Sherlock Holmes Detektivkomödie in vier Aufzügen Teil 5
Sherlock Holmes
Detektivkomödie in vier Aufzügen
Frei nach Motiven aus Conan Doyles Romanserie
Verlag von Philipp Reclam jun. Leipzig. 1906
Personen:
Sherlock Holmes, Detektiv; Dr. Mors; Lady Katogan; Inspektor Knox; Inspektor Smallweed; Frau Chease, Vermieterin; ein Straßenkehrerjunge; Forbs, Musiker; Harway; Govern; Sybill; Jim; Mento; Jack; Lord Oberrichter; Professor Johnson; Lormonzoff, Klaviervirtuose; Mrs. Wyler; Miss Wyler; Miss Lenox; Mr. Tower; Mrs. Tower; Mr. O’Brien; Miss O’Brien; Mr. Taylor; Mrs. Wellburn; Miss Garden; Polizisten; Gauner
Ort der Handlung: London
Zeit: Die Gegenwart
Uraufführung am 2. Juli 1906 an Ferdinand Bonns Berliner Theater in Berlin.
Erster Aufzug
Kleines Dachzimmer bei Sherlock Holmes
Behaglich und originell. Rechts Kamin mit Feuer, links Schreibtisch und Sofa. Mitte Tisch. Darüber Hängelampe. Fenster mit Antritt. Türen Mitte und links. Der Wind heult.
Rechts und links vom Darsteller aus angenommen.
Fünfter Auftritt
Die Vorigen. Smallweed.
Knox. Alle Teufel, Smallweed …
Smallweed. Verflucht, Knox.
Beide. (schütteln einander grinsend die Hände).
Holmes. Knox und Smallweed – Smallweed und Knox.
Arm in Arm, so fordern sie die ganze Verbrecherwelt in die Schranken. Es kommt aber keiner!
Smallweed. Lassen Sie es gut sein, Holmes. Wir haben doch schon etliche schwere Jungen in den Maschen gehabt.
Knox. Und manche harte Nuss aufgeknackt.
Forbs. Wobei Sie meinen Freund Holmes als Nussknacker gebrauchten.
Smallweed. Holmes hat manchmal nicht übel kombiniert, alles was wahr ist.
Knox. Aber im heutigen Fall Katogan lässt ihn sein berühmter Spürsinn auch im Stich.
Smallweed. Ein Fall so ohne jeden Anhaltspunkt ist mir noch nie in meiner Praxis vorgekommen.
Holmes. Das sagen Sie jedes Mal, Smallweed. Wollen Sie eine Handvoll Anhaltspunkte haben? Sie müssen aber meine Methode anwenden, rückwärts schließen!
Knox. Lieber Holmes, ich schätze Sie sehr, aber ein bisschen Scharlatan sind Sie doch. Sie meinen, jeder beliebige Gegenstand müsste einem eine ganze Geschichte erzählen.
Holmes. Ich lese und sehe viele Geschichten, wenn ich einsam im Labyrinth von London spaziere.
Knox. Nu, warten Sie, jetzt lass ich Sie mal aufsitzen. Nehmen wir – nur irgendwas, nehmen Sie mal zum Beispiel meine Uhr und erzählen Sie mir alles, was Sie darüber wissen.
Holmes (untersucht die Uhr mit der Lupe). Die Uhr ist erst geputzt worden, dadurch ist viel verwischt!
Knox. Eine gute Ausrede ist drei Batzen wert. Also geben Sie zu, dass Sie manchmal flunkern.
Holmes. Wieso? Vieles ist doch recht deutlich abzulesen. Die Uhr hat Ihrem älteren Bruder gehört, der sie von Ihrem Vater erbte.
Knox. Stimmt! Das schlossen Sie aus dem H. K. auf dem Deckel.
Holmes. Ja, Ihre Buchstaben sind J. K. Die Uhr ist eine Spindeluhr, wie man sie vor sechzig, siebzig Jahren gemacht hat, mit dem Uhrschlüssel noch zum Aufziehen, und da Wertsachen gewöhnlich vom Vater auf den ältesten Sohn übergehen – so …
Knox. Na ja, das war nicht so schwer. Weiter!
Holmes. Er war liederlich in seinen Gewohnheiten, brachte sein Vermögen durch. Zuweilen ging es ihm wieder besser, endlich ergab er sich dem stillen Suff.
Knox (springt auf). Das ist gemein, Holmes. Sie haben sich nach meinem unglücklichen Bruder erkundigt und tun jetzt, als ob Sie das aus der Uhr sähen! Das ist wirklich unanständig!
