Der Kommandant des Tower 21
Der Kommandant des Towers
Historische Erzählung von W. Harrison Ainsworth
Verlag von Christian Ernst Kollmann, Leipzig, 1863
Zweites Buch
Der Lordprotektor
Dreizehntes Kapitel
Wie die Gräfin von Hertford um ihre Rache betrogen ward; und auf welche Art Xit den König zu zerstreuen versucht
Die beleidigte Königin war totenbleich. Aber ihre Augen schleuderten Blitze auf das erschrockene Paar, und sie schien nicht übel Lust zu haben, beide zu vernichten. Catharina war in der Tat entsetzlich in diesem Augenblick, und es gehörte nicht wenig Mut dazu, ihrem Blick standzuhalten. Aber Elisabeth besaß diesen Mut in hohem Grad, und wenn sie auch anfänglich bei dem plötzlichen Erscheinen der wütenden Königin ein wenig betroffen war, so sammelte sie sich doch fast augenblicklich und schaute Catharina mit einem Blick an, der kaum weniger hasserfüllt und rachsüchtig war wie der der Königin selbst.
Sir Thomas’ Lage war eine ganz andere und viel schwierigere. Er hatte allen Grund, zu fürchten, dass er durch diese plötzliche Dazwischenkunft beide, sowohl Elisabeth als auch die Königin verliere. Letztere hatte ohne Zweifel seine Treulosigkeit entdeckt – seine sofortige Bloßstellung vor der Prinzessin stand zu erwarten. Aber er war nicht so leicht niedergedonnert. Obwohl die Situation im höchsten Grade fatal, fast verzweifelt war, so verlor er doch keinen Angenblick seine Geistesgegenwart.
»Halt!«, rief Catharina, drohend ihre Hand ausstreckend, als die beiden bei ihrem Anblick zurücktraten. »Kein Verlöbnis kann zwischen Euch stattfinden. Ich verbiete es im Namen des Conseils. Es würde in direktem Widerspruch mit dem Willen Eures Vaters stehen, Elisabeth, und bei der Ehrerbietung, die Ihr seinem Andenken schuldig seid, heiße ich Euch, davon abzulassen!«
»Ihr habt große Ehrerbietung gegen des Königs, meines Vaters, Andenken, muss ich gestehen, Madame«, entgegnete verächtlich die Prinzessin.
»Ich verdiene den Hohn, aber er ziemt sich nicht von Euren Lippen«, sprach Catharina.
»Warum nicht von meinen?«, rief Elisabeth. »Mich dünkt, niemand hat ein größeres Recht als ich, König Heinrichs Witwe anzuklagen, die Sitte und Pflicht gleich wohl vergessend, sein Andenken zu entehren sucht, soweit wie ein so glorreiches Andenken entehrt werden kann, indem sie an eine Heirat mit einem anderen denkt, ehe noch der Leib ihres königlichen Gemahls in die Gruft gelegt worden ist.«
»Prinzessin!«, unterbrach Seymour, »Ihr seid im Irrtum.«
»Was hat Ihre Majestät hier zu tun, wenn Eifersucht sie nicht herführt?«, rief Elisabeth. »Nein, ich irre nicht. Als Ihre Majestät und ich uns gestern begegneten, da fühlte ich, dass ich eine Nebenbuhlerin hatte. Leugne sie, wenn sie kann.«
»Ich will nicht versuchen zu leugnen«, entgegnete Catharina mit Würde. »Ich bin schändlich betrogen worden und bereue bitterlich, dass ich auf die Stimme des Versuchers hörte. Aber der Schmerz des Augenblickes diene zur Sühne meines Fehlers, wie groß er auch sein mag. Möget Ihr, Elisabeth, niemals die Demütigung empfinden, niemals Euch die Selbstvorwürfe machen, wie ich in diesem Augenblick. Ich will mein Tun nicht bemänteln, aber das kann ich sagen, dass in diesem ganzen Königreich kein elenderes Weib existierte und existieren konnte, als Catharina Parr, die beneidete Gattin Eures Vaters, König Heinrichs. Es war eine böse Stunde, in der ich, geblendet von dem Glanz einer Krone, und der Festigkeit meiner eigenen Grundsätze vertrauend, einwilligte, seine Frau zu werden! Seit jenem verhängnisvollen Augenblick habe ich wenig Frieden gekannt. So angstvoll ich auch die Launen meines wankelmütigen Gemahls studierte, so war es doch kaum möglich, ihm zu Gefallen zu leben. Und ihn erzürnen, wäre mein Verderben gewesen. Umringt von Feinden war ich beständig geheimen Machinationen