Der Marone – Der kranke Reisende
Thomas Mayne Reid
Der Marone – Drittes Buch
Kapitel 24
Der kranke Reisende
Nachdem er das Gebiet seiner eigenen Pflanzung durchritten und einige Zeit auf einem als der Carrionweg bekannten Nebenweg geblieben war, gelangte Herr Vaughan zuletzt auf die große Heerstraße, die von Montegobay an der nördlichen Seite der Insel nach Savanna-la-Mer an der südlichen führt.
Auf dieser Straße setzte er seine Reise südwärts fort, da Savanna-la-Mer der Ort war, wohin er die Reise zu Pferd zu machen beabsichtigte, denn von dort konnte er zur See zum Hafen von Kingston oder zum Alten Hafen oder irgendeinem anderen Hafen gelangen, der mit der Hauptstadt in naher Verbindung stand.
Der gewöhnlichere Weg über Land für Reisende aus der Nachbarschaft von Montegobay nach Spanischstadt ist der nördliche zum Hafen Falmouth und von da über Sankt Anna quer über die Insel. Zuweilen wird auch wohl die südliche Straße über Lacovia und die Gemeinde St. Elisabeth benutzt, ohne zum Hafen von Savanna zu gehen. Allein Herr Vaughan zog die bequemere Reise vor. Er beabsichtigte nicht, die ganze Reise zu Pferde zu machen, sondern teilweise zu Schiff.
Er wusste, dass beständig Küstenschiffe von Savanna zu allen Häfen der südlichen Seite hingingen, und glaubte, dort ohne alle Schwierigkeit eine Überfahrt nach Kingston finden zu können. Dies war ein Grund, warum er zum Seehafen von Savanna wollte.
Außerdem hatte er aber noch einen anderen wichtigen Beweggrund, die Reise gerade über diesen Ort zu machen. Savanna-la-Mer war, wie bereits erwähnt worden ist, die Assisenstadt, der Sitz des Schwurgerichtes des westlichen Bezirks der Insel, der den Namen einer Grafschaft Cornwall trägt und fünf große Gemeinden, St. James, Hanover, Westmoreland, Trelawney und St. Elisabeth, und folglich auch die Stadt von Montegobay umfasst. Vor dem Schwurgericht in Savanna mussten deshalb alle wichtigeren Klagen angebracht werden, die einen vollständig besetzten Gerichtshof erforderten. Eine solche war aber jedenfalls die Klage, welche Herr Vaughan jetzt gegen Jakob Jessuron einleiten wollte, denn eine heimliche Ergreifung und Besitznahme von vierundzwanzig Sklaven war gewiss keine geringe Sache und die Anklage musste unter allen Umständen auf mehr als einen betrügerischen Unterschleif gerichtet sein.
Loftus Vaughan hatte sich noch nicht über die bestimmten Ausdrücke entschieden, in denen die Klage eigentlich angebracht werden sollte. Allein in Savanna als dem Sitz des Schwurgerichtes gab es auch viele Rechtskundige, bei denen er sich Rat holen konnte.
Dies war der Hauptgrund, dass der Custos seine Reise zur Spanischstadt über Savanna-la-Mer machte. Zu einer solchen kurzen Reise, die in einem Tag vollendet werden konnte, war ein einziger Diener ausreichend. Hätte der Custos aber den Landweg zur Hauptstadt gewählt, dann freilich wäre dies anders gewesen. Dann hätte, den Sitten der Insel zufolge, ein Haufen Pferde mit zahlreichen Dienern den großen Custos begleiten müssen.
***
Der Tag wurde einer der heißesten, die bisher dagewesen waren, vorzüglich in den Nachmittagsstunden. Die brennenden Sonnenstrahlen, die den weißen kreidigen Landweg, über den der Reisende reiten musste, mit außerordentlicher Glut erfüllten, machten die Reise nicht bloß höchst unangenehm, sondern wahrhaft mühsam und beschwerlich.
Der Custos, der sich schon bei der Abreise keineswegs ganz wohl gefühlt hatte, war von Stunde zu Stunde immer kränker geworden. Ungeachtet der bedeutenden Sonnenhitze war er zwei Mal von einem starken, mit innerem Schauder verbundenen Frost ergriffen worden, dem jedes Mal eine heftige Fieberhitze nachfolgte, die von einem brennenden nicht zu löschenden Durst begleitet war. Mit diesen Fieberanfällen waren bitterer Geschmack, Übelkeit, wirkliches Erbrechen und innere arge Krämpfe verbunden.