Holmes. Mein Wort, ich wusste nicht, dass Sie einen Bruder hatten. Betrachten Sie einmal den Deckel, er ist eingedrückt, voll von Schrammen und zerkratzt, weil Ihr Bruder andere harte Gegenstände, Münzen oder Schlüssel in derselben Tasche trug. Wer eine kostbare Uhr so behandelt ist liederlich. Die Pfandverleiher kratzen bei verletzten Uhren die Nummern innen ins Gehäuse. Hier sind sieben solche Nummern, Beweis, dass es Ihrem Bruder abwechselnd gut und wieder schlecht ging, sonst hätte er sie nicht öfters versetzt und wieder eingelöst. Und nun, dass er trank, schließe ich aus den tausend Schrammen rund um das Schlüsselloch. Solche fand man zur Zeit der Uhrschlüssel regelmäßig bei Trinkern. Wenn einer da benebelt nach Hause kam und mit dem kleinen Schlüssel das kleine Loch suchte, hat er in seinem Dusel die ganze Uhr verkratzt. (Er markiert einen Betrunkenen, der die Uhr aufziehen will.)
Knox. Sie sind wirklich ’n ganz verdammt findiger Kerl.
Smallweed. Nun aber zur Sache. Was ist Ihre Meinung von dem heutigen Fall?
Knox und Smallweed (sitzen am Tisch).
Holmes (steht hinter demselben).
Knox. Smallweed hat ebenso wie ich behauptet, dass der Mörder nicht von außen gekommen sein kann?
Holmes. Wer ist denn ermordet worden?
Smallweed. Na, der Lord Katogan.
Holmes. Woher wissen Sie das?
Knox. Sie meinen, weil keine Verletzung sichtbar war. Er wurde mit einem Sandsack auf den Kopf geschlagen.
Holmes. Bumm! (Er schlägt Knox mit der Hand auf die Glatze.)
Smallweed. Wollen wir nochmals ruhig den Tatbestand feststellen: Lord Katogan befindet sich mit seiner Frau, einem Diener und einer Jungfer gestern Abend in seiner Stadtwohnung. Es klingelt. Der Diener öffnet. Ein Herr gibt seine Karte ab und bleibt vor der Wohnungstür stehen.
Knox. Vor der Wohnungstür. Der Lord und die Lady, so sagt der Diener und die Zofe übereinstimmend aus, lesen die Karte sehr erregt und heißen den Herrn sofort hereinführen. Dieser ist verschwunden. Die Lady und auch die Zofe gehen nun selbst auf den Treppenabsatz hinaus. Der Diener geht sogar bis zum Haustor hinunter, welches verschlossen ist. Er geht wieder herauf, während die beiden Damen oben über das Treppengeländer gebeugt warten.
Smallweed. Der Lord, der gelähmt ist, bleibt im Zimmer sitzen.
Holmes. Natürlich, wenn er lahm war, konnte er nicht hinauslaufen.
Smallweed. Er hatte unmittelbar vorher sein Testament gemacht, der Diener und die Jungfer hatten es als Zeugen mit unterschrieben. Wie die drei ins Zimmer zurückkommen, ist der Lord tot, und das Testament ist verschwunden.
Forbs. Wer war in dem Testament Erbe?
Knox. Die Lady! Universalerbin!
Smallweed. Die drei haben den Lord mitsammen umgebracht und das Märchen vom Unbekannten kennt man ja.
Holmes (spottend). Ja, was es für böse Menschen gibt. Die Lady, der Diener und die Zofe haben zusammen den alten lahmen Lord abgemurkst – mit einem Sandsack! Und das Testament haben sie weggeschmissen, damit der ganze Mord nicht den geringsten Sinn hat!
Smallweed. Ja – eben – das ist es eben!
Knox. Jedenfalls habe ich für alle drei eben einen Haftbefehl geholt.
Holmes. So ists recht! Knox ist der Mann der Tat. Wozu lang herumquälen. Man nimmt sie alle hopp, einer davon wird es dann schon sein!
Smallweed. Spotten Sie nur! Trotz Ihrer Schlauheit haben Sie nicht an die Visitenkarte des rätselhaften Besuches gedacht.
Holmes. Aber Sie haben daran gedacht?!
Smallweed. Jawohl, ich habe sie unter dem Schreibtisch gefunden, wo Sie so lange herumschnüffelten!
Holmes. Da habe ich sie hingelegt, damit Sie auch mal eine Freude hätten. Übrigens die Karte ist wertlos, nur ein Trick, denn der Neffe des Lord Katogan, dessen Name darauf stand, ist vor fünfzehn Jahren im Rio Grande ertrunken.
