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Die Skalpjäger – Die Barranca

Thomas Mayne Reid
Die Skalpjäger

Dritter Teil
Elftes Kapitel

Wir stellten unsere Pferde auf die Ebene, kehrten in das Dickicht zurück, hieben Holz und zündeten Feuer an. Wir fühlten uns sicher. Selbst wenn unsere Verfolger in das Tal zurück entkommen waren, konnten sie uns jetzt nicht anders mehr erreichen, als dass sie die Berge umgingen oder das Sinken der Flut abwarteten.

Wir wussten, dass dies ebenso plötzlich sein würde wie ihr Steigen, wenn der Regen aufhörte. Aber der Sturm wütete immer noch mit unverminderter Wut.

Wir konnten den Atajo bald einholen, beschlossen aber, noch eine Zeitlang im Canyon zu bleiben, bis die Menschen und Pferde sich durch das Essen erquickt haben würden. Beide bedurften der Nahrung, da die Ereignisse des vorigen Tages keine Gelegenheit zu einem regelmäßigen Biwak gegeben hatten.

Das Feuer loderte bald unter dem Schutz der überhängenden Felsen und das gedörrte Fleisch wurde zu unserem Abendessen gebraten und mit hinlänglichem Appetit gegessen.

Nach Beenden desselben saßen wir mit dampfenden Kleidern um die roten Kohlen. Mehrere von den Leuten hatten Wunden erhalten. Diese wurden grob verbunden, da der Doktor mit dem Atajo vorausgegangen war.

Wir blieben mehrere Stunden lang im Canyon; der Sturm wütete immer noch um uns, und das Wasser stieg höher und höher. Dies war es gerade, was wir wünschten und wir hatten die Genugtuung, die Flut zu einer solchen Höhe wachsen zu sehen, dass sie, wie uns Rube versicherte, stundenlang nicht sinken konnte. Jetzt wurde beschlossen, unsere Reise fortzusetzen.

Es war ziemlich Mitternacht, als wir unsere Pferde holten und abritten. Der Regen hatte den von El Sol und seiner Abteilung gemachten Weg teilweise verwischt, aber die Leute, welche ihm jetzt folgten, waren nicht besonders an Wegweiser gewöhnt und Rube, der den Anführer machte, folgte ihm im Trab. Von Zeit zu Zeit zeigten die Blitze die Maultierspuren im Boden und den weißen Berggipfel in der Ferne, welcher uns als Leitstern diente.

Wir reisten die ganze Nacht hindurch. Eine Stunde nach Sonnenaufgang erreichten wir den Atajo am Fuß des Schneebergs. Wir hielten in dem Gebirgspass und setzten nach kurzer, mit Kochen und Verzehren des Frühstücks zugebrachter Zeit unsere Reise über die Sierra fort.

Der Weg führte durch eine trockene Schlucht in eine offene Ebene, welche sich östlich und südlich weiter erstreckte, als unser Auge reichen konnte – es war eine Wüste.

 

*

 

Ich will die Ereignisse, welche uns auf dem Zug durch jene furchtbare Yornada zustießenn nicht besonders erzählen; sie waren denen, welche wir in den Wüsten im Westen erfahren hatten, ähnlich. Wir litten an Durst und machten sechzig Meilen hintereinander, ohne Wasser zu finden. Wir kamen über Salbei bewachsene Ebenen, auf denen kein lebender Gegenstand die toten gleiche Einförmigkeit, welche uns umgab, unterbrach. Wir kochten unsere Mahlzeiten an einem Feuer aus Beifußstängeln, aber unsere Mundvorräte gingen zu Ende, und eins von den Packmaultieren nach dem anderen fiel unter den Händen der hungrigen Jäger. Des Nachts lagerten wir uns ohne Feuer. Wir wagten keins anzuzünden, denn wenn bisher auch noch keine Verfolger erschienen waren, wussten wir doch, dass sie auf unserer Fährte sein mussten. Wir waren mit solcher Eile gereist, dass sie uns nicht hatten einholen können.

