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Sammlung bergmännischer Sagen Teil 13

Das arme Bergmannsleben ist wunderbar reich an Poesie. Seine Sagen und Lieder, seine Sprache, seine Weistümer reichen in die älteste Zeit zurück. Die Lieder, die wohlbekannten Bergreihen, die Sprachüberreste, die Weistümer sind teilweise gesammelt. Die Sagen erscheinen hier zum ersten Mal von kundiger Hand ausgewählt und im ganzen Zauber der bergmännischen Sprache wiedergegeben. Das vermag nur zu bieten, wer ein warmes Herz für Land und Leute mitbringt, wo diese uralten Schätze zu heben sind; wer Verständnis für unser altdeutsches religiöses Leben hat, wer – es sei gerade herausgesagt – selbst poetisch angehaucht ist. Was vom Herzen kommt, geht wieder zum Herzen, ist eine alte und ewig neue Wahrheit. Hat der Verfasser auch nur aus der Literatur der Bergmannssagen uns bekannte Gebiete begangen, verdient er schon vollauf unseren Dank. Seine Liebe zur Sache lässt uns hoffen, er werde mit Unterstützung Gleichstrebender noch jene Schaetze heben, die nicht an der großen Straße liegen, sondern an weniger befahrenen Wegen und Stegen zu heiligen Zeiten schimmern und zutage gefördert sein wollen.


II. Abteilung: Sagen vom Berggeist

30.

In einigen Gruben Oberschlesiens hat man den Berggeist in Gestalt einer bläulichen Flamme im Schacht auf- und abschweben sehen.


31.

Andere Bergleute sahen ihn dort oft beim Einsturz von Pfeilern als riesengroße rötliche Flamme in der Firste verschwinden.


32.

Bei Beuthen in Oberschlesien steht auf einem abgebauten Grubenfeld ein alter Schacht. Aus diesem steigt zuweilen der Berggeist in Gestalt eines ungeheuren schwarzen Vogels ohne Kopf hervor. Wenn er sich dort sehen lässt, steht ein Unglück bevor.


33.

Ein Schlepper hatte sich während der Schicht in eine abgelegene Strecke gesetzt, um hier ungestört ausruhen zu können, und war eingeschlafen. Als er erwachte, brannte sein Grubenlicht nicht mehr, und er wusste nicht, wie er zum Schacht kommen sollte; denn aus der rings um ihn herrschenden Totenstille merkte er, dass alle Bergleute die Schicht beendet hatten und bereits zutage gefahren waren. Da sah er von fern ein Licht auf sich zukommen und erkannte bald seinen Steiger, der sich ihm näherte, ihm Öl und Feuer von seiner Lampe gab und ihn zum Schachte führte. Dort sagte er ihm, er solle in der Zechenstube beim Aufschreiben drei Schichten anstatt der einen als verfahren angeben.

Der Schlepper war aber nicht eine Schicht, sondern Tage lang unten in seinem Versteck gewesen. Man war daher sehr überrascht, ihn auf einmal wieder in der Zechenstube erscheinen zu sehen, da man ihn schon allgemein für tot hielt. Er schritt aber ruhig auf den Steiger zu und gab drei Schichten an.

Der Steiger fragte: »Wann hast du denn die drei Schichten verfahren?«

Und der Schlepper antwortete: »Sie haben mir ja vorhin selbst gesagt, nachdem sie mir Feuer für meine Lampe gegeben und mich zum Schacht geführt hatten, ich sollte 3 Schichten für mich angeben.«

Der Steiger schwieg und schrieb die 3 Schichten, denn er merkte, dass der Berggeist unter seiner Gestalt den Knaben gerettet hatte.


34.

In einer oberschlesischen Steinkohlengrube wurde in einem neuen Flöz die erste Grundstrecke getrieben. Es war von ihr aus noch keine Abbaustrecke angesetzt worden. Man konnte also von dem Ort nirgends woandershin gelangen als zum Schacht und umgekehrt.

Eines Tages arbeiteten da zwei Brüder, der eine als Hauer, der andere als Schlepper. Außer ihnen befand sich auf der ganzen Sohle nur noch der Anschläger.

Als der Schlepper wieder mit einem gefüllten Wagen zum Schacht kam, fragte ihn der Anschläger: »Weshalb ist denn dein Bruder ausgefahren? Ist er denn krank? Er sah so bleich aus und hat mir auf meine Fragen gar nicht geantwortet. Er winkte mir nur, stellte sich in den Kübel und fuhr zutage.«

»Mein Bruder?«, sagte lächelnd der Schlepper, »mein Bruder liegt jetzt gerade ganz tief im Sohlenschram. Es fehlen an diesem nur noch wenige Zoll bis zu einem halben Lachter, dann will er sich ans Bohren begeben. Er ist also nicht ausgefahren, sondern liegt vor Ort. Ich habe ihn eben noch gebeten, vorsichtig zu sein, dass ihm die unterschrämte Kohle nicht auf den Leib fällt, denn ich hörte einige Male ein verdächtiges Knistern.«

»Du scherzt gewiss nur«, sprach gereizt der Anschläger. »Ich träume doch nicht. Ich habe meine Sinne vollkommen beisammen und erkläre dir, dein Bruder ist wirklich ausgefahren!«

»Nun, ereifere dich nicht«, sprach der Schlepper, »komm, ich will dich von deinem Irrtum überzeugen, komm mit vor Ort, da sollst du meinen Bruder sehen.«

Sie gingen hin und sahen ihn, aber wie? Die unterschrämte Kohle war plötzlich heruntergekommen und hatte den Hauer vollständig zerquetscht. Er gab kein Lebenszeichen mehr von sich. Die beiden hatten Mühe, die Leiche unter dem Kohlenhaufen hervorzuholen.

Die Erscheinung am Schacht in Gestalt des Hauers war der Berggeist gewesen, der sich oft vor einem Unglück zeigt und manchmal die Gestalt dessen annimmt, der verunglücken soll.


35.

Dieselbe Sage wird auch, in etwas veränderter Form, folgendermaßen erzählt:

Auf einer neuen Grundstrecke arbeiteten zwei Brüder. Während einer schrämte, fuhr der andere mit dem gefüllten Förderwagen zum Schacht. Unterwegs begegnete ihm in der Strecke der Steiger und fragte, weshalb sein Bruder ausgefahren wäre. Der Schlepper antwortete, sein Bruder wäre nicht ausgefahren, sondern befände sich vor Ort bei der Arbeit. Da verschwand bei Steiger plötzlich. Ein Unglück ahnend lief der junge Mann zurück und fand seinen Bruder unter einem schweren Kohlenblock liegend, der aus dem Hangenden herabgefallen war. Er lebte noch, war aber schwer verwundet. Wäre sein Bruder nicht so schnell zurückgekehrt, sondern zum Schacht gefahren, so hätte er ihn wohl nicht mehr lebend angetroffen.