Der Marone – Chakra richtet seine Laterne an
Thomas Mayne Reid
Der Marone – Drittes Buch
Kapitel 34
Chakra richtet seine Laterne an
Der Tag brach an, als Chakra in sein Lager im Teufelsloch zurückkehrte. Für ihn war die Nacht Tag und die anbrechende Morgenröte das dämmernde Zwielicht des Abends.
Er war hungrig, denn er hatte, seitdem er am Morgen vorher seine verhängnisvolle schreckliche Wanderung angetreten, gerade während vierundzwanzig Stunden nur einen ganz geringen Bissen zu sich genommen.
Die Überbleibsel eines Pfeffertopfs befanden sich noch in dem eisernen Kessel, worin er gekocht hatte.
Sie aufzuwärmen und ein Feuer anzumachen, würde zu viel Zeit erfordert haben. Er war zu sehr ermüdet, deshalb nahm er den Kessel aus dem Winkel, wo er in der Hütte stand, holte das gedämpfte Fleisch heraus und aß es kalt. Zuletzt nahm er aber noch etwas, um den Pfeffertopf nachträglich zu erwärmen! Nämlich die Neige einer Rumflasche, die noch von der vorherigen Nacht übrig geblieben war. Dann warf er sich mit solcher Heftigkeit auf die Bambusbettstelle, dass die schwachen Rohrstäbchen unter der Wucht seines starken Körpers knackten und bebten, und sofort versank er in einen tiefen Schlaf.
Hier lag nun das Ungeheuer den ganzen Tag und träumte süß im Vollgenuss seiner befriedigten Rache von allen den bereits begangenen Verbrechen, so wie ganz besonders von dem, was er erst die nächste Nacht begehen wollte, seiner Einbildung nach das süßeste von allen, die er je begangen hatte, und das die Seele des schrecklichen Menschen mit den angenehmsten Empfindungen erfüllte.
Als er endlich erwachte, war es Abend geworden und die Sonne im Teufelsloch bereits nicht mehr zu sehen, obwohl die roten, die Spitzen der oben am Felsenrand stehenden Bäume vergoldenden Strahlen deutlich erkennen ließen, dass sie noch nicht untergegangen war.
Der auf seinem Lager hingestreckte Chakra vermochte hiervon freilich nichts zu bemerken, denn in seiner Hütte herrschte dichte Finsternis, da die Tür fest verschlossen war. Durch die Zwischenräume der Bambusstäbe konnte er auch nur die unter den mächtigen Bäumen bereits vollständig eingebrochene Dunkelheit gewahren. Allein der von der Lagune heraufschallende Ruf der Rohrdommel, das selbst durch das Gebrüll des Wasserfalles hindurchdringende Schreien des Potus und das von Zeit zu Zeit hörbare Geheul der großohrigen Eule kündigten ihm deutlich das Herannahen der Nacht an und erinnerten ihn, dass für ihn jetzt die Zeit zum Handeln sei.
Mit diesem Gedanken sprang er von seinem Lager auf, stieß seinen Lieblingsruf aus und begann sich für das Geschäft der nächsten Nacht vorzubereiten. Zunächst dachte er daran, etwas zu essen und sein Blick fiel auf den eisernen Kessel, der noch auf dem Boden stand, wo er ihn am Morgen hingestellt hatte. Von dem gedämpften Fleisch war immer noch genug für eine Mahlzeit darin vorhanden.
»Kalt ist es nicht mehr zu essen«, sprach Chakra leise, während er sich anschickte, ein Feuer anzumachen, »nicht zum zweiten Mal. Muss mir den Magen mit etwas Warmem stärken, sonst bin ich für die Nacht und all die Arbeit, die daran getan werden soll, nicht kräftig genug.«
Das Anmachen des Feuers, das Aufwärmen des Pfeffertopfs und das Verzehren seines Inhaltes nahmen bei der Gewandtheit und Eilfertigkeit Chakras nicht gerade viel Zeit in Anspruch und waren getan, als die nächtliche Dunkelheit sich allgemein verbreitet hatte.
»Nun muss ich das Zeichen zurechtmachen«, sprach er für sich, ging in der Hütte umher und sah in alle Spalten und Ritzen, als suche er etwas.
