Die Skalpjäger – Der weiße Skalp
Thomas Mayne Reid
Die Skalpjäger
Dritter Teil
Neuntes Kapitel
Der weiße Skalp
Wir schritten wieder durch das schaurige Gemach und gelangten endlich auf die untere Terrasse des Tempels.
Als ich an die Brüstung vortrat, erblickte ich unten eine Szene, welche mich mit Besorgnis erfüllte. Eine Wolke schien sich über mein Herz zu lagern.
Der Eindruck war ein plötzlicher und sein Grund für den Augenblick nicht zu bestimmen. Es war der Anblick des Blutes, welches ich sah – nein, das konnte es nicht sein. In der jüngsten Zeit war zu oft vor meinem Auge Blut vergossen worden, und ich hatte mich daran gewöhnt, es mutwillig vergießen zu sehen.
Zum Teil konnte es die Ursache davon sein, aber es waren noch andere Anblicke und Töne, welche kaum das Auge oder Ohr berührten, aber doch deutlich genug waren, um meinen Geist mit Furcht und Ahnungen des Unheils zu erfüllen. Die Luft war mit einer schlimmen Elektrizität geschwängert – nicht die natürliche, sondern die moralische Atmosphäre, welche durch die geheimnisvollen Kanäle, die noch kein Philosoph erforscht hat, zu mir drang. Blickt auf eure Erfahrungen zurück. Habt Ihr nicht oft gefühlt, dass Zorn oder andere schlimme Leidenschaften im Geist anderer Menschen existierten, ehe ihr es durch einen bestimmten Blick ein Wort oder eine Handlung gewahr werden konntet?
Wie das Wild den Orkan vorfühlt, wenn auch die Atmosphäre ruhig ist, so empfand ich instinktiv, dass sich eine düstere Szene näherte.
Vielleicht zog ich meine Schlüsse gerade aus der Ruhe, welche rings um mich herrschte. In der moralischen als auch in der Körperwelt gibt es eine Stille, welche dem Sturm vorangeht.
Vor dem Tempel waren die Frauen der Stadt – Mädchen, Weiber und Kinder – im Ganzen etwa zweihundert aufgestellt. Sie waren unterschiedlich gekleidet. Einige waren in ihre gestreiften Decken gehüllt, andere trugen Tilmas und Gewänder aus Hirschleder, die mit buntfarbiger Stickerei und mit Federn verziert waren. Einige besaßen die Kleidung des zivilisierten Lebens, den schweren Atlas, welcher von den Damen am Rio del Norte getragen worden war.
Die Falbeln, welche beim Tanz die Knöchel einer munteren Maja umflattert hatten.
Nicht wenige unter der Menge waren völlig nackt und hatten nicht einmal ein Feigenblatt zur Bedeckung ihrer Scham.
Sie waren sämtlich Indianer, aber von helleren oder dunkleren Schattierungen, sie wichen im Ausdruck des Gesichts ebenso sehr wie in der Farbe voneinander ab.
Einige waren alt, runzelig und roh anszusehen, aber viele von ihnen auch jung, von edlen Zügen und wahrhaft schön.
Sie waren in verschiedenen Attitüden gruppiert. Ihr Geschrei hatte aufgehört, aber sie murmelten in leisen klagenden Tönen untereinander.
Bei schärferer Betrachtung sah ich Blut an ihren Ohren herabrinnen. Es befleckte ihren Hals und träufelte von ihren Gewänder herab.
Ein Blick war hinreichend, um mir die Ursache davon zu verkünden – sie waren ihrer goldenen Ohrgehänge beraubt worden.
Um sie her standen die abgestiegenen Skalpjäger in Gruppen beisammen. Sie sprachen in Flüstertönen und mit leisem Murmeln. An ihren Gewändern zeigten sich Gegenstände, welche meinen Blick angezogen hatten, aus ihren Jagdtaschen und Proviantsäcken ragten eigentümliche Zierraten hervor, goldene Perlenschnüre hingen um ihren Hals und auf ihrer Brust herab. Es war der geraubte Schmuck der indianischen Mädchen.