Smallweed. Hm!
Holmes. Es steht also fest, dass man die Leute mit dem Namen des Lieblingsneffen, der plötzlich von den Toten aufersteht, auf die Treppe locken wollte.
Smallweed. Wenn Sie alles wissen, ist Ihnen vielleicht auch bekannt, dass die Lady eine frühere Sängerin war. Gibt Ihnen das keinen Anhalt?
Holmes. Wo soll ich mich da anhalten? Sie ist sehr schön. Sehr begreiflich und vernünftig von dem alten Troddel, dass er sie heiratete.
Knox. Na, so rücken Sie endlich mal raus, wie ist es denn nach Ihrer Ansicht zugegangen?
Holmes. Ach so, Sie fragen? Bis jetzt haben Sie mich nicht gefragt.
Knox. Na, deshalb bin ich ja überhaupt hergek…
Holmes. (lachend). So so? Vor allem nehmen Sie meinen untertänigsten Dank, dass es mir vergönnt ist, mit meinen bescheidenen dilettantischen Kenntnissen der hohen Behörde in diesem schwierigen Fall unter die Ärmel zu greifen. Also: Wenn es mehrere waren, ist das Ganze ein Kinderspiel gewesen, aber ich bin sicher, er war es allein. Der Mann gab die Karte ab, rutschte am Treppengeländer hinunter, sperrte das Haustor mit einem Schlüssel auf und von draußen wieder zu, erstieg das Dach am Blitzableiterdraht, ließ sich in den Kamin hinab, erschien im Zimmer, tötete den Lord durch irgendein narkotisches Mittel, nahm das Testament vom Tisch und zog sich wieder in den Kamin hinauf, während die Damen und der Diener draußen auf der Treppe waren.
Knox (steht nach einer Pause auf). Gute Besserung.
Smallweed. (ebenfalls aufstehend) Zu schlechten Witzen habe ich heute keine Zeit.
Holmes. Nein! Sie müssen unschuldige Leute einsperren! Es rast der See und will sein Opfer haben.
Knox. Und Sie halten so was im Ernst für ausführbar?
Forbs. Jawohl, denn Holmes hat es vor zehn Minuten selbst hier ausgeführt, ich bin Zeuge!
Holmes. Sei still, Forbs, sonst hält er mich für den Mörder und arretiert mich auch noch!
Knox. Na, dann muss der Kerl ebenso ein leibhaftiger Satan sein wie Sie …
Holmes. Das ist er auch. Es ist der Teufel in Person.
Knox. Sie glauben, dass Er …
Holmes. Ich weiß es bestimmt.
Smallweed. Dann will ich mit der Sache nichts mehr zu tun haben. Ich bin Familienvater.
Knox. Wenn Er es war, ist es zwecklos, wir würden nur alle um die Ecke gehen!
Holmes. Diesmal wird Er um die Ecke gehen, ich werde ihn fassen!
Forbs. Wer ist denn dieser geheimnisvolle Er, vor dem Knox und Smallweed solchen Respekt haben?
Smallweed. Pst! Reden wir nicht darüber! Hat man nicht erst den braven Smith aus der Themse gezogen? Ich sage euch, der ist nicht hineingefallen, und der arme Gray, auch Hopkins – ein Dutzend könnte ich euch erzählen. In dem Moment, wo sie auf der Spur waren – fft – weg waren sie.
Forbs. Und das ist alles ein Einzelner?
Knox. Es sind viele, aber einer ist der Macher. Und was hilft alles? Wer mit ihm zusammenhängt, der kann verurteilt sein, schon unterm Galgen stehen, er kommt doch noch los. Nee, ich fürchte mich wahrhaftig nicht, aber wo etwas keinen Zweck hat …
Smallweed. Hat sich was! Ich mache meinen Bericht, der Fall ist nicht aufzuklären. Punktum. Adieu Holmes!
Knox. Sie können auf mich zählen, Holmes, aber erst, wenn Sie mir sagen können, wer und wo er ist. Ich kämpfe nicht gern mit unsichtbaren Feinden.
Holmes. Ich werde Ihnen den Mann vorstellen – aber dann …
Knox (Smallweed schüttelnd). Dann – na, dann wird mancher brave Kamerad gerächt sein!
Holmes. Seien Sie bereit, Knox, beim ersten Ruf. Ich habe ihn im Netz, und diesmal – Auf Wiedersehen!
Knox und Smallweed (schütteln beide die Hände und gehen ab).