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Jacob von Molay, der letzte Templer 30

Franz Theodor Wangenheim
Jacob von Molay, der letzte Templer
Dritter Teil
König Philipp
Verlag von Joh. Fr. Hammerich, Altona, 1838

Fünftes Kapitel

Es dunkelte in den Gängen des Louvre.

Still war es, unheimlich. Nichts hörte man als der Wachen gemessenen Schritt, dessen Eintönigkeit gar unangenehm sich verkündete. Auch nicht einer ließ den Schaft der Hellebarde auf die Steinplatten fallen. Es war verboten worden, vor irgendeinem, der die Gänge durchschweifte, dieses Zeichen der Ehrfurcht und Unterwürfigkeit an den Tag zu legen. Schon brannten in Brüstungen und Nischen der Gänge die vielen Ampel, doch sie brannten düster, kaum so viel Licht verbreitend, dass man eine dahinschweifende Gestalt erkennen konnte. Es hätte auch des Lichtes nicht bedurft, denn menschenleer war es, und selbst die Wachen zogen sich, wie auf geheimem Befehl, bis auf das unterste Ende eines einzigen Ganges zurück. Hier standen sie versammelt, tauschten flüsternd ihre Mutmaßungen gegeneinander. Sie wussten sich das Ganze nicht zu erklären. Warum denn auch? Warum sollten Wachen, die etwas unbewacht lassen müssen, dass erklären dürfen? Es wäre einem hochgewachsenen Mann, in weißem Mantel, mit breit gekrempten Hut, welche beiden Stücke beinahe das ganze Gesicht des Mannes deckten, und der in einer Nische auf etwas zu warten schien, gewiss sehr unbeliebt gewesen, wenn die Wachen sich über ihn hätten aufklären können. Unlieb? Das Wort ist Beschönigung. Vielleicht wäre sein Zorn gereizt worden, und dann wehe den Wachen! Der Mann im weißen Mantel und breit gekrempten Hut war der König Philipp, war der mächtigste Selbstherrscher in der ganzen Christenheit – und er stand jetzt und kenntlich gemacht durch die Verkleidung, um …

Eine hohe weibliche Gestalt näherte sich ihm. Der stumme Blick derselben riss ihn zum geflügelten Schritt hin. Kaum konnte sie ihm so schnell voraneilen, wie er ihr folgte. In ein kleines, aber hell erleuchtetes Gemach trat der König. Die hohen Kerzen ließen ein rotes Kreuz auf seinem weißen Mantel erblicken. Sie zeigten in der weiblichen Gestalt Oberhofmeisterin der Königin, Pontrouge. Nicht ein Wort wechselten die beiden miteinander. Stumm, wie sie gekommen waren, schieden sie. Pontrouge aber schlug den Weg nicht ein, der sie hergeführt hatte. Sie entfernte sich durch eine andere Tür.

Der König war allein.

Wer hätte unter diesen weißen Mantel, unter diesem roten Kreuz denjenigen Fürsten vermuten sollen, der jetzt darauf ausging, den Orden zu verderben, welchen dieses Kleid angehörte? Und dennoch, verwandte er nicht jetzt gerade dieses Ordenskleid zu einem sündigen Unternehmen? Mochte nun auch König Philipp aus übergroßer Religionsschwärmerei, aus Selbstsucht, aus gekränkten Stolz eines Selbstherrschers, aus Eigennutz oder Geldgier den Orden hassen, so war er doch nur der mächtige Bogen, dessen Sehne in der Hand seiner Minister war. Sie hatten den Pfeil aufgelegt und Philipp machte ihm nur gar zu gut fliegen. Wie er da so vermummt an der Tür lehnte, hätte man da wohl vermuten können, dass ein so großer mächtiger Fürst sich aus eigenem Antrieb zu solchen Mummenschanz hergeben würde? Sowohl Wilhelm als auch Pontrouge hatten seine Leidenschaft für Margot genau berechnet; ein jedes von ihnen aber zu einem anderen Zweck.