preisgegeben, und da der König allen gegen mich eingebrachten Klagen ein williges Ohr lieh, so entging ich ihnen nur mit Not. Mein Dasein war ein elendes – so elend, dass ich, obgleich mit dem Schein der Macht umkleidet, freudig mein Los mit der Geringsten meiner Untertanen vertauscht haben würde. Keine Liebe konnte eine solche Behandlung überdauern. Schrecken zertrat die glimmende Asche schwindender Zuneigung. Ich näherte mich meinem schrecklichen Gemahl nicht anders als mit Bangen und Zagen, ich war nicht sicher, ob mein Weg von ihm nicht aufs Schafott führte. War es ein Wunder, dass ich nach beinahe vier Jahren solchen Elends, als die Tage meines Elends ihrem Ende sich zuneigten, mich den Aufmerksamkeiten eines, der mich zu bemitleiden schien und der mich anzubeten vorgab, nicht ganz unempfindlich erwies? War es ein Wunder, dass ich, als der Tod mich endlich von unerträglicher Tyrannei erlöste, vergaß, dass ich die Witwe eines großen Königs, aber grausamen Gatten war, und dass ich, ehe er, der mich mehr als einmal mit dem Tod bedroht, der selbst bereits den Befehl zu meiner Hinrichtung gegeben hatte, ins Grab gelegt wurde, ihm meine Hand versprach, der geschworen hatte, meine vergangenen Leiden durch ein Leben voller Hingebung zu sühnen? War es ein Wunder, dass ich mich von Sir Thomas Seymour täuschen ließ, der mit Schlangenzungen redet und der ebenso gleisnerisch und heuchlerisch wie treulos ist? Kein Wort reicht aus, um die Verachtung auszudrücken, die ich gegen ihn hege. Mein Betragen mag nicht ganz tadelfrei sein, und manche mögen es, wie Ihr es getan habt, Elisabeth, ungeziemend nennen. Aber welche Achtung schulde ich dem Andenken eines, der mich behandeln konnte, wie Euer königlicher Vater mich behandelte? Leichtfertigkeit hat man mir nicht vorgeworfen, und ich war immer treu, gehorsam und dem König untertan in allen Dingen. Aber jetzt sind alle Bande zwischen uns gelöst. Ich schulde ihm nichts, nicht einmal Bedauern. Ich will keinen Vergleich zwischen mir und den unglücklichen Königinnen vor mir ziehen, aber übel ziemt es Anne Boleyns Tochter, mir einen Vorwurf zu machen.«
»Ich bitte Eure Majestät um Verzeihung«, sprach Elisabeth, »aber ich bin auf ebenso niedrige Weise betrogen worden wie Ihr selbst«, fügte sie mit einem verächtlichen Blick auf Seymour hinzu.
»Bevor Eure Hoheit mich verdammt, hört wenigstens, was ich zu meiner Verteidigung zu sagen habe«, flehte Seymour demütig.
Aber Elisabeth würdigte ihn nicht einmal eines Blickes, sondern sprach, zu Catharina gewendet: »Eure Majestät hat ganz recht in Ihrem Urteil über diesen Mann. Er ist falsch und geschmeidig wie die Schlange, aber niedriger noch wie jenes Reptil. Er hat uns beide betrogen. Machen wir gemeinschaftliche Sache gegen ihn, um ihn zu zertreten.«
»Ihr seid rachsüchtig, schöne Prinzessin«, rief Seymour, »aber ich wollte Euch beiden rateu, Euch und Eurer Majestät, zweimal zu bedenken, bevor Ihr einen solchen Versuch macht.«
»Ah! Nun sehen wir ihn in seinem wahren Charakter«, rief Elisabeth. »Die Schlange hat ihren Stachel gezeigt.«
»Genug, wir haben ihn entlarvt«, entgegnete Catharina. »Ich werde ihn zu vergessen versuchen«, fügte sie mit einem Seufzer hinzu.
»Ihre Majestät wird weich«, murmelte Seymour, die Königin aufmerksam beobachtend. »Hier ist noch nicht alles verloren. Wäre sie allein, so würde ich nicht daran verzweifeln, mein Terrain mit einem Male wieder zu gewinnen.«
Einen Augenblick schien es, als ob sich eine solche Chance böte, denn Elisabeth machte Anstalten, sich zu entfernen, und rief ihre Erzieherin, die der Szene voll Schrecken und ungewiss, wie sie enden würde, beigewohnt hatte. Dann blickte die Prinzessin zu der Königin hin, als ob sie erwarte, dass dieselbe sie begleite. Catharina aber blieb unschlüssig und Seymour triumphