Sammlung bergmännischer Sagen Teil 12
Das arme Bergmannsleben ist wunderbar reich an Poesie. Seine Sagen und Lieder, seine Sprache, seine Weistümer reichen in die älteste Zeit zurück. Die Lieder, die wohlbekannten Bergreihen, die Sprachüberreste, die Weistümer sind teilweise gesammelt. Die Sagen erscheinen hier zum ersten Mal von kundiger Hand ausgewählt und im ganzen Zauber der bergmännischen Sprache wiedergegeben. Das vermag nur zu bieten, wer ein warmes Herz für Land und Leute mitbringt, wo diese uralten Schätze zu heben sind; wer Verständnis für unser altdeutsches religiöses Leben hat, wer – es sei gerade herausgesagt – selbst poetisch angehaucht ist. Was vom Herzen kommt, geht wieder zum Herzen, ist eine alte und ewig neue Wahrheit. Hat der Verfasser auch nur aus der Literatur der Bergmannssagen uns bekannte Gebiete begangen, verdient er schon vollauf unseren Dank. Seine Liebe zur Sache lässt uns hoffen, er werde mit Unterstützung Gleichstrebender noch jene Schaetze heben, die nicht an der großen Straße liegen, sondern an weniger befahrenen Wegen und Stegen zu heiligen Zeiten schimmern und zutage gefördert sein wollen.
II. Abteilung: Sagen vom Berggeist
29.
Der Bergmann Rack musste all seine Kräfte anstrengen, ja oft Doppelschichten verfahren, um bei den damaligen geringen Löhnen und hohen Lebensmittelpreisen seine zahlreiche Familie ernähren zu können. Den Steiger, der seine Armut kannte, hatte Mitleid mit ihm und legte ihn beim Schachtabteufen mit an, wo man das höchste Gedinge bekam. Diese Arbeit aber war sehr nass, da das zu durchteufende Gestein wegen seinen vielen Klüfte viel Wasser führte, und Rack wurde, da er sich keinen Flanellanzug kaufen konnte, der ihn gegen die nasse Kälte hätte schützen können, bald schwer krank. Er lag viele Wochen am Typhus darnieder.
Die Familie des Kranken geriet dadurch in die größte Not. Seine Frau bügelte und wusch zwar und verrichtete auch sonstige Arbeiten bei anderen Leuten für Lohn, aber sie konnte doch nicht beständig ihre unmündigen Kinder allein lassen. Ihr Verdienst war deshalb ein kaum beachtenswerter, ja es blieb ihr schließlich nichts anderes übrig, als ihre ältesten Kinder, einen Knaben und zwei Mädchen, von Haus zu Haus zu schicken, um bei mildtätigen Leuten Almosen zu erbitten.
Rack genas. Er hatte zwar seine frühere Körperkraft noch lange nicht wieder, aber was blieb ihm angesichts der Not der seinen übrig, als sofort wieder mutig an die Arbeit zu gehen? Konnte er das Bewusstsein länger ertragen, dass die seinen von den erbettelten Gaben anderer lebten? Nein, er war ein zu biederer, ehrlichen Bergmann und dachte an sein eigenes Wohl zuletzt. Er bat Gott inbrünstig um seinen gnädigen Beistand und ging mit frischem Mut, aber schwachen Kräften wieder zur ersten Schicht.
Der schweren körperlichen Arbeit entsprach seine spärliche, kraftlose Nahrung nicht, und es ist begreiflich, dass nun die kaum wieder hergestellte Gesundheit schnell zurückging, dass Rack schließlich gänzlich arbeitsunfähig wurde. Diese seine Arbeitsunfähigkeit sah er nur zu wohl ein und geriet dadurch in einen so trostlosen Zustand, dass er an Gott und der Welt verzweifelte. Die Verzweiflung übermannte ihn einst so sehr, dass er sich in den tiefen Schacht hinabstürzte und auf diese Weise seinem kummervollen Leben ein schnelles, aber schreckliches Ende machte.
