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Felsenherz der Trapper – Teil 15.1

Felsenherz der Trapper
Selbst Erlebtes aus den Indianergebieten erzählt von Kapitän William Käbler
Erstveröffentlichung im Verlag moderner Lektüre GmbH, Berlin, 1922
Band 15
Der Medizinmann Omakati
Erstes Kapitel

Der Grizzly

Die Sonne war soeben erst aufgegangen. Ihre Strahlen vergoldeten die zackigen Gipfel der Uferberge des Pecos und ließen die Spitzen der Riesentannen, die auf den Terrassen der Anhöhen wuchsen, in besonderem Glanz aufleuchten.

Unten zwischen seinen selbigen Ufern schoss der Pecos gurgelnd und schäumend dahin, bildete hier und dort weiß schimmernde Stromschnellen und häufte vor den kleinen, zahlreichen Inselchen förmliche Barrikaden von losgerissenen Sträuchern, entwurzelten Bäumen und weggespülten Moosflächen an.

Am Westufer des Pecos standen zu dieser frühen Morgenstunde drei Männer, die ihre Pferde am Zügel hielten und gespannt zu einer Bergterrasse auf der anderen Seite des Flusses hinüberschauten, wo soeben zwischen den grünen Büschen die riesige Gestalt eines grauen Bären, des gefürchteten Grizzlys, sichtbar geworden war.

Die drei Männer standen so, dass ein Vorhang von Schlingpflanzen, der zwischen zwei Eichen als seltsames Gebilde herabhing, sie völlig deckte.

»Ein Grizzly!«, flüsterte jetzt der eine, dessen schwarzgebranntes Gesicht den Mulatten verriet. »Massa Felsenherz, man müsste ihn abschießen«, wandte er sich an den schlanken, blondbärtigen Trapper, der neben ihm in lässig-kraftvoller Haltung auf seiner langen Büchse lehnte, deren Kolben beiderseits in Goldplättchen das Bild eines springenden Jaguars zeigte.

»Nein, Tom«, meinte der blonde Trapper darauf. »Wir haben allen Grund, vorsichtig zu sein. Hier in den Uferbergen hallt ein Schuss mit vielfachem Echo nur allzu weit. Wir müssen damit rechnen, dass die Apachen mit allem Eifer nach uns suchen. Der Schnelle Büffel, ihr Oberhäuptling, wird nicht eher ruhen, bis er unsere Fährte wieder gefunden hat. Lassen wir also den Grizzly laufen!«

Der Dritte der Männer, ein hochgewachsener Indianer mit mehreren Adlerfedern im Haarschopf, spähte noch immer angestrengt nach dem Bären aus und sagte nun:

»Mein Bruder Felsenherz mag den Grizzly einmal recht genau beobachten. Chokariga hat etwas entdeckt, das sehr seltsam ist.«

»Häuptling«, erklärte der Mulatte Tom, »ich habe zwar nur noch ein Auge. Ich kann an dem Tier nichts Besonderes bemerken.«

Eine Weile blieb es jetzt still. Die drei Männer blickten wieder durch die Lücken des Schlingpflanzenvorhangs zum Ostufer hinüber, wo der Grizzly noch immer vor den Büschen der Felsterrasse langsam hin und her ging, indem er sich zuweilen auf den Hinterbeinen aufrichtete und scheinbar witternd den Kopf zum Fluss vorstreckte.

Dann glitt über das gebräunte Gesicht des schlanken Trappers Felsenherz ein Ausdruck des Erstaunens, dem sofort aber ein Lächeln folgte. Er wandte den Kopf nach rechts. Sein Blick begegnete dem des roten Häuptlings, des berühmten Schwarzen Panthers der Comanchen, seines besten Freundes.

Auch der Schwarze Panther verzog für einen Moment das Gesicht zu einem leisen Lächeln. Die beiden unzertrennlichen Westmänner verstanden sich.

Dann flüsterte der Mulatte Tom, der ebenfalls einen hirschledernen Trapperanzug trug: »Massa Felsenherz, der Grizzly dort ist ein Grizzly wie alle anderen. Ich kann nichts entdecken, was …«

Er schwieg.

Drüben war ein Schuss gefallen, dessen Echo jetzt überlaut durch das Flusstal schallte.

Der Bär hatte sich mit einem Satz in das Gebüsch geworfen, war verschwunden.

Dann erschien vor einer Gruppe Tannen auf derselben Felsterrasse ein Mann, der die noch rauchende Büchse in der Hand hielt und nun mit ein paar Sprüngen vor jenem Dickicht stand, in das der Grizzly sich geflüchtet hatte.

Dieser Jäger, dessen Körperlänge und Magerkeit ihn zu einer recht auffallenden Erscheinung machten, war vollständig in dunkelgrünes, derbes Leinen gekleidet, trug dazu einen breitrandigen Strohhut und hohe gelbe Schaftstiefel.

Ihm folgte auf dem Fuß eine zweite Gestalt, die im Gegensatz zu der fast eleganten Kleidung des Langen und dessen Größe mehr wie ein abgerissener Strolch aussah und dabei so klein, dick und behäbig war, dass sie noch mehr zum Lachen reizte als der dürre Grüne.

