Märchen und Sagen der Indianer Nordamerikas 77
Wie Mais, Bohnen usw. entstanden sind
Ein Susquehanna, der sich von einem Missionar die Geschichte der Sintflut hatte erzählen lassen, gedachte jenen dafür mit folgender Sage zu belohnen.
»Am Anfang hatten unsere Väter nur Fleisch zu essen, und wenn sie einmal auf der Jagd unglücklich gewesen waren, so mussten sie bitteren Hunger leiden.
Nun hatten einst zwei Jäger einen fetten Bären getötet und ein Feuer angezündet, um einige Stücke davon zu braten, als eine große, blendend schöne Frau aus den Wolken kam und sich vor ihnen auf die Rocky Mountains niederließ. Da sagte der eine zum anderen: ›Das ist ein Geist, der unseren Braten gerochen hat. Komm, lass uns ihm ein Stückchen opfern.‹
Darauf opferten sie ihr den besten Leckerbissen – die Zunge nämlich.
›Kommt nach einem Jahr wieder her‹, sagte sie darauf, ›und ihr werdet sehen, dass ich nicht vergessen habe, eure Freundlichkeit zu belohnen.‹
Als sie die Gegend wieder besuchten, fanden sie ringsum alles mit den nützlichsten Pflanzen bewachsen. Die Stellen, die ihre rechte Hand berührt hatte, trugen Mais, und diejenigen, auf die sie die linke gerichtet hatte, trugen Bohnen. Da, wo sie gesessen hatte, wuchs die köstliche Tabakspflanze.«
»Ach«, entgegnete darauf unwillig der Missionar, »wie könnt ihr doch an solche dumme Fabeln glauben, die irgendein müßiger Kopf von euch ausgeheckt hat? Was ich euch aber erzählt habe, ist die reinste Wahrheit und stammt aus dem Mund des Allmächtigen selbst!«
»Mein Freund«, erwiderte der beleidigte Indianer darauf, »es scheint, dass man bei deiner Erziehung doch die Hauptsache vergessen hat. Du sahst, dass wir so höflich waren, deine fabelhafte Geschichte zu glauben. Warum glaubst du nun die unsrige nicht ebenfalls?«
Quelle:
- Karl Knortz, Märchen und Sagen der Indianer Nordamerikas, Jena 1871