Ritter Ulfo von Edelfels – Kapitel drei
Höchst wunderbare Geschichte vom Ritter Ulfo von Edelfels mit dem geheimnisvollen Schlangenstein in dem schützenden Zauberschild
Eine Ritter- und Geistergeschichte aus grauer Vorzeit
Aufs Neue fürs Volk erzählt
Burghausen, etwa 1860
Kapitel drei
Ohne Hindernis gelangte Adelinde auf die Burg und in ihr Gemach. Als sie am anderen Morgen erwachte, schien es ihr, als sei der Besuch bei den Gnomen ein Traumgebilde gewesen. Doch als sie sich nun vom Lager erhob und all die kostbaren Geschenke um sich näher betrachtete, wurde sie wohl eines Besseren belehrt, denn auf einem Tisch zunächst ihrem Lager befand sich das edle Metall, das ihr der Gnomenkönig aushändigte, sowie auch der kleine Stab, welchen ihr Yango überreicht hatte, mittels dessen sie sich die Gnome untertänig machen konnte.
Adelinde war hier durch vollkommen überzeugt, dass sie nicht geträumt hatte, sondern das alles, was von der verflossenen Nacht ihr in Erinnerung war, reine Wirklichkeit sei. Öfter schon hatte sich das Fräulein vorgenommen, die Stadt Graz einmal zu besuchen.
Nachdem sie sich nun im Besitz so reicher Schätze befand, säumte sie nicht mehr länger, diesen Wunsch auch in Ausführung zu bringen.
Schon am nächsten Morgen begab sie sich in Begleitung eines vertrauten Knappen, einen schneeweißen Zelter reitend, zur Stadt, wohin auch der alte Gösting bald danach seinen Weg nahm. Adelinde besah sich den Ort und zu ihrer Freude kam sie an einen Platz, wo neue Wagen, wie sie zur damaligen Zeit als Fuhrwerk für Edeldamen in Gebrauch kamen, zum Verkauf feil standen. Schon lange hatte sie sich einen solchen gewünscht, und da sie nun im Besitz der nötigen Mittel sich wusste, einen solchen zu kaufen, so handelte sie nun mit dem Besitzer darum und erstand einen glänzend ausgestatteten zweirädrigen Wagen zum ziemlich spottbilligen Preis. Der alte Gösting kam gerade dazu, als Adelinde den Kaufpreis bezahlte, und war nicht wenig erstaunt, dass das Fräulein über eine so bedeutende Summe, die zu damaliger Zeit der Ankauf eines solchen Wagens erforderte, verfügen könne.
In seinem Geleit befand sich ein junger hübscher Ritter, in dem Adelinde den schönen Ritter Ulfo aus Schwaben, für den ihr Herz so sehnsüchtig schlug, sogleich erkannte. Nach gegenseitiger Begrüßung erzählte ihr der alte Gösting, dass Ritter Ulfo einige Zeit auf seiner Burg zusprechen wolle, und dass sie nun den Rückweg nach Schloss Gösting gemeinschaftlich zurücklegen wollen. Wer war darüber mehr und höflicher erfreut, als Adelinde. Alsbald wurde ihr Zelter, ein äußerst gutmütiges frommes Tier, vor den neuen Wagen gespannt und Adelinde setzte sich in denselben und lenkte ihn trefflich. Ritter Ulfo, der über das unvermutete Zusammentreffen mit seiner geliebten Adelinde gleichfalls höchst erfreut war, trabte mit aller Vorsicht zunächst neben dem Wagen des Fräuleins und unterhielt sich im Gespräch mit ihr über vergangene Tage. Er erzählte ihr, wie er schon seit längerer Zeit sich vergebens bemüht habe, ihren Aufenthalt zu erfahren, bis er endlich so glücklich gewesen sei, durch einen guten Freund denselben auszukundschaften. Er spreche nur deshalb bei dem Ritter von Gösting zu, um einige Tage in ihrer Nähe weilen und das Geständnis seiner unwandelbaren Liebe ihr machen zu können.
Auch auf Adelinde hatte die Gegenwart des schönen Ulfo einen mächtigen Eindruck geübt. Mit einem Mal waren zwei ihrer vorzüglichen Wünsche in Erfüllung gegangen: der in damaliger Zeit kostbare Besitz eines Wagens und die plötzliche Ankunft des teuren Geliebten, dessen Bild sie fortwährend im Herzen trug. Ihre Freundin Klara war sehr überrascht, als der Zug im Schloss Gösting ankam und sie an Adelindens Seite den schmucken Ritter wahrnahm. Nach dem Bild, das Adelinde ihr von Ulfo gemacht hatte, konnte sie nicht lange im Zweifel darüber sein, dass dieser derjenige sei, dessen Besitz sich Adelinde schon seit geraumer Zeit wünschte und den ein Zufall oder Schutzgeist ihr nun so plötzlich zugeführt hatte.
