Romantruhe-Western Band 15
Glenn Stirling
Romantruhe-Western Band 15
Unerbittliche Jagd 1. Teil
Western, Paperback, Romantruhe, Kerpen-Türnich, Juni 2017, 72 Seiten, 4,95 Euro, Titelbild: Romantruhe-Archiv
www.romantruhe.de
Kurzinhalt:
Der von seinem Haziendero geknechtete Indio Pancho, der dann ein Rebell bei einem Bergbanditen wird, findet einen Freund: Jack, den blonden Hünen aus Texas. Sie haben einen gemeinsamen Feind: Don Esteban. Einst war er es, der Panchos Sippe knechtete, der mit dem Gewehr in der Hand zusah, wie ein Stier Panchos Vater tötete, aber nicht schoss, weil ihm der Stier wertvoller war als der Mann.
Pancho sinnt auf Rache. Und er ist nicht allein.
Das Schicksal hat zwei völlig verschiedene Menschen zusammengeführt, die sich aber doch ähneln: durch ihren anständigen Charakter, ihren Sinn für Gerechtigkeit, ihren Kampfgeist. Jack und Pancho machen sich an die unerbittliche Verfolgung des Verbrechers Esteban, auch wenn die Jagd quer durch die Hölle führt …
Und das macht sie zu verschworenen Freunden. Zusammen stehen sie auf gegen jenen Mächtigen, der sie und andere zertrampeln will … Es ist das Hohelied einer tiefen Freundschaft.
Leseprobe
»Ich lasse dich auspeitschen, du Cabron!«, brüllte Don Esteban zornig. Sein dickes Gesicht war rot vor Wut, und seine dunklen Augen funkelten. Er starrte den jungen dürren Indio an, als wollte er ihn zerreißen. Schnaufend holte er Luft, dann fuhr er in seiner Zornesrede fort: »Das wird dir teuer zu stehen kommen, Bursche! Meine besten Stierkälber in die Schlucht zu treiben!«
»Sie liefen von selbst in den Abgrund, weil sie Angst hatten vor dem Puma, Herr!«, erklärte der junge Knecht demütig. Er blickte verlegen auf seine dreckigen nackten Füße, die er sich auf der Suche nach den Stierkälbern blutig gerissen hatte. Auch sein ehemals weißes Hemd war verschlissen, und die von einem Baststrick zusammengehaltene Hose wies viele Löcher auf.
»Du wagst es, mir zu widersprechen, du Hund?« Die Stimme des Hazienderos schien sich zu überschlagen. Seine große, kräftige Gestalt bebte vor Wut. Mit dem Stiefel stampfte er auf das Pflaster des Patios. Dann blickte er sich zornig um und rief: »Capataz! Capataz!«
Ein großer, breitschultriger Mann, der einen Charro-Anzug trug, kam aus einem der Ställe heraus über den Hof. Vor dem Haziendero blieb er stehen und riss den breitrandigen Filzhut vom Kopf. »Si, Don Esteban, Sie wünschen?«
»Dieses Vieh von einem Peón hat mir zwei Stierkälber verrecken lassen!«, erklärte der Gutsbesitzer. »Gebt ihm zwanzig mit der Peitsche! Nein – gebt ihm fünfundzwanzig, damit er nie vergisst, wie er das Eigentum seines Herrn zu behandeln hat!« Er drehte sich um und schritt mit klingenden Sporen zur Treppe des Herrenhauses, wo er sich ans Geländer lehnte und auf die Ausführung seines Befehls wartete.
Der junge Indio zuckte mit keiner Wimper, als er das Urteil des Patrons gehört hatte.
Der Capataz setzte den Hut wieder auf, reckte seine massige Gestalt und brüllte über den Hof: »Jerome! Pedro! Kommt her! Bringt die Peitsche mit!«
Zwei Vaqueros, die gerade dabei waren, ihre Pferde zu satteln, kamen nun mit langen Schritten über den Hof. Es waren große, starke Kerle in schwarzen Lederanzügen. Beim Gehen klatschten die schweren Revolver an ihre Schenkel. Der eine hielt eine mehrriemige Peitsche in der Hand.
»Los! Gerbt dem Burschen das Fell!«, befahl der Aufseher.
Die beiden Vaqueros hatten kein Erbarmen mit dem Indio. Mitleid war ihnen überhaupt völlig fremd. Sie packten den Verurteilten. Einer hielt die dürren Arme des Achtzehnjährigen fest, aber das wäre gar nicht mal nötig gewesen. Der Peón fügte sich in sein Schicksal. Er wusste genau, dass der Haziendero das Recht hatte, seine Knechte auspeitschen zu lassen. Von der einstigen Freiheit seiner Rasse wusste der Indio nur wenig. Aber er hielt das Urteil für zu hart. Fünfundzwanzig Schläge hatte noch niemand auf der Hazienda erhalten. Für einen schwächlichen Menschen konnte das den Tod bedeuten.