Dem König schien es nicht sonderlich zu behagen, denn er war so allein mit seinen schlimmen Absichten, war so allein mit seinem Gewissen. Wo das Gewissen sich regt, da fliehe jeder die Einsamkeit: Ein schwarzer kläffender Hund steigt es vor ihm auf, nicht in ihm. Borstig sträubt das Haar dieses Mahners um die glänzenden Augen, und sein Gekläff geht endlich über in Geheul. Kein Fluch trifft ihn, kein Schwertschlag hindert ihn … Sollte es wohl um Philipp von Frankreich so gestanden haben? Möglich; doch nicht gewiss. Vielleicht trieb ihn das Verlangen nach Margot aus einem Winkel in den anderen. Aber warum vergaß er den jetzt seine Verlarvung, drückte den Hut weit aus der Stirn und trocknete mit dem Zipfel des Mantels den Schweiß von derselben ab? Das musste doch wohl etwas anderes zu deuten haben als Ungeduld der Liebespein. Horch! Ein Geräusch, wie berauschendes Gewand. Schnell den Hut wieder in die Stirn gedrückt und – Philipp lehnte wieder an der Tür.

Da trat Margot herein. Schön, als sie jemals erschienen war, schön war sie jetzt. Nicht das seidene Gewand, welches sie umgab, nicht der schöne Faltenwurf des langen Schleiers erhöhten ihre Schönheit; aber die Überraschung, da sie den weißen Mantel mit dem roten Kreuz erblickte und die hohe Mannsgestalt, rötete ihre Wangen höher und machte ihr Augen freundlicher erglänzen. Die stumme Verbeugung des Rittersmannes drang der Jungfrau die Notwendigkeit auf, zuerst das Wort zu nehmen: »Man sagt mir, ein Ritter aus dem fernen Deutschland begehre mich zu sprechen. Zwar ist es nicht Frauensitte, allein einem Mann gegenüberzutreten, doch mögt Ihr es mir nicht verargen, Herr, und wenngleich die Tugend sich stets selbst genug ist, so sind wir jedoch nicht ohne Zeugen, denn in dem Gemach, welches ich eben verließ, waltete die Hofmeisterin der Königin. Sie selbst schickt mich hierher. Was soll ich denken, Herr«, hob Margot wieder an, »Ihr begehrt mein und steht stumm in Euch versunken, tief in Euren Mantel gewickelt und die Krempe Eures Hutes verbirgt mir Euer Angesicht? Sagt an, seid Ihr vielleicht in des Ordens Angelegenheit hier? Denn eure Gestalt scheint mir so düster, nicht anders, als wenn ein unglücklicher blindes Schicksal angrollt – aber warum kommt Ihr dann gerade zu mir, zu der Waffenschmiedstochter aus Beziers, deren eigener Vater die Klage gegen Orden erhoben haben soll? Noch immer kein Wort? Sagt kurz, Herr Ritter, was begehrt ihr von mir?«

Mantel und Hut waren plötzlich verschwunden und König Philipp lag zu den Füßen der Jungfrau.

»Dich!«, rief er, »dich will ich von dir!«

»Der König!«, bebte Margot vergleichend zurück.

»Lass den König!«, fuhr er weiter fort, indem er ihre Hand fest in der seinen hielt. »Ich bin Philipp, der dich liebt! Weder Reichtum noch Macht sollen dich mir gewinnen. Nur dein eigenes Herz, Margot, muss für mich sprechen! Du! Du bist es, deren Bild mich stets umschwebt. Im Wachen wie im Traum umglänzt mich das rosige Morgenlicht dieser neuen Liebe, welche ich nicht mehr verbannen kann!«

»Steht auf, mein Herr und König. Ich fühle mich schon unglücklich, Euch zu meinen Füßen gesehen zu haben …«

»Erkenne daran mein Glutverlangen, du Kalte! Philipp schlüpft wie ein 16-jähriger Knabe zu dir, wirft sich zu deinen Füßen nieder und fleht um Liebe! S sollte er das vergebens getan haben …? Denke, Mädchen, je heißer die Liebe war, desto glühender ist der Hass verschmähter Liebe!«