»Glücklicherweise haben wir diese Nacht keinen Mondschein bis nach Mitternacht, und wenn er dann kommt, so frage ich nicht danach und sollte er auch so hell wie die Sonne scheinen. Jetzt ist es dunkel genug, dass Adam das Zeichen sehen kann und auch dunkel genug für alles, was zu Willkommenberg diese Nacht geschehen soll. Nun, und wenn wir da fortgehen, wird’s auch hell genug sein! Das wird mal eine schöne Beleuchtung geben! Humm!«
»Wo hab ich denn nur die Signallampe hingestellt?«, sagte er und suchte ungeduldig in der Hütte umher.
»Ich habe ganz vergessen, wo sie ist. So lange ist es her, dass ich sie nicht gebraucht habe. Vielleicht ist sie unterm Bett. Richtig, da ist sie!«
Hiermit zog er unter der Bambusbettstelle einen Kürbis von dem Umfang einer großen Melone hervor. Er hatte einen langen dicken und hinlänglich starken Stiel, durch den ein Strick gezogen war, sodass er an einem Nagel aufgehangen werden konnte.
Chakra betrachtete diesen Kürbis bei der Lampe, die er bereits zuvor angezündet hatte, sehr aufmerksam.
In dem Kürbis befand sich nämlich ein ziemlich künstlich angebrachter Apparat. Auf der einen Seite des Kürbisses war ein mehrere Zoll breites Loch, das am Stiel zu spitz verlief. Unterhalb dieses Loches, wenn der Kürbis am Stängel gehalten wurde, stand in demselben eine mit Schmalz gefüllte Muschel, in der ein baumwollener Docht war. Dem Loch gegenüber waren verschiedene Glasstückchen angebracht. So hatte das Ganze große Ähnlichkeit mit einer Signallampe, und als solche sollte auch tatsächlich dieses roh gearbeitete Werkzeug dienen.
Nach sorgfältiger Untersuchung schien Chakra mit der Brauchbarkeit dieser Lampe ganz zufrieden zu sein. Lediglich fügte er noch etwas frisches Schmalz hinzu und machte den Docht etwas straffer. Doch dann stellte er die Lampe zur Seite und beschäftigte sich noch mit einigen anderen für die nächtliche Unternehmung notwendigen Dingen. Zuerst wurde ein ungefähr vier Fuß langer Stock sowie ein ziemlich starkes Tau bereitet und ebenfalls zur Seite gelegt. Dann ergriff der Koromantis ein Messer mit einer langen scharfen Klinge und eine große Pistole, die er mit viel Sorgfalt lud und vollständig herrichtete. Beide wurden in einen Ledergürtel gesteckt, den er sich um den Leib unter dem Mantel aus Tierfell geschnallt hatte.
»Ich hoffe«, sagte er für sich, als er sich mit diesen Waffen versah, »dass ich sie gar nicht brauchen werde, denn es ist ja niemand da, der etwa Lust zum Kampf hätte und dazu geschickt wäre. Der Custos ist tot und von dem großen Buckra, der erst kürzlich nach Willkommenberg gekommen ist, wird gesagt, dass er jeder Gefahr aus dem Weg geht. Das schwarze Volk aber schlägt sich nicht, sondern läuft gleich fort. Sollte das aber nicht der Fall sein, dann nehme ich meine Maske ab. Der Anblick des alten Chakra wird jeden Schwarzen so in Schrecken setzen, dass er gewiss gleich davon rennt und mehrere Tage nicht wiederkehrt! Humm!«
Noch eine Waffe nahm der Koromantis zu sich, eine große schwarze mit Rum angefüllte Flasche, die er aus einem Versteck hervorholte und gegen das Licht hielt, um sich zu versichern, dass sie ganz voll sei.
»Diese Flasche«, sagte er, als er sie in eine Tasche seines Fellmantels steckte, »diese Flasche habe ich mir lange für diese besondere Gelegenheit aufbewahrt. Wenn die Kerle erst aus dieser Flasche gesoffen haben, so werden sie draufgehen wie die lebendigen Teufel! Wahrhaftig!«, rief er, als er aus der geöffneten Tür sah. Er bemerkte, dass es gänzlich dunkel geworden war. »Jetzt muss ich gehen. Bis der alte Adam das Signal gesehen hat und mit seinen Leuten über die Berge kommt, wird es spät genug sein, um mit dem Geschäft anfangen zu können.«
Mit dieser Erwägung ergriff der schwarze Zauberer und Hexenmeister seinen selbst erfundenen und selbst angefertigten telegrafischen Apparat, überschritt die Schwelle seiner Hütte und eilte von ihr hinweg.