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Der Kommandant des Tower 27

Der Kommandant des Tower
Historische Erzählung von W. Harrison Ainsworth
Verlag von Christian Ernst Kollmann, Leipzig, 1863
Zweites Buch
Der Lordprotektor
Neunzehntes Kapitel

Pulvis Pulveri, Cinis Cineri

Gegend 9 Uhr am nächsten Morgen begann die Glocke zu läuten, und alle, die bei der Zeremonie beteiligt waren, eilten zu der St.-Georgs-Kapelle. Binnen Kurzem waren alle an ihren Plätzen. Um den erleuchteten Katafalk standen die Leidtragenden in ihren Mänteln. Die Mitglieder des Conseils, mit dem Erzbischof von Canterbury an ihrer Spitze, saßen in den Stühlen. Der Bischof von Winchester in vollem bischöflichen Ornat, nebst den anderen Prälaten, stand am Hochaltare. Die Königinwitwe war in ihrer Loge, ihre Damen hinter ihr. Niemand fehlte.

Alsdann begann die Messe, bei welcher der Bischof administrierte. Nach dem Requiem trat der Marquis von Dorset an den Altar und opferte in tiefster Demut und Ehrerbietung ein Goldstück als Messpfennig, worauf er an seinen Platz zu Häupten des Sarges zurückkehrte. Dann kam der seltsamste Teil der ganzen Zeremonie. Im Schiff der Kirche wurde einige Bewegung bemerkbar. Diejenigen im Chor, welche jenen Teil der Kirche, der gedrängt voll war, überblicken konnten, sahen einen Ritter, ganz in Stahl gekleidet – jedoch unbehelmt – auf einem schwarzen, reich geschirrten Ross durch das offene westliche Tor langsam den von der Versammlnng offen gelassenen Weg entlang reiten. Zu beiden Seiten stand eine Reihe von Leuten, welche Fackeln trugen, deren Licht anf dem Harnisch der ritterlichen Gestalt und in den Zieraten des Pferdes funkelte, und dadurch wesentlich den Effekt des Schauspiels erhöhte. Der Reiter war Chidiock Paulet, König Heinrichs Waffenträger, eine echt kriegerische Erscheinung, mit schönem, frischen Gesicht und dichtem braunen Bart. In seiner Hand trug er eine abwärts gekehrte Streitaxt. Als Paulet den Chor erreichte und unter dem Bogen hielt, waren aller Augen auf ihn gerichtet. Es war seltsam, fast erschreckend, an solcher Stätte und bei solcher Gelegenheit eine Reiterfigur zu sehen. Eine kleine Weile blieb Paulet bewegungslos wie eine Statue. Aber sein Pferd schnob und scharrte mit seinen Hufen den Boden. Dann traten Lord Morley und Lord Dacre vor und halfen ihm absteigen. Nachdem er sein Pferd einem Diener übergeben hatte, der es von dannen führte, begab sich Paulet mit den beiden Lords zu dem Altar und überreichte die abwärts gekehrte Streitaxt dem Bischof. Gardiner nahm die Waffe, kehrte ihre Spitze nach oben und gab sie einem Waffenträger, der sie auf den Altar legte.

Es war jetzt der feierliche Moment gekommen. Gardiner und die übrigen den Gottesdienst verrichtenden Prälaten begaben sich von dem Hochaltar zu dem Katafalk und der Erzbischof von Canterbury nahm ein wenig mehr im Hintergrund Platz. Der ganze Chor stimmte Circumdederunt me, während die Bischöfe beständig über der Leiche räucherten.

Bevor der feierliche Gesang verhallt war, tat sich die Gruft auf, und langsam senkte sich der Sarg in das Gewölbe hinab.

Die irdischen Reste des mächtigen Monarchen waren für immer verschwunden.

Während der darauf folgenden Stille trat Gardiner an die Öffnung, ihm folgten alle obersten Beamten des königlichen Haushalts, wie der Lordhaushofmeister, der Lordkämmerer, der Schatzmeister, der Rechnungsführer und die vier Zeremonienmeister. Sie hielten ihre Stäbe in der Hand und ordneten sich um die Gruft.

Dem Bischof war Erde gebracht worden, er warf sie in das Grab. Nachdem er die Worte Pulvis Pulveri, Cinis Cineri gesprochen hatte, brach Lord Saint-John den Stab über seinem Haupt entzwei. Indem er die Stücke hinabwarf, rief er mit schmerzlichem Ton: »Lebewohl dem größten aller Könige!«

Dann zerbrach der Graf von Arundel seinen Stab mit den klagenden Worten: »Lebewohl dem weisesten und gerechtesten Fürsten der ganzen Christenheit, der Englands Ehre stets im Herzen trug!«

Sir John Gage kam nun an die Reihe, und mit aufrichtigem Herzen sprach er: »Lebewohl dem besten aller Herren, wenn auch dem strengsten!«

Ähnliches sprachen William Knevet und die Zeremonienmeister, als sie ihre Stäbe zerbrachen.

Dieser Akt hatte etwas überaus Ergreifendes. Während der Zeremonie herrschte die tiefste Stille. Am Schluss löste ein allgemeiner tiefer Seufzer den Alb, der auf der Versammlung lastete.

In diesem Augenblick schaute Sir Thomas Seymour, der im Chor so stand, dass er die Loge der Königin sehen konnte, empor. Catharina hatte das Gesicht mit ihrem Taschentuche bedeckt und weinte augenscheinlich.

Dann wurde ein feierliches De profundis gesungen und unterdessen die Gruft geschlossen.

Nach Beendigung der Hymne trat Gartner, begleitet von drei Edelleuten, in die Mitte des Chores und sprach mit lauter Stimme: »Allmächtiger Gott, verleihe du in deiner unendlichen Gnade ein langes und glückliches Leben dem allerhöchsten und mächtigsten Fürsten, unserem König und Herrn Edward VI., von Gottes Gnaden König von England, Frankreich und Irland, Beschützer des Glaubens, und auf Erden nächst Gott Schirmherr der Kirche von England und Irland, allerhöchstes Hanpt und Herr des allervornehmsten Hosenbandordens!« Nach dieser Proklamation rief er mit heller Stimme: »Lange lebe der edle König Edward!« Die ganze Versammlung stimmte in den Ruf, der dreimal wiederholt wurde, mit ein.

Darauf bliesen die Trompeter in den Emporkirchen einen lauten und energischen Tusch, dass es in dem ganzen Gebäude widerhallte.

So endete die Leichenfeier des allerhöchsten und gewaltigen Königs Heinrichs VIII.

Ende des ersten Bandes


Der erste Band steht als PDF, EPUB, MOBI und AZW3 zur Verfügung.

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