen, wuchs in Duisburg auf und lebt heute in Münster und im Ruhrgebiet. Sie arbeitet als freie Journalistin und Autorin. Katja schreibt schon seit der ersten Grundschulklasse eigene Geschichten und Bücher – der Erfolg hat seit den ersten Publikationen stetig zugenommen. Sie hat in Münster und Leiden (Niederlande) Geschichte, Deutsch und Englisch studiert und steht auf alles Alte und auf vieles aus Großbritannien. Heute lebt sie in Duisburg und Münster, gehört zur Autorengruppe Semikolon. Als Journalistin schrieb sie unter anderem für das Musikmagazin Sonic Seducer und war jahrelang Redaktionsleiterin des Mittelaltermagazins Miroque. 2017 vertonte der WDR die im Buch enthaltene Geschichte Abendessen und sendete sie als Kurzhörspiel. Seit 2018 gibt sie Kurse zum kreativen Schreiben.
Leseprobe
Das Kloster
Heinrich IV., König des deutschen Volkes, blickte von der Oppenheimer Stadtmauer stirnrunzelnd über den Rhein. Im Osten, am Horizont, zog ein Sturm auf. Die Zeichen waren unverkennbar. Dichte, dunkle Wolkenberge türmten sich am Himmel. Während über Heinrich noch die Sonne schien, wurde es dort bereits dunkel. Wie passend, dachte er. Gott ließ diesmal wirklich keine Zeichen aus. Die Analogie war unübersehbar. Gegenüber, auf der anderen Seite des Flusses, tagten in diesem Moment seine Gegner, um zu entscheiden, wie mit ihm weiter zu verfahren sei. Auch dieser Sturm war unausweichlich.
Er schüttelte den Kopf. Die Narren dort in Trebur irrten. Hörten sie nicht Gottes Worte? Wussten sie nicht, dass er sich in all seinem Tun nur nach Gottes Wünschen richtete? Sahen sie nicht, dass der Papst in seiner Anmaßung eher dem Teufel nahe war als Gott? Stattdessen wollten sie ihn, den von Gott eingesetzten König, richten. Er begriff diese Menschen nicht.
Ein frischer Wind kam auf und ließ seinen Umhang flattern.
Heinrich überlegte. Das Heraufziehen des Sturmes verhieß nichts Gutes. Eine Windböe erfasste einige trockene Blätter vor ihm und zwang sie zu einem grotesken Tanz.
Er musste etwas tun! Seit zwei Tagen waren er und seine Getreuen – zumindest die, die ihm noch geblieben waren – hier zum Warten verdammt. Wer wusste schon, wann die Gesandten in Trebur zu einem Entschluss kommen würden? Das konnte noch Tage, vielleicht Wochen dauern. Und was nach ihrem Entschluss käme, das wusste nur Gott allein. Alles stand auf dem Spiel: seine Königswürde, seine Ämter, ja, sogar seine Zugehörigkeit zur Kirche und damit sein Seelenheil.
Er hatte gehört, was selbst enge Freunde hinter seinem Rücken tuschelten: Dass er der Situation nervlich nicht gewachsen wäre, dass Gott ihn strafe, dass er anfinge, irrational zu handeln. Dabei war es doch die Gegenseite, der es an Einsicht und Rationalität mangelte! Der Wind bewegte nun auch die schwarzen Baumkronen unten am Rhein. Die Sonne war nicht mehr zu sehen. Wie ein Hund in seinem Zwinger begann der König, auf der Mauer auf und ab zu laufen. Bereits zwei Mal war er in den letzten Wochen vor Erschöpfung zusammengebrochen. Seine Nerven seien angeschlagen, sagte der Medikus. Heinrich verstand das nicht. Sollte Gott ihn tatsächlich verlassen haben? Er hatte doch Buße getan. Er hatte gebetet, gefastet, gestiftet, wieder gebetet; immer wieder gebetet. Durch das fortwährende Fasten war seine Statur ganz hager geworden. War das immer noch nicht genug gewesen? Der Wind wurde stärker. Die ersten Regentropfen klatschten gegen die Mauer.
»Was soll ich denn noch tun, Gott?«, schrie er in den Wind.
Doch der Wind antwortete nicht.
Ein Klopfen auf seiner Schulter riss den König schließlich aus seinen Gedanken. Heinrich drehte sich um.
Vor ihm stand Hugo von Cluny, einer seiner engsten Berater. Als sein Taufpate war er einer der wenigen, der sich eine so intime Geste erlauben konnte.
»Majestät, kommt doch mit in das Besprechungszimmer. Hier draußen holt Ihr Euch bei dem Wetter noch die schlimmsten Krankheiten!«
»Warum schickt Gott nun diesen Sturm, Hugo?«
»Sicher weiß das nur der Herr allein, mein König. Aber so lasst uns doch drinnen weiterreden. Es gibt etwas, das Ihr wissen solltet.« Heinrich nickte, warf noch einen letzten Blick auf den wolkenverhangenen Himmel, und folgte seinem Paten dann hinein.
Drinnen loderte ein gemütliches Feuer im Kamin. Heinrich hatte Probleme, sich auf die Gespräche seiner Berater zu konzentrieren. »Eure Königliche Hoheit«, unterbrach Anno von Köln nach einer Weile die Grübeleien. Etwas in seiner Stimme ließ den König aufhorchen.