Der eine Vaquero holte mit der Peitsche aus und knallte die Riemen mit voller Wucht auf den Rücken des Indianers. Der Schlag zerriss das Hemd, und ein blutroter Strich zog sich über die bronzene Haut des Rückens.
»So ist’s recht!«, rief Don Esteban. »Gebt es dem Stachelschwein!«
Beim zweiten Hieb platzte die Haut des Geschlagenen auf, und das Blut lief über den Rücken. Schlag auf Schlag hagelte herab. Und als die Peitsche zum zwanzigsten Male durch die Luft pfiff, knickten die Beine des Indios ein, und langsam fiel die schmale Gestalt zu Boden. Doch der Vaquero schwang die Peitsche weiter, so wie es der Patron befohlen hatte. Die Riemen klatschten auf den Bewusstlosen herunter.
Der Haziendero zündete sich eine pechschwarze Zigarre an, stieß den blauen Rauch genießerisch aus und sagte mit einer Stimme, in der ungeheures Machtbewusstsein mitschwang: »So – das wird er sich merken! Und nun weg mit dem Kerl!«
Die Vaqueros ergriffen den Bewusstlosen und schleiften ihn über den Hof zum Tor hinaus.
Rechts neben dem großen Hoftor lagen die Hütten der indianischen Knechte. Es waren strohgedeckte Lehmbuden ohne Fenster. Überall saßen vor den Türlöchern Indiofrauen, die Mais stampften oder Mehlfladen buken. Ängstlich starrten die Frauen auf die beiden Leibwächter des Patrons, die den Gestraften heranschleiften mit den Worten: »Seht zu, dass der Bursche bald wieder arbeiten kann!«
Die Frauen antworteten nicht, und die Vaqueros wandten sich achselzuckend ab und gingen in den Hof zurück. Bald darauf kamen sie auf prächtigen Pferden durchs Tor geritten und galoppierten davon.
Die Indianerinnen fassten den Bewusstlosen vorsichtig an und trugen ihn in eine Hütte. Der Junge wurde auf den Bauch gelegt. Eine alte Frau behandelte nun die Wunden. Ab und zu stöhnte der Kranke leise, aber als sein Rücken mit Salbe eingerieben und verbunden war, schlug er die Augen auf.
Vor der Hütte klang Stimmengemurmel. Die Arbeiter waren von den Feldern gekommen und fragten nun die Frauen aus.
»Wer ist es denn?«, wollte einer der Männer wissen.
»Pancho! Sie haben ihn fast getötet!«, erwiderte eine Frau.
»O die Ladrones! Sie behandeln uns wie ihr Vieh! Was sollen wir tun?«
»Nichts könnt ihr machen! Sie würden euch genauso zusammenschlagen!«
Pancho hörte diese Reden, und langsam kehrte seine Denkfähigkeit zurück. Er wusste wieder, was geschehen war, und furchtbarer Rachedurst und Hassgefühl breiteten sich in seinem Herzen aus.
Hatte der junge Indianer bis heute noch nie über sein Los nachgedacht, so haderte er jetzt mit seinem Schicksal. Wie alle Peóns der »Llano Verde« war er ein reinrassiger Indianer. Er wusste nicht, dass seine Ahnen einst die Herren dieser Hazienda gewesen waren; das Wissen darum hätte ihm auch nichts genützt, denn Don Estebans Rechte waren anerkannt.
Pancho war ein intelligenter Mensch, wenn er auch nicht lesen und schreiben konnte. Aber er begriff plötzlich, dass die Handlungen des Patrons jedem gerechten Denken Hohn sprachen. Die Peóns wurden nie mit Geld bezahlt. Sie bekamen lediglich ein winziges Stück Land zur Verfügung gestellt, das sie bebauen durften. Der Ertrag reichte gerade aus, um die anspruchslosen Indios vor dem Verhungern zu schützen. Als Ersatz für das Pachtgeld mussten sie auf den Feldern und Wiesen des Patrons arbeiten.
Als Pancho in seinem Denken so weit gekommen war, fragte er sich plötzlich, warum denn keiner der Peóns das verhasste Joch abschüttelte und davonging.
