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Till Eulenspiegel in 55 radierten Blättern – Vorwort

Till Eulenspiegel in 55 radierten Blättern
von Johann Heinrich Ramberg, mit Text nach der Jahrmarkts-Ausgabe. Verlag C. B. Griesbach. Gera. 1871

Vorwort

ill Eulenspiegel ist glaubhaften Nachrichten zufolge am Ende des 13. oder im Anfang des 14. Jahrhunderts in dem Dorf Kneitlingen im Amt Schöppenstädt im Braunschweigischen geboren. Seine Eltern waren arme Bauersleute. Über seiner Wiege und seinen Jugendjahren liegt aber, soweit er ihn nicht selbst in seinen Schwänken lüftet, ein mythischer Schleier. Dass er wirklich gelebt habe, ist sonach außer Zweifel gestellt, ebenso, dass er schon frühzeitig ein Wanderleben geführt hat, sogar nach Paris und Rom gekommen ist und als »fahrender Scholast« eine Menge Schwänke und Schalksstreiche verübt hat. Sein hauptsächlichster Aufenthalt war in Norddeutschland. Er starb im Jahre 1350 zu Mölln im Lauenburgischen, wo noch heute ein Gedenkstein an der Kirche Sankt Nicolai an Till Eulenspiegel erinnert.

Ob er seine Schalksstreiche selbst aufgezeichnet hat, ist ungewiss; eine Handschrift existiert nicht. Im Druck erschien die erste Ausgabe im Jahre 1483 in niederdeutscher Sprache.

Sie wurde schon 1519 von Thomas Murner ins Hochdeutsche übersetzt.

Die älteste hochdeutsche Ausgabe erschien 1540 zu Augsburg. Sie hat viele Nachfolger gehabt.

Till Eulenspiegel wanderte als Gaukler, Arzt, Kriegsmann, Maler, hauptsächlich aber als Handwerksgeselle und Herrendiener. Sein Witz und seine Schelmenstreiche treffen vorzüglich den Städter und den Handwerker. Ein guter Teil seiner Späße dreht sich darum, dass er alles, was ihm befohlen wird, wörtlich ausführt und dadurch gerade das Gegenteil von dem, was ihm geheißen wird, vollzieht, oder wie Goethe sagt, dass alle Menschen figürlich sprechen und Eulenspiegel es eigentlich nimmt. Daraus erwachsen die Verwicklungen und Missverständnisse, die seine Vorgesetzten und Arbeitgeber in Verzweiflung bringen. »Er will dadurch den Leuten recht begreiflich machen, dass der Buchstabe tötet und nur der Geist lebendig macht.«

Till Eulenspiegel ist der Nationalnarr der Deutschen geworden. Seine Schwänke haben vielfache Nachahmungen und Nachbildungen hervorgerufen, aber nur die Originale haben nicht bloß im Mittelalter die weiteste Verbreitung gefunden, sie haben sich fortwährend und noch bis zum heutigen Tag in der Gunst des Volkes erhalten, das sie in den fliegenden und stehenden Buchhandlungen noch heute mit
Vorliebe kauft und liest. Aber auch bei fast allen europäischen Völkern sind sie durch Übersetzungen in deren Sprachen eingeführt und beliebt worden.

Was hat diese ganz außerordentlichen Erfolge zustande gebracht? Sicher die oben angedeutete Tendenz nicht allein, auch nicht die Urwüchsigkeit seiner Erfindung, sondern die Volkstümlichkeit und – das Bedürfnis. Das Bedürfnis des Lachens – das beweisen eine Menge komischer und satirischer Schriftsteller aus jenen Zeiten – war von je ein tief gefühltes, weitverbreitetes und an Stoff zur Befriedigung hat es niemals gefehlt.

Das Lachen war die Waffe des Volks gegen die Ausschreitungen und Unterdrückungen der Edlen und Mächtigen, gegen die Laster der Pfaffen, gegen den Zopf des Bürgertums und des Innungswesens, gegen den Hochmut und die Tyrannei der Patrizier, gegen die Beschränktheit und die steife Pedanterie der Gelehrten und ihre unfruchtbare Tätigkeit.

