Archive

Felsenherz der Trapper – Teil 17.3

Felsenherz der Trapper
Selbst Erlebtes aus den Indianergebieten erzählt von Kapitän William Käbler
Erstveröffentlichung im Verlag moderner Lektüre GmbH, Berlin, 1922
Band 17
Der kleine Kundschafter
Drittes Kapitel

Rote Piraten

Auch der Schwarze Panther schien die Nähe des Flachbootes ebenso günstig aufzufassen, denn er rief seinem weißen Bruder zu: »Das große Kanu der Blassgesichter wird unsere Rettung sein. Mein Bruder Harry (Felsenherz hieß ja in Wahrheit Harry Felsen und war ein geborener Deutscher) mag mit dem Hut winken, damit die weißen Männer auf uns aufmerksam werden.«

Kaum hatte er das letzte Wort ausgesprochen, als die dreißig Apachen ein schrilles Wutgeschrei ausstießen. Sie fürchteten, dass ihnen die verhassten beiden Westmänner entkommen könnten. Wenigstens deutete der blonde Trapper sich dieses fast tierische Gebrüll auf diese Art.

Felsenherz und Chokariga packten ihre Büchsen fester. Es war ja bestimmt damit zu rechnen, dass die Apachen ihnen den Weg zum See verlegen würden.

Man war jetzt noch etwa achtzig Yards vom Ufer und hundertfünfzig Yards von der schwimmenden Festung entfernt. Die Entscheidung nahte. Die Rothäute hatten sich zu einem Trupp vereinigt und zogen links von den beiden Freunden im Schritt dahin. Sie schienen zu beraten, ob sie einen offenen Angriff wagen sollten.

Da entschlossen die Westmänner sich zu einem kecken Streich. Hastig tauschten sie ein paar Worte aus, schwangen sich dann auf ihre Pferde und jagten nach rechts dem Seegestade zu. Zwar lahmte Felsenherz Fuchs bei den ersten Sprüngen so stark, dass der Trapper damit rechnete, sein braves Tier würde zusammenbrechen. Aber der edle Fuchs, der die beste indianische Dressur besaß, mochte ahnen, dass es hier galt, das Letzte herzugeben. Mit jedem Galoppsprung legte sich die Unsicherheit seiner Bewegungen, und bevor die Apachen sich noch recht von ihrer Überraschung erholt hatten, trieben die Freunde ihre Pferde bereits in das Wasser hinein. Hoch spritzte die klare Flut unter den wuchtigen Pferdeleibern auf. Der sandige Seeboden fiel so steil ab, dass die Tiere sehr bald schwimmen mussten.

Der Schwarze Panther ließ sich aus dem Sattel gleiten, da sein Rappe die doppelte Last seines Herrn und des verwundeten Knaben nicht getragen hätte. Er schwamm neben dem Rappen her. Seine Büchse hatte er am Sattelknopf befestigt, damit er sie vor Nässe schützte.

Die Rothäute jagten herbei und eröffneten nun ein unregelmäßiges Feuer auf die Fliehenden. Kugeln und Pfeile zischten ins Wasser, waren aber überraschend schlecht gezielt.

Das Flachboot trieb wie vorhin mit einer leichten Strömung nach Westen weiter.

Felsenherz, der jetzt die Brustwehren genauer beobachten konnte, wunderte sich, dass die Ansiedler ihnen nicht zu Hilfe kamen.

Jetzt erst stieg ein ungewisser Verdacht in ihm auf, man konnte hier in eine raffiniert vorbereitete Falle geraten sein.

Noch fünfzig Yards trennten die Flüchtlinge von der schwimmenden Festung.

Dann – dann war der blonde Trapper seiner Sache gewiss: Er hatte soeben festgestellt, dass die von den Hüten beschatteten Gesichter nicht Europäern, sondern Indianern, Apachen gehörten! Nur der graubärtige Mann, den er ebenfalls vorhin bemerkt hatte, war ein Weißer.