Der Ritter von Gösting behandelte seinen Gast mit der größten Aufmerksamkeit. Ulfo war ihm eine hoch angenehme Erscheinung, und wenn in seinem Herzen man hätte lesen können, würde man entdeckt beben, dass eine Verbindung seiner allerdings hübschen Klara mit dem schönen Schlangensteiner ihm wohl sehr erwünscht gewesen wäre, denn nach allem, was er von Ulfo vernommen hatte, wäre ihm dieser für einen Schwiegersohn eine höchst ansprechende Persönlichkeit gewesen.
Ob auch die hübsche Klara mit dem Plan ihres Vaters einverstanden gewesen wäre, bleibt infrage gestellt, denn fürs Erste würde sie gewiss ihrer Freundin Adelinde den Geliebten um keinen Preis entrissen haben. Anderseits war ihr jugendliches Herz selbst nicht mehr frei, es hatte bereits auch schon gewählt. Doch leider war ihre Wahl auf einen Jüngling gefallen, wo ihr wenig Hoffnung blieb, ihn je zum ehelichen Gemahl erlangen zu können. Es war dieser nämlich ein armer Knappe im Dienst ihres Vaters, der wohl das beste Herz und ein sehr einnehmendes Äußeres besaß, doch wenig Aussicht darauf hatte, ob er sich je die Rittersporen und infolge dieser auch eine Burg einst werde erwerben können.
Da aber des alten Göstings Plan darauf hinausging, einen reichen Eidam zu erwerben, so waren die hoffnungsvollen Aussichten der armen Klara, mit ihrem geliebten Luithold ehelich verbunden zu werden, für die Folge sehr ungewiss und zweifelhaft.
Indes den Liebenden schien dies dazumal wenig Sorge zu bereiten. Ihnen entschwanden die Stunden in lauter Lust und Fröhlichkeit. Sie lebten nur in der Gegenwart und die Zukunft schien ihnen keineswegs am Herzen zu liegen. Auch Ulfo und Adelinde verlebten glückliche Tage ihrer jungen Liebe. Sie lernte an ihm einen treuherzigen biederen Mann kennen, der, mit edlen Gesinnungen begabt, sein höchstes Glück in dem Besitz eines tugendhaften Weibes erkenne. Mit solchen Eigenschaften zur Genüge ausgestattet glaubte er das edle Fräulein von Sternfels erkennen zu müssen, das seine Glückseligkeit war.
So waren bereits Wochen verflossen. Ulfo dachte ernsthaft daran, wieder zu seiner Burg zurückzukehren und die Vorbereitungen zu seiner alsbaldigen ehelichen Verbindung zu treffen. Auch der alte Sternfelser hatte unverhofft an seine Tochter den Auftrag ergehen lassen, sich zur Heimkehr anzuschicken, da sie nun schon so lange vom väterlichen Haus abwesend sei. Wohl kam den Liebenden dieser Auftrag noch zu früh, und insbesondere kam er Adellinde höchst ungelegen, da sie vor ihrer Heimkehr sich noch vorgenommen hatte, bei den Gnomen einen Besuch abzustatten. Zum Glück war eben Vollmond, und sohin die Zeit, wo sie sich die Gnome dienstbar machen konnte.
Adelinde versäumte nicht, bei anbrechender Mitternacht die Kraft des ihr von Yango behändigten Stabes zu erproben, und die Geister des Berges zu ihrem Dienst herbeizurufen. Kaum hatte der Turmwart das Anbrechen der Mitternachtsstunde verkündet, so berührte Adelinde, die schon während der Dämmerung die Burg Gösting verlassen hatte, mit ihrem Stab dreimal nach Vorschrift einen Baum, und wenige Augenblicke darauf sprangen in aller Eile mehrere Gnome herbei, unter ihnen als Anführer Yango, welche sich zum Dienst des Fräuleins bereit erklärten und hoch darüber erfreut waren, dass selbes wieder geneigt sei, bei ihnen einen Besuch zu machen.
Kaum hatte Adelinde diesen Wunsch ausgesprochen, so gab Yango ein Zeichen, und sie schwebte mit ihrer Begleitung wiederum rasch dahin, ohne die Erde zu berühren, bis sie zu dem bekannten Berg gelangten, der sich bei ihrem Herannahen von selbst öffnete und ihnen Einlass gewährte.