Ha – weil er nicht konnte! Und warum konnte er nicht? Die Regierung hatte doch jedem Mexikaner völlige Freiheit zugesprochen. Ja, aber wer bei seinem Patron Schulden hatte, durfte die Hazienda nicht verlassen. Er musste die Schulden abarbeiten, und wenn er darüber alt wurde und starb, haftete der Sohn für die Schulden seines Vaters. Das war es! Pancho begriff mit einem Male, warum alle Peóns kein Geld in die Hand bekamen. Sie mussten alles, was sie brauchten, sei es ein Kleidungsstück, eine Decke, Tabak oder sonst was, in der Kantine des Patrons kaufen. Das war ja ganz natürlich, denn bis zur nächsten Ortschaft waren es viele, viele Meilen. Nur war es verwunderlich, dass die Preise des Patrons drei- und viermal höher waren als die Preise in den Dörfern und Städten. Wenn ein armer Peón sein mühsam aufgepäppeltes Schwein verkaufen wollte, so musste er es dem Patron verkaufen, und der bestimmte den Preis. Ha, Don Esteban sorgte schon dafür, dass ein Peón niemals seine Schulden loswürde. Die Rurales würden jeden einfangen, der mit Schulden auf dem Buckel die Hazienda verließe!
Ein Gutes hatten die fünfundzwanzig Peitschenhiebe bewirkt: Panchos Geist war aufgewacht.
Schon nach vier Tagen war Pancho wieder so weit in Ordnung, dass er herumlaufen konnte. Er ließ sich aber nicht von den Vaqueros oder dem Capataz sehen, sonst hätte er arbeiten müssen. Und Pancho hatte sich geschworen, auf dieser Hazienda keinen Finger mehr krumm zu machen.
Als die Nacht hereinbrach und der Nebel wie ein Schleier über der Savanne lag, schnürte Pancho sein Bündel und verließ die Hazienda. Da er keine Familie hatte, brauchte er nicht wie die anderen Peóns zu befürchten, dass der Patron seine Wut an der Familie auslassen würde. Und dass ihn die Rurales nicht fingen, dafür wollte er schon sorgen.
Der junge Indianer war barfuß. Schuhwerk hatte er nie gekannt. Seine zähe körperliche Verfassung hatte die Folgen der Auspeitschung überwunden. Nun trabte er im gleichmäßigen Wolfstrott durch die Steppe. Diese Art des Dauerlaufs konnte er stundenlang aushalten, ohne zu ermüden. Schon seine Ahnen hatten auf diese Art ihre Nachrichten weitergetragen: durch Stafettenläufer, die jedes Pferd an Ausdauer übertrafen. Aber das wusste Pancho gar nicht. Er wusste überhaupt nicht viel über seine Familie. Der Vater starb, als ein Stier ihn zum Opfer eines Wutanfalls machte. Es war ein sehr wertvoller Stier, und deshalb hatte der Patron, der mit seinem Gewehr in der Nähe stand, nichts unternommen, um Panchos Vater vor dem wütenden Tier zu retten. Den Bullen hatte er weit weg in einer Stadt gekauft und das hatte viele Pesos gekostet. Ein Indio kostete nichts. Es war für den Haziendero ganz klar, dass er nicht auf den Stier schießen konnte.
Als der Vater dann im Grabe lag, hatte der Patron die Schuldsumme des Toten auf Panchos Konto übertragen. Damals war Pancho zwölf Jahre alt, und es kam ihm gar nicht zum Bewusstsein, dass er schon neunhundert Pesos Schulden beim Haziendero hatte. Dafür hätte er sein ganzes Leben umsonst arbeiten müssen.
Panchos Mutter war eine schöne Frau gewesen. Der Capataz hatte auf die junge Witwe sofort ein Auge geworfen. Ein Jahr später starb die Indianerin bei der Geburt eines Kindes, das nicht lange lebensfähig blieb. Pancho weilte bei der Kälberherde, als man ihm den Tod der Mutter mitteilte. Woran sie starb, wie es dazu kam, hatte den Sohn mächtig erbost. Schon immer hegte er eine starke Abneigung gegen den Capataz. Viele Kinder des Aufsehers liefen auf der Hazienda herum, und jedes hatte eine andere Mutter.
Pancho hatte sehr an seiner Mutter gehangen, und ihr Tod war bereits Anlass gewesen, den jungen Indio zum Nachdenken anzuregen. Aber fünfundzwanzig grausame Hiebe waren doch noch nötig, um einen Rebellen aus ihm zu machen.