»Was wir Euch gestern andeuteten, ist wahr!«
Heinrich erschrak. Anno hatte ihn gestern vor der Möglichkeit von Verrätern gewarnt – Agenten des falschen Papstes in seinen eigenen Reihen. Diese Möglichkeit bestand fortwährend, und darum hatte Heinrich ihr auch nicht besonders viel Aufmerksamkeit geschenkt. Doch natürlich war gerade jetzt, während sich seine Feinde auf der anderen Rheinseite berieten, die Gefahr groß, dass einer seiner Männer Informationen unter der Hand weitergab.
»Wir haben nun Beweise, die unseren Verdacht bestätigen. Wir konnten ein Schreiben abfangen, das aus Oppenheim geschmuggelt werden sollte. Hier, seht selbst.« Er reichte Heinrich ein Stück Pergament, doch dieser konnte die Zeichen darauf nicht lesen.
»Es ist verschlüsselt, Eure Königliche Hoheit«, sagte Anno. »Unsere Kryptographen haben es jedoch entschlüsseln können.« Er reichte ihm ein weiteres Schriftstück. »Ihr seid in Gefahr, Eure Königliche Hoheit! Hier ist die Rede von einem Attentat, das verübt werden soll, um Euch endgültig zum Schweigen zu bringen!«
Heinrich überflog die Übersetzung und schluckte. Wenn das stimmte, war er sich seines Lebens nicht mehr sicher. Er blickte zu den kostbaren Glasfenstern, gegen die nun der Regen prasselte. Es wunderte ihn nicht, dass man ihm nach dem Leben trachtete. Einige seiner Feinde hassten ihn vermutlich so sehr, dass auch sie nicht auf einen Entschluss der Gesandten in Trebur warten würden, sondern handeln wollten.
Heinrich dachte zurück an Utrecht, an seine Feier des Osterfestes, bei der zuerst der Bischof gestorben und dann auch noch die Kathedrale bei einem Gewitter abgebrannt war. Es ging hier nicht nur um sein eigenes Seelenheil, sondern auch das vieler anderer. Der Sturm war eine Warnung des Herrn! Draußen grollte ein Donner. Er erschrak. »Es sind meine Sünden«, stieß er hervor. »Ich habe Gott erzürnt.«
Hugo von Cluny blickte ihn bestürzt an. »Aber ihr habt die letzten Wochen kaum etwas anderes getan als gebetet!«
»Offensichtlich nicht genug!« Heinrich stockte. Lange war nur das Prasseln des Regens und das Knacken der Holzscheite im Kamin zu hören. Vor den Fenstern wurde es noch dunkler.
Anno von Köln räusperte sich schließlich.
»Mein König, darf ich Euch einen Vorschlag unterbreiten?«
»Sprecht!«
»Es gäbe vielleicht eine Möglichkeit, Euren Wunsch nach Buße und Eure Sicherheit miteinander zu vereinbaren. Hier in der Nähe soll es ein abgelegenes Kloster geben, dessen Mönche in dem Ruf stehen, ganz besonders fromm zu sein. Dorthin könntet Ihr Euch einige Tage zurückziehen. Niemand wird Euch dort erkennen. Bis die Beratungen in Trebur abgeschlossen sind, wird sicherlich noch mindestens eine Woche vergehen.«
Heinrich schüttelte den Kopf.
»Meine Abwesenheit in dieser kritischen Zeit wird bemerkt werden.« »Nicht, wenn wir sie verheimlichen.«
Der König blickte seine Berater an. Einer nach dem anderen senkte ergeben den Kopf. Anno hatte recht – sie würden schweigen.
»Gut«, sagte der König schließlich. »Ich breche sofort auf.«
Ein Donner, lauter als zuvor, ließ alle im Raum zusammenfahren.
»Es scheint mir der Wille Gottes zu sein.« Fast hätte Heinrich gelächelt. »Beschreibt mir den Weg zu diesem Kloster!«
Als der König in tiefer Dunkelheit schließlich zitternd an die große, hölzerne Pforte klopfte, war die Entschlossenheit, die er im Oppenheimer Ratssaal verspürt hatte, wie vom Regen hinfort gespült. Zwar war Gott mit ihm gewesen und hatte ihn in diesem Unwetter wohlbehalten an sein Ziel geleitet, doch hatten ihn den gesamten Weg lang Hunger und Kälte begleitet. Von Gewitter, Sturm und Hagel durchnässt bis auf die Knochen, war er durch die hügeligen Wälder geeilt. Sein Wollumhang hatte schließlich den tobenden Elementen nicht mehr standhalten können. Ganz auf sich allein gestellt, hatte er an jeder der vereinzelten Köhlerhütten nach dem Weg fragen müssen. Heinrich war sich sicher, noch nie einen solch abgelegenen Ort aufgesucht zu haben.
Ausführliche Titelinformationen
Katja Angenent: Die alte Freundin Dunkelheit. Schauergeschichten. Edition Subkultur, Berlin, Juni 2018, 122 Seiten, wahlweise als Softcover ISBN: 9783943412352 oder E-Book ISBN: 9783943412826, Preis: je 10 Euro
Bestellbar in jeder Buchhandlung, bei den üblichen Online-Anbietern und direkt beim Verlag.
Mehr Informationen zu Werk und Autorin gibt es auf der Webseite der Autorin; darunter Hintergrund-Infos zu Schauergeschichten, zum Volksglauben und zu geschichtlichen Grundlagen der historisierenden Texte.
Quelle:
- Presseinformation des Verlages