Archive

Die Fahrten und Abenteuer des kleinen Jacob Fingerlang 18

Die Fahrten und Abenteuer des kleinen Jacob Fingerlang
Ein Märchen von Gotthold Kurz
Nürnberg, bei Gottlieb Bäumler 1837

Achtzehntes Kapitel

Wie Jacob bei einem Sturm die schiffbrüchige Mannschaft rettet.

Für Jacobs Ausrüstung war durch fürstliche Milde in jeder Weise stattlich gesorgt worden. Der glücklichste Gedanke aber war der, dass sein wohleingerichtetes Haus, mit einem Schiffkiel und allen nautischen Bedürfnissen versehen, zugleich mit ihm eingeschifft wurde, sodass zu Zeiten schwachen Windes dasselbe wie ein anderes Boot ausgesetzt werden und der Flotte folgen konnte. Da bestrebte sich Jacob nun mit allem Fleiß, das, was er auf dem großen Schiff gelernt und wahrgenommen hatte, sogleich praktisch geltend zu machen. Bald war er imstande, sein Fahrzeug nach allen Seiten wenden, die Segel nach dem Wind stellen und die Kraft derselben nach Belieben steigern zu können. Es fehlte ihm nie an teilnehmenden Zuschauern unter dem Schiffvolk noch an Beifall, wenn er mit seiner zierlichen Brigg im Angesicht der großen Fregatten manövrierte und gleich einer Möve über den Wasserspiegel dahinstrich. Zu anderen Zeiten belustigte er die Reisegefährten durch einen Flug mit seiner Schwalbe, die bei der Einschiffung auch nicht vergessen worden war, und stattete so ohne Beschwerde seinen Besuch bald bei diesem, bald bei jenem Schiff ab. Wo aber auf der Fahrt irgendeine Insel aus dem Meer auftauchte, da flog er kühn auf Kundschaft aus und verschaffte durch seine Aufmerksamkeit der Equipage bald frischen Wasservorrat, bald einen leckeren Fang. So wurde er auch hier bald allgemein beliebt und hoch geehrt.

Wochen und Monate vergingen. Das Wetter war bisher fast ohne Unterbrechung günstig gewesen, und jetzt waren sie nicht fern von der südlichen Spitze von Afrika, als der Wind mit einem Mal umsprang und am fernen Horizont Wölkchen sichtbar wurden, die mit reißender Schnelle wuchsen, heraufzogen und den Himmel verdüsterten. Der Wind wurde stärker und fuhr mit mächtigen Stößen durch das Takelwerk, dass die Masten dröhnten und die Taue klapperten. Er fuhr hin und her, und die weite Wasserwüste fing an zu wallen und zu brausen. Die Wogen erhoben sich eine über der anderen, dass die Fahrzeuge taumelnd hin und her schwankten. Die Menschen darinnen, von Sorge und Schrecken ergriffen, eilten herbei, dem drohenden Ungewitter zu begegnen, zu den Masten, auf die Rahen; raften die Segel ein, schlossen die Stückpforten, und setzten sonst, was nötig, in Bereitschaft, wie jedem von Amtswegen gebührte. Aber über diese geschäftige Ameisenwelt zog sich der Himmel immer dichter und schwärzer zusammen. Wolken türmten sich auf Wolken, vom Sturm daher gejagt, und die Wogen wurden Berge, und zwischen ihnen stürzten die Wasser in schäumende Abgründe. Mit dem Geheul des Windes und dem Brausen der Wogen vermischte sich das Rollen des Donners; die Schiffe wurden gewaltsam mit hineingerissen in den grausenvollen Tanz der Gewässer und der Lüfte!

Da hüpften sie kraftlos hin, die so stolzen prächtigen Kriegsschiffe wie leichtes Korkholz, jetzt schnell emporgehoben in schwindelnde Höhe, jetzt wieder hinabgeschleudert in die Tiefe, dass die Wände krachten, und alles, was innerhalb nicht wohl befestigt war, übereinander stürzte. Vom Himmel herabströmten, und zum Himmel hinauf schlugen die Gewässer; prasselnde Donnerschläge folgten grell leuchtenden Blitzen, und diesen wieder rabenschwarze Nacht, sodass kein Schiff das andere erkennen konnte, und sie weit auseinander gestreut wie Flocken hin und her flogen im fürchterlichen Aufruhr der Natur.

Da brach in den unteren Räumen ein herzzerreißendes Jammern und Wehklagen aus, von Weibern und Kindern, und selbst die Männer lagen und saßen bleich und bange umher.

Triefend vor Nässe und mit finsteren Blicken schwankten die beschäftigten Matrosen ab und zu. Den Herzhaftesten schwand der Mut in solcher Not. Jacob aber vergaß aus Teilnahme an fremde Gefahr fast die eigene; der Gedanke an den Allmächtigen, der allenthalben nahe, dem Wind und Meer gehorsam ist, beschäftigte und erhob jedoch seine Seele. So kam nach einer langen fürchterlichen Nacht endlich der Tag herauf. Und siehe! Das Ungewitter legte sich, der Sturm ging vorüber. Aber, das wiederkehrende Licht beleuchtete auch einen Schauplatz der Verwüstung und des Jammers! Mehrere Fahrzeuge, auf verborgene Klippen geraten, waren gescheitert! Blanken, Masten, Fässer und Warenballen schaukelten zerstreut auf den Wogen umher, dazwischen überall Menschen, ringend in Todesnot. Die See ging noch immer hohl, die Rettung war schwierig, denn wegen der heftigen Brandung konnte kein Mensch nahe genug herbeikommen. Da war nun unser Jacob bei der Hand! Er ließ schnell an die Enden der Rettungstaue, lange dünne Schnüre knüpfen, nahm deren so viele, wie sein kleines Händchen fassen konnte, zusammen, und husch war er hinübergeflogen, wo die Schiffbrüchigen mit den Wellen kämpften. Jedem warf er nun eine dieser Schnüre zu, womit die Schwimmenden das Tau herbeizogen und an demselben nun ihrerseits schnell zu den ausgesetzten Booten hinbugsiert wurden.

So flog er hin und her und hatte keine Ruhe, bis auch der Letzte gerettet war. Dann aber entwich er ebenso schnell den stürmischen Dank und Beifallsbezeugungen, womit er überhäuft wurde, und genoss, zurückgezogen in sein kleines Gemach, das Glück des süßen Bewusstseins, so vieler Menschen Leben gerettet zu haben, indem er Gott für seinen Beistand dankte.