»Herr und König«, sprach Margot, mit aller Kraft eine feste Stimme erzwingen wollend. »Herr und König, dies ist wohl der schwerste Augenblick, der in einem so unbedeutenden Leben, wie das meine ist, hereinbrechen kann. Ich fühle, dass ich nicht schwach werden darf … nein! Ich will auch nicht schwach werden … ich will mich mit jener Kraft rüsten, welche noch stets die Unschuld umgab. Ich will nicht fliehen vor Euch. Wohin auch sollte ich fliehen? Aber an des Sakraments unverbrüchlichem Band will ich Euch ermahnen. Drum werdet Ihr mir nicht zürnen, ein gerechter Herr.«

»Was gelten Sakramente, wo nur Liebe spricht?«

»Gnädigster Herr, Ihr seid der beste Sohn der Kirche …«

»Nichts davon! Das führt zu weit! Margot, komm, setz dich neben mich! Denke dir, ich wäre nicht König, denke dir, mir lebte kein Weib, nichts stände uns beiden entgegen … würdest du dann mich lieben können?«

»Ich habe jeder irdischen Liebe entsagt, mein König.«

Die Jungfrau stand seitwärts weit ab von ihm. Er bemerkte nicht, dass bei diesen Worten ein feuchter Schleier sich über ihre Augen zog.

»Margot, sei wahr, verleugnet dein Herz nicht! Ich weiß, du trägst eine irdische Liebe mit dir. Was führte dich so schleunigst dem deutschen Rittersmann entgegen, den man dir gemeldet hat?«

»Herr König«, stammelte sie hervor.

»Ich weiß alles! Weiß mehr, als du denkst! Graf Hugo war es, der Glückliche, der dich gefesselt hat.«

»O, Pontrouge!«, seufzte das Mädchen tief auf.

»Ja, ja, Margot«, das glaubtest du nicht, dass ich um alles so gut Bescheid wüsste. Ich kenne ihn, kenne ihn recht gut den schmucken Grafen, den Tempel Herrn … und wenn du ihn mit deinen Armen umschlungen hieltest, ich würde ihn herausreißen!«

In ihrer Aufregung verstand Margot die Drohung des Königs keineswegs in ihrer ganzen Bedeutung. Philipp hatte auch an die Kurfürsten die Mahnung ergehen lassen, seinem Beispiel zu folgen, und meinte, dass man auch in Deutschland sich der Tempelherren bemächtigen würde. Sein Eigendünkel gab dieser Vermutung Raum. So hatte er ebenfalls an den römischen König, an den König von Neapel, von England, Kastilien, Aragonien, Navarra, Portugal, an die italienischen Fürsten und an den Grafen von Flandern Mahnungsbriefe abgesandt. Dies alles erwachte plötzlich, als er des deutschen Großkomturs erwähnte. Darum war er in seiner Drohung so heftig geworden, dass Margot, von ihr erschreckt, noch weiter zurückwich. Die Rolle des zärtlichen Liebhabers hatte Philipp vergessen. Er saß nun wieder da als König. Das Auge, voll Verlangen, haftete auf der Jungfrau totbleichen Zügen, zog sich gierig an den üppigen Bau der Glieder, an die Wellenlinien des schönen Körpers.

»Hätte man es denken sollen«, begann er endlich halblaut, »dass eine Margot, von mir von Wohltaten überhäuft, mich einem deutschen Tempelherrn nachsetzen würde! Ich möchte es nicht glauben, wenn ich es nicht selbst erlebte! Doch nun kein Wort mehr davon. Ich bin jetzt nicht aufgelegt zu Liebesgeschichten, doch werde ich sorgen, dass du allein bleibst, Margot, und weitere Befehle wirst du erwarten.«

Ohne sich um Mantel und Hut zu bekümmern, verließ der König das Gemach. Margot stand, einer Bildsäule gleich. Sie konnte nicht von der Stelle weichen. Da tönte es von lautem Rufen, eilige Schritte klangen durch die Gänge, es drang näher und näher.