Jetzt glaubte die das Flachboot besetzt haltende Schar der roten Piraten sich vollends zeigen zu dürfen. Der Rückweg zum Ufer war den Flüchtlingen ja abgeschnitten. Jetzt sprangen hinter den Brustwehren etwa fünfzig Rothäute empor. Ihr gellendes Triumphgeschrei vereinigte sich mit dem des kleineren Trupps, der am Ufer sich verteilt hatte, damit man die verhassten Gegner lebend in die Hände bekäme.

Felsenherz und Chokariga sahen ein, dass sie den Apachen unter diesen Umständen nicht entgehen könnten.

Als das Flachboot jetzt mithilfe langer Ruder, die durch Löcher der erhöhten Reling hindurchliefen, näher herangetrieben wurde und als einer der Rothäute, ein hagerer, sehniger Krieger mit zahlreichen Adlerfedern in der Skalplocke, kein anderer als der Oberhäuptling, der Schnelle Büffel, ihnen zurief, sich zu ergeben, erwiderte Chokariga stolz: »Die feigen Kröten der Pimos haben nicht gewagt, uns an Land anzugreifen. Chokariga verachtet sie. Er wird am Marterpfahl zu sterben wissen.«

Das Flachboot war heran.

Mehrere Lassos fielen mit wohlgezieltem Wurf den beiden Westmännern über die Köpfe. Mit brutaler Gewalt zogen die Apachen die Schlingen zu und hieften die halb Erwürgten an Bord, wo diese sogleich gefesselt und jeder an einen Mastbaum gebunden wurden. Die Pferde und den verwundeten Knaben brachten ein paar Krieger an Land.

Mit höhnischem, hasserfülltem Funkeln seiner dunklen Augen trat der Schnelle Büffel auf Felsenherz zu.

»Der Große Geist hat endlich den berühmten Jäger in meine Gewalt gegeben«, sagte er, indem er mit seinem Skalpiermesser spielte. »Diesmal wird Felsenherz uns nicht entfliehen. Wir werden dieses Kanu der Blassgesichter mitten im See verankern. Dann werden der räudige Hund von Comanche und der weiße Jäger uns nicht entschlüpfen können. Wenn die Krieger des Schnellen Büffels die Ansiedlung auf der Insel erobert haben, wird in den Dörfern der Apachen ein großes Jubelgeschrei sich erheben. Alle Blassgesichter werden dann den Tod am Marterpfahl finden.«

Er untersuchte darauf Felsenherz’ Fesseln und ließ ihn noch durch drei weitere Lassos an den Mast festbinden.

Es mochte etwa neun Uhr vormittags sein. Das Flachboot wurde von den Apachen zur Mitte des Sees gerudert, wo aus dem Wasser zwei Felsspitzen eines Riffes yardweit hinausragten. An diesen Felszacken befahl der Schnelle Büffel das Fahrzeug zu vertäuen.

Der blonde Trapper kannte den Charikahua-See bereits. Das Flachboot lag jetzt gerade so, dass er die nach Westen zu sich erstreckende, bewaldete große Insel deutlich in etwa achthundert Yard Entfernung vor sich hatte. Hinter den Uferwäldern der Insel sah er ein paar Rauchsäulen aufsteigen. Dort lagerten vielleicht die Belagerer der Ansiedlung, deren Bewohner sich wahrscheinlich in eine besonders starke Blockhütte zurückgezogen hatten.

Dann nahte sich der schwimmenden Festung ein leichtes Floß, das von acht indianischen Kanus gezogen wurde. Der Schnelle Büffel und dreißig Apachen begaben sich auf das Floß, und die Kanus und hielten auf die Insel zu. Nur elf ältere Krieger blieben als Wächter an Bord zurück. Je drei von ihnen hockten vor den Gefangenen, die blanken Tomahawks in der Hand. Die anderen vertrieben sich die Zeit mit Angeln.

Felsenherz war so festgebunden, dass er seinem Freunde Chokariga, der an den anderen Mast ebenfalls aufrecht gefesselt war, den Rücken zukehrte. Eine Verständigung zwischen den beiden Jägern war also unmöglich. Der Oberhäuptling hatte es eben an nichts fehlen lassen, eine Flucht der wertvollen Gefangenen zu vereiteln.

