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Rübezahl, der Herr des Gebirges – Folge 4

Rübezahl, der Herr des Gebirges
Volkssagen aus dem Riesengebirge
Für Jung und Alt erzählt vom Kräuterklauber
Verlag Carl Gustav Naumann, Leipzig, 1845

4. Wie Rübezahl einen begehrlichen Menschen bezahlt

Der Xaveri ist gewiss ein ganzer Kerl, sagte Bumban, und weiß Geschichten, die kein anderer Mensch weiß, und ist auch alles wahr, was er erzählt. Der Xaveri hat mir also auch die folgende Geschichte erzählt, und ist eine wahre Geschichte, so gut wie die anderen.

Damals – es ist schon lange her, ich glaube zu Kaisers Zeit – hat eine Baude gestanden, ein Stück unter den Dreisteinen, die aber den Stürmen zu sehr ausgesetzt gewesen waren. Drum haben die Leute diese Baude verlassen und sich weiter unten angebaut, unter einem Mann, der entweder Schlingel geheißen oder ein Schlingel gewesen ist. Briefe sind aber darüber nicht da, und es ist nur das gewiss, dass diese Baude noch heute die Schlingelbaude heißt.

Also stand die alte Baude leer, und drum wählte sie Rübezahl oft, wenn er gute Laune hatte, zu seiner Nachtherberge und neckte von da aus die Leute, die ihm auf ihren Wanderungen im Hochgebirge aufstießen. Kamen eines Tages vornehme Reisende und fragten an, ob sie hier Nachtherberge finden könnten, wo nicht, so zögen sie weiter. Rübezahl sagte Ja, führte sie freundlich lächelnd in das Haus und meinte, sie würden wohl mit seiner Bedienung zufrieden sein. Aber drinnen sah es gar leer aus, und meinten die Gäste, da möchte wohl Schmalhans Küchenmeister und Kellner zugleich sein, und machten ein bedenkliches Gesicht. Bald darauf trat Rübezahl in das Zimmer, nötigte sie, sich zu setzen, und bat, sie möchten sich die Zeit nicht lang werden lassen und Nachsicht mit ihm haben, denn er habe sich heute keiner Gäste versehen, Not sollten sie aber nicht leiden. Es dauerte auch nicht lange, so wurde der Tisch gedeckt und auf die Bänke Klötze und leere Fässer mit eingesteckten Hähnen gelegt, sodass sich die Gäste einander stillschweigend ansahen. Hierauf ging der Wirt hin zu einem Fenster, das mit Brettern verschlagen war und als Schrank diente, und nahm eine Schüssel nach der anderen heraus und setzte sie auf den Tisch. In den Schüsseln waren kalte und warme Speisen und dufteten so lieblich, dass den Gästen der Mund voll Wasser lief. Ei, da waren bald alle Zweifel verschwunden, und die Gesichter der Gäste wurden immer freundlicher, so dringlicher der Wirt zuredete, nur recht wacher zuzulangen. Zureden hilft, besonders wenn es auf Essen und Trinken geht, und man hungrig und durstig ist. Die Gäste hätten aber bald vor Verwunderung über die geschwinde Bedienung nicht zulangen gekonnt, und waren einige darunter, die vor lauter Verwunderung immer noch das Maul aufsperrten, indessen andere gar schnell und lustig schon hineinsteckten, und noch andere es gar schon wieder aufmachten, um abermals hineinzustecken. Als jedoch der Wirt neue Schüsseln auftrug, und die Gäste sie voll Erstaunen ansahen, und doch immer wieder andere aus dem Schrank hervorquollen, da wurden sie mäuschenstill und wussten nicht, was sie denken und was sie sagen sollten. Aber wenn man eine Gebirgsreise macht, so schmeckt ein Glas Wein gar gut und hilft einem schnell wieder auf die Beine. Das dachte einer aus der Gesellschaft. Und wie er das dachte, so fragte er auch gleich, ob denn kein Wein vorhanden wäre. Da nickte der Wirt ganz schlau mit dem Kopf, nahm einen Stab und schlug damit an die Wand. An die Wand schlagen kann jeder, aber was wird es. Der Kalk bröckelt herunter. Bei unserem Wirt war das ganz anders. Denn auf einmal trat ein feiner Jüngling herein, auf Deutsch gekleidet – was jetzt vor Eitel ausländischer Narretei kein Mensch mehr kennt – und hatte zwei goldene Becher in den Händen, auf welchen des türkischen Kaisers Namen und Wappen standen, ging zu einem Fass und zapfte daraus einen guten zyprischen Wein und kredenzte ihn den Gästen. Darauf kam eine liebliche Jungfrau mit einem ganzen Korb goldener und silberner Trinkgeschirre, worauf vieler Könige, Fürsten und Herren Namen und Wappen waren, zapfte aus einem Fass einen edlen rheinischen Wein heraus und gab ihn den Gästen. Ich kenne einen, der hätte über der Jungfer alles vergessen und gar nicht an den Wein gedacht, und geht schon deshalb nicht aus Europa heraus, weil es auf der Landkarte wie eine Jungfer aussieht. Aber nicht so unsere Reisenden; die griffen gar weidlich zu. Oben an der Decke hing ein Rohr, und begehrte etwa jemand Wasser, so durfte er das Geschirr nur ans Rohr halten und daran klopfen, so war das Geschirr gefüllt, und doch hing das Rohr nur an einem Zwirnfaden.