Aufgescheucht aus ihrem Verlorensein hörte Margot die Worte: »Tempelherren im Louvre! Tempelherren!«

Sie wollte sich zurückziehen, wollte in die verstecktesten Gemächer eilen, da wurde die Tür aufgerissen und ein Tempelherr stürzte herein.

»Bist du Margot?«, fragte er fliegenden Atems.»Ja du bist es! So hat man dich mir beschrieben. Nur der leidige Putz entstellt deine Schönheit, Mädchen. Verbirgt den Dauphin von Auvergne!«

»Ihr?«

»Frage nicht! Verbirgt mich!«

Schon hörte man die Schritte der Verfolgenden näher und näher dringen, der Dauphin sah die Unentschlossenheit der Jungfrau und flüchtete durch die andere Tür. Er war verschwunden wie der Hauch des Mundes.

Da klopfte es, und ohne die Erlaubnis abzuwarten, drang der Wachthauptmann herein.

»Wo ist der Tempelherr?«, war seine erste Frage.

»Tempelherr …? Ich weiß nicht … von einem Tempelherrn.«

»Leugnet nicht, Fräulein, hier liegen Mantel und Hut: Hier muss er sein! Doch was frage ich Euch noch lange, ich werde ihn schon ausfindig machen.«

Und nun stellte der Wachthauptmann eine Untersuchung an, so genau, dass auch nicht eine Maus sich hätte verbergen können. Doch, wie zu vermuten stand, er fand nichts, und heftiger und immer heftiger wurde der Söldner des Königs. Margot meinte, dass sie ihm mit Ruhe begegnete; doch war ihre Aufregung nicht zu verkennen und das reizte den Wachthauptmann umso mehr auf. Er wollte auch in die anderen Gemächer drängen, schritt auf diejenige Tür zu, durch welche der Dauphin verschwunden war. Doch, wie gefesselt, blieb er stehen, denn Pontrouge trat ihm entgegen.

»Wer lärmt hier so?«, fragte sie. »Wer wagt es, hier zu lärmen? Ich kenne Euch, Ihr seid Hauptmann … und Ihr wagt es hier, hier einzudringen?«

»Gnädige Frau«, stotterte der Hauptmann hervor.

»Es steht Euch zu«, unterbrach sie ihn, »Euch schnurstracks zu entfernen.«

»Doch dieser Mantel, die so Hut … meine Wachen …«

»Eure wachen! Was haben sie gesehen? Nichts, gar nichts! Sie dürfen nichts gesehen haben! Habt ihr mich verstanden, Herr Hauptmann? Sie dürfen nichts gesehen haben. Hütet Euch, dass ich Euch demjenigen unter die Augen führe, der Mantel und Hut getragen hat … sein Blick würde Euch vernichten.«

»Doch gnädige Frau, ich habe Befehl, Tempelherren, welche sich im Louvre eingeschlichen haben, zu verhaften. Meine Pflicht …«

»Was! Pflicht! Das Wort trägt Euresgleichen stets im Munde! Ich sage Euch, Hauptmann, diesen Mantel, diesen Hut hat kein Tempelherr getragen! Habt Ihr verstanden? So geht, tut es Euch selbst zu gefallen, dass ihr von dem ganzen Hergang schweigt.«

Der Hauptmann aber war keineswegs von denjenigen Männern, welche sogleich auf Liebesabenteuer schließen. Er beharrte fest darauf, dass er, seine Pflicht zufolge, den Mann sehen müsste, der als Tempelherr verkleidet hier eingedrungen war. Pontrouges Fassung wurde dadurch merklich erschüttert. Sie wusste sich aber dennoch zu behaupten, winkte den Hauptmann auf die Seite, sprach einige Worte leise, ihr Blick bezeichnete ihm Margot.

