Gold Band 2 – Kapitel 01.2
Friedrich Gerstäcker
Gold Band 2
Ein kalifornisches Lebensbild aus dem Jahre 1849
Kapitel 1
Ein Abend im Paradies
Teil 2
Draußen im Freien hatten sie noch einen matten Dämmerschein gehabt. Hier im Inneren aber brannte schon Licht – einzelne Stearinkerzen auf blechernen Leuchtern, die den Raum natürlich nur notdürftig erhellen konnten. Für die Umgebung genügte die Beleuchtung aber doch.
Im Hintergrund stand ein langer, etwa vier Fuß hoher Schanktisch mit einer Tafel von gehobelten Brettern, und außen mit demselben blauen Zeug beschlagen, von dem ein Teil des ganzen Gebäudes hergestellt war. Hinter dem Schanktisch standen auf einem Bretterverschlag eine Anzahl verschiedenartiger Flaschen, zwischen denen jedoch selbst der bleibehalste Champagner nicht fehlte. Tische und Bänke aus Kiefernholz, beide auf in den Boden gerammten Pfählen ruhend, waren an beiden Seiten zur Bequemlichkeit der Gäste angebracht.
Von diesen hatten sich schon einige eingefunden, obwohl die Mehrzahl noch bei ihrem Abendbrot war und gewöhnlich erst später kam. Lamberg und Binderhof staunten aber nicht wenig, an einem der Tische schon in aller Ruhe ihren Zeltgenossen, den Justizrat sitzen zu sehen, der mit einer Flasche Rotwein vor sich, einen Grad von Behagen erreicht zu haben schien, dessen er sich auf der ganzen Reise noch nicht erfreut hatte. Nur als er Herrn Binderhof erblickte, verfinsterte sich sein Gesicht etwas und verschwand gleich darauf in einer undurchdringlichen Dampfwolke, die er von sich blies. Binderhof entging er aber dadurch nicht.
»Alle Wetter, Justizrat«, rief ihn dieser an, »auch schon hier vor Anker gegangen? Ich glaubte, Sie wollten Herrn Hufner oben ablösen, der noch immer am Zelt Schildwache steht.«
Die Bemerkung war überflüssig. Er bekam von dem Mann keine Antwort, und nur sich zu Lamberg wendend sagte der Justizrat aus seinem Tabakqualm heraus: »Famoser Medoc – Flasche zwei und einen halben Dollar – setzen sich hierher, Lamberg.« Er hatte Angst, dass Binderhof sonst an seine Seite kam.
»Sind auch noch ein paar Landsleute hier – sehr gefreut – Donnerwetter, ist ganz hübsch in Kalifornien.«
Lamberg warf einen flüchtigen Blick auf die Flasche. Es war erst ein Glas ausgeschenkt, der Justizrat also schon wenigstens bei der zweiten. Lamberg wich aber nie einem vergnügten Abend aus, und als Entrée in den Minen hielt er dies für einen doppelten Grund, die Gelegenheit feierlich zu begehen. Der Justizrat dabei, heute gesprächiger als je, stellte ihm jetzt, während er sich gerade niedersetzte, noch zwei andere Deutsche vor, die schon ebenfalls an dem Tisch Platz genommen hatten.
»Da, Lamberg – noch Landsleute, Herr Fischer aus Hamburg und Herr Kolber aus Meißen – Kollege von mir der Herr Kolber … hm … hm …« Er hustetete dabei aus Leibeskräften. »Aktuar – hat ganzen Gehalt, zwei Taler Federgeld, im Stich gelassen und nach Kalifornien gegangen, – leichtsinniger Mensch der – hm – hm – hm!«
Lamberg schüttelte den beiden als weitere Begrüßung die Hände.
Fischer, der zugleich über seine Schulter hin Erbe bemerkt hatte, rief diesem zu: »Hallo, Doktor, auch da? Na, wie geht’s, wo sind Sie denn die letzten Tage gewesen?«
»Prospektieren«, sagte Erbe, indem er, ohne auch nur die Stellung seiner Hände im Geringsten zu verändern, das rechte Bein über die Bank hob, das linke nachzog und sich gemütlich dicht neben den Justizrat setzte.
»Doktor?«, rief aber Lamberg erstaunt, der jetzt ihm gegenüber und neben Fischer Platz nahm. »Is der Herr ein Doktor?«
»Balbier!«, antwortete aber Erbe, ohne den geringsten Stolz, und warf dabei nur einen flüchtigen Blick nach der noch fast vollen Flasche seines Nachbarn. »Hier in den Minen callen1 sie mich aber Doktor.«
Der Wirt, ein Elsässer war indessen zum Tisch getreten, die Bestellungen seiner Gäste auszuführen. Der Justizrat musterte indessen mit etwas misstrauischen Blicken seinen Nachbarn.