Diese Stoffe sind zum Teil aus dem heutigen Leben verschwunden, aber das Bedürfnis wohnt, wer wollte es leugnen, der wenn auch sonst tiefernsten und denkenden deutschen Nation noch bis auf den heutigen Tag inne und es
ist ein vollberechtigtes, ja die Befriedigung desselben ist eine Wohltat, ein Geschenk des gütigen Himmels. »Lachen, Schlaf und Hoffnung gab uns«, sagt der moderne Demokrit, »Mutter Natur gegen die Mühseligkeiten eines Lebens, das manche nicht annähmen, wenn sie zuvor befragt würden.«
»Der ernsthafteste Mensch«, sagt er an einer anderen Stelle, »ist der Schwachkopf, wie die Auster, die Eule und der Esel die ernstesten Tiere, weil sie die dümmsten sind.«

Soviel steht fest, dass das physische Lachen und das psychische Lachen, d. i. der Frohsinn und die Heiterkeit, die allerwesentlichsten Mittel zur Beförderung des körperlichen und geistigen Wohlbefindens bilden und oft über das wirkliche oder eingebildete Elend des menschlichen Lebens hinweghelfen, über das mancher arme Sterbliche zum Unglück für sich und seine Umgebung bis an sein Lebensende nicht hinwegzukommen vermag.

Aber das geistige Auge allein genügt oft nicht, um, sei es ernste, sei es komische Lagen und Gestalten, gehörig aufzufassen; es gereicht wenigstens zur ganz wesentlichen Beihilfe, wenn dasselbe dabei durch die Hand der darstellenden Kunst unterstützt wird, ja der darstellende Künstler gibt oft ein besseres, jedenfalls rascheres Verständnis an die Hand.

Das wussten schon unsere Altvordern nur zu gut und schon in den Inkunabeln des 15. und 16. Jahrhunderts begegnen wir illustrierenden Holzschnitten in ihrer charakteristischen Steifheit zwar, aber auch in ihrer Markigkeit und Eigentümlichkeit und es hat diese edle Kunst nach langem gänzlichen Verfall erst in diesem 19. Jahrhundert wieder eine Vollendung und Verbreitung erlangt, die staunenerregend ist und dem Kupferstich, soweit es möglich ist und das Material es gestattet, Konkurrenz macht.

Aber nur der Kupferstecherkunst, insbesondere der Radiernadel, war es vorbehalten, mit der Markigkeit und Kraft auch die feinere Nuancierung in der Darstellung zu verbinden und Gebilde zu schaffen, die durch Kraft und Milde nicht
allein, sondern auch durch Lebensfrische und Lebenswahrheit sich auszeichnen und durch ihre Vervielfältigung auch dem die Kunst und ihre Genüsse zugänglich machen, dem der Besitz, ja die Anschauung ausgezeichneter Werke der bildenden Kunst versagt, oder wenigstens karg zugemessen ist.
Unter die hervorragenden Künstler auf diesem Gebiet gehört Johann Heinrich Ramberg.

Geboren 1763 zu Hannover, verriet er schon in frühester Jugend eine ungewöhnliche Anlage zur Kunst und die von ihm bereits im Jahre 1780 gezeichneten malerischen Ansichten des Harzgebirges wendeten ihm die Gunst des Königs Georg III. von England zu, der ihm eine Stelle in der Akademie zu London verlieh, in welcher er 9 Jahre seiner Ausbildung oblag. Schon hier entwickelte Ramberg eine außerordentliche Produktivität und mehrere seiner bereits damals geschaffenen Ölbilder sowie verschiedene Zeichnungen und Porträts, die von den damals berühmtesten Künstlern in Kupfer gestochen wurden, zieren noch heute die Kapelle zu St. James und die Sammlungen der Museen und Kunstfreunde. Eine seiner bekanntesten großen Kompositionen aus jener Zeit ist ein großes Ölbild, Alexanders Übergang über den Granikos darstellend. Im Jahre 1788 bereiste er mit Unterstützung des Königs die Niederlande, Deutschland, Österreich und Italien, hielt sich längere Zeit in Neapel und Rom auf, wo er seine Studien vollendete und wurde bei seiner Rückkehr nach Hannover von dem König zum Hofmaler ernannt. Von nun an beginnt für ihn eine Zeit der ausgebreitesten Wirksamkeit. Er malte zwar noch mehrere bedeutende Ölbilder, aber seine Haupttätigkeit nehmen nunmehr seine Zeichnungen des verschiedensten Inhalts in Anspruch. Bis ziemlich an das Ende seines Lebens (1840) herrschte in und außerhalb Deutschland die Almanach-Literatur. Auf sie konzentrierten die Dichter und Novellisten sowie die Künstler beinahe ausschließlich ihre Kräfte. Ramberg gehörte zu den gesuchtesten und beliebtesten Illustratoren nicht allein jener Taschenbücher (besonders des Becker’schen Taschenbuchs zum geselligen Vergnügen), sondern auch einzelner Szenen von Shakespeare, Schiller und Goethe und insbesondere der Werke von Wieland und Iffland. Diese Zeichnungen sind von den vorzüglichsten Meistern in Kupfer gestochen worden, ihre Zahl ist außerordentlich groß.