Sein ältester Sohn Bruno, kaum 15 Jahre alt, ein zarter, schwächlicher Knabe, musste nun Arbeit suchen, um wenigstens, so viel in seinen Kräften stand, dem Elend der seinen zu steuern. Der alte Steiger, der schon früher Brunos Vater zu einer besseren Lage hatte verhelfen wollen, legte ihn als Schlepper an. Aber was verdiente der arme Junge? Er vermochte kaum den vierten Teil der Anzahl Wagen vom Ort bis zum Schacht zu stoßen als die anderen Schlepper, und die rücksichtslosen Hauer schalten ihn deshalb. Mochte er selbst mit dem festesten Willen alle seine Kräfte aufbieten, er hielt eine solche Anstrengung nicht lange aus und brach oft hinter seinem schwer beladenen Wagen trostlos zusammen. Sich über die schwere Arbeit zu beklagen und den Steiger um eine leichtere zu bitten, brachte er nicht über sich. Er fürchtete, man möchte ihm dies als Arbeitsunlust auslegen.
So saß er eines Tages mitten in der Strecke neben seinem Wagen, schweißtriefend und gänzlich erschöpft, und fing an, bitterlich zu weinen.
Da trat plötzlich ein Bergmann, den er vorher weder vor sich noch hinter sich in der Strecke bemerkt hatte, und den überhaupt schon gesehen zu haben er sich nicht erinnern konnte, zu ihm heran und fragte ihn in freundlichem Ton: »Warum weinst du, kleiner Schlepper? Wird dir die Arbeit so sauer? Möchtest wohl lieber Fische fangen und Vögel stellen, wie?«
»Ach nein, Hauer«, erwiderte Bruno, »ich arbeite gern, von Herzen gern, auch wenn ich wie eben kraftlos zusammenbreche. Aber gerade, weil ich keine genügenden Kräfte zum Arbeiten habe, weil ich nur so wenig verdiene und deshalb die meinen so wenig unterstützen kann, kommen mir oft die Tränen in die Augen. Ach, warum bin ich nicht so stark wie die anderen, die ohne große Anstrengung froh und heiter ihre Schicht verfahren! Warum bin ich so schwach, dass ich kaum mehr verdienen kann, als das Öl für meine Lampe!«
»Seid ihr denn so sehr arm?«, fragte der Bergmann.
»O gewiss!«, antwortete Bruno. »Mein Vater verunglückte vor Kurzem, nachdem er, infolge einer früheren schweren Krankheit gänzlich geschwächt, die letzten Monate nur sehr wenig verdient hatte. Ich bin sein ältestes Kind und möchte so gern meiner Mutter und meinen Geschwistern helfen. Wir haben seit langer Zeit nicht mehr den Mietzins bezahlen können, und der bisher so geduldige und rücksichtsvolle Hauswirt droht uns aus dem Haus zu werfen, wenn wir ihm nicht bald wenigstens einen Teil unserer Schuld abtragen. Woher sollen wir aber das Geld dazu nehmen? Haben wir doch kaum etwas zu essen! Ach, barmherziger Gott, erhöre doch endlich unser Flehen, rette uns vor der Verzweiflung, welcher unser unglücklicher Vater erlegen ist, stärke mich und gib mir Kraft und Mut zur Arbeit!«
Bruno wollte sich erheben und seinen Wagen weiterschieben, aber der Hauer drückte ihn wieder sanft auf seinen harten Sitz nieder und sprach: »Ich will dir bei deiner Arbeit helfen, und du wirst das Zehnfache von dem verdienen, was deine Kameraden bekommen, aber ich verlange dafür einen Gegendienst von dir. Du sollst täglich während der Arbeit den Inhalt deines Brotbeutels mit mir teilen und mir schwören, niemals, zu niemandem, und unter keinen Umständen von unserem Bündnis zu sprechen, denn wisse: Ich bin der Berggeist!«
Ein anderer Knabe an Brunos Stelle wäre bei dieser Erklärung vor Schrecken vielleicht ohnmächtig geworden. Bruno aber erkannte in diesem ganzen Vorfall nichts anderes als eine Fügung des Himmels. Er wusste nun, dass seine inbrünstigen Gebete endlich erhört waren, er sah im Geist die seinen nicht mehr hungernd und frierend, sondern ohne Not und Elend ein glückliches, zufriedenes Leben führen. Ohne sich daher zu besinnen, sagte er: »Ich schwöre es, nie und unter keinen Umständen zu verraten, dass du, mächtiger Geist, die Stütze meiner Schwachheit und der gute Engel bist, der das große Elend von den meinen nehmen will. Wenn ich je diesen Schwur brechen sollte, dann stehe ich in deiner Macht, und du sollst mich bei lebendigem Leibe zerreißen zum Zeichen, dass du Undank und Wortbrüchigkeit arg bestrafst.«
»So ist’s recht, mein Sohn«, sprach der Berggeist. »Aber nun komm, jetzt wollen wir zusammen arbeiten. Ich will dir stoßen und füllen helfen. Ich bin außer dir jedem unsichtbar, du brauchst also deswegen keine Furcht zu haben.«
Was war das jetzt für eine lustige Fahrt! Hei! Wie flogen die Wagen die Strecke entlang, dass dem armen Jungen anfangs der Atem auszugehen drohte. Aber bald fühlte er sich wunderbar gestärkt, fühlte er volle Manneskraft in sich.