Im Inneren fand Adelinde alles in derselben Weise, wie bei ihrem ersten Erscheinen, nur hatte sich die Szene in der Art verändert, dass dieses Mal auch die Gnomfrauen zugegen waren, die gerade zur Zeit der Ankunft Adelindens mit ihren Männern im zierlichen Tanz sich belustigten. Als Letztere aber die Ankunft des Fräuleins wahrnahmen, waren sie nicht sehr zu bezwingen, den Tanz fortzusetzen. Sie ließen ihre Tänzerinnen los und beeilten sich, dem Fräulein ihre Aufwartung zu machen, da dieses durch seine Liebenswürdigkeit bei dem männlichen Teil der Berggeister in zu angenehmer Erinnerung stand. Das die Bergfrauen diese Zurücksetzung nicht beifällig hinnahmen, bedarf wohl keiner Erwähnung, und Adelinde konnte somit im Voraus versichert sein, dass sie unter diesen wohl nicht die freundliche Aufnahme sich zu erfreuen haben werde. Diesmal wurde Adelinde auch nicht vom König, sondern von der Königin bewillkommt, die sie in ihrer höchst lächerlichen Figur, umgeben von ihren Hofdamen, empfing und ihr einen Platz anbot, mit einer Miene, die Adelinde nur zu gut erkennen ließ, dass ihr Erscheinen der Frauenwelt des Bergreichs kein sonderliches Vergnügen bereite. Nach einiger Zeit entfernte sich die Königin mit stolzem Blick, indem sie an ihre Umgebung einige Befehle erteilte.
Yango schlich sich nun an Adelinde und flüsterte ihr leise zu: »Der König darf nicht erscheinen! Die Königin ist eifersüchtig auf dich, er soll dich wahrscheinlich nie und nimmermehr sehen.«
Die alsbald wieder zurückkehrende Königin bedauerte herzlich, dass ihr Gemahl sich des angenehmen Besuches nicht erfreuen könne, weil er mit einigen Hochgestellten seines Reiches sehr wichtige und dringende Geschäfte zu erledigen habe.
Adelinde lachte im Stillen über diese Entschuldigung, beschloss aber zum Lohn für diese Schikane die Königin noch eifersüchtiger zu machen.
»Es tut mir unendlich leid«, erwiderte sie, »dass ich die Gesellschaft eines so vortrefflichen Mannes, als welchen ich Euren Herrn Gemahl kennen zu lernen so glücklich war, entbehren muss. Er ist so herablassend, so gewogen und freundlich, dass man dem lieben Mann, wenn man auch den größten Widerwillen gegen ihn fassen wollte, dennoch von Herzen angetan sein muss!«
Über diese allerdings spitzfindige Antwort biss sich die Königin vor Wut auf die Lippen, übrigens wollte sie ihre innere Aufregung doch nicht offen zur Schau tragen, sondern unterdrückte nach Möglichkeit jeden Schein von Eifersucht und lenkte das Gespräch auf einen anderen Gegenstand.
»Wenn es unserem geschätzten Gast beliebt«, sprach sie, »werde ich demselben die Gemächer weisen, welche zu bewohnen ich so glücklich bin.«
Mit bescheidener Grazie verneigte sich das Fräulein und gab damit der Königin zu verstehen, dass es ihr höchst erfreulich und angenehm sei, wenn sie ihr diese Ehre erweise. Gefolgt von ihren Damen führte nun die kleine Königin Adelinde durch alle Gemächer ihres Appartements. Diese war wirklich erstaunt, über die Pracht und den Luxus sowie den unübertrefflichen Komfort, mit welchem dieselben ausgestattet waren. Musste sie sich schon bei ihrem ersten Besuch wundern über das Außerordentliche, was sie in dem Gnomenreich gesehen hatte, so war dieses nun bei ihrem wiederholten Besuch in erhöhtem Grade der Fall.
Während sie bereits mehrere Gemächer durchwandert hatten, sagte die Königin: »Unsere Schatzkammer hast du zwar schon gesehen, aber das vorzügliche Kleinod, welches es in sich birgt, ist erst vor Kurzem angekommen. Betrachte diesen Edelstein, welchen ich dir zeigen werde, mit aller Aufmerksamkeit. Es ist eine außerordentliche Seltenheit und ein Geschenk eines unserer nächsten Verwandten, welches derselbe aus weit entferntem Land an uns gelangen ließ.«
Die schweren Schlösser an der gut verwahrten Eingangspforte des Schatzgewölbes waren noch nicht hinweggenommen und die Damen noch nicht in dasselbe eingetreten, da kam von der entgegengesetzten Seite der König mit seinem Zahlmeister angeschritten und wollte mit diesem gleichfalls ein Geschäft in der Schatzkammer abmachen.