Drei Tage lang hielten wir uns südöstlich. Am Abend des dritten sahen wir das Mimbresgebirge am östlichen Rand der Wüste aufragen. Der Gipfel desselben war den Jägern bekannt und wurde unser Führer.

Wir näherten uns dem Mimbres in diagonaler Richtung, da es unsere Absicht war, auf der Straße des alten Bergwerks, welches einst unserem Anführer gehört hatte, durch die Sierra zu ziehen. Für ihn war jeder Gegenstand der Landschaft ein Vertrauter. Ich bemerkte, dass sie um desto höher stieg, je weiter heimwärts wir kamen.

Gegen Sonnenuntergang erreichten wir den Ausgang der Barranca del Oro – einer ungeheuren Kluft, welche die Ebene durchschnitt und zum verlassenen Bergwerk hinabführte. Dieser, wie es schien, von einem Erdbeben gerissene Felsenschlund zog sich mehr als zwanzig Meilen weit hin. Zu beiden Seiten war ein Weg, denn zu beiden Seiten lief die Ebene horizontal bis dicht an den Rand des Abgrunds. Etwa auf halbem Weg zum Bergwerk wusste der Führer auf der linken Seite eine Quelle und wir richteten unsere Reise auf dieselbe um beim Wasser zu lagern.

Wir schleppten uns müde dahin. Es war beinahe Mitternacht, als wir an die Quelle kamen. Unsere Pferde wurden abgezäumt und auf der Ebene angepflockt.

Hier hatte Seguin beschlossen, länger als gewöhnlich zu bleiben. Ein Gefühl der Sicherheit hatte sich seiner bemächtigt, als er sich dieser bekannten Gegend näherte.

Die Quelle wurde von einem Dickicht aus jungen Cottonbäumen und Weiden umsäumt und mitten in demselben wurde ein Feuer angezündet. Wiederum wurde ein Maultier dem Drängen des Hungers geopfert und die Jäger warfen sich, nachdem sie das zähe Fleisch verzehrt hatten, auf den Boden, um zu schlafen. Nur die Pferdewächter standen draußen, auf die Büchsen gelehnt, schweigend und wachsam da.

Ich legte mein Haupt in die Höhlung meines Sattels und streckte mich am Feuer aus. Seguin und seine Tochter waren neben mir. Die indianischen Gefangenen und mexikanischen Mädchen lagen gruppenweise in ihre Tilmas und gestreiften Decken gehüllt auf dem Boden. Sie schliefen alle oder schienen doch zu schlummern.

Meine Augen ruhten auf den Zügen Adeles, welche nach oben gewendet waren und im Feuerschein schimmerten.

Ich erkannte die Umrisse des Gesichts ihrer Schwester: die hohe, edle Stirn, die gewölbten Brauen und die schön geschnittene Nase. Aber ihr heller Teint war nicht hier zu finden – das Lächeln engelhafter Unschuld war nicht mehr da! Das Haar war dunkel, die Haut gebräunt und das Auge zeigte einen wilden Ausdruck, welchen ihm ohne Zweifel die Erfahrung vieler wilden Szenen eingeprägt hatte. Dessen ungeachtet war sie schön; aber es war eine Schönheit von weit weniger geistiger Art, wie die meiner Verlobten.

Ihr Busen hob und senkte sich in kurzen unregelmäßigen Pulsschlägen. Ein paar Mal erwachte sie und murmelte einige Worte in indianischer Sprache. Ihr Schlaf war unruhig und unterbrochen.

Während der Reise hatte Seguin sie mit der ganzen zärtlichen Sorgfalt eines Vaters behandelt. Sie hatte aber seine Aufmerksamkeiten mit Gleichgültigkeit angenommen oder sie höchstens mit kalter Dankbarkeit betrachtet. Es war schwer, die sie beseelenden Gefühle zu analysieren. Den größten Teil der Zeit über blieb sie stumm und düster.

Der Vater versuchte ein paar Mal die Erinnerungen ihrer Kindheit neu zu beleben, aber ohne Erfolg und er hatte jedes Mal mit bekümmertem Herzen den Versuch aufgeben müssen.