Auf anderen Gegenständen ruhten meine Blicke, aber mit Gefühlen noch tieferen Schmerzes. Hinter den Gürteln vieler von ihnen staken frische, noch dampfende Skalpe – ihre Messerhefte und Finger waren rot, an ihren Händen klebte Blut – ihre Mienen waren düster.
Das Bild war ein schaudererregendes, und um seine furchtbare Wirkung zu erhöhen, rollten in diesem Augenblick schwarze Wolken über das Tal und hüllten die Berge in ihre dunklen Massen. Die Blitze zuckten zwischen den Gipfeln umher und ihnen folgten in kurzen Zwischenräumen betäubende Donnerschläge.
»Bringt die Maultiere herbei!«, schrie Seguin, als er mit seiner Tochter die Leiter herabstieg.
Es wurde ein Signal gegeben und kurz darauf kamen die Maultiere unter der Obhut der Arrieros reihenweise über die Ebene.
»Sucht alles gedörrte Fleisch in der Stadt zusammen. Packt es so schnell wie möglich auf!«
Vor den meisten Häusern hingen Tafajo-Girlanden an den Wänden, auch getrocknete Früchte und Gemüse, Chili, Kamawurzeln und mit Piniennüssen gefüllte Ledersäcke waren zu finden.
Das Fleisch war bald herbeigebracht und mehrere von den Leuten halfen den Arrieros beim Aufpacken desselben.
»Es wird schwerlich genug sein«, sagte Seguin.
»Hier Rube«, fuhr er zu dem alten Trapper gewendet fort, »suche die Gefangenen aus. Wir werden nicht mehr wie zwanzig mitnehmen können. Ihr kennt sie; wählt diejenigen, von denen am ehesten zu erwarten ist, dass sie zum Austausch locken können.«
Hiermit wendete sich der Anführer dem Atajo zu, wohin er seine Tochter führte, um sie auf eines von den Maultieren zu setzen.
Rube ging daran, dem ihm gegebenen Befehl zu befolgen. In Kurzem hatte er eine Anzahl von widerstandslosen Gefangenen zusammengebracht und sie von der Menge gesondert. Es waren meistens Mädchen und junge Burschen, deren Kleidung und Züge verrieten, dass sie zum Adel der Nation gehörten, dass sie Kinder von Häuptlingen und Kriegern waren.
Dieses Verfahren wurde nicht mit Schweigen aufgenommen. Die Leute hatten sich zusammengestellt und begannen in lauter, meuterischer Sprache miteinander zu reden.
»Pah!«, rief Kirker, ein Bursche von brutalem Aussehen, »es sind hier für uns alle Weiber da, Jungs, warum sollte nicht jeder zulangen? Wahrhaftig!«
»Kirker hat recht«, entgegnete ein anderer, »ich muss eine Squaw haben, und ich bin entschlossen, mir eine zu nehmen oder zu bersten.«
»Aber wie wollt Ihr sie unterwegs ernähren? Wir haben nicht Fleisch genug, wenn wir für jeden eine nehmen.«
»Das Fleisch soll zum Teufel gehen«, rief der Zweite. »Wir können den del Norte in vier Tagen oder noch kürzerer Zeit erreichen. Wozu brauchen wir also so viel Fleisch?«
»Es ist Fleisch genug da«, meinte Kirker, »das ist nur ein Palaver vom Cap’tain. Wenn es alle ist, so können wir die Weiber zurücklassen und dasjenige von ihnen mitnehmen, was wir am Leichtesten fortschaffen können.«
Dies wurde mit einer bedeutungsvollen Gebärde und einer Grausamkeit des Ausdrucks gesagt, welche empörend auf mich wirkte.
»Nun, Jungs, was sagt Ihr?«
»Ich denke wie Kirker.«
»Ich auch!«
»Ich auch!«
»Ich auch!«
»Ich will keine Ratschläge geben«, fügte der Unmensch hinzu. »Ihr mögt alle tun, was ihr wollt; aber dieser Kerl hat keine Lust, mitten im Überfluss zu verhungern.«
»Und ganz recht, Kamerad, Ihr habt recht!«
»Nun, wer zuerst gesprochen hat, kann zuerst auslesen. Das ist das Gebirgsgesetz. Ich halte mich also zu dir, altes Mädchen. Willst du mitkommen?«
Hiermit ergriff er eine von den Indianerinnen, ein großes hübsches Weib, rau am Arm und begann es zum Atajo zuzuziehen.
