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Das verlorene Pantöffelchen

Vom frischen Quell
Sagen, Legenden und Geschichten aus der Eifel
Jung und Alt in neuer Fassung dargeboten von Rektor Jos. Schiffels
Verlag Georg Fischer. Wittlich. 1912
Zweites Bändchen

Das verlorene Pantöffelchen

In einer Felsenhöhle bei Speicher, unweit der Kyll, hausten ganz kleine Männchen, die Wichtelmännchen oder Wichterchen. Sie waren noch nicht einen halben Meter hoch und trugen rote, spitze Hütchen. Am Tage waren sie nie zu sehen; nur des Nachts gingen sie aus, wie die Spuren vor ihrer Höhle zeigten. Den Bewohnern jener Gegend taten sie viel Gutes, indem sie ihnen nachts die Schuhe und Kleider ausbesserten oder andere nützliche Arbeiten verrichteten.

Einst wurde in einem außerhalb des Dorfes gelegenen Haus eine Hochzeit gefeiert. Die Musik und der Jubel drangen herüber zu den winzigen Gesellen. Wie gerne wären sie auch dabei gewesen, um an dem Fest teilzunehmen. Die hell erleuchteten Fenster schimmerten zu verlockend hinaus in das Dunkel der Nacht. Es tat ihnen leid, immer von der Gesellschaft der Menschen ausgeschlossen zu sein, mit denen sie es doch so gut meinten.

Das längste Männlein meinte: »Dürfen wir auch nicht in das Haus hinein, so wollen wir uns doch die Hochzeit von außen ansehen.«

Obwohl eines der Ältesten davor warnte, konnten sie doch schließlich der Versuchung nicht widerstehen.

Sie machten sich also zusammen auf und schlichen zu dem hochzeitlichen Haus. Nachdem sich jedes Wichterchen einen bequemen Platz ausgesucht hatte, schauten sie durch das Fenster hinein und beneideten die Hochzeitsgesellschaft um ihr Vergnügen. Aus Versehen stieß eins an das Fenster, und sie hatten sich damit verraten.

»Die Wichtelmännchen belauschen uns«, so hörten sie einen Gast rufen, und so schnell sie konnten, nahmen diese reißaus. Sämtliche Männer der Hochzeitsgesellschaft, der Bräutigam an ihrer Spitze, verfolgten sie und warfen mit Steinen nach ihnen. Einer fand ein winziges Pantöffelchen von purem Gold, das eins der Männlein verloren hatte. Er verkaufte es an einen Goldschmied.

Während nun die Hochzeitsgesellschaft ihre Feier fortsetzte, irrte der arme Kleine klagend umher, um das verlorene Schühlein zu suchen. Da er es nicht fand, durfte er nicht mehr zu seinen Brüdern zurückkehren. Er wusste nicht, dass die bösen Menschen es gefunden und verkauft hatten. Noch heute wandert er in nächtlicher Stunde leise klagend durch das Kylltal. Die anderen aber waren bald nach jener Hochzeit von dannen gezogen, wohin, das weiß niemand. Zuvor aber verwünschten sie noch das hochzeitliche Paar, dessen Nachkommen so klein blieben, dass sie im Volksmund nur die »Strünkelchen« genannt wurden.