»Zum Teufel«, brummte der Hauptmann für sich, als er sehr linkisch das Gemach verließ. »Zum Teufel mit der Hauptmannschaft, wenn König Philipp dumme Streiche macht.«

Pontrouge hörte noch, wie er seinen Untergebenen den Befehl erteilte, sich wieder an ihre Posten zu begeben und ihnen einschärfte, was sich heute Abend auch im weißen Mantel zeigen würde, freien Durchgang zu gestatten.

Nun atmete Pontrouge wieder frei, doch Zentner schwer drückte König Philipp Drohung ihr Herz danieder.

Margot war während des ganzen Auftritts mit dem Hauptmann, da er mit Pontrouge gesprochen hatte, teilnahmslos geblieben. Alle Ereignisse dieses Abends hatte ihre Denkkraft so erschüttert, dass ihr Geist in einer Art von Spannung verfallen war. Jetzt ergriff Pontrouge ihre Hand. Das Mädchen schrak zusammen, und als auch die Oberhofmeisterin alles aufbot, Margot von der Notwendigkeit, den König zu begünstigen, zu überzeugen. Margot blieb kalt, stumm, ja, in ihren Zügen lag Verachtung.

Trotz des Widerstandes der jungen Frau zog sie Pontrouge in das angrenzende Gemach, wo der Dauphin verborgen war. Als sie seiner ansichtig wurde, war es, als ob der erste Sonnenstrahl in die schlummernde Natur hineinzuckt. Ihr Auge leuchtete auf. Schnell beredeten Mundes fragte sie: »Was führt Euch, Euch, den Tempelherrn, in einer Jungfrau heiliges, abgeschlossenes Asyl?«

»Du fragst noch? Du kannst noch fragen, die über uns gleich der Gottesmutter wacht! Mich sendet der Meister, ich sollte dich suchen und dich fragen, ob du wahrhaft und wirklich Margot von Beziers bist, die Tochter jenes Waffenschmieds, der uns angeklagt hat. Ich meinte nicht, dass man so feindlich gegen uns gesinnt wäre, denn bis heute wurde noch keinen Tempelherrn der Zutritt in den Louvre versagt. Wie es einem Mann, einem Großkomtur, einem Dauphin Auvergne ziemt, so wollte ich vor dich hintreten, nicht aber flüchtig, wie ich hier erschienen bin.«

»Und wenn ich nun die Tochter des Waffenschmieds von Beziers bin, welches Gewerbe habt Ihr, Herr Ritter, dann noch an mich zu bestellen?«

»Ich nicht, holdes Frauenbild, ich habe nichts an dich zu bestellen. Doch diese hier, meine Schwester.«

»Die Frau Oberhofmeisterin …?«

»Ja, Margot«, nahm diese das Wort, »du siehst hier den Freund, den Waffenbruder des deutschen Wildgrafen. Erzählt doch selbst, Herr Ritter, wie und auf welche Weise Ihr so genau befreundet worden seid.«

»Wir sind jetzt Glieder eines Ordens.«

»Nein, nein! Das ist meiner Margot nicht genug. Was liegt Euch daran, ob Ihr ein Stündchen früher oder später den Louvre verlasst? Nehmt Platz hier; Eure Sicherheit ist nicht mehr gefährdet, dafür bin ich euch Bürge.«