Als er wieder mit dem leeren Wagen vor Ort kam, war dieser gefüllt, ehe sich dessen die hier arbeitenden Hauer versahen, und fort ging es wieder im schnellsten Lauf, als hätte Bruno einen Kinderkarren gestoßen.
So arbeitete der schwache, kleine Bruno nun Tag für Tag. Da aber seine Hauer nicht so viel sprengen konnten, als er jetzt mit Leichtigkeit zum Schacht fuhr, gab ihm der Steiger noch ein zweites, und bald nach ein drittes Ort, sodass er nun für drei Mann stand und in jedem einzelnen Fall das Doppelte von dem leistete, was nur der Stärkste an seiner Stelle hätte leisten können. Der Berggeist half ihm wacker dabei, und Bruno teilte redlich das Brot mit ihm, das er sich von Zuhause zur Schicht mitnahm.
Der Verdienst Brunos wurde bei solcher Arbeit ein ganz außerordentlicher. Alle Not war von den seinen mit einem Mal verschwunden. Er konnte nicht nur bald die rückständige Miete bezahlen, sondern auch seiner Mutter die Mittel in die Hand geben, kräftigere und gesündere Speisen zu bereiten. In den nächsten Monaten legte die sparsame Mutter immer etwas zurück, und es waren noch keine zwei Jahre vergangen, als sie so viel Geld zusammen hatte, dass sie das kleine Häuschen, in dem sie nun schon so viele Jahre wohnten, nebst einem Stückchen Acker käuflich erwerben konnte.
Freilich fiel dieser plötzliche Wechsel in den Verhältnissen der Familie allgemein auf. Man wusste so ganz gut, wie ein Knabe, zumal ein so schwächlicher wie Bruno, arbeiten konnte, und ahnte es gleich, dass es in Betreff den fast übernatürlichen Leistungen Brunos nicht mit gewöhnlichen Dingen zuging. Vor allen war der plötzliche Umschwung auch der Mutter aufgefallen, die so die Lohnverhältnisse aus dem Zusammenleben mit ihrem verstorbenen Mann sehr wohl zu beurteilen verstand. Sie drang oft in ihren Sohn, sie beschwor ihn, ihr doch zu sagen, ob er im Bunde mit bösen Geistern stünde. Sie bat ihm beim Heil seiner und ihrer Seele es zu gestehen, und davon abzulassen, solange es noch Zeit wäre. Aber Bruno versicherte jedes Mal bei allem, was ihm heilig wäre, er stünde in keinem Bündnis mit irgendeinem bösen Geist.
Darin hatte er recht, war ja doch der Berggeist, so wie er sich ihm gezeigt hatte, kein böser, sondern im Gegenteil ein guter, den Menschen wohlwollender Geist, der aus eigenem Antrieb das Elend zu heben kommt, dort, wo es in Wirklichkeit ist.
Bruno wurde still und zurückgezogen. Er ging den Leuten, die ihn mit scheelen, misstrauischen Augen ansahen, ruhig aus dem Weg und verkehrte nur mit wenigen, die es wirklich aufrichtig mit ihm meinten.