Die drei Männer am Westufer beobachteten, wie der Dicke den anderen am Arm packte, von dem Gestrüpp wegriss und zurück hinter die Tannen zerrte.

Der Mulatte Tom sagte jetzt verwundert: »Oh – das ist ein sehr merkwürdiges Paar! Wer mögen die beiden nur sein?«

»Tom wird sie sofort kennenlernen«, erwiderte der Comanchenhäuptling. »Wir müssen hinüber und sie warnen. Hat mein Bruder Felsenherz schon einmal von dem dicken Abraham etwas gehört?«, fragte er den blonden Trapper, der nur kurz bejahte und dann hinzufügte: »Chokariga hat recht. Der dicke Abraham ahnt nicht, dass die Apachen ihre Dörfer verlassen haben und den Pecos umschwärmen, um uns abzufangen. Vorwärts, gehen wir ein Stück stromauf und setzen wir mithilfe eines Baumfloßes über den Pecos!«

Der Comanche schritt voran. Ihm folgte Tom. Als Letzter kam Felsenherz, der seinen Braunen nicht zu führen brauchte, da das vorzüglich dressierte Pferd jeden Wink seines Herrn verstand.

So legten sie im hochstämmigen Uferwald etwa dreihundert Meter zurück, bis sie die nächste Krümmung des Pecos hinter sich hatten.

Hier schob sich eine Halbinsel recht weit in den Fluss hinein, an deren Spitze eine Baum- und Strauchanhäufung sich noch weiter in die Strömung vorstreckte.

Tom und der Comanche begannen sofort vier der angetriebenen Urwaldriesen flottzumachen und mit Ranken und Baststreifen zusammenzubinden.

Felsenherz beobachtete inzwischen die Umgebung.

Still und friedlich lag das Flusstal im Glanz der Sonne da. Doch der blonde Trapper wusste nur zu gut, wie trügerisch diese Ruhe in der Natur hier im Wilden Westen oft war. Er kannte all die kleinen Zeichen, die das Nahen eines Feindes verrieten.

Nichts entging seinen spähenden Blicken.

Jetzt stieg drüben am Ostufer aus dem Wald ein Schwarm Wildtauben auf. Und fast gleichzeitig erhoben sich hier am Westufer unweit der Halbinsel aus einer uralten Buche krächzend drei Krähen.

Felsenherz packte im Nu die Zügel der drei Pferde, lief mit den Tieren dorthin, wo der Comanche und Tom soeben das plumpe Floß ganz nahe an das Ufer gerückt hatten, rief den beiden zu: »Vorsicht – der Wald warnt uns!« und zwang die sich leicht sträubenden Pferde auf die schwimmenden Stämme hinüber.

Der Comanche gab dem Floß sofort einen Stoß, wobei er eine schlanke, der Äste bereits beraubte Tanne als Stange benutzte.

Auch der Mulatte, der noch vor wenigen Wochen als Sklave auf einer Baumwollplantage gelebt hatte und dann glücklich entflohen war, drückte das Floß vom Ufer der Halbinsel ab und ließ dabei seine Blicke prüfend über den nahen Wald des Westufers gleiten.

Gerade als die Strömung das Floß nun erfasste und mit sich fortnahm, warf Tom seine Stoßstange beiseite und griff nach seiner Doppelbüchse.

Er hatte dort in den Sträuchern unterhalb der Buche, von der soeben die Krähen sich in die Luft geschwungen hatten, den Lauf einer Flinte bemerkt.

Doch ein anderer kam ihm zuvor.

Bevor er noch angelegt hatte, krachte Felsenherz’ berühmte Jaguarbüchse, und auf den Knall des Schusses folgte in den Büschen ein gellender Aufschrei.

Der Flintenlauf war verschwunden.

Dafür tauchten zehn, zwanzig Apachen auf, die sich kopfüber in den Fluss stürzten und tauchend einen mit der Strömung dahintreibenden Baumstamm erreichten, hinter dem sie vor den Kugeln der drei Floßfahrer sicher waren.

Noch mehr geschah: Auch am Ostufer erschienen einige vierzig Rothäute, die nun gleichfalls schwimmend dem Floß folgten.

»Pest!«, schimpfte der Mulatte ingrimmig. »Da haben wir die Bande ja schon auf dem Halse!«

»Achtung!«, warnte Felsenherz. »Die Krümmung kommt! Tom – mehr in die Mitte der Strömung mit dem hinteren Ende des Floßes.«

Gerade hier führte die Strömung recht dicht am Westufer entlang, das an tiefer Stelle eine schroffe, etwa fünf Meter hohe Wand bildete.

Als das Floß an dem Steilufer jetzt vorüberglitt, wollten von oben sechs, sieben Apachen hinabspringen.

Nur vier jedoch hatten den Sprung richtig berechnet. Die drei anderen sausten hinter dem Floß ins Wasser.

