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Die Flusspiraten des Mississippi 14

die-flusspiraten-des-mississippiFriedrich Gerstäcker
Die Flusspiraten des Mississippi
Aus dem Waldleben Amerikas

14. Bolivar – Maries Flucht

Zu derselben Zeit etwa, als Tom Barnwell von Helena abstieß, um in Montgomerys Point gute Handelsmöglichkeiten zu erkunden und das Flatboot mit Edgeworth am nächsten Morgen wiederzutreffen, steuerte aus den tief überhängenden Weiden der Insel ein kleiner schmaler Kahn in die Strömung des Mississippi hinaus und hielt dem arkansischen Ufer zu. Zwei Personen saßen darin, der Schwarze Bolivar und der Mestizenknabe Olyo. Der Erstere handhabte die beiden Riemen, in die er sich mit aller Kraft hineinlegte, während der andere in nachlässig vornehmer Stellung hinten im Stern des kleinen Bootes lag und das leichte Steuer bediente.

Er trug eine einfache graue Livree, die aus Jacke und Beinkleid bestand, deren Nähte mit roten Schnüren besetzt waren. Eine Mütze aus demselben Stoff lag neben ihm, seinen Kopf aber schützte ein großer breitrandiger Strohhut gegen die sengenden Sonnenstrahlen. Bolivar dagegen schien diese wenig zu achten, ja im Gegenteil sich eher behaglich zu fühlen, denn er hatte Hut, Jacke und Hemd abgeworfen und nur die weiten grauleinenen Beinkleider anbehalten, sodass die Sonnenglut unmittelbar auf seine muskulösen Schultern herabbrannte. Im Kahn lagen mehrere dicke Bleitafeln, über die ein Sack geworfen war.

Ein sehr freundliches Verhältnis schien aber zwischen den beiden, dem Mann und dem Knaben, nicht zu bestehen, denn der Schwarze blickte, ohne ein Wort mit seinem Gefährten zu wechseln, mürrisch vor sich nieder, während Olyo wie zum Hohn eins der sogenannten Sklavenlieder pfiff und dabei spöttisch lächelnd nach dem breiten Waldstreifen sah, dem sie sich mehr und mehr näherten.

Der Knabe Olyo war nämlich ein Mestize – von weißer und indianischer Abkunft – was ihn, den nordamerikanischen Ansichten nach, weit über den Schwarzen stellte. Ohnedies wurde er aber auch noch von seiner schönen Gebieterin vor allen anderen wie ein verzogenes Kind begünstigt, sodass er sich selbst gegen die weißen Männer der Insel, wenn nicht herrisch, doch jedenfalls trotzig und unfreundlich benahm. Keiner liebte ihn deshalb, und nur die Scheu vor dem Captain hielt die wilden Burschen zurück, dass sie den Knaben einmal recht derb und nachdrücklich züchtigten. Bolivar aber, der, als der einzige Schwarze auf der Insel und daher unter dem Knaben stehend, dessen Tyrannei schon oft hatte ertragen müssen, ohne weder von Kelly Genugtuung noch bei Georgine auch nur Gehör zu linden, nährte einen finsteren Hass gegen Olyo, und sein Blick mochte diesem nichts Gutes verheißen, wenn er mit einem wilden, triumphierenden Lächeln den Knaben betrachtete.

Endlich brach Bolivar das Schweigen und brummte, während er eine kurze Zeit mit Rudern einhielt.

»Steuert gerade, zum Donnerwetter, oder lasst es ganz sein. Der Henker soll eine solche Arbeit holen, wenn man sich abrackern muss, weil’s dem jungen Herrn da eben bequem ist, bald hier herüber, bald da hinüber zu halten. Es ist kein Kinderspiel, in solcher Hitze zu rudern.«

»Deinen Teint wird sie dir wenigstens nicht verderben«, spottete der Mestize, »aber halte Ruhe! Es kann, oder vielmehr es muss dir gleich sein, ob du ein paar Ruderschläge mehr tust oder nicht, du Holzkopf!«