Ich glaubte, dass er schlief. Ich hatte mich geirrt. Als ich aufmerksam in sein Gesicht blickte, sah ich, dass er sie mit tiefem Interesse betrachtete und auf die sich ihren Lippen entringenden gebrochenen Worte lauschte.

Seine Miene bot ein Bild des Schmerzes und der Besorgnis, welches mein Herz rührte.

Während ich ihn betrachtete, murmelte das Mädchen einige für mich unverständliche Wort, unter denen ich den Namen Dacomas erkannte.

Ich sah, dass Seguin zusammenschrak, als er ihn vernahm.

»Das arme Kind!«, sagte er, als er wahrnahm, dass ich wach war. »Sie träumt, und es ist ein unruhiger Traum. Ich wäre beinahe geneigt, sie zu wecken.«

»Sie bedarf der Ruhe«, antwortete ich.

»Ja, wenn das Ruhe genannt werden kann. Hören Sie nicht? Schon wieder Dacoma!«

»Es ist der Name des gefangenen Häuptlings.«

»Ja, sie hatte den Gesetzen der Indianer gemäß mit ihm verheiratet werden sollen.«

»Wie haben Sie aber dies erfahren?«

»Von Rube – er hatte es gehört, während er in der Stadt gefangen war.«

»Und denken Sie, dass sie ihn geliebt hat?«

»Nein, wie es scheint nicht. Sie war als Tochter des Medizinhäuptlings adoptiert und Dacoma verlangte sie zur Gattin. Sie sollte ihm unter gewissen Bedingungen gegeben werden, aber sie fürchtete ihn, anstatt ihn zu lieben, wie ihre Worte jetzt beweisen. Das arme Kind! Sie hat ein launisches Schicksal gehabt.«

»In zwei Tagen werden ihre Leiden vorüber sein. Sie wird ihrer Heimat, ihrer Mutter wiedergegeben werden!«

»Ja, aber wenn sie so bleiben sollte, wird es meiner armen Adele das Herz brechen.«

»Fürchten Sie nichts, mein Freund. Die Zeit wird ihr die Erinnerung wiedergeben. Ich glaube von einem ähnlichen Umstand in den Grenzansiedlungen des Mississippi gehört zu haben.«

»O, sehr wahr; es ist häufig vorgekommen. Wir wollen das Beste hoffen.«

»Wenn sie einmal daheim ist, werden die Gegenstände, die sie in ihren jüngeren Tagen umgeben haben, eine Saite in ihrer Erinnerung anschlagen. Sie kann sich noch an alles erinnern, nicht wahr?«

»Wir wollen es hoffen – wir wollen es hoffen.«

»Auf alle Fälle wird die Gesellschaft ihrer Mutter und Schwester sie bald von den Gedanken an das wilde Leben losreißen. Fürchten sie nichts! Sie wird wieder Ihre Tochter werden.«

Ich sprach diese Gedanken aus, um ihn zu trösten. Seguin antwortete nicht, aber ich sah, dass der peinliche und besorgte Ausdruck immer noch seine Züge bewölkte.

Mein Herz war ebenfalls bedrückt. Eine dunkle Ahnung begann es aus irgendeinem Grund zu beschleichen. Waren seine Gedanken mit den meinen in Verbindung?

»Wie lange«, fragte ich, »wird es dauern, ehe wir Ihr Haus am Rio del Norte erreichen können?«

Ich wusste kaum, wodurch ich zu dieser Frage getrieben wurde. War es Furcht vor dem uns noch verfolgenden Feind?

»Übermorgen Abend«, antwortete er. »Der Himmel gebe, dass wir sie wohlbehalten finden!«

Ich erschrak über diese Worte. Sie hatten mir einen plötzlichen Stich ins Herz gegeben. Dies war der wahre Grund meiner unbestimmten Ahnungen.

»Sie haben Befürchtungen?«, fragte ich hastig.

