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Schwäbische Sagen 61

Schwäbische-Sagen

Zweites Buch

Geschichtliche Sagen

Kaiser Heinrich III. und der Graf zu Kalw

Im Jahr 1024 wurde Konrad II., ein Franke, römischer Kaiser. Unter dessen Regierung kostete es den Kopf, wenn einer sich unterstand, den Landfrieden zu brechen. Nun brach denselben Leopold (Diepold), ein schwäbischer Graf von Kalw, und entwich deshalb, als der Kaiser ins Land kam, mit seiner Gemahlin und einigen Bediensteten in den Schwarzwald und hielt sich daselbst in einer leer stehenden Mühle auf, nicht weit vom Kloster Hirschau. Da geschah es aber, dass der Kaiser einstmals dort herum zufällig jagte und in die Nähe derselben Mühle kam. Kaum erkannte ihn der Graf, als er seine Frau, die eben in Kindesnöten lag, verließ und heimlich in den Wald entfloh. Die Gräfin genas indes eines Söhnleins, während der Kaiser sie in ihren Wehen schreien hörte und dabei zugleich dreimal eine Stimme vernahm, die sagte: »Dieses Kind, o Kaiser, wird dein Tochtermann und Erbe werden!«

Darüber erschrak der Kaiser; denn er vermeinte nicht anders, als dass die Mutter des Knaben eine Bäuerin oder Müllerin sei, und gedachte, wie er dem zuvorkommen möchte, dass nicht ein Bauer sein Eidam würde. Deswegen schickte er zwei bewaffnete Diener in die Mühle, denen er einen Eid abgenommen hatte, dass sie das neugeborene Kind umbringen und ihm zu desto größerer Versicherung das Herzlein des Kindes überliefern sollten. Die Diener entrissen nun zwar der Mutter das Kind und trugen es in den Wald, schonten aber seiner aus Mitleid und legten es auf einen gespaltenen Baum, damit es vor wilden Tieren sicher sein möchte. Dann fingen sie einen Hasen, nahmen ihm das Herz aus dem Leib und brachten das dem Kaiser, der sie reichlich dafür beschenkte.

Als nun kurze Zeit danach ein gewisser Herzog von Schwaben in jener Gegend jagte und das ausgesetzte Knäblein fand, nahm er es mit und brachte es seiner Gemahlin. Die war unfruchtbar und ließ sich von ihrem Gemahl bereden, dass sie das schöne Kind als ihr eigenes annahm und sich als Wöchnerin stellte und ins Bett legte, und ausbreiten ließ, sie habe einen Sohn geboren. Der wurde dann getauft, erhielt den Namen Heinrich und wurde für einen jungen Herzog von Schwaben gehalten.

Als nun 15 Jahre später der Kaiser zu dem Herzog nach Ravensburg kam und den Knaben sah, fragte er: »Wer ist dieser Knabe?«

Sprach der Herzog: »Das ist mein Sohn!«

Worauf der Kaiser wider Willen des Herzogs und dessen Gemahlin ihn mit an seinen Hof nahm und ihn, weil er ein wackerer, wohlgezogener junger Herr war, oftmals vor sich kommen ließ.

Da geschah es, dass man die Abkunft des jungen Herzogs von Schwaben beim Kaiser verdächtigte und wissen wollte, der junge Herr sei ein untergeschobenes Kind. Dem Kaiser schien das alsbald sehr glaublich, da die Herzogin zuvor stets unfruchtbar gewesen war, auch von ihrer Schwangerschaft nichts verlautet hatte. Wie er nun das Alter des Knaben nachrechnete, wandelten ihn der Verdacht und die Furcht an, es könne derselbe am Ende das Kind sein, von welchem die Stimme in der Waldmühle geweissagt und welches zu töten er befohlen hatte. Deshalb wollte er abermals dem vorbeugen, dass er nicht sein Tochtermann würde, und schickte ihn mit einem Brief an die Kaiserin nach Aachen.

Darin stand geschrieben: »So wahr dein Leben dir lieb ist, o Königin, gib dem jungen Herrn, der diesen Brief überbringt, unverzüglich den Tod!«

Mit diesem Brief machte sich der junge Heinrich wohlgemut auf den Weg und konnte nicht ahnen, was ihm drohte. Unterwegs aber kehrte er bei einem gelehrten Priester zu Speier ein und vertraute demselben, der Sicherheit wegen, seine Tasche mit dem Brief an, bevor er sich zur Ruhe begab. Da trieb die Neugier den Priester, den Brief des Kaisers, ohne das Siegel zu verletzen, künstlich zu öffnen und zu lesen, woraus er dann mit Schrecken erkannte, in welcher Gefahr der Jüngling schwebte. Sogleich war er auch entschlossen, ihm zu helfen und änderte die zwei letzten Wörtlein des Schreibens gar fein und säuberlich so um, dass sie von den Schriftzügen des Kaisers nicht zu unterscheiden waren. Nun lautete der Brief: »So wahr dein Leben dir lieb ist, o Königin, gib dem jungen Herrn, der diesen Brief überbringt, unverzüglich deine Tochter zur Gemahlin!« Darauf schloss er den Brief mit dem Siegel wieder, sodass er war wie zuvor, und entließ freundlich seinen Gast.

Als der nun der Kaiserin den Brief übergeben hatte, tat sie sogleich, wie ihr darin befohlen war, und gab dem Heinrich ihre Tochter und legte sie ihm zu.

Bald kam die Mär davon vor den Kaiser, der anfangs sehr zornig wurde. Wie er aber erfuhr, dass die edle Gräfin von Kalw in der Mühle bei Hirschau diesen Jüngling geboren hatte, und wie er der Weissagung gedachte, die er damals gehört hatte, so gab er sich drein und rief aus: »Nun merke ich wohl, dass Gottes Ordnung niemand hintertreiben mag!« Er förderte seinen Tochtermann, den ihm das Schicksal bestimmt hatte, zum Herzog von Alemannien (1038). Als Konrad im folgenden Jahr starb, wurde Heinrich zugleich deutscher König.