So vergingen wieder einige Jahre. Bruno war ein stattlicher, kräftiger Jüngling, seine beiden ältesten Schwestern blühende, hübsche Jungfrauen geworden, die nicht nur die Aufmerksamkeit der jungen Knappen auf sich lenkten, sondern nach den Söhnen des reichen Grubenbesitzers ein Gegenstand der Bewunderung waren. Oft, wenn diese jungen Herren am Häuschen bei Familie Rack vorübergingen, sah man sie an einem Fenster desselben stehen bleiben und die Mädchen um einen Trunk frischen Wassers oder dergleichen angehen, wobei sie dann stets mit ihnen ein Gespräch anknüpften. Ebenso wussten sie es geschickt einzurichten, dass sie, sobald Brunos Schwestern im Freien mit Feldarbeiten beschäftigt waren, mit dem Gewehr in der Hand einen kleinen Jagdzug unternahmen und dabei unwillkürlich auch den Rackschen Acker durchschritten. Was war da natürlicher, als dass sie dann auch den Mädchen ein Glück auf boten, ihrem Fleiß die nötige Bewunderung zollten und dergleichen mehr, um nur eine kurze Zeit in der Nähe bei lieblichen Mädchen verweilen zu können.
Das klatschsüchtige, neidische Volk aber legte das anders aus, und gerade das unschuldige zeitweise Zusammentreffen der beiden Herren mit Brunos Schwestern sollte diesem zum Verderben gereichen.
Bruno ging, seitdem er älter geworben war und es ihm seine Mittel erlaubten, hin und wieder ins Wirtshaus, um sich an einem Glas Bier zu laben. Das ganze Jahr hindurch aber freute er sich schon auf das Barbarafest – ein Fest, das auch noch gegenwärtig in vielen Regionen von den Bergleuten zu Ehren ihrer Schutzpatronin gefeiert wird.
Das war an diesem Tag ein Jubel und Trubel in dem sonst so stillen Dörfchen! Vormittags zog die ganze Belegschaft der Zeche, voran der Steiger, alle in der schönen, sinnigen Bergmannstracht zum Dorfkirchlein zum feierlichen Gottesdienst. Nachmittags aber, und spät bis in die Nacht hinein, fand ein großes Arbeiterfest auf Kosten des Brotherrn statt. Es wurden die großen Räume des Zechenhauses vorher besonders dazu hergerichtet und geschmückt. Während hier im bunten Durcheinander die jungen Paare nach bei Klängen der Berghornisten tanzten, saßen in den angrenzenden Räumen die Älteren, die bereits Ermüdeten und die, welche am Tanzen kein Vergnügen fanden, bei frohem Gläserklang. Zu den Letzteren gehörte auch Bruno, der mit seinen Freunden an einem langen Tisch saß und gemütlich plauderte. Bald gesellten sich noch andere dazu, von denen einige bereits zu tief ins Glas geschaut hatten. Das war besonders bei Lorenz der Fall, einem Kameraden Brunos, bei sich bisher vergebens um eine von dessen schönen Schwestern bemüht hatte. Und da er diesen Misserfolg lediglich auf Brunos Einfluss zurückführte, hegte er gegen ihn einen stillen, aber tiefen Groll. Man merkte es ihm heute auch bald an seinen glühenden Augen und seiner herausfordernden Miene an, dass er etwas Übles im Schilde führe, und er ließ damit auch nicht lange warten.
»Nun, mein lieber Kamerad Rack«, sagte er mit unverhohlener Bosheit, »willst du nicht so gut sein, uns auch das Mittelchen zu nennen, mit welchem man beim Hungern plötzlich zur erstaunlichsten Leistung stark genug und in wenigen Jahren als Arbeiter so wohlhabend wird, wie du? Wir sind und bleiben doch alle arme Teufel und versuchen doch auch das Möglichste zu leisten. Gib uns doch etwas von deinem Zaubertrank mit!«
»Schweig doch mit diesen albernen Redensarten«, sprach einer von Brunos Freunden, »gehörst auch du zu jenen Elenden, welche das mühsam Erworbene neidisch begeifern und die es nicht für möglich halten, dass Gott seine besondere Gunst einer Familie zuwendet, die er vorher so schwer geprüft hat?«
»Ach was, Gottes Gunst!«, entgegnete der betrunkene Lorenz, »bleib mir nur damit vom Leibe! Ich mag es wohl glauben, dass Bruno in seiner verzweifelten Lage anfänglich, trotz seiner Jugend, eine größere Willenskraft besaß, als wir, und dass er uns infolge dessen allmählich auch an Körperkräften übertroffen, aber mit seinem Wohlstand steht es doch anders. Was er jetzt besitzt, ist auf schmutzige, unehrliche Weise erworben worden!«
»Um Gottes willen schweig, Elender!«, riefen entrüstet Brunos Freunde, während dieser selbst vor Aufregung und unterdrücktem Zorn zitterte.