Das Weib kreischte und leistete Widerstand. Es war entsetzt, nicht über das, was gesagt worden war, denn sie verstand es nicht, sondern von dem schändlichen Ausdruck, welchen sie deutlich auf dem Gesicht des Mannes erkannte.
»Willst du gleich deine Fleischfalle zumachen!«, schrie er, indem er sie immer zu den Maultieren zuzog. »Ich werde dich nicht fressen. Ich habe zu meiner Zeit eine Menge von Weibern gehabt, und bis jetzt noch keine von ihnen aufgezehrt. Pah! Sei nicht so furchtsam! Komm, steige hier auf; ha, Jupp!«
Und mit diesem Ausruf hob er das Weib auf eines von den Maultieren.
»Wenn du nicht still sitzt, so binde ich dich, hörst du?« Er hielt ihr das Lasso vor und gab seinen Vorsatz durch Zeichen zu verstehen.
Darauf erfolgte eine entsetzliche Szene.
Ein Teil der Skalpjäger folgte dem Beispiel ihres schändlichen Kameraden. Ein jeder wählte das Mädchen oder Weib, welches ihm gefallen hatte, und begann sie zu dem Atajo zu schleppen. Die Frauenzimmer kreischten, die Männer schrien und fluchten und strebten nach derselben Beute, einem schöneren Mädchen, als die Übrigen. Die Folge davon war ein Streit. Man hörte Flüche und Ausrufungen. Es wurden Messer gezogen und Pistolen gespannt.
»Spielt Schrift oder Wappen um sie!«, rief einer.
»Ja, das ist billig. Schlage an!«, schrien mehrere.
Der Wink wurde angenommen und die Schöne wurde das Eigentum des Gewinners.
Nach wenigen Minuten trug fast jedes Maultier des Atajo ein indianisches Mädchen.
Einige von den Jägern hatten keinen Teil an diesem sabinischen Verfahren genommen. Einige missbilligten es – denn nicht alle waren schlecht – aus Menschlichkeitsgründen. Andere wollten sich nicht mit einer Squaw belästigen, sondern standen abseits und begrüßten die Szene mit wildem Lachen.
Während dieser ganzen Zeit war Seguin mit seiner Tochter auf der anderen Seite des Gebäudes gewesen. Er hatte sie auf eines von den Maultieren gesetzt und ihre Schultern mit seiner Serape bedeckt. Er traf alle Vorbereitungen zu ihrer Reise, welche ihm die zärtliche Fürsorge des Vaters eingab.
Der Lärm erregte endlich seine Aufmerksamkeit.
Er ließ sie unter der Obhut seiner Diener und eilte nach vorn.
»Kameraden!«, rief er, nachdem er einen Blick auf die Gefangenen auf den Maultieren geworfen und sogleich alles, was vorgegangen war, begriffen hatte. »Es sind ihrer hier zu viele. Sind das diejenigen, welche Ihr ausgewählt habt?«
Diese Frage wurde an den Trapper Rube gerichtet.
»Nein!«, antwortete der Letztere, »das sind sie!« Und er deutete dabei auf die von ihm Ausgelesenen.
»Nun, so lasst jene absteigen und setzt die von euch Gewählten auf die Maultiere. Wir müssen durch eine Wüste ziehen und wir werden kaum in dieser Zahl hindurchkommen können.«
Er begann, ohne, wie es schien, die finsteren Blicke seiner Leute zu bemerken, in Gesellschaft Rubes und mehrerer anderer den von ihm ausgegangenen Befehl auszuführen.
Die Entrüstung der Jäger zeigte sich jetzt in offener Meuterei. Es wurden wilde Blicke gewechselt und laute Drohungen ausgestoßen.
»Bei Gott!« rief der eine, »ich will entweder mein Mädchen oder ihren Skalp haben.«
»Vaya!«, rief ein anderer in spanischer Sprache, »warum wollen wir eine von ihnen mitnehmen. Sie sind am Ende noch nicht der Mühe wert. Keine Einzige ist so viel wert wie ihr Skalp.«
»Nun, so nehmt die Skalpe und lasst die Dirnen hier!«, schlug ein Dritter vor.