Einer der vier war sofort wieder hochgeschnellt und schleuderte seinen Tomahawk nach dem Mulatten, der sich niederwerfen musste, um der dahersausenden Waffe zu entgehen.

Doch schon blitzte es aus seiner Büchse auf, und mit einer Kugel in der Stirn sank der Apache taumelnd in den Fluss.

Die drei Übrigen hatten sich bereits auf Felsenherz gestürzt.

Der Vorderste holte ebenfalls zum Wurf aus.

Der Tomahawk sauste wirbelnd auf den Trapper zu.

Nur ein schneller Schritt zur Seite, und die Streitaxt flog, ohne eine Wirkung zu erzielen, vorüber. Dann hatte Felsenherz den Gegner gepackt, warf ihn auf die beiden anderen Angreifer, sprang hinterher und schlug mit der gefürchteten Eisenfaust zu.

Noch drei gewaltige Fußtritte, und das Floß war wieder von Feinden frei.

Chokariga hatte indessen weiter stromabwärts an einer Stelle, wo die Ufer flacher waren, auf jeder Seite des Pecos etwa hundert berittene Apachen entdeckt und beschlossen, an der nächsten der mitten im Flusse liegenden Felseninseln zu landen, rief jetzt dem Trapper und Tom zu, sie sollten zu den Stoßstangen greifen und ihm helfen, das Floß mehr nach links hinüberzudrücken.

Doch die an der rechten Seite des kleinen Eilandes vorbeischießende Strömung war zu stark.

»Wir schaffen es nicht!«, keuchte Tom, der wahrlich die Kräfte eines Bären besaß.

Da – im Ufergestrüpp des Inselchens war plötzlich derselbe kleine dicke Mann erschienen, der vorhin den langen Dürren aus der Nähe des Grizzlys gewaltsam entfernt hatte.

»Hallo!«, brüllte er. »Hallo – der Schwarze Panther mag achtgeben …!«

Dann flog auch schon ein Lasso herüber, dessen Schlinge Chokariga geschickt auffing.

Der dicke Abraham begann das Floß langsam an die Insel heranzuziehen, rief nach einer Weile: »He, Master Botterley, helft mir mal ein wenig! Ihr habt Eure Arme und Hände doch nicht bloß zum Dollarzählen erhalten!«

Aus dem Gestrüpp erhob sich nun auch der endlos lange grüne Herr, dessen Gesicht ein wehender blonder Schnurrbart zierte.

»Abraham, dazu seid Ihr engagiert worden!«, erklärte er würdevoll. »Ich bin nicht von New York nach Westen gereist, um meine Muskeln durch Tauziehen zu stärken, sondern um Bären und Hirsche …«

Da hatte der dicke Abraham ihm schon das Lasso in die Hand gedrückt.

»Verdammt, Master!«, grunzte er wütend mit seiner heiseren Bassstimme, »macht hier keine Faxen! Es geht ums Leben! Das sagte ich Euch schon einmal!«

James Botterley, Mitinhaber eines Bankgeschäfts in New York, trat jedoch ärgerlich zurück und meinte: »Vergesst nicht, Abraham, dass Ihr nur mein Reisebegleiter und Führer seid! Ob es ums Leben geht, ist mir sehr gleichgültig. James Botterley fürchtet sich nicht!«

»Ihr seid verdreht!«, rief der dicke Trapper, der mit zu den bekanntesten Westmännern der Indianergebiete gehörte, jetzt in heller Wut! »Ihr seid kein Gentleman, wenn Ihr mich hier allein …«

Da hatte der lange Botterley sich schon gebückt und das Ende des Lassos ergriffen, zog mit allen Kräften und sagte stolz: »Die Botterleys sind Gentlemen! So, Ihr seht, ich habe mehr Muskeln als Ihr, Abraham!«

Das schwere Floß wurde so trotz der reißenden Strömung an das Ufer gezerrt. Rasch brachte Tom jetzt die Pferde auf die Insel, während Chokariga und Felsenherz die hinter dem treibenden Baumstamm verborgenen Apachen beobachteten, die jetzt gleichfalls mit der Strömung vorüberschossen, jedoch jeden Versuch unterließen, etwa die Insel tauchend zu erreichen.

Dann begaben sich auch der Comanche und der blonde Trapper an Land, wo Abraham inzwischen dem Mulatten schon befohlen hatte, nach der Ostseite des kaum 12 Meter breiten Inselchens hinüberzugehen und aufzupassen, dass dort keine Apachen landeten.

Das Floß fuhr jetzt leer weiter. Felsenherz und der Schwarze Panther kümmerten sich nicht um den dicken Abraham und den langen Botterley, sondern liefen zur Nordspitze des Eilandes, weil sie fürchteten, die anderen Apachen, die vorhin in den Fluss gesprungen waren, könnten dort die Inselufer erklettern.

Sie kamen auch keine Sekunde zu früh.

Etwa fünfzehn Rothäute hatten sich aus der Strömung herausgearbeitet und schwammen auf das Eiland zu.

Ein paar Schüsse zwangen sie, ihr Vorhaben aufzugeben und auf das Ostufer des Pecos zuzuhalten.