»Wir dürfen nicht so hoch oben landen«, erwiderte nur finster der Schwarze, »seht Ihr dort weiter unten den hellgrünen Fleck? Es ist gerade da, wo sich der Rohrbruch bis vorn an das Ufer zieht. Dort führt eine kleine Bucht hinein, und da wollen wir das Boot lassen. Also steuert jetzt ordentlich oder lasst es lieber sein.«

»Huhhuhhuh – alter Brummbär«, spöttelte der Knabe, »wenn ich nun nicht will? – He? Aber meinetwegen, desto eher werde ich deine hässliche Gesellschaft los. So hab denn dieses eine Mal deinen Willen. Wo finde ich das Pferd?«

»Ich zeig Euch den Platz, wenn wir hinkommen.«

»Und die Straße?«

»Keine fünfhundert Schritt westlich von dort.«

»Führt keine rechts oder links ab?«

»Keine«, sagte der Schwarze düster, »habt keine Angst, Ihr könnt den Weg nicht verfehlen.«

Olyo schien beruhigt und regierte von da aus das Steuer regelmäßiger.

Bolivar aber überflog jetzt forschend mit den Blicken die weite Fläche des Stroms. Nichts war zu sehen als drei oder vier Flatboote, die langsam und träge mit der Flut stromabwärts kamen. Das kleine Boot geriet jetzt in die stärkere Strömung, die dicht am Ufer hinschoss, und Bolivar ruderte aus Leibeskräften.

»Haltet ein klein wenig mehr stromauf«, rief er dem Knaben zu, »noch mehr – so – die Flut reißt uns sonst unter jenen Baum.«

»Der Fluss steigt!«, meinte der Mestize, während er auf die rasch vorbeitreibenden gelben Schaumblasen sah. »Nun, Zeit ist’s auch, die Missouri-Wasser haben dieses Mal lange auf sich warten lassen. Aber halt, Bolivar, halt, sag ich – verwünschter Kerl, du führst mich ja mitten in die nassen Büsche hier hinein«, rief der Kleine plötzlich, als der Schwarze scharf in die Einfahrt der schmalen Bucht hielt, die von tief in das Wasser hängenden Reben und Ranken fast verschlossen war. Bolivar schien den Befehl aber nicht zu beachten. »Wirst noch nasser werden«, murmelte er vor sich hin, und im nächsten Moment warf er mit schnellem Ruck die Riemen in das Boot, während dieses, durch die letzte Anstrengung pfeilschnell vorwärtsgetrieben, rasch in das grüne Dickicht hineinglitt und dahinter verschwand.

Was bedeutete jetzt jener scharf abgebrochene, wilde, kreischende Angstschrei? Jenes kurze, aber verzweifelte Ringen? Die Schlinggewächse erzitterten, und aus der Bucht hervor drängten sich kurze kleine Schlagwellen, als ob da drinnen ein großer Fisch das Wasser peitschte.

Dann war kein Laut mehr zu hören, die Reben schwankten nicht mehr, das Wasser beruhigte sich wieder, und mehrere Minuten lang herrschte eine lautlose, unheimliche Stille.

Endlich teilten die Büsche sich wieder, der Kahn glitt daraus hervor, und darin stand der Schwarze – allein. Sein ganzes Aussehen war wild und verstört und sein Gesicht hatte eine graue Aschenfarbe angenommen. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und blieb, als das Boot langsam mit der Strömung hinabtrieb, mehrere Sekunden lang, tief Atem holend, stehen. Endlich warf er einen scheuen trotzigen Blick zu dem Dickicht zurück, das er eben verlassen hatte, griff dann wieder zu den Riemen und arbeitete sich langsam am arkansischen Ufer hinauf, um weiter oben, quer durch den Fluss, zu der Insel zurückrudern zu können.