»Das sage ich auch!«
»Ich auch!«
»Ich stimme mit Euch, Ihr alten Gäule!«
»Kameraden«, sagte Seguin, zu den Meuterern gewendet, im sanftesten Tone, »erinnert Euch Eurer Versprechen! Zählt die Gefangenen, wie wir es ausgemacht haben. Ich bürge für die Bezahlung aller.«
»Könnt Ihr sie jetzt bezahlen?«, fragte einer.
»Ihr wisst selbst, dass das unmöglich sein würde.«
»Bezahlt jetzt für sie! Bezahlt jetzt!«, schrien mehrere.
»Geld oder Skalpe, sage ich.«
»Carajo! Woher soll der Cap’tain, wenn wir nach Paso kommen, das Geld eher hernehmen als hier? Er ist weder ein Jude noch ein Bankier, und wenn er so reich geworden wäre, so würde es eine Neuigkeit für mich sein. Woher soll das Geld kommen?«
»Nicht von dem Cabildo, wenn der Skalp nicht eingeliefert wird. Dafür bürge ich.«
»Sehr wahr, José, sie werden weder ihm noch uns Geld geben und wir können es selbst holen, wenn wir die Skalpe aufweisen – das können wir!«
»Pah! Was kümmert er sich um uns, seit er seinen Wunsch erlangt hat?«
»Keinen Heller! Er hat uns nicht an den Prieto gehen lassen, wo wir das Gold scheffelweise hätten holen können.«
»Jetzt verlangt er, dass wir auch diese Aussicht wegwerfen sollen. Wir würden verdammte Narren sein, wenn wir es täten, das sage ich!«
Es fiel mir in diesem Augenblick ein, dass ich mich vielleicht mit Erfolg würde einmischen können. Die Meuterer schienen weiter nichts zu verlangen als Geld. Wenigstens war es die Beschwerde, welche sie vorschützten und um nicht von dem furchtbaren Drama Zeuge zu werden, welches der Aufführung nahe zu sein schien, würde ich gern mein ganzes Vermögen aufgeopfert haben.
»Leute!«, rief ich, indem ich meine Stimme so anstrengte, dass sie den Lärm übertäubte, »wenn Ihr es der Mühe für wert erachtet, auf meine Worte zu hören, so will ich euch etwas sagen. Ich habe mit der letzten Karawane eine Ladung Waren nach Chihuahua geschickt. Wenn wir nach El Paso kommen, so werden die Händler zurückgekehrt sein und ich doppelt so viel, wie ihr verlangt, besitzen. Wenn ihr mein Versprechen annehmen wollt, so werde ich dafür sorgen, dass ihr bezahlt werdet.«
»Pah, das klingt schon recht gut. Was wissen wir aber von Euch oder Euren Waren?«
»Vaya! Ein Vogel in der Hand ist mehr wert, als zwei auf dem Dach.«
»Er ist ein Krämer, wer wird sich auf sein Wort verlassen!«
»Zum Teufel mit seinen Waren! Skalpe oder Geld! Geld oder Skalpe! Das ist der Rat dieses Kerls, und wenn ihr ihn nicht annehmt, Jungs, so könnt ihr es lassen. Aber es ist die ganze Bezahlung, die ihr je in eure Klauen bekommen werdet.«
Die Leute hatten Blut gekostet und dürsteten gleich dem Tiger nach mehr. Auf allen Seiten sah man blitzende Augen und die Gesichter einiger von ihnen zeigte eine tierische Wildheit, welche einen hässlichen Anblick darbot. Die Räuberbandendisziplin, welche bisher geherrscht hatte, schien völlig entschwunden zu sein und der Gewalt des Anführers Trotz geboten zu werden.
Auf der anderen Seite standen die Weiber aneinandergeschmiegt und vor Furcht zitternd. Sie konnten die meuterische Sprache nicht verstehen, sahen aber drohende Haltungen und zornige Gesichter. Sie sahen, wie Messer gezogen und hörten, wie Büchsen und Pistolen gespannt wurden. Sie wussten, dass Gefahr drohte, und kauerten sich jammernd nieder.
