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Die Schlossjungfrau zu Sinzig

Vom frischen Quell
Sagen, Legenden undGeschichten aus der Eifel
Jung und Alt in neuer Fassung dargeboten von Rektor Jos. Schiffels
Verlag Georg Fischer. Wittlich. 1912
Erstes Bändchen

Die Schlossjungfrau zu Sinzig

Am Eingang in das Ahrtal liegt in schöner und fruchtbarer Gegend die Stadt Sinzig, die ihren Ursprung bis auf die Zeit der Römer zurückführt. Dort stand vor alten Zeiten ein von einem Grafen von Jülich erbautes prächtiges Fürstenschloss, das durch vier mächtige Türme gegen feindliche Angriffe geschützt war. Trotz seiner stolzen Türme und seiner festen Mauern sollte es doch den Kriegsstürmen zum Opfer fallen. Durch den Verrat einer Jungfrau vom Schloss kam es in die Gewalt der Feinde. Sie ließ sich in treuloser Verblendung bewegen, den Schlüssel zum Burgtor herauszugeben. Das Schloss wurde durch diesen Verrat eingenommen und in einen Schutthaufen verwandelt. Aber die Verräterin musste ihre Freveltat schwer büßen. Nachdem sie gestorben war, fand sie im Grab keine Ruhe, und zur Strafe musste sie in den Trümmern des Schlosses und in dessen Umgebung umherwandern. Bald schwarz, bald weiß gekleidet und einen Schlüsselbund tragend, so ist sie oft gesehen worden. Den Vorübergehenden nickte sie freundlich zu. Das Gestein erbebte unter ihrem Fuß, und wohin sie trat, erklang tiefes Seufzen und Stöhnen aus den Trümmern. Oft hörte man ein leises Klagen und Wimmern aus dem Inneren der Burg. Schon manchen hat die Schlossjungfrau ins dunkle Burgverließ gelockt, aber noch keiner hat bekennen können, was ihm da widerfahren war, weil der Betörte nie wieder zum Vorschein kam. Lange Zeit irrte sie so scheu in den Burgruinen umher.

Einst hat die Schlossjungfrau drei Kinder, die im Schlossgarten bis zum späten Abend gespielt hatten, ihren Eltern, die in banger Sorge nach ihnen gesucht hatten, wieder zugeführt. Die Kinder fanden das Stadttor bereits verschlossen, als sie heimeilen wollten. Weinend und frierend standen sie in kalter Winternacht an dem Tor, das niemand öffnen wollte. Da erschien die Schlossjungfrau und erbarmte sich der Kleinen. Besorgt trug sie dieselben über die Stadtmauer zu der elterlichen Wohnung. Von der Zeit an war sie von ihrer Strafe erlöst und wurde nicht mehr gesehen.