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Atlantis Teil 20

Die beiden Freunde standen auf der steilen Westwand von Black Island. Zweihundert Meter fiel die Klippe vor ihren Füßen schroff ab. Dort unten in der Tiefe, wo früher die See brandete, streckte sich weithin das neue Land. Uhlenkort nahm das Fernglas von den Augen. Seine Hand deutete nach Norden.

»Die Luft ist klar geworden. Mit bloßen Augen sehe ich da die Grenze zwischen altem und neuem Land, den Kranz von Tang und Muscheln. Lass uns noch eine Weile stehen, Johannes, dass meine Augen sich satt trinken an dem Bild, das mir tieferen Frieden gibt als die schönste Landschaft des Südens.

Und jetzt kannst du mir erzählen, was da unten geschah am Isthmus. Was es war, das die Erde erbeben, zerreißen ließ. Du sähest es voraus. Du weißt, wie es geschah … wie es geschehen konnte.«

Der andere wandte sich um … dem Süden zu.

»Wenn irgendwo es gefährlich war, den Leib der Erde so schwer zu erschüttern, so war es auf dem Isthmus von Panama. Sie hätten gewarnt sein müssen, die Toren! Dort, wo seit Menschengedenken die unterirdischen Kräfte an ihren Ketten zerrten, wo die Magmamassen immer wieder an die Schranken der Erdhülle pochten, dort war es mehr als vermessen. Das atomare Sprengmittel, das sie in so riesigen Mengen in die Eingeweide des Isthmus packten, es musste, auf einmal detonierend, die Katastrophe bringen. Die Gewalt der gleichzeitigen Explosion musste, nach unten sich fortpflanzend, die Sialscholle bersten lassen.

Die Risse, durchreichend bis hinab zu den Feuergluten der Tiefe, ließen die beiden Elemente sich vermählen. Ihre Umarmung gebar Untergang … Tod. Während die unfreiwilligen Hochzeitsgäste oben jubelten und frohlockten, kreißten die Elemente in stundenlangen Wehen. Dann brach es ans Licht. Die Wasserdämpfe, mit Gewalt sich freimachend, zerrissen den Leib des Isthmus. Im Fieber bebten dessen Glieder. In immer neuen Ausbrüchen riss der Spalt, bis er klaffte … ein neues Feld dem Unheil … weiter klaffte, bis die Wogen der beiden Ozeane in freiem Schwall auf die Gluten des Inneren fielen. Das war das Ende. Der Bogen, schon längst zum Äußersten gespannt, zerbrach. Die Enden, die freien Zungen, schnellten auseinander. Weiter, immer weiter klaffend, bis die Ränder der Kluft standen, dreihundert Kilometer dazwischen lagen.«

»Und so wird es bleiben?«, fragte Uhlenkort.

Der Freund schien den Sinn der Frage nicht zu verstehen.

»Nein! Es wird weitergehen, das Unheil. Mag das Fieber jetzt nachgelassen haben. Die Zeit wird kommen, wo es wieder hervorbricht … früher oder später …«

»Ich erwarte Trost. Und du kündest mir neues Unheil. Ist es nicht genug? Für Europa wird es keinen neuen Schrecken bringen. Der Golfstrom … die Golfdrift … unser Wärmespender ist dahin. Millionen Menschen durch eines Menschen verbrecherische Hand zugrunde gerichtet, gemordet.«

»Trost? Gab ich ihn dir nicht schon, Walter Uhlenkort? Noch mehr? … Schon zuviel war es, was der Freund dem Freund sagte. Mag das Schicksal es mir verzeihen.«

 

*

 

Walter Uhlenkort stand auf dem Zechenhof.

Der Chefingenieur hatte zu ihm gesprochen. Was hatte er gesprochen?

Stilllegung der Minen … Abmontieren der Maschinen … Wegtransport der Belegschaften … Unmöglichkeit, die notwendigsten Arbeiten zu Erhaltung der Bergwerke fortzusetzen …

Immer wieder hatte Uhlenkort genickt, zustimmend, alles bejahend, was der vorschlug. Und dann hatte er ihm die Hand gereicht, hatte gesagt: »Sie werden alles machen, wie Sie es planen. Sie haben meine Zustimmung.«

Und dann hatte der Chefingenieur gesagt: »Ich werde bleiben bis zur letzten Minute. Bis zu dem Augenblick, in dem der Kapitän sein Schiff verlässt.«

Uhlenkort hatte ihm die Hand gedrückt und ihm ins Gesicht gesehen.