»Ja.«

»Wovor? Vor wem?«

»Vor den Navajo.«

»Den Navajo?«

»Ja. Ich bin nicht ruhig gewesen, seit ich sie vom Pinnon östlich gehen sah. Ich kann nicht begreifen, weshalb sie es taten, wenn sie nicht einen Angriff auf die Ansiedlungen beabsichtigt haben, welche an dem alten Banosweg liegen. Wenn das geschehen ist, so fürchte ich, dass sie einen Einfall auf das Tal von El Paso, vielleicht einen Angriff auf die Stadt selbst gemacht haben. Nur eins kann sie an dem Unternehmen auf die Stadt verhindert haben – die Entfernung der Schar Dacomas, welche sie dafür zu schwach gemacht hat. Dennoch aber sind die kleinen Ansiedlungen nördlich und südlich davon gefährdet.«

Die Unruhe, welche ich bisher gefühlt hatte, entsprang aus einem Ausdruck, welchen Seguin an der Pinnonquelle hatte fallen lassen. Mein Geist hatte von Zeit zu Zeit während unserer Wüstenreise dabei verweilt. Da er aber späterhin nicht mehr davon sprach, glaubte ich, dass er nicht so viel Gewicht darauf gelegt habe. Ich hatte unrecht gefolgert.

»Es ist noch allenfalls möglich«, fuhr der Häuptling fort, »dass die Pasonnios sich verteidigen. Sie haben es früher mit größerem Mut als die übrigen Niederlassungen getan, und daher ist ihre lange Befreiung von Plünderungen gekommen. Die Ursache liegt teilweise auch darin, dass unsere Schar längere Zeit in ihrer Nachbarschaft gewesen ist, was die Wilden recht gut wissen. Es ist zu hoffen, dass die Furcht vor einem Zusammentreffen mit uns sie verhindern wird, nördlich von der Stadt in die Yornada zu kommen. In diesem Fall sind die unseren unversehrt geblieben.«

»Gott gebe, dass es so sei!«, stammelte ich.

»Wir wollen schlafen«, fuhr Seguin fort. »Vielleicht sind unsere Besorgnisse unbegründet und sie können keinen Nutzen bringen. Morgen werden wir, ohne anzuhalten, weitermarschieren, wenn unsere Tiere es ertragen können. Gehen Sie zur Ruhe, mein Freund – Sie haben nicht viel Zeit.«

Hierauf legte er seinen Kopf in den Sattel und schickte sich zum Schlafen an. Nach Kurzem schienen er in tiefem Schlummer zu liegen.

Bei mir war es anders. Der Schlaf war von meinen Augen verbannt und ich warf mich mit pochenden Pulsen und von furchtbaren Phantasien erfülltem Gehirn umher. Selbst die Reaktion nach den heiteren Träumen, denen ich mich soeben hingegeben hatte, gab meinen Besorgnissen eine peinliche Tätigkeit.

Ich begann mir Szenen vorzustellen, welche in diesem Augenblick vorfallen konnten. Vielleicht wand sich eben meine Verlobte in den Armen eines wollüstigen Wilden, denn ich wusste, dass die südlichen Indianer nichts von der kalten Enthaltsamkeit und dem chevaleresken Zartgefühl besaßen, wodurch sich die roten Männer des Waldes charakterisieren.

Ich stellte mir vor, wie sie in eine harte Gefangenschaft geführt wurde, um die Squaw eines brutalen Kriegers oder noch schlimmer, die Beute zu werden, um welche sich mehrere streiten, und dann – o Gott! – O Gott!

 

*

 

In der Qual des Gedankens sprang ich auf und stürmte in die Prärie hinaus.

Ich wanderte halb rasend umher, ohne zu beachten, wohin ich ging. Ich musste mehrere Stunden lang gegangen sein, aber ich beachtete das Verstreichen der Zeit nicht.

Ich kam an den Rand der Barranca zurück. Der Mond schien hell, aber der Abgrund, welcher zu meinen Füßen aufklaffte, lag in Schweigen und Finsternis begraben da, mein Auge konnte seine unergründliche Nacht nicht durchdringen.

Ich sah das Lager und die Cavallada weit von mir entfernt am Rand, aber meine Kräfte waren erschlafft, ich gab mich der Müdigkeit hin und sank am Rand des Abgrunds nieder.

Den Qualen, welche mich bisher aufrechterhalten hatten, folgte ein Gefühl äußerster Mattigkeit. Der Schlaf überwand die Pein, und ich schlief.