Aber auch an größeren und kleineren Blättern mit selbstständig erfundenen Vorwürfen ist kein Mangel. Besonders beliebt aber sind die Blätter, die er selbst radiert hat. Sie werden für immer als hervorragende Leistungen der Kunst auf diesem Gebiete gelten.

Originalität und Gedankenreichtum, Studium der Charaktere und Physiognomien und Korrektheit der Zeichnung sind Vorzüge, die ihm niemand streitig machen kann und die seinen Bildern einen besonderen Reiz verleihen. Vorzüglich aber ist ihm Witz und unerschöpflich heitere Laune eigen, in der er sich bei seinen Darstellungen, um komischen Effekt zu erregen, mannigfacher Mittel zu bedienen, ja Katzen und Hunde sich dienstbar zu machen wusste. Gerade diese Eigenschaften haben ihm einen bedeutenden Ruf erworben, und wenn dieselben hier und da in die Karikatur, ja in das Frivole ausarteten und wenn man ihm nachsagt, dass ihm
der Schalk oft auch bei Darstellung seriöser Situationen und Gruppen im Nacken gesessen habe, so mag dieser Tadel eben dann seine Berechtigung haben, wenn Witz und Laune nicht am Platz waren. Aber wo es gilt, die Komik und den Humor
zur Geltung zu bringen, da sind jene nicht allen verliehene Gaben nicht nur recht eigentlich an ihrer Stelle, sie werden vielmehr zur Notwendigkeit und zum Vorzug vor anderen Künstlern, die sich oft vergebens abmühen, das durch Studium und Fleiß zu ersetzen und zu erreichen, was dem natürlichen Talent von selbst in die Hand fällt.

Darum handhabte Ramberg, wo er in der Darstellung heiterer und komischer Szenen den Schalk nicht bloß durchblicken lassen, sondern vollständig zeigen durfte und sollte, den Zeichnerstift und die Nadel mit vollendeter Meisterschaft und unnachahmlicher Genialität. Das ist seine Spezialität, in der er noch von wenigen übertroffen ist.

Deshalb gehört auch sein Till Eulenspiegel zu den vorzüglichsten Produkten dieses Genres überhaupt.

Rambergs Till Eulenspiegel in 55 radierten Blättern erschien in Hannover 1827 und ist seit langer Zeit vergriffen, hat aber verschiedenen Nachbildungen zum Muster gedient.

Die nachfolgenden Blätter sind aber nicht etwa Nachbildungen der Rambergschen Originale, es sind vielmehr Abdrücke der von Ramberg selbst radierten Platten (Nagler Künstlerlexikon 12. Band S. 277.), die in den Besitz der Verlagshandlung übergegangen, in dieser zweiten Auflage der Öffentlichkeit übergeben werden. Es
sind mithin die Rambergschen Originalradierungen selbst.
Die Abzüge haben an ihrer Frische, Schärfe und Reinheit der ersten Ausgabe gegenüber nichts eingebüßt.

Der Text ist, wie das Titelkupfer angibt, von Ramberg selbst der Jahrmarktsausgabe »gedruckt in diesem Jahr« entlehnt und ist buchstäblich derselbe wie in der ersten
Auflage.

Man hat geschwankt, ob man ihn in dieser Auflage nicht einer Revision unterziehen und gereinigt von einigen hier und da vorkommenden Unsauberkeiten zum Abdruck bringen solle.
Allein bei einigen Historien wäre dies, ohne sie ganz zu streichen und somit die Illustration ganz ohne Text zu lassen, gar nicht möglich und die Streichung wäre jedenfalls eine Verstümmelung gewesen. Schließlich hat man sich der Originalität und der Vollständigkeit halber dafür entscheiden zu müssen geglaubt, dass eine Kastration in usum Delphini nicht eintrete und der Text vollständig wiedergegeben
werde, da man bei einer komischen Volksschrift aus jenem Zeitalter selbstverständlich auf einige unsalonmäßige Szenen und Ausdrücke gefasst sein muss.

Gera, im Juni 1871