Bis zu diesem Augenblick hatte Seguin fortwährend Anweisungen für das Fortbringen seiner Gefangenen gegeben. Sein Benehmen war noch eben so seltsam zerstreut, wie seit der Szene des Wiedersehens seiner Tochter! Diese an seinem Herzen nagende größere Sorge schien ihn für das, was vorging, unempfindlich zu machen.
Es war nicht so.
Als Kirker geendet hatte – denn er war derjenige gewesen, welcher zuletzt gesprochen hatte, trat eine blitzschnelle Veränderung in Seguins Wesen ein. Er erhob sich plötzlich aus seiner gleichgültigen Haltung und trat vor die Meuterer.
»Wagt es, eure Schwüre zu entehren!«, rief er mit Donnerstimme. »Beim ewigen Gott! Der Erste, welcher ein Messer oder eine Büchse entehrt, wird augenblicklich des Todes sein!«
Es entstand eine Pause und ein Augenblick tiefer Stille.
»Ich hatte ein Gelübde getan«, fuhr er fort, »wenn es Gott gefallen sollte, mir mein Kind wiederzugeben, diese Hand nicht mehr mit Blut zu beflecken. Wenn mich irgendeiner zwingt, dieses Gelübde zu brechen, so schwöre ich zum Himmel, dass sein Blut das erste sein soll, welches sie befleckt.«
Durch die Menge lief ein düsteres Murmeln, aber keine Antwort wurde gehört.
»Du bist bei all deinem Lärmen doch nur ein feiger Polton«, fuhr er fort, indem er sich zu Kirker umwendete und ihm ins Auge blickte. »Stecke das Messer ein! Schnell! Oder so wahr ein Gott im Himmel lebt, sende ich diese Kugel durch dein schändliches Herz.«
Seguin hatte eine Pistole gezogen und stand in einer Haltung da, welche verkündete, dass er seine Drohung ausführen würde. Seine Gestalt schien größer geworden zu sein. Sein rollendes Auge blitzte und der Mann erbebte von seinem Blick. Er sah darin den Tod, wenn er ungehorsam sein sollte. Mit einem mürrischen Gemurmel fingerte er mechanisch an seinem Gürtel umher und steckte die Waffe wieder in ihre Scheide.
Die Meuterei war aber noch nicht unterdrückt. Es gab unter den Aufrührern mehrere, die nicht so leicht zu besiegen waren. Noch immer wurden wilde Rufe gehört und die Meuterer begannen, einander von Neuem mit ihrem Geschrei zu ermutigen.
Ich hatte mich mit gespannten Revolvern neben den Anführer gestellt, um ihm, wenn es nötig werden sollte, bis zum Tod beizustehen.
Mehrere andere, unter denen sich Rube, Garey, Sanchez der Stierkämpfer und der Maricopa befanden, hatten dasselbe getan.
Die feindlichen Parteien waren einander beinahe gleich, und wenn wir gekämpft hätten, würde ein furchtbares Gemetzel entstanden sein; aber in diesem Augenblick erschien ein Gegenstand, welcher den Groll aller erstickte. Es war der gemeinschaftliche Feind.
*
Fern am westlichen Rand des Tals konnten wir Hunderte von dunklen Gestalten über die Ebene kommen sehen. Sie waren noch in weiter Entfernung, aber das geübte Auge der Jäger erkannte sie auf den ersten Blick. Es waren Reiter – es waren Indianer – es waren unsere Verfolger – die Navajo.
Sie ritten in vollem Galopp und hatten sich über die Prärie ausgedehnt, wie Jagdhunde. Sie mussten in ganz Kurzem über uns sein.
»Dort!«, rief Seguin, »dort sind Skalpe genug, um euch zu befriedigen. Zuerst wollen wir aber für unsere eigenen sorgen. Kommt auf eure Pferde! Vorwärts mit dem Atajo! Ich werde in Paso mein Wort gegen euch halten. Sitzt auf, wackere Burschen! Sitzt auf!«
Die letzten Worte wurden in versöhnlichem Ton gesprochen; aber es bedurfte derselben nicht, um die Bewegungen der Jäger zu beschleunigen. Sie kannten ihre Gefahr nur zu gut.