Gleichmäßig trottete Pancho den Bergen zu. Ein Gerücht zog ihn: In den Bergen sollte ein Rebellenführer hausen, der es sich zum Ziel gesetzt hatte, die armen Indios aus der Knechtschaft zu befreien. Vengora hieß dieser Mann, und er sei ein Indianer aus dem Stamme Tseltal, so erzählten die Leute. Pancho war bereit, sich diesem Stammesbruder anzuschließen.
Drei Tage später erreichte der junge Indianer die Berge. In einem kleinen Dorf erfuhr er Näheres über den Rebellenführer. Die Gerüchte hatten nicht gelogen. Man sagte, Vengora sammele wehrhafte Indianer und bewaffne sie, um gegen die Blutsauger und Ausbeuter, die reichen Hazienderos, zu kämpfen. Sein Hass gegen alle Weißen, worunter er auch Kreolen und Yankees verstand, sei grenzenlos.
In der kleinen Dorfschenke traf Pancho drei junge Indianer an, die ebenfalls unterwegs waren, um sich der Truppe Vengoras anzuschließen. Sie wussten mehr als Pancho, und von ihnen erfuhr der junge Indianer Folgendes:
Vengora war ein Indianer, der seine Jugend ebenfalls in der Fron einer Hazienda verbracht hatte. Später war er in die Armee eingetreten und hatte lange Jahre gedient. Als er Sergeant wurde, desertierte er und floh in die Berge. Er hielt sich jetzt für klug genug, um eine eigene Streitmacht aufstellen zu können. Rasch gewann er Anhänger. Mit einer kleinen Truppe fing er an, überfiel einzelne Posten der Rurales und verschaffte sich auf diese Weise Waffen. Überfälle auf Finquas und Haziendas brachten Lebensmittel und Geld ein. Gegen Geld und geraubte Rinderherden wieder erhielt er Waffen durch gewissenlose Schieber und Agenten.
So hatte sich die kleine Bande Vengoras mit der Zeit zu einer ansehnlichen Truppe entwickelt, die gut bewaffnet und gedrillt war. Aber noch war es der Regierung nicht aufgegangen, was für eine Gefahr sich hier in den Bergen zusammenbraute. Für die Behörden war Vengora ein Bandit, den man nicht sehr ernst nahm. Wo sollte das hinführen, wenn man in der Hauptstadt wegen jedes kleinen Banditen den Kopf zerbrechen sollte. Und die Rurales, die Gendarmeriereiter, hatten bisher auch keine große Lust gezeigt, in die unwegsamen, wild zerklüfteten Berge zu ziehen, um den Räuber zu strafen. Er würde ihnen schon mal gelegentlich in die Finger laufen, und dann sollte es ihm schlecht ergehen.
In den Augen der armen Indios war Vengora der große Held und Befreier. Es würde eine Ehre sein, in seiner Truppe mitzukämpfen.
Zusammen mit den drei neuen Freunden machte sich Pancho auf den Weg zum Bergversteck des »Großen Vengora«.
*
Zwei Tage später kamen die vier jungen Indios in ein Tal. Die zerklüfteten Berge bildeten hier einen Kessel um die grüne Ebene, die wie eine Oase im Grau der Felsen lag.
Irgendwo in der Nähe sollte das Lager Vengoras sein. Aber so sehr die Gefährten auch umherspähten – nichts war zu sehen und zu hören.
Plötzlich peitschte ein Gewehrschuss dicht über die Köpfe der Suchenden hin.
Pancho zuckte herum, und nun sah er zwischen den Felsen das Blinken eines Gewehrlaufes. Dahinter wurde ein breitrandiger Strohhut sichtbar.
»Halt! Wo wollt ihr hin?«, schallte eine Stimme herab.
»Zu Vengora! Wir wollen in seine Armee eintreten!«, rief Pancho, beide Hände als Schalltrichter an den Mund legend.
»Wartet da unten! Rührt euch nicht von der Stelle! Einer von uns holt euch! Aber denkt daran, Muchachos: Wir haben euch vor den Rohren!«
Mit zwiespältigen Gefühlen warteten die Freunde. Nach einer Weile erschien an der Felsenwand ein schwer bewaffneter Mann, der die Indios aufforderte, hinter ihm herzuklettern.
Wortlos folgten die vier ihrem Führer. Hintereinander kletterten sie die Felsen hinauf, immer beobachtet von Männern, die oben saßen und ihre Gewehre schussbereit hielten.
Endlich waren die Freunde oben auf einer kleinen Felskanzel angelangt.