»Nun, um Euch zu willfahren. Wir lagen vor Tortosa, ein tüchtiges Heer. Doch die Stadt wehrte sich hartnäckig. Im Konvent, wie er im Feld sein kann, lernte ich den deutschen Komtur kennen. Ein schöner Mann, dachte ich bei mir selbst, bei der heiligen Mutter! Ein schöner Mann. Tortosa war erobert, ehe ich in nähere Beziehungen zu dem Deutschen kommen konnte. Doch sein Bild stand immer vor meinen Sinnen, und wie sehr war ich erfreut, als er plötzlich auf Zypern wieder erschien. Die Neigung, welche mich zu ihm hinzog, fand ich bei ihm: Wir wurden Freunde, ja sogar sehr vertraute Freunde. Des Ordens Gelübde kennt Ihr ja, Keuschheit ist das erste. Ob Hugo von Payens diesem Gelübde so viel aus den zugemessen hat, dass durchaus keine Liebe in eines Tempelherren Brust aufflammen durfte, das ist eine Frage, welche sich selbst beantwortet. Darf ich nicht meinem Gott lieben, meinen Vater, meine Mutter, meinen Bruder und all meine Angehörigen? Seht, diese Zweifel äußert der Wildgraf gegen mich. Er enthüllte mir sein Innerstes, enthüllte mir sogar, dass er auf Roucy ein Mädchen gesehen hatte, schöner als ihm jemals des Himmels Heilige geschildert worden war.«

Der Dauphin hielt inne. Es war nicht schwer, in diesem Augenblick Margots Empfinden zu berechnen. Ha! Wie ergriff die Entdeckung das Mädchen! Jeden Seligkeit; doch Gegenliebe zu wissen, dafür gibt es keinen Namen.

»Margot«, verfolgte sich der Dauphin, »Margot, du warst es, die Graf Hugo auf Roucy gesehen hat. Währe er nicht Tempelherr, seine Hand würde dich hinaufziehen zu seines Standes Höhe. Welche Qual für ihn! Mir hat er sein Herz verschlossen, dass ein Gelübde in deinen Besitz wehrt. Doch er liebt dich, liebt dich innig, wie man Gott liebt, und traurig, dreimal traurig jetzt, dass ein so herbes Geschick über uns alle hereinbrechen muss.«

»Muss, Herr Ritter …? Warum muss denn ein so herbes Geschick hereinbrechen über Euch? Seid ihr doch Männer! Bei Gott! Ich hätte nicht gedacht, dass Männer sich so leicht allem fügen würden.«

»Margot, du kennst den König nicht. Er, der mächtigste Herr in der ganzen Christenheit, der selbst nicht anstehen würde, dem Papst den Gehorsam aufzukündigen. Was vermöchten wir gegen König Philipp und seine Überzahl von Schergen? Der Wille dieses Königs ist schon die Tat. Können wir ihn in seinem Willen nicht wanken machen, so ist alles verloren, wir und alles, was uns anhängt.«

»Aber, edler Herr, was soll ich … ich dabei tun?«

»Auch du hast um das Liebste deines Herzens zu fürchten. Oh, Philips Arm reicht weiter, als du denkst! Ich sage dir, es wird von glorwürdigen Orden nichts übrig bleiben als der Name, wenn irgend dieser fernerhin genannt werden darf.«

»Ein Winkel der Erde wird doch wohl sicher sein vor …«

»Nicht einer kann einen Tempelherrn schützen! Wir sind dem Ungläubigen in den Tod verhasst. Verfolgt uns nun der Christ, wohin dann?«

»Das ist eine trübe Wahrheit«, gab Margot zu.« Wie aber wäre des Königs Eisenwille zu beugen?«

»Du kannst es, Margot. Sieh, der Meister schickt mich zu dir. Danken sollte ich im Namen des Ordens und ich heische gleich einen ungestümen Bettler noch mehr …«

»Und was heischet Ihr denn noch, Dauphin von Auvergne?«

So trat Wilhelm von Paris herein. Pontrouge erschrak so heftig, dass sie am ganzen Körper zitterte. Sie wankte zu einem Sessel.