Nur einmal hielt er unterwegs an, und zwar, vor der Strömung geschützt, dicht hinter einem in den Fluss gestürzten Baum, an dessen Ästen er seinen Nachen auf kurze Zeit befestigte. Hier wusch er sich den Oberkörper, scheuerte einzelne Teile des Bootes ab und zog dann sein Hemd und seine Jacke an. Als er die Jacke aufnahm, fielen zwei daruntergeschobene Briefe ins Boot. Bolivar konnte zwar nicht lesen, aber dennoch betrachtete er die Adresse des einen mit großer Aufmerksamkeit – es war ein Blutfleck darauf. Mit dem breiten angefeuchteten Finger versuchte er ihn wegzuwischen, doch das ging nicht, der Flecken wurde nur noch größer und hässlicher. Der Schwarze hielt den Brief jetzt ein paar Sekunden in der Hand und schien nicht übel Lust zu haben, ihn über Bord zu werfen. Er drehte ihn bald rechts, bald links, dann aber, als ob er sich eines Besseren besänne, trocknete er die feuchte Stelle mit dem Ärmel seiner Jacke so gut es gehen wollte und schob die beiden Schreiben in die weiten Taschen seiner Beinkleider.

Schon wollte er das Tau wieder lösen, das den scharfen Bug des Fahrzeugs schäumend gegen die unruhigen kleinen Wellen anzog, da fiel sein Blick auf den Platz, wo der Knabe vorher gesessen hatte, und auf dessen dort zurückgelassene Mütze. Er trat ein paar Schritte vor, nahm sie auf und sah sich rings im Boot nach etwas um – der Sack und die Bleiplatten waren verschwunden -, doch hier lag weiter nichts als die beiden Riemen und sein eigener Strohhut.

»Verdammt«, murmelte er vor sich hin, »hab’ ich denn gar nichts bei mir?« Er tastete seinen ganzen Körper ab. Da traf seine Hand einen harten Gegenstand. Es war sein großes, breites Messer – eine schwere massive Klinge mit gewöhnlichem braunem Griff.

Er betrachtete es einen Augenblick, dann sagte er leise vor sich hin: »Hol’s der Henker! Von dem Zeug gibt’s drüben noch mehr und bessere, das hier mag seinen letzten Dienst verrichten.«

Und damit spießte er die kleine Mütze auf den spitzen Stahl und hielt sie mit ausgestrecktem Arm hinaus über das Wasser. Im nächsten Moment spritzten die Wellen empor und schlossen sich augenblicklich wieder über der sinkenden Waffe.

Der Schwarze ruderte langsam zur Insel zurück.

 

Dort ging’s heut gar wild und lustig zu. Reiche Beute war am vorigen Tag eingekommen, noch reichere wurde in Kurzem erwartet, und die beiden Anführer hatten die Insel verlassen. Was wunder, dass sich dieses wüste Volk zügelloser Freude überließ und jetzt nur noch mit Mühe von dem fast allein nüchternen Peter im Zaum gehalten werden konnte. Wieder und immer wieder musste sie dieser vor den Folgen warnen, wenn vorüberfahrende Boote den Lärm hören sollten. Die Schar war aber auch dadurch nicht mehr einzuschüchtern und behauptete, das sei schon oft vorgefallen, und kein Flatbootmann würde darin etwas Außerordentliches finden, wenn er Lärmen und Geschrei auf irgendeinem sonst unbewohnten oder ihm wenigstens unbekannten Platz höre. Überdies könne ja doch keiner landen, dafür wäre gesorgt.

Peter, der sich nicht anders zu helfen wusste, hatte schon mehrere Male des Captains Frau zu bereden gesucht, zwischen die Trunkenen zu treten und sie zur Ordnung anzuhalten. Diese aber tröstete ihn mit Kellys baldigem Erscheinen.

Da landete Bolivar, verbarg die Jolle und betrat den inneren, von den Gebäuden eingeschlossenen Raum, wo er mit wildem Jauchzen von den Zechenden begrüßt wurde. Nun war der Schwarze sonst allerdings eher mürrischer, verschlossener Natur und hielt sich am liebsten fern von den Weißen, die ihn doch seiner Hautfarbe wegen verachteten. Heute aber kam ihm ein solches Treiben gerade gelegen.

Seine Augen glänzten in wildem Feuer, und mit einer Art Schlachtschrei ergriff er die dargereichte Flasche und schien sie mit einem Zug leeren zu wollen.

»Hallo!«, rief aber da ein langer Bursche aus Illinois. »Hallo, willst wohl den Brunnen auf einen Ansatz austrinken? Abgesetzt. Schneeherzchen, abgesetzt und Atem geholt, nachher kann man auch noch ein vernünftiges Wort mit zur Unterhaltung beitragen.«

»Die Pest auf eure Unterhaltung«, brummte der Schwarze, »euer Brandy ist mir lieber. Gebt die Flasche her, er schmeckt. Wo habt ihr den wieder aufgegabelt. Aus den nördlichen Staaten, wie?«

»Hahaha – die braune Schokoladentafel hat eine superfeine Nase«, rief der Illinoiser lachend, »wittert den Braten auf Tischlänge, weiß, dass wir kürzlich ein kostbares Nordboot gekapert haben, und ist nun so verdammt scharfsinnig zu ergründen, dass dieser vortreffliche Pfirsichbrandy aus dem Norden kommt. Aber, mein Lieber, du musst auch Kunststücke machen, wenn du trinken willst, musst dir dein tägliches Brot verdienen, auf dass dir’s wohlgehe und du lange lebest auf Erden.«

»O, geht mit Euren Narrheiten zum Teufel, Corny, gebt die Flasche, sag’ ich! Nein? – Ei so behaltet Euer Gesöff und fahrt zur Hölle, es wird wohl noch anderer aufzutreiben sein.« Damit wandte sich Bolivar ab und wollte zu seiner eigenen kleinen Hütte, die dicht neben der Wohnung seines Herrn stand, gehen. Corny vertrat ihm aber den Weg, und während er ihm mit der linken Hand die bis dahin verweigerte Flasche verhielt, erfasste er mit der rechten seinen Arm und rief: »Halt da, meine Alabasterkrone, so kommst du mir heute Abend nicht fort. Weißt du wohl, alter Bursche, wie du uns neulich mit der Stirn den Käse durchgeschlagen hast? Denk dir, die Lumpen hier wollen mir das nicht glauben. Ich habe um zwanzig Dollar mit ihnen gewettet. Willst du sie mir verdienen helfen? Halbpart, Schneeball!«

»Ich wäre gerade heut Abend zu solchen Albernheiten aufgelegt«, knurrte der Schwarze, »die Pest auf Eure zwanzig Dollar, ich habe heute mehr Dollar verdient, als Ihr in Euren Hut schütten könnt – zwanzig Dollar – bah!« Und damit wollte er sich von dem Weißen losmachen. Der aber, nicht gesonnen, den einmal Gefassten sobald wieder loszulassen, hielt nur um so fester und rief, während er den Übrigen einen von dem Schwarzen unbemerkten Blick zuwarf und etwas aus der Tasche zog.

»Hier, Bolivar, hier, meine liebenswürdige Teerose, sieh einmal, was sagst du zu dem Messerchen, ah? Verlohnt es sich nicht die Mühe, eines solchen Frachtstücks wegen einmal einem Freund gefällig zu sein?«

Die übrigen Männer traten jetzt auch hinzu, und während einige von ihnen den Schwarzen bestürmten, lachten andere und riefen, er wisse selber am besten, dass er es nicht könne, deshalb sei er auch so wenig bereitwillig. Bolivar dagegen, ohne sich weiter um Hohn oder Bitten zu kümmern, griff nach dem Messer und heftete den funkelnden Blick auf den herrlich verzierten Stahl. Es war ein türkisches Messer, Gott weiß, wo erbeutet, mit mattschimmernder Klinge und kostbarem, gold- und silbergeschmücktem Griff – eine Waffe, die ein Sultan hätte tragen können.

Wäre er nüchtern gewesen, so hätte er Verdacht schöpfen müssen, weshalb der wilde Bootsmann einen so wertvollen Preis auf eine geringe Wette setze. Aber so, durch das rasch getrunkene feurige Getränk erregt, gerade einer Waffe bedürftig, schien er sich plötzlich eines Besseren zu besinnen. Er blickte schnell im Kreis umher, jauchzte dann, den alten Strohhut in die Ecke schleudernd, laut auf und schrie: »Hurra, meine Burschen, Bolivar will euch zeigen, wie man sich in einen Westlichen Reserve-Käse hineinarbeitet. Hussa – wer will noch mehr dagegensetzen?«

Ein wildes Getümmel entstand jetzt, alles drängte und schrie durcheinander, und Bolivar, mitten unter ihnen, die blanke Waffe gezogen, das dunkle Gesicht mit den rollenden Augen und den elfenbeinfarbenen Zähnen, tanzte in fantastisch rasenden Sprüngen, während er mit gellend scharfer Stimme eine Melodie dazu sang. So tanzte er, unter den Beifallsrufen der jetzt einen Kreis Bildenden, während er mit Hacken und Zehen den schneller und immer schneller wirbelnden Takt dazu schlug.

»So haltet zum Donnerwetter die Mäuler«, rief jetzt Peter noch einmal zwischen sie springend, während er den Schwarzen bei den Schultern fasste und ihn zu beruhigen versuchte.

»Heilige Dreifaltigkeit« Peter schwur nur dann bei allen Heiligen, wenn er wirklich ernstlich wütend war. »Es ist ja rein, um toll zu werden. Wollt ihr uns die Nahbarschaft mit Gewalt auf den Hals schreien?«

Doch Bolivar sang und tanzte, und »bravo – bravo!«, schrie die Schar. »Peter soll auch tanzen, hurra für Peter!«

»Ruhig, Ihr Kreuzkröten, ruhig, sag ich«, tobte Peter dagegen, aber ohne Erfolg. Da brahte der Mann aus Illinois den Haufen wieder auf das frühere Thema zurück.

»Den Käse her!«, rief er, »bringt einen Käse.«

Sofort liefen einige fort und kamen bald mit einem der sogenannten Westlichen Reserve-Käse zurück, die in den nördlichen Staaten, besonders in Ohio und Pennsylvania, sehr viel bereitet und nach dem Süden verschifft werden. Es sind große runde Käse, etwa zwei Fuß im Durchmesser und vier bis fünf Zoll stark, mit gewöhnlich dunkelgelber zäher Rinde, sodass der Käse etwas ungemein Elastisches hat. Ein gewaltiger Schlag gehört denn auch dazu, einen solchen Käse so zu treffen, dass die Rinde in der Mitte bricht, denn gewöhnlich weicht sie vor dem Stoß wie Gummi zurück. Bolivar hatte dieses Kunststück aber schon mehrere Male gemacht und war seines Erfolges ziemlich sicher. Der Mann als Illinois, der den Schwarzen nicht leiden konnte, hatte ihm aber etwas ganz anderes zugedacht und beredete sich jetzt schnell flüsternd mit einigen anderen. Indessen hob ein junger Bursche den Käse auf eines der an der Wand aufgestellten Zuckerfässer. Bolivar jedoch, der indessen der Flasche noch wilder und unmäßiger zugesprochen hatte, woran ihn die anderen auch nicht hinderten, machte noch ein paar Luftsprünge, schob sein schon im Voraus beanspruchtes Messer in den Gürtel, fasste dann den Käse mit beiden Fäusten und schlug mit seiner Stirn mit solch unwiderstehlicher Gewalt auf die zähe Rinde, dass diese barst und sein krauses Wollhaar in die weiche Masse eindrang.

Donnernder Beifall feierte den Triumph des Schwarzen, der den Käse in die Höhe hob und ihn höhnisch lachend vor die Füße der Lärmenden warf.

»Da habt ihr euren Quark«, rief er. »In ein solch breiweiches Ding fährt Bolivar mit der Nase hinein.«

»Das ist auch nur Quark!«, schrie ein kleiner Bursche, indem er sich vordrängte. »Mit einem ordentlichen Indianakäse solltest du das bleibenlassen – Rußbutte!«

»Was?«, tobte dagegen der von Illinois an, »bleibenlasse? Bolivar bleibenlassen? Ihr verkümmerten Hosiers da oben in euren Holzländern wollt wohl was Besonderes haben, he? Her mit dem Indianakäse! Hier sind fünf Dollar für einen, bringt den zähesten, den ihr finden könnt, und setzt nachher, was ihr wollt. Ich halt’ es, dass Bolivars Eisbrecher ebenso leicht hineinfährt, als ob’s eine New Yorker Damenhutschachtel wäre. Hurra, Bolivar, nicht wahr, wir sind die beiden, die es der Bande zeigen können?«

»Hurra!« gluckste Bolivar, dessen Augen schon anfingen, glasig und stier zu werden. »Bringt einen von euren verdammten Hosierkäsen, her damit, sag ich – hier ist das Kind, das ihn vernichten kann. Wo ist der Hosierkäse?«

»Hier, Herzchen!«, sagte der kleine Indiana-Mann, während er einen neuen Käse brachte und auf eine dicht an der Wand lehnende Kiste stellte. »So, den versuche, und wenn du in den auch hineinfährst, dann nenne ich mich einen Dutchman.«

»Hussa – hier kommt Bolivar«, schrie der Schwarze und wollte sich schon wie ein Widder auf das neue Ziel stürzen.

Doch Corny hielt ihn zurück und rief: »Halt! Den Käse habe ich eben für teures Geld gekauft und möchte nicht gern einen Teil deiner Wollperücke, als Andenken darin aufbewahrt, nachher zwischen die Zähne bekommen; denn dass du mitten hineinfährst, ist gewiss. So – lass mich nur erst das Handtuch darüberdecken, nachher magst du dazwischenfahren.«

»Deckt ein Tuch darüber!« schrie Bolivar, während sich die Übrigen um ihn sammelten und seine Aufmerksamkeit ablenkten. Corny aber warf den Käse schnell beiseite und hob dagegen einen kleinen Schleifstein von demselben Umfang rasch an seine Stelle, den er mit dem breiten Handtuch bedeckte.

»Aber er darf ihn auch nicht mit den Händen anfassen!« schrie der kleine Hosier. »Hol ihn der Teufel, er drückt ihn womöglich an der Seite ein – nachher muss er in der Mitte wohl platzen.«

»Hohoho«, jauchzte der Schwarze, »meiner Mutter Sohn wird’s Euch zeigen, wie man westliche Käse anschneidet. Platz da, Platz!« Und mit zurückgezogenen Ellbogen, den Kopf gebeugt, sprang er hoch und flog im nächsten Augenblick, während ihn die Übrigen in erwartungsvollem Schweigen umstanden, mit fürchterlicher Gewalt gegen den verhüllten Stein.

Der Schlag hätte einen Ochsen zu Boden werfen müssen, und Bolivar stürzte denn auch, wie von einer Kugel getroffen, auf die Erde nieder, wo er mehrere Sekunden lang wie tot liegenblieb. Endlich aber, von dem lauten Schreien der Schar wieder einigermaßen zum Bewusstsein gebracht, richtete er sich langsam auf und schien im ersten Augenblick nicht recht zu begreifen, was das Ganze bedeute, auf wessen Kosten dieses Gelächter den Raum erschüttere und was eigentlich mit ihm selbst vorgegangen war. Der Kopf mochte ihm aber wohl dröhnen, denn er drückte beide Fäuste gegen die Schläfen und schloss eine Weile die Augen. Dann aber, als er den Blick wieder aufschlug, fiel dieser gerade auf den noch an der Wand lehnenden Schleifstein, von dem das Tuch durch den Stoß herabgefallen war, und überrascht und verstört sah er die Männer im Kreis an. Das übte jedoch auf die wilde Schar eine noch viel komischere Wirkung aus, und betäubendes Gelächter schallte ihm von allen Seiten entgegen.

Bolivar, der sich hier verachtet und verspottet sah und jetzt leicht begriff, welcher Streich ihm gespielt worden war, erhob sich, stand mehrere Sekunden lang mit vor Zorn und Wut blitzenden Augen und fest aufeinander gebissenen Zähnen da, bis ihm Corny noch spottend in den Weg trat und ihn fragte, ob er nicht glaube, die Hosierkäse seien zu sehr in der Sonne getrocknet. Da wurde es ihm klar, wer der Anstifter des ganzen Streiches war, und ehe nur einer an Gefahr dachte oder sie verhindern konnte, fuhr der Schwarze wie ein abgeschossener Pfeil auf den Matrosen zu und hatte den überrascht Zurückprallenden im Nu an der Kehle gepackt. Wohl sprangen die Nächststehenden hinzu, den Rasenden von seinem Opfer wegzureißen. Bolivar aber hielt Corny fest, und als es ihnen endlich gelang, den Mann zu befreien, stürzte dieser blutend zu Boden.

Der Schwarze wehrte sich jetzt mit verzweifelter Wut gegen die Überzahl und versuchte vor allem das Messer zu ziehen, das er im Gürtel trug. Daran hinderten ihn aber die anderen, warfen ihn zu Boden und banden ihm Hände und Füße; ja ein Teil der Bande, besonders Cornys Freunde, schien nicht übel Lust zu haben, ihn an Ort und Stelle strafen, dass er es gewagt hatte, Hand an einen Weißen zu legen.

Peter, der alles versucht hatte, die Tobenden zu besänftigen, und nun wohl einsah, seine Macht reiche nicht aus, wandte sich noch einmal an Georgine und bat sie, für Rube zu sorgen, er stehe sorgst für nichts ein. Von vorbeifahrenden Flatbooten hätten sie allerdings wenig zu fürchten, es könnten aber auch Jäger an dem gegenüberliegenden Ufer sein, und der Wind wehe gerade nach Arkansas hinüber. Er versicherte ihr dabei, dass ihm Kelly ganz besonders aufgetragen habe, jetzt, da sie am Ziel ihrer Wünsche ständen, sich ruhig zu verhalten und jede unnötige Gefahr zu vermeiden. Niemand anders aber als sie selber sei in diesem Augenblick imstande, dem rohen Haufen Einhalt zu gebieten.

»Und Marie hier?«, fragte Georgine.

Das arme Mädchen kauerte bleich und tränenlos in einer Ecke. Sie hatte am vorigen Nachmittag mehrere Male eine Gelegenheit gesucht, das Haus zu verlassen; aber Georgine, der Mestizenknabe oder auch Bolivar hatten sie nicht aus den Augen gelassen. Heute Morgen war sie noch nicht von ihrem Platz aufgestanden und schien ihre Umgebung nicht zu beachten, ja kaum von ihr zu wissen.

»Bleibt indessen ruhig hier sitzen«, rief der Narbige, während er einen mürrischen Seitenblick auf die Unglückliche warf. »Es fehlte auch noch, dass uns die im Weg wäre.«

Wildes Gebrüll schallte in diesem Moment von den trunkenen Bootsleuten herüber. Georgine raffte schnell den neben ihr liegenden Schal um sich und trat gleich darauf ernst und drohend zwischen die Schar.

Kein Wunder war es, dass selbst die Rohesten scheu und ehrerbietig vor ihr zurückwichen und der Lärm, wie durch ein Zauberwort gebannt, verstummte. Die hohe, edle Gestalt der schönen jungen Frau stand stolz und gebieterisch vor ihnen, das schwarze seidenweiche Haar floß ihr in vollen Locken um den Nacken, und die dunklen, von langen Wimpern beschatteten Augen schweiften finster über die vor wenigen Sekunden noch so wilden Männer hin.

Nur der Schwarze wütete noch immer gegen seine Fesseln an, sodass es die ganze Kraft der ihn Haltenden erforderte, seinen rasenden Anstrengungen zu widerstehen.

»Was hat der Mann getan?«, fragte Georgine endlich, »was soll der Aufruhr?«

Alle wollten jetzt antworten, und ein verworrenes Getöse von Stimmen machte jedes Wort unhörbar. Endlich trat Peter vor und erzählte mit kurzen Worten den Ablauf der Sache, während die Bande, als er den Angriff des Schwarzen erwähnte, mit wilder Stimme dazwischenschrie.

»Nieder mit der Bestie, die einen Mann wie ein Jaguar erwürgen will.«

»Seid ihr Männer?«, zürnte jetzt Georgine, und ihr Blick haftete drohend auf den Rädelsführern der Schar. »Wollt ihr hier Aufruhr und Kampf entzünden, während uns von allen Seiten Gefahren umgeben? Habt ihr den Schwarzen nicht zuerst gereizt? Wundert es euch, dass die Schlange beißt, wenn sie getreten wird? Fort mit euch auf eure Posten, euer Captain kann jeden Augenblick zurückkehren, und ihr wisst, was euch geschähe, wenn er in diesem Augenblick statt meiner hier stünde. Fort, schlaft euren Rausch aus und verhaltet euch ruhig. Der Erste, der noch einmal den Gesetzen entgegenhandelt, verfällt der Strafe! Hat sich Bolivar vergangen, so soll er der Züchtigung nicht entgehen – ich wäre die Letzte, die ihn schützte. Sobald Kelly zurückkehrt, wird er euren Streit untersuchen – bis dahin aber Friede.«

Die Bootsleute traten mürrisch, doch gehorsam zurück, und Peter wandte sich eben dem Schwarzen zu, um ihn bis zu des Captains Rückkehr zu verwahren, als sein Blick auf die Tür von Kellys Wohnhaus fiel. Dort aber erkannte er die zarte Gestalt der Wahnsinnigen, wie sie, sich die wirren Haare aus der Stirn zurückstreichend, einen Moment nur forschend zu den Männern hinüberstarrte, dann mit hellem, fast kindischem Lachen hinaus über den freien Platz sprang und plötzlich zwischen den einzelnen Hütten verschwand.

Das Ganze war so schnell und plötzlich geschehen, dass der Narbige im ersten Augenblicke kaum zu wissen schien, ob er recht sehe. Georgine aber, die seinem Blick gefolgt war, erkannte kaum noch das eben hinter dem kleinen Haus verschwindende flatternde Gewand, als sie auch den Zusammenhang ahnte.

»Folgt ihr!«, rief sie schnell und deutete in jene Richtung, »folgt ihr, bei eurem Leben – bringt sie zurück.«

Peter gehorchte rasch dem gegebenen Befehl, und einige von den Nüchternsten taumelten hinterher, während die anderen, vielleicht über die Gelegenheit froh, sich unbeachtet fortstehlen zu können, schnell in ihren Wohnräumen verschwanden. Bolivar blieb allein und noch gebunden am Boden zurück. Georgine löste jetzt zwar schnell seine Fesseln, denn ihr ging es in diesem Augenblick nur darum, die Entflohene zurückzubringen. Der Schwarze aber, durch den Brandy, jenen fürchterlichen Stoß und den letzten mit verzweifelter Kraftanstrengung geführten Kampf betäubt und entkräftet, taumelte ein paar Schritte nach vorn und stürzte dann schwerfällig zu Boden nieder.

Georgine biss sich auf die zarte Unterlippe und stampfte mit dem Fuß auf den Boden. Die Verfolgung nahm aber für den Augenblick ihre Aufmerksamkeit zu sehr in Anspruch, um des Schwarzen weiter zu achten. Sie eilte der Stelle zu, wo Marie die Fenz überklettert haben musste, und schien hier ungeduldig die Rückkehr der Gefangenen zu erwarten, konnte sie sich doch nicht denken, dass das wahnsinnige junge Weib mit nur wenigen Schritten Vorsprung und in dem ihr gänzlich unbekannten Dickicht imstande sein würde, Männern zu entgehen, die jeden umgeworfenen Stamm und jeden einzelnen Platz kannten. Wussten aber die halbtrunkenen Bootsleute vielleicht selbst kaum recht, was sie wollten, und stürmten sie nur eben blind vorwärts, oder war Peter durch die zuerst genommene Richtung der Wahnsinnigen irregeführt, dass er glaubte, sie würde diese beibehalten. Kurz, die Insulaner durchkreuzten das ganze umliegende Waldstück, ohne auch nur die geringste Spur von der Entflohenen zu finden, und so mussten sie unverrichtetersache wieder zurückkehren.

Nun behauptete Peter allerdings, in den Büschen würde sie nicht mehr stecken, da hätte sie ihnen nicht entgehen können, sie werde wahrscheinlich in den Strom gestürzt und ertrunken sein. Georgine beruhigte sich jedoch nicht damit. Noch einmal mussten die Männer hinaus, sie zu suchen, und nicht eher kehrten sie, freilich wieder ohne Erfolg, zurück, bis die Dunkelheit ihnen in dem dichten Wald jedes weitere Vordringen unmöglich machte. Für diese Nacht blieb auch weiter nichts zu tun übrig, und Georgine tröstete sich nur damit, dass die Entflohene unmöglich die Insel verlassen haben konnte und am nächsten Morgen leicht wieder aufgefunden werden musste.