Mit dem Mann, der sie heraufgeführt hatte, waren es drei Rebellen, die hier oben Wache hielten. Sie trugen alle breitrandige Strohhüte, weiße Baumwollhemden und lange weiße Hosen, die unten zugebunden waren. Über der Brust kreuzten sich die Patronengurte, und im Gürtel hing das schwertartige Haumesser, die Machete. In den Händen hielten die Rebellen nagelneue Gewehre.
»Arriba los manos! Hände hoch!«, kommandierte einer der Männer.
Die Freunde hoben die Arme und wurden nun genau untersucht. Aber sie trugen nichts bei sich, was den Rebellen verdächtig erscheinen konnte.
»Ihr wollt wohl spionieren?«, fragte einer der Posten barsch.
»Wir sind unseren Patrones davongelaufen und wollen mit Vengora für die Freiheit kämpfen!«, sprach Pancho kühn.
»Aha. Nun gut. Kommt mit!«, sagte einer der Bewaffneten. »Ich bringe euch zu unserem Leutnant. Wenn er euch nimmt, seid ihr fein heraus. Nimmt er euch aber nicht, so muss ich Löcher in eure Hirne blasen, Brüderchen! Unser Versteck darf niemandem bekannt werden!«
»Vengora wird uns nehmen!«, erwiderte Pancho im Brustton der Überzeugung. »Führe uns zu ihm!«
»Das könnte euch so passen! Meint ihr, El General hätte Zeit für solche Dinge? Der hat andere Sorgen! Kommt!«
Der Posten führte die vier Indios über das Plateau, und nach halbstündiger Kletterei sahen sie vor sich wieder ein Tal liegen. Es war noch größer als das erste Tal. In der Mitte schlängelte sich ein Bach durch das saftige Grün. Etwas weiter oben standen zu beiden Seiten des Baches Lehmhütten. Viele Gestalten, die von hier oben klein wie Spielzeug wirkten, bewegten sich zwischen den Hütten.
Die Freunde stiegen auf Geheiß des Postens zu einem schmalen, in die Felsen gehauenen Pfad hinab, der ins Tal hinunterführte. Immer ging der Posten als Letzter, um die Fremden unter Kontrolle halten zu können.
Als sie im Tal waren, kamen sie an einem Korral vorbei, in dem eine Pferdeherde weidete. Pancho schätzte die Zahl der Tiere auf über hundert. In einem zweiten Korral befanden sich Rinder.
Endlich kamen die Freunde im Rebellendorf an. Es unterschied sich kaum von den üblichen Bergdörfern. Die Frauen saßen vor den Hütten, kochten und buken, und halb nackte Kinder spielten am Bach oder balgten sich mit mageren Hunden herum. Gruppen von Rebellen saßen träge in der Sonne, rauchten oder vertrieben sich die Zeit mit Glücksspielen. Hier und da saß einer, der eifrig an seinem Gewehr herumputzte.
Vor einer Hütte machte der Posten halt und befahl den Freunden, zu warten. Er ging hinein. Kurz darauf erschien er wieder und befahl: »Reinkommen!«
Die Freunde traten in die Hütte. Es dauerte eine Weile, bis sich ihre Augen an das Halbdunkel gewöhnt hatten. Dann sahen sie hinter einem primitiven Tisch eine Gestalt sitzen. Es war ein hochgewachsener schlanker Mann, dessen hübsches Mestizengesicht nur wenige indianische Merkmale aufwies. Er mochte achtundzwanzig Jahre alt sein. »Buenos dias, muchachos! Que tal?«, fragte er. »Guten Tag, Jungens, was gibt’s?«
Pancho, der stillschweigend zum Sprecher erkoren war, antwortete für alle: »Spreche ich mit dem General?«
»No no, Chico. El General schläft. Aber ihr könnt mir sagen, was euch drückt. Ich bin der Teniente, der Leutnant.«
Pancho brachte sein Anliegen vor und berichtete ausführlich über sein und seiner Freunde Vorleben, soweit es ihm bekannt war.
Der »Leutnant«, stellte ab und zu Zwischenfragen und ging dann mit seinen Besuchern hinaus, um sich die Bewerber bei Tageslicht genau anzusehen. Die Musterung schien zu seiner Zufriedenheit auszufallen, denn er sagte schließlich: »Bueno, amigos, muy bueno! Ihr seid hiermit in die Freiheitsarmee aufgenommen! Meldet euch bei Cesare! Er wird euch zu essen geben und einteilen. Der Posten wird euch hinführen. Viva la libertad! Viva la Patria! Es lebe die Freiheit! Es lebe das Vaterland!«
Begeistert stimmten die neuen Freiheitskämpfer in den Ruf ein.
Veröffentlichung der Leseprobe mit freundlicher Genehmigung des Verlages