Sie hätten unter den Häusern den Angriff abwehren können; aber es würde nur bis zur Rückkehr des Hauptstammes gedauert haben, und sie wussten, dass sie dann sämtlich das Leben hätten verlieren müssen. Sich in der Stadt zu halten, würde Wahnsinn gewesen sein, und sie konnten natürlich nicht daran denken.
Wir waren augenblicklich in unseren Sätteln und der Atajo, mit den Gefangenen und Mundvorräten, wurde dem Wald zugetrieben.
Wir beabsichtigten, durch die östliche Schlucht zu gehen, da uns der Rückzug auf dem anderen Weg jetzt von den herannahenden Reitern abgeschnitten wurde.
Seguin hatte sich an die Spitze gestellt und führte das Maultier, auf welchem seine Tochter saß, die Übrigen folgten ihm ungeordnet über die Ebene.
Ich war einer von den Letzten, welche die Stadt verließen. Ich hatte mich absichtlich im Hintertreffen gehalten, da ich eine Schandtat fürchtete und entschlossen war, sie womöglich zu verhindern.
Endlich, dachte ich, sind sie alle fort. Ich gab meinem Pferd die Sporen und galoppierte den meinen nach.
Als ich mich etwa hundert Schritt von den Mauern entfernt hatte, ertönte hinter mir ein laut gellendes Geschrei.
Ich hielt mein Pferd an, wendete mich im Sattel um und blickte besorgt zurück.
Ein zweites wildes wütendes Geschrei deutete mir den Punkt an, woher das erste gekommen war.
Auf dem höchsten Dach des Tempels rangen zwei Männer miteinander. Ich erkannte sie auf den ersten Blick und wusste, dass es ein Kampf auf Leben und Tod war. Den einen erkannte ich an dem wallenden weißen Haar als den Medizinhäuptling. Die spärlichen Kleidungsstücke – die nackten Knöchel – die eng anschließende Mütze, ließen mich leicht seinen Gegner unterscheiden. Es war der ohrenlose Trapper.
Der Kampf dauerte nur kurze Zeit. Ich hatte seinen Anfang nicht gesehen, wurde aber bald ein Zeuge seiner Entwicklung. Als ich mich umwendete, hatte der Trapper seinen Gegner bis an die Brustwehr gezogen und beugte ihn mit seinen langen, muskulösen Armen über den Rand derselben. In der anderen Hand schwang er sein langes Messer.
Ich sah ein schnelles Blitzen, als die Klinge herabgestoßen wurde. Ein roter Blutstrom sprudelte über die Gewänder des Indianers, seine Arme sanken herab. Sein Körper hing über das Mauerwerk, schwankte einen Augenblick und fiel dann mit einem dumpfen Schall auf die untere Terrasse.
Derselbe wilde Schrei erschallte von Neuem in mein Ohr und der Jäger verschwand vom Dach.
Ich wendete mich um und ritt weiter.
Ich wusste, dass es der Abschluss einer alten Rechnung, die Erfüllung eines furchtbaren Racheschwurs gewesen war.
Hinter mir erschallte Hufschlag und ein Jäger ritt zu mir heran.
Ohne den Kopf umzuwenden, wusste ich, dass es der Trapper war.
»Ein ehrlicher Tausch ist kein Diebstahl«, sagte er, »das Haar ist hübsch. Pah! Es wird das meine weder flicken noch zu ihm passen, aber es erleichtert mir das Herz.«
Von diesen Worten verblüfft, wendete ich mich um und suchte ihre Bedeutung zu ergründen. Meinen Augen bot sich ein eigentümlicher Anblick. An dem Gürtel des Jägers hing ein Gegenstand, welcher aussah, wie eine Strähne schneeweißen Flachses; – aber das war es nicht. Es war Haar – es war ein Skalp!
Über die silbernen Fäden rannen Blutstropfen herab und quer über sie lief, beinahe in der Mitte, ein breiter, roter Streifen – es war die Färbung, welche das Messer des Trappers beim Abwischen zurückgelassen hatte.