Der blonde Trapper rief sich jetzt, während seine Blicke über den im Sonnenschein gleißenden See und die wildzerklüfteten, fernen Uferberge nochmals hinglitten, die Vorgänge der verflossenen Stunden nochmals ins Gedächtnis zurück. Er tat es hauptsächlich deswegen, weil ihm das Verhalten jenes Tim Brax, der ihm und Chokariga den Zutritt zu der Hügelspitze verwehrt und ihnen dann geraten hatte, den See aufzusuchen, höchst seltsam und geheimnisvoll vorkam. Brax war ja als Sonderling bekannt, aber Felsenherz hatte noch nie gehört, dass der alte Jäger, den die Apachen Watsipao, den Nasenlosen, nannten, jemals einen Kameraden im Stich gelassen hätte. Jedenfalls war Brax den Apachen genau so verhasst wie Felsenherz und der Schwarze Panther. Es erschien ganz ausgeschlossen, dass er etwa aus Hinterlist die beiden Freunde in diese ernste Lage gebracht hätte.

Weshalb also hatte der alte Brax mit solcher Bestimmtheit gefordert, die Freunde sollten die Spitze des Hügels nicht betreten? Felsenherz fand hierfür nur eine Erklärung. Brax musste auf dem Hügel irgendetwas zu verbergen haben! Was aber wohl? Und hierüber zerbrach der blonde Jäger sich umsonst den Kopf.

Dann fiel ihm etwas anderes ein. Er hatte doch vorhin hier an Bord einen graubärtigen Weißen bemerkt. Wo war dieser geblieben? Der Mann schien sich doch hinter der Brustwehr frei bewegt zu haben! Steckte er jetzt etwa unter Deck? War es ein Verbündeter der Rothäute und wollte er sich vor den Gefangenen nicht sehen lassen?

Felsenherz Gedanken erhielten erst eine andere Richtung, als er nun vier der Wächter gewahrte, die aus der vorderen Deckhütte eine kleine, etwa einundein viertel Yard lange Kanone mit Holzgestell herausschleppten und verwundert bei Tageslicht betrachteten.

Auch die übrigen Apachen scharten sich voller Neugier um das Vorderladergeschütz, das ihnen fraglos etwas völlig Neues war.

Sie rieten hin und her, wozu das eiserne dicke Rohr mit dem kleinen Loch am Ende wohl dienen sollte.

Dann trat der Älteste von ihnen an Felsenherz heran.

»Der weiße Jäger kennt das Land der Bleichgesichter«, begann er zögernd, da er nicht recht wusste, wie er die Frage in Worte kleiden sollte. »Die Bleichgesichter brachten dem roten Manne vieles, was diesem fremd war. Kann Felsenherz uns sagen, wozu dieses eiserne Rohr dient?«

Der blonde Trapper, dem man das Geschütz näher gerückt hatte, sah genau, dass es geladen sein musste. Das Zündloch enthielt einen pfropfenähnlichen Verschluss von trockenem, leicht brennbaren Moos. Außerdem war ja auch mit Bestimmtheit anzunehmen, dass die Ansiedler, als sie die Anwesenheit der Apachen am Ufer gespürt hatten, alle Abwehrmaßregeln getroffen hatten, die ihnen zu Gebote standen. Mithin wurden sie auch fraglos das Geschütz für alle Fälle geladen haben. Das Flachboot konnte ja den Apachen erst später in die Hände gefallen sein. Edward Smitson hatte hiervon noch nichts gewusst.

Der Moospfropfen sollte ganz ohne Zweifel das Pulver im Rohr vor Feuchtigkeit schützen. Dies alles schoss dem Trapper im Bruchteil einer Sekunde durch den Kopf. Gleichzeitig kam ihm ein verwegener Gedanke, wie er vielleicht die Wächter von dem Boot vertreiben könnte.

So erwiderte er denn nach kurzem Überlegen: »Die roten Söhne Manitous müssen an das Moos, das in dem Loch am Ende des Rohres steckt, einen Feuerbrand halten. Dann werden sie merken, wozu das eiserne Rohr dient.«

Alle weiteren Fragen beantwortete er durch dunkle Andeutungen, durch die die Neugier der Rothäute nur noch gesteigert wurde.