Die Königin war über dieses so unerwartete Zusammentreffen äußerst ungehalten und sprach deshalb zu ihrem Gemahl: »Sind denn deine Geschäfte schon so bald beendet?«, fuhr sie ihn wutentbrannt an. »In dieser kurzen Zeit kann unmöglich etwas Kluges beraten worden sein.«
»Es beliebte mir, die Sitzung aufzuheben!«, entgegnete der Gemahl ihr trotzig und setzte dann schadenfroh bei: »Wusste ich doch, dass das schöne Fräulein aus der Oberwelt uns mit einem Besuch erfreute. Wie könnte ich mir da das Vergnügen versagen, sie zu sehen und zu sprechen.«
»Ein fremde Dirne«, fuhr die Königin fort, »kann euch Männern doch gewiss leicht den Kopf verdrehen, das sehe ich leider wieder an dir. Um diese Fremde nur zu sehen, setzt du das Wohl deines Reiches, das Wohl deiner Untertanen in den Hintergrund.« Mit stolzen Schritten und voll innerer Wut entfernte sie sich, Adelinden noch ihre Giftblicke zuwerfend.
Der König gab hierauf keine Antwort, sondern wandte sich an die hoch erglühte, im stummen Entsetzen vor ihn stehende Adelinde.
»Edles Fräulein!«, sprach er weiter, »hört nicht auf die Worte einer Unsinnigen. Der Neid, die Eifersucht spricht aus ihrem Herzen. Lasst es Euch bei uns dessen ungeachtet nur recht gut gefallen. Unsere Gnomfrauen haben durchgehend gegen die Schönen der Oberwelt einen nicht zu bewältigenden Hass, daher kehrt Euch nicht an ihr Betragen. Yango«, sprach er weiter, »teile dem Fräulein von unserem Metall, namentlich von dem Silber einen guten Teil mit.«
Hierauf führte er Adelinde in das Gemach, wo die Edelsteine bewahrt waren. Er nahm den Kostbarsten, von welchem die Königin gesagt hatte, dass sie ihn zum Geschenk erhalten, heraus und überreichte ihn dem Fräulein mit den Worten: »Nimm diesen prachtvollen Edelstein zum Andenken an den, der dich innig verehrt! Und nun noch eine Bitte, gewähre mir die Freude, dich in unseren Ballsaal geleiten und dort einen Tanz mit dir ausführen zu dürfen.«
Adelinde dankte mit den freundlichen Worten für die schönen, wertvollen Geschenke und war gerne bereit, des Königs Wunsch zu erfüllen. Als er sie in den Saal führte, tönte ihnen schon die prachtvolle Musik entgegen. Die Flügeltüren öffneten sich und alle Würdenträger des Gnomenreiches waren mit ihren Damen in größtem Glanz bereits dort anwesend. Der König versuchte sich so groß wie möglich zu machen, reichte aber seiner Dame doch nur bis an das Knie. Eigenhändig brachte er Adelinde einige Erfrischungen und trat dann mit ihr zum Tanz an. Die Übrigen folgten ihm paarweise und auf ein von ihm gegebenes Zeichen begann die Musik.
Wirklich possierlich war es anzusehen, als Adelinde mit dem kleinen König tanzte, der sich nur an ihrem Kleid festhalten konnte. Aber um nur dieses zu können, fühlte er sich schon überglücklich.
Der Tanz war beendet. Die Gnome keuchten und husteten, keiner von ihnen konnte ein Wort sprechen. Auch den folgenden Tanz hatte Adelinde den König zum Tänzer. Als sie sich nach der Königin erkundigte, erfuhr sie, dass dieselbe vor Ärger plötzlich erkrankt sei.
Schnell enteilte die Zeit, und Adelinde musste deshalb auch wieder auf ihre Rückkehr bedacht nehmen.
Als sie dieses dem König mitteilte, wurde er sehr traurig, so zwar, dass er sich verstohlen die Tränen aus den Augen wischen musste, und bat sie, sein Reich und zunächst ihn doch, in Bälde wieder mit einem Besuch zu erfreuen, was ihm das Fräulein auch zusagte.
In derselben Weise wie das erste Mal, kam Adelinde mit ihren Geschenken bereichert, auf ihr Zimmer zurück, ohne dass jemand ihrer Verwandten von ihrem wiederholten Besuch bei den Gnomen etwas geahnt hatte.