Der Pater folgte ihr, indem er über die Schulter hinweg dem Dauphin die Worte zuwarf: »Eurem lasterhaften Treiben werden wir bald ein Ende machen. Denkt Ihr, der weiße Mantel berechtige zu jedem sündigen Gelüsten?«

»Hochwürdiger Vater …«

»König Philipp mag froh sein, dass wir für ihn wachen! Bei allen Heiligen, er dürfte sonst nicht wagen, in seinem Louvre zu schlafen! Euch, Frau Oberhofmeisterin, bedaure ich, und, um Euch der öffentlichen Strafe zu entziehen, denn vor dem ganzen Hof würde der König Euch zur Rede stellen. So weise ich Euch an, noch an diesem Abend den Louvre zu verlassen und in einen strengeren Orden zu treten als derjenige, welchen ihr bis jetzt angehangen habt. Ihr würdet wohl tun, Frau Oberhofmeisterin«, fügte der Pater noch drohend hinzu, »wenn ihr meine Worte beherzigt. Noch ist es Zeit, mit Tagesanbruch nicht mehr. Und du«, wandte er sich an Margot, »du, auf welche das königliche Paar Wohltaten gehäuft hatten, wie mochtest du König Philipp so verraten, Frauensitte mit Füßen treten und diesem Galan den Zutritt gestatten?«

Hoch erglühte Margots Gesicht bei diesen verletzenden Worten. Sich keiner Schuld bewusst, zuckte der Jungfrau Augen beleidigend auf den Pater hin.

Der aber hemmte das Wort auf ihren Lippen: »Ja, zürne nur, Margot! Diesen Zorn kenne ich. Er ist gekünstelt, weil ich mit so nackten Worten das Verbrechen genannt habe, dessen du dich schuldig fühlst.«

»Hochwürdiger Herr«, trat der Dauphin vor, »denkt Ihr, dass Eure Gegenwart mich der heiligsten Ritterpflicht vergessen mache? Diese wehrlosen Frauen schütze ich gegen Euch, gegen Euch, Herr Pater!«

»Sieh doch, sie doch, wie der ritterliche Dauphin von Auvergne nie durch eine Hintertür entschlüpfen will! Doch ich rate Euch wohl wohlmeinend, dergleichen Gedanken fahren zu lassen und zuvörderst nachzusehen, die ihr aus dem Louvre entkommt. Oh, ich kenne diese ritterlichen Beschützer zarter Frauen. Über alles möchten sie gern die Flügel breiten, ihnen gilt es gleich, sei es eine Christin, sei es eine Ungläubige. Euren Mantel, Herr Dauphin, könnt Ihr bei mir auslösen!«

Nicht die Rede des Partners, verwundert sie auch war, ihre Beziehung machte den Dauphin verstummen. Und triumphierend beharrte der Pater in einem Schweigen, welches den Beteiligten noch peinlicher war als alle verletzenden Worte. Nun aber sah der Dauphin auch wohl ein, wie gefährlich sein Aufenthalt im Louvre war. Es war nicht möglich, denselben unbemerkt zu verlassen. Dass er seine Lage durch ein unterwürdiges Benehmen gegen den Pater nur verschlimmern würde, leuchtete ihm ein. Er griff daher wieder zum Stolz, zur Kühnheit, und beides überraschte Wilhelm von Paris.

»Hört mich, Herr Pater«, trat der Dauphin dicht vor ihm hin, »wenn ich gefehlt habe, so steht Euch der Weg zu meinem Superior offen. Auch könnt Ihr Euch an den König wenden. Ich werde nicht ausbleiben, wenn er mich verlangt. Mich gelüstet nicht, mit Euch noch länger der Rede zu pflegen. Auch will ich nicht, dass Ihr bei den Frauen hier noch länger bleibt, wenn ich sie verlassen werde. Um nun auch sicher aus dem Louvre hinauszukommen, so werdet Ihr die Güte haben, mich hinauszuführen. Ihr selbst, Herr Pater, an Eurem Arm will ich hinausschreiten. Doch nehmt Euch wohl in Acht. Bei dem ersten Laut, den Ihr zu meinem Nachteil ausstoßt, fährt Euch dieses scharfe Eisen durch die Brust. Ich sage Euch, das Eisen kennt den Weg! Ihr habt mich wohl verstanden?«

»Was! Was ist das?«, trat der Pater entsetzt zurück.»An mich! An den Beichtvater des Königs wollt Ihr Hand anlegen? Ein Tempelherr an den Glaubensinquisitor von Frankreich!«