Lange … und war gegangen …

Der Chefingenieur sah ihm nach. Was war das für ein Gesicht? Ein Rätsel … eine Sphinx …

Hatte der unter dem ungeheuren Verlust den Verstand verloren, der ihn treffen musste, oder …

Die kommende unvermeidliche Vereisung, die über das nördliche Europa hereinbrechen musste, unterband den Betrieb der Kohlenminen auf Spitzbergen wahrscheinlich auf ewige Zeiten. Die Belegschaften jetzt noch länger zu halten, wäre verbrecherisch. War es schon unbegreiflich, dass die völlige Zerstörung vermieden wurde, als Black Island sich hob. Jetzt war sie unaufhaltsam … unabwendbar.

Der Golfstrom war die Ader, die sie hier oben am Leben erhielt. Der Golfstrom war weg … für immer. Der Minenbetrieb hier oben war zu Ende, wenigstens unter den bisherigen Verhältnissen. Ob die Minen jemals wieder in Betrieb kommen würden, ob der hünenhafte Rest Europas sie noch benötigen würde, wer konnte das sagen?

 

*

 

Das Turbinenschiff Präsident der Reederei Uhlenkort hatte Sandy Hook hinter sich gelassen und steuerte in den Atlantik hinaus.

Der Kapitän stand neben dem Ersten Offizier im Kartenhaus.

Ihre Augen ruhten auf der Tabelle, welche die Wassertemperaturen seit dem Verlassen des New Yorker Hafens in viertelstündigen Intervallen enthielt.

»Nach der Karte laufen wir jetzt vierundzwanzig Stunden mit dem Golfstrom. Auf diesem Kurs haben wir noch vor vier Wochen 23,5 Grad Celsius gemessen. Heute haben wir 20,5 Grad Wassertemperatur. Zufall? Möglich … Aber bei den Lufttemperaturen des letzten Monats nicht anzunehmen. Stromgeschwindigkeit? Wir haben die Bestecke mit größter Sorgfalt genommen … Ergebnis … unanfechtbares Ergebnis: Es fehlen uns gegen damals annähernd zehn Seemeilen … Andere Windverhältnisse? Zufall? Möglich am Ende, aber kaum noch wahrscheinlich. Zwei Zufälle? Ausgeschlossen! Der Golfstrom fehlt! Die Drift von Süden her fehlt. Der Druck, der die Massen hier schneller trieb, sie wärmer hierherbrachte.«

»Ohne Zweifel, Herr Kapitän. Die Messungen werden morgen um diese Zeit noch interessanter sein. An den Neufundlandbänken muss der ewige Kampf von kalt und warm noch deutlicher werden.«

»Ja, ja, ob wir da jetzt schon was merken werden? Ob der ewige Nebel da jetzt schon weniger dick sein wird?«

»Unbedingt, Herr Kapitän. Dort ist die Stelle. Dort müssen die eisigen Wasser des Baffinstromes die warme Golfströmung von Stunde zu Stunde mehr und mehr unterkriegen. Sie lähmen, schwächen, wegdrücken, ihr die Kraft nehmen, den gewohnten Weg bis zum Ende gehen. Da oben, im Eismeer, wie lange wird es dauern, und es wird ein Eismeer im wirklichen Sinne des Wortes sein. Die Fahrten da hinauf werden wohl bald der Sage angehören.«

Der Kapitän nickte. »Der Sage angehören wie unsere Kohlenminen in Spitzbergen. Mir ist es, als ob wir das in den nächsten Tagen wieder sehen würden.«

»Nach Spitzbergen?« Der Erste Offizier schaute ihn fragend an.

»Ja! Ich glaube es. Als wir vorgestern in New York plötzlich die Order erhielten, statt mit Ladung nach Rio de Janeiro nur mit Ballast und vollen Ölbunkern nach Europa zu fahren, überkam mich die Ahnung. Warum die Order? Spitzbergen ist uns verloren. Was dort ist, Menschen, Maschinen, muss fort. In Spitzbergen ebenso wie an all den anderen Orten, die durch den Golfstrom leben. Der Schiffsraum wird knapp werden, alles rechtzeitig zu bergen. Die Messungen werden in jedem Fall fortgesetzt, einerlei, wohin der Kurs geht … auch wenn wir das Ende schon jetzt wissen.«

Auf dem fünfzigsten Grad östlicher Länge traf der Präsident der Funkbefehl: Direkter Kurs nach Wibehafen!