Längst vor Anbruch der Nacht hätte der Reisende deshalb wohl schon angehalten, hätte er nur irgendein für seine Aufnahme geeignetes Haus aufzufinden vermocht. Früh am Tag war er durch mehr angebaute Gegenden gekommen, wo zahlreiche Pflanzungen vorhanden waren, doch da war er noch nicht so krank gewesen und hatte nicht anhalten wollen, sondern hatte sich nur an einigen Plätzen ein wenig aufgehalten, um zu trinken zu bekommen und die von seinem Diener geführte Feldflasche wieder mit frischem Wasser füllen zu lassen.
Es war schon spät am Nachmittag, als die Anzeichen seiner Krankheit aufs Höchste bedenklich wurden, und da befand er sich gerade in einem nur sehr wenig bewohnten Landesteil, einer wilden Gegend der Gemeinde Westmoreland, wo meilenweit an der Landstraße kein Haus anzutreffen war.
Über diesen Landstrich hinaus konnte er nicht weit von der großen Heerstraße abseits die große Zuckerplantage Content treffen. Dort konnte er sich eine vortreffliche Aufnahme versprechen, da der Eigentümer dieser Pflanzung auch sonst wegen seiner freigebigen Gastfreundschaft bekannt sein persönlicher Freund war.
Schon beim Ausreiten war es die Absicht des Reisenden gewesen, seine Reise für den ersten Tag nur bis Content auszudehnen. Im Verlangen, diese Absicht auszuführen, war er rascher geritten, obwohl die außerordentliche Schwäche, die seinen ganzen Körper ergriffen hatte, das Reiten höchst angreifend und peinlich machte. So angreifend und alle seine Kräfte erschöpfend wurde es zuletzt, dass er von Zeit zu Zeit genötigt wurde, sein Pferd anzuhalten und ruhig auf demselben zu sitzen, bis seine Nerven zu neuer Anstrengung frisch gekräftigt waren.
Bei solchen Verzögerungen wollte die Sonne bald untergehen, als er Content zu Gesicht bekam. Zuerst erblickte er es von einem Berg aus, auf dessen Gipfel er gerade anlangte, als die Sonne in die Karibische See über dem fernen Vorgebirge Point Negrie hinabsank. In dem breiten sich vor ihm ausdehnenden und mit dem Purpurnebel des Abendrots erfüllten Tal vermochte er das von ausgedehnten Zuckerwerken und malerisch verteilten Hütten umgebene Haus des Pflanzers zu gewahren. So nah schien es zu sein, dass er sowohl das Geräusch bei der Arbeit als auch den Gesang munterer Stimmen, von der sanften Abendluft getragen, deutlich hören konnte, und dass er sogar die Gestalten der Männer und Frauen zu unterscheiden vermochte, die sich in hellfarbigen Kleidern zerstreut in der Gegend der Plantage umherbewegten.
Der Custos blickte auf all dies mit verwirrten und schwindelnden Augen, und die Töne drangen verworren an seine halb betäubten Ohren. Wie der Schiffbrüchige, der das Land vor sich sieht, aber ohne Hoffnung, es je erreichen zu können, so schaute Loftus Vaughan auf das vor ihm liegende Tal von Content. Denn jede Möglichkeit, es noch diesen Abend zu erreichen, war ihm abgeschnitten, ganz so gut, als ob es noch viele, viele Meilen am äußersten entgegengesetzten Ende der Insel gelegen gewesen wäre. Er konnte nicht weiterreiten, er konnte sich nicht länger im Sattel halten, er glitt aus ihm herunter und fiel in die Arme des herbeieilenden Dieners. Dicht an der Seite des Wegs und halb von Bäumen verborgen, stand eine kleine Hütte in einer rohen Einfriedung, die früher einmal wohl das Häuschen und der Garten eines Schwarzen gewesen waren. Allein die Hütte war nun verlassen und halb verfallen und der Garten mit allen jenen üppigen wildwachsenden Gewächsen bedeckt, die in tropischen Ländern schon ein einziger Sommer hervorzubringen vermag.
In diese jämmerliche Hütte wurde der Custos nun geführt oder vielmehr getragen, denn auch zum Gehen war er bereits vollkommen unfähig.
Eine Art Ruhebett aus Bambus, die gewöhnliche Schlafstelle der Schwarzen, stand in einer Ecke, ein festes Hausgerät, das selten oder nie, selbst beim Verlassen einer solchen Wohnung weggeräumt wird. Auf dieses Bambusruhebett wurde der Custos von seinem Diener hingelegt, nachdem eine Pferdedecke untergebreitet war, und dann wurde er mit seinem Kamelottmantel zugedeckt.
Auch zu trinken gab ihm noch sein Diener, der dann auf Befehl des Kranken selbst eins der Pferde bestieg und im gestreckten Galopp nach Content hin sprengte.
Loftus Vaughan war nun allein!