»Schönes Land hier, wie?«, nahm da der Aktuar das Gespräch wieder auf. »Ein wirklich italienisches Klima. Finden hier auch eine famose Wirtschaft. Der Herr Justizrat wird sich freuen, wenn er erst einmal einen Blick in dieses Leben tut.«
»Na, wissen Sie, Herr Korbel, es mannatscht2 hier jeder so gut, wie er eben kann«, sagte da Erbe, nahm eins der auf den Tisch gestellten Gläser und schob es neben des Justizrats Flasche. »Und sonst können wir doch immer ganz satisfied sein, und ich habe ‘ne Noschen3, dass es noch schlechtere gibt.«
Der Justizrat sah seinen Nachbarn immer erstaunter an, und zwar jetzt fast soviel wegen dem vorgeschobenen Glas als den fremden Worten. Fischer befreite ihn aber von der einen Befürchtung, indem er aus seiner eigenen Flasche Erbes Glas vollschenkte, worauf dieser seine rechte Hand aus der Tasche zog, sein Glas augenblicklich bis auf den Grund leer trank und die Hand dann wieder an ihre alte Stelle zurückschob.
»Und wie steht es hier in den Minen?«, sagte nun Lamberg, der ebenfalls eine Flasche bestellt hatte und sich und Binderhof einschenkte. »Was zu machen?« »Wie’s trifft«, antwortete der Aktuar. »Wenn Sie eine gute Stelle finden, mag es vortrefflich gehen, denn es liegt grobes Gold in der Nachbarschaft. Man kann aber auch lange berumgraben und waschen, ehe man was Gescheites findet.«
»Apropos Waschen«, sagte der Justizrat, den das Gold noch wenig interessierte. »Sie waren ja hier einmal in den Minen, und wenn es da nicht lag, wo sollte es sonst sein. Können Sie mir nicht eineWaschfrau empfehlen? Muss Sachen aufgeben.«
»Waschfrau, Herr Justizrat?«, entgegnete Fischer lachend. »O, warum denn nicht? Wir haben hier alles. Es sieht nur ein wenig anders aus als bei uns zu Hause. Wenn Sie etwas waschen lassen wollen, so fragen Sie deshalb nur morgen nach old Tomlins. In jedem Zelt werden Sie zurechtgewiesen. Dort wird Ihnen das wohl besorgt.«
»Danke«, sagte der Justizrat und schenkte sein Glas wieder voll, ohne das seines Nachbarn jedoch zu berücksichtigen.
»Aber es sind doch gewiss viele hier, die bedeutend Gold finden«, fuhr Lamberg fort, dem die gleichgültige Antwort über die hiesigen Minen nicht recht behagen wollte.
»Allerdings«, sagte da Fischer, »die Chinesen, die gleich unter der Flat arbeiten, sollen vortrefflich ausmachen, und weiter oben haben Mexikaner schönes Gold gefunden. Auch in der Flat sind ein paar gute Plätze, aber Zufallssache bleibt es immer.«
»Ich will Ihnen etwas sagen«, nahm da Erbe das Wort, und warf dabei so bedenkliche Blicke nach seinem leeren Glas hinüber, dass Lamberg diesmal nicht umhin konnte, dem Wink Folge zu leisten. Hoffte er doch auch jetzt von dem Burschen, der sich wahrscheinlich schon eine ganze Weile in den Minen herumgetrieben hatte, etwas Ausführlicheres zu erfahren.
Erbe tat, als sehe er es gar nicht, trank aber das eingeschenkte Glas augenblicklich wieder aus und fuhr dann fort: »Unten in der Goltsch4 ist das Gold feiner – aber mehr. Hier oben dagegen im conträr ist es eben soviel, aber coarser5 – und nun können Sie anfangen, wo Sie wollen.«
»So?«, sagte Binderhof lachend, »na, nun wissen wir es ja auf einmal. Lamberg, des Doktors Glas ist wieder leer.«
Lamberg tat, als ob er die Bemerkung nicht gehört hätte.
Erbe schien aber ihren Erfolg abwarten zu wollen, und nur erst, da nichts Weiteres geschah, setzte er hinzu: »Ja – und die ganze Golddiggerei kann ich Ihnen auch in wenig Worten beschreiben. Sehen Sie, erst suchen Sie sich einen claim und graben ein holl, so tief, bis Sie auf den clay oder auf den ledge kommen. Well, und wenn Sie da sind, dann fangen Sie an zu cradlen. Finden Sie clay und gravel zusammen, desto besser. Da steckt gewöhnlich was. Liegt der bloße ledge da, dann ist es gewöhnlich faul. Wo Sie anfangen wollen, ist ganz einerlei. Die ganze Geschichte ist Glückssache. Morgen früh schultern Sie Ihre Pick und crowbar, Ihren Spate und eine Pfanne – die cradle können Sie nach dem dinner hinunterschaffen, und dann diggen Sie ein, wo Sie gerade eine notion kriegen.«