»Und wäret Ihr der Papst selbst, ich würde nicht zagen und nicht wanken. Und nun fort, Herr Pater. Seht Ihr in meiner recht den Dolch unter dem Mantel verborgen. An den linken Arm führt Ihr mich … so, seht Ihr das geht. Bis wir das Tor verlassen haben, seid Ihr mein Gefangener.«

Zwar sträubte sich der Pater ein wenig, doch was vermochte er gegen den starken Rittersmann, der ihn wie ein Kind mit sich zog und wie in vertraulicher Unterhaltung mit ihm durch die Gänge schlenderte.

Die beiden hatten sich schon lange entfernt und noch immer wusste sich Pontrouge nicht zu fassen. Sie saß noch immer verloren da, als sänne sie auf irgendeinen Ausweg und es wollte sich keiner darbieten. Die sonst nur allzu entschlossen Frau war mit einem Mal ganz aus dem Gleis geworfen, sogar der Tränen konnte sie nicht entbehren. Sie bedeckte ihr Gesicht mit dem Tuch.

Da hatte Margot alles vergessen, was ihr an diesem Abend begegnet war. Sie näherte sich der Oberhofmeisterin und versuchte sie mit der Gnade der Königin zu trösten. Wie Feuer durchflog das Wort Pontrouges Seele. Schnell hatte sie den Sitz verlassen, sah mit verstörtem Blick lange das Mädchen an und sprach dann mit einem Ausdruck, der unbeschreiblich war: »Kind, das verstehst du nicht! Die Königin gnädig gegen Pontrouge! Sie wird triumphieren, die Navarrerin, wenn ich den Hof verlassen muss. Nichts bleibt mir übrig als das, und besser ist es, ich gehe freiwillig, als dass ich gezwungen gehen müsste. Das wäre also der ganze Rest von meine Herrlichkeit! Darum also hätte ich alldem entsagt, was zu dem Glück eines Weibes geschaffen worden war? Doch nein! Noch gebe ich mich nicht auf! Was ist es denn auch weiter, als dass sich meine Keckheit verdoppelte. Ich will doch sehen, ob König Philipp nicht Herr ist im eigenen Haus! Hörst du, Margot hörst du …? Kein Tempelherr ist hier gewesen außer dem König. Verbirg diesen Mantel, diesen Hut. Nein, das geht nicht. Der König wird wissen, dass Mantel und Hut hiergelassen worden sind, oder auch nicht. Der Liebeswahn, sagte man mir, umneble das Hirn des Menschen, dass er nicht weiß, was er tut oder getan hat. Will doch sehen, ob König Philipp hierzu den Beweis liefert. Will doch sehen, und wenn es ist, desto besser für uns alle.«

Alle Empfindungen waren an diesem Abend Margots Brust rege geworden. Das eine Erlebnis machte sie schaudern, das andere weckte ihr Entzücken. Verachtung und Bewunderung, Ekel und Sehnsucht wechselten miteinander ab. Was blieb der Jungfrau nur übrig, als sich selbst gestehen, dass sie sich besser fühle als die anderen um sie her? Gerade da man ihre Tugend begeistern wollte, sah sie selbst ein, dass sie tugendhaft wäre. Wohin sie blickte, fand sie sich umlauert, umlagert, mit Schlingen und Fallen umgeben. Keiner Seele durfte sie trauen, den die Teilnahme war allenthalben verdächtig, eigennützig jedes Liebeswort, welches man ihr spendete. Was wollte sie den eigentlich hier? War ihnen nicht besser, da sie noch ein armes Bürgermädchen gewesen war? Glühte ihre Stirn so wie heute, da sie noch die Spangen von blauem Stahl trug? Musste sich Margot nicht zurückwünschen in ihren ehemaligen unbekannten Stand? Alles, die Erinnerung sogar, welches sich so mächtig vor ihren Geist drängte, dass er ihnen zu erliegen drohte, führte sie zu einem heldenmütigen Entschluss.