Das versunkene Schloss
Vom frischen Quell
Sagen, Legenden und Geschichten aus der Eifel
Jung und Alt in neuer Fassung dargeboten von Rektor Jos. Schiffels
Verlag Georg Fischer. Wittlich. 1912
Zweites Bändchen
Das versunkene Schloss
Wo sich jetzt das Weinfelder Maar ausbreitet, stand vor Zeiten auf gesegneter Flur ein prächtiges Grafenschloss. Sein Besitzer war nicht nur wegen seines Reichtums, sondern auch wegen seiner Herzensgüte weit und breit bekannt. Wo er nur konnte, tat er den Armen Gutes, und seine Untertanen liebten ihn wie einen Vater. Nicht so seine Gemahlin; denn sie hatte ein teuflisches Gemüt und war namentlich hartherzig gegen die Armen. Lieber trat sie das Brot mit Füßen, als dass sie es den Hungrigen reichte. Die hartherzige Gräfin ließ die Bettler mit Peitschen von ihrer Schwelle treiben und, wenn das nicht genügte, mit bissigen Hunden hetzen. Einst haben diese bösartigen Tiere einen alten Mann, der die Schlossherrin um eine milde Gabe angefleht hatte, zu Boden gerissen und so grässlich zerfleischt, dass er starb. Die grausame Härte und Bosheit der Schlossherrin bereiteten dem Grafen unsäglichen Schmerz, aber er vermochte nicht, ihr starres Herz mit edleren Regungen zu erfüllen. Still duldend ertrug er sein böses Geschick, über das ihn nur die Liebe zu seinem einzigen Kind trösten konnte. Allein das göttliche Strafgericht für das böse Weib blieb nicht aus.
Eines Tages war der Graf mit seinem Gefolge zur Jagd geritten. Da verfinsterte sich plötzlich die Luft, Blitze zuckten durch die Finsternis und unheimlich rollte der Donner. Unter betäubendem Getöse spaltete sich der Boden, und ungeheure Wassermassen stiegen aus dem Inneren der Erde empor, die das Schloss wegspülten und in die unergründliche Tiefe versinken ließen. In den aufsteigenden Fluten hat auch des Grafen Weib einen jähen Tod gefunden. Wo vorher noch der stolze Bau gestanden hatte, schäumte nun ein dunkles Gewässer. Keine Spur von dem ehemaligen Schloss blieb übrig.
Ein Bote überbrachte dem schwer geprüften Grafen, der bereits heimwärts ritt, die schreckliche Kunde, ihm von fern zurufend: »Herr Graf, verschwunden ist Euer Schloss, und wo es einst gestanden, da flutet jetzt ein tiefer See.«
Die Nachricht kam dem erschreckten Grafen unglaublich vor. Er entgegnete: »Das, was du mir verkündet hast, ist ebenso wenig möglich, als dass mein treuer Falchert, auf dem ich sitze, hier eine Quelle aus dem Boden stampfen könnte.« Kaum hatte er das gesagt, als sein Pferd zu scharren anfing, und alsbald sprudelte eine klare Quelle, die noch heute fließt und Falchertsborn genannt wird, aus dem Boden hervor. Das sah der Graf mit Entsetzen, und er glaubte nun auch, dass das Schreckliche geschehen sei, so wie ihm berichtet worden war. Bald stand er an der Stelle, die bisher seine Heimat war, und bleich und zitternd, in seinem Herzen bitteres Weh, starrte der Unglückliche in das aufschäumende Meer, das ihm alles verschlungen zu haben schien. Groß war deshalb seine Freude und voll Dank fein Herz, als er sein wie durch ein Wunder gerettetes Kind wohlbehalten in seiner Wiege liegend ans Ufer treiben sah. Getröstet und beglückt drückte er es an seine Brust und zog von dannen, um an die Stätte seines grausigen Geschickes nie wiederzukehren.