»Nein, ich schweige nicht«, schrie Lorenz, »ich will es laut heraussagen: Bruno ist zu seinem Wohlstand durch die großen Geschenke gekommen, welche seinen schönen Schwestern gemacht werden. Was liegt auch so reichen Herren, wie den Söhnen unseres Arbeitgebers, an ein paar gefüllten Geldbeuteln, wenn sie nur ihre heißesten Wünsche von einem hübschen Kind erfüllt, ihre lang verfolgten Absichten endlich erreicht sehen!«
»Gott vergebe dir diese Verleumdung«, rief Benno, der sich im höchsten Zorn noch zu beherrschen versuchte, »diese schändliche Lüge! Ich habe bis jetzt davon geschwiegen, auf welche Weise ich zu meiner Kraft und zu meinem Wohlstand kam, weil ich durch einen furchtbaren Eid dazu verpflichtet wurde. Aber ich will diesen Schwur brechen, um diese abscheuliche Verleumdung dieses Elenden zu offenbaren!«
Alle Anwesenden, die sich während des Streites an den Tisch der jungen Leute herangedrängt hatten, horchten gespannt auf, als Benno fortfuhr: »Ihr werdet sehen, dass ich schwer dafür werde büßen müssen; aber ich will lieber den grässlichsten Tod sterben, als meine unschuldigen Schwestern mit Unrecht von der Welt verachtet wissen – infolge der Gemeinheit dieses Niederträchtigen. So hört denn: Ich stehe in einem Bündnis mit dem Berggeist. Er hat mir den Schwur abgefordert, von unserem Verhältnis zu schweigen, und wird mich für meine Unbeständigkeit schwer bestrafen.«
Ein panischer Schrecken bemächtigte sich bei dieser Mitteilung der Anwesenden. Alle erbleichten und sahen mit ängstlicher Miene Bruno nach, der sofort das Zimmer verließ.
Am nächsten Morgen vor dem Anfahren nahm Benno einen viel zärtlicheren Abschied als sonst, wenn er zur Schicht ging, von der Mutter und den Geschwistern, die von dem Vorgang am vorhergehenden Abend noch nichts wussten. Er umarmte sie alle, küsste sie herzlich und verließ mit tränendem Auge und einem letzten Glück auf das Haus.
»Glückliche Schicht!«, grüßten die seinen bei seinem Fortgehen und sahen sich fragend und kopfschüttelnd an. Sie hatten eine solche Stimmung an Bruno noch nicht beobachtet.
Bruno fuhr an. Ihm folgten seine Kameraden und die Hauer, und es dauerte nicht lange, so sandte man auch den ersten Kübel Erz zutage.
Aber wie erstaunte man oben, als man in dem Gefäß anstatt des Erzes die Leiche Brunos, in zwei Hälften zerrissen, vorfand! Der rasch herbeigeholte Steiger fuhr sofort ein. Er vernahm Anschläger und Schlepper, welche das Erz zum Füllort gebracht hatten, aber alle schworen, der erste Kübel sei mit Erz gefüllt hinaufgegangen, Bruno hätten sie noch gar nicht im Schacht gesehen.
Das Erstaunen und die allgemeine Aufregung erreichten aber ihren Höhepunkt, als der zweite Kübel, bei dessen Füllung der Steiger selbst zugegen war, über Tage ankam, und man in ihm lauter kleine Stücke vertrockneten Brotes vorfand. Ebenso ging es mit den folgenden Kübeln. Es war das Brot, welches Bruno täglich dem Berggeist gebracht hatte. Da aber konnten die Arbeiter ihre Angst nicht länger bemeistern und fuhren allesamt aus. Nur Lorenz, welcher am Morgen ebenfalls angefahren war, war nirgends mehr zu finden und wurde nie mehr gesehen. Die Förderung in diesem Schacht musste für lange, lange Zeit eingestellt werden, da sich jeder Bergmann sträubte, die Arbeit in diesem unheimlichen Bergwerk wieder aufzunehmen.