Das war aber alles noch nicht genug. Denn der Wirt brachte nun noch Speisen der seltensten Art, die in ganz Böhmen und Schlesien nicht gefunden werden, und Spielleute herbei, welche eine Musik machten, dass einem das Herz im Leibe lachte; ja endlich aus dem Schrank die köstlichsten ausländischen Früchte, sodass das Erstaunen der Gäste immer mehr stieg. Aber Weiber und Flöhe haben es in der Art, dass sie gern springen. Nahmen also die Weiber die Männer und tanzten, bis ihnen der Atem verging.

Nun gibt es in der Welt gar viele Leute, die immer begehrlicher und unbescheidener werden, ja freigebiger und gütiger jemand ist, und sind das freilich Leute, denen es an Verstand oder an Bildung fehlt, und gibt man ihnen einen Finger, so nehmen sie die ganze Hand. Wein macht jedoch Mut. Darum fasste sich einer aus der Gesellschaft ein Herz und bat den Wirt, dass er ihnen doch noch ein ausgezeichnetes Stück sehen lassen möchte. Der Wirt aber meinte, er dächte, für dieses Mal könnten sie genug haben. Der Gast ließ indessen mit Bitten nicht nach und sagte endlich, ein gutes Glas Wein, und zwar ein recht gutes, könne wohl nichts schaden. Das Gesicht, welches der Wirt jetzt machte, sah freilich etwas verfänglich aus, aber er nickte doch mit dem Kopf, und der Gast hoffte das Beste. Während er aber nun aufsah, woher der Wein kommen würde, da verfärbte sich einer der Umstehenden nach dem anderen. Sie sahen sich voller Entsetzen einander an, denn statt seines gewöhnlichen Kopfes stand auf dem Rumpf des Begehrlichen ein Ochsenkopf. Aber wie es nun ging, – damals waren besonders die Leute noch nicht so fein wie jetzt, – bald kam ihnen der Mann doch gar zu possierlich vor. Sie fingen an zu lachen, und der eine sprach das, der andere jenes. Darüber wurde der arme Mann ärgerlich und fing an zu eifern. War der Lärm erst arg, so war er es jetzt erst recht, als man aus seinem Mund nichts als das Brummen eines Ochsen hörte. Indessen war die Frau des armen Geplagten spazieren gegangen, um die Gegend zu beschauen. Ein guter Freund mit ihr.

»Das dort ist Liegnitz«, sagte er eben, »und wenn es ganz hell wäre und man hätte ein gutes Fernrohr, so sähe man die Türme von Warschau und wohl noch mehr.«

Da kam einer aus der Gesellschaft und sagte der Frau, es sei ihrem Mann etwas passiert. Wie sie ins Haus kam und den Lärm hörte, so fuhr ihr die Katze über den Rücken, aber sie stemmte sich und ging hinein. Weibern kann viel passieren, ja der Mann kann ihnen sterben und sie machen sich nichts daraus, denn sie haben eine zähe Natur. Aber eins können sie nicht vertragen, nämlich wenn der Mann Hörner hat und jeder sieht es. So ging es auch der vornehmen Frau. Denn als sie ihren Mann mit dem Ochsenkopf und die anderen lachen sah, wurde sie erst weiß wie eine Kalkwand. Nun schoss es ihr ins Blut, und sie fing tüchtig zu schimpfen an. Das war freilich nicht der beste Weg, denn bald saß auf ihr dieselbe Zierde wie auf dem Haupt ihres Mannes. Das Gelächter der Umstehenden fing aufs Neue an, und wenn die Verzauberten reden wollten, so hörte man doch nur ein Brummen. Ein Ende muss aber alles in der Welt haben, folglich hatten auch unsere Leute endlich das Lachen satt, warfen sich einer nach dem anderen aufs Nachtlager und schliefen, der eine später, der andere früher, ein. Nun hatten es die Ochsenköpfe in der Art, dass sie es gar nicht glaubten, dass sie welche waren. Also legten sich endlich auch die beiden beruhigt mit nieder und schliefen ebenfalls flugs und fröhlich ein.

Am anderen Morgen erwachte die ganze Gesellschaft in einer wüsten Gebirgsgegend und hielt alles für einen Traum; aber einige ganz besonders feine Köpfe sagten gleich, dass sie Rübezahl geneckt habe.

Merke: Man muss, wenn man Gastfreundschaft erfährt, niemals ungenügsam und unbescheiden sein. Ferner: Ist es nicht fein, zu lachen, wenn anderen Unglück widerfährt, denn Unglück tut immer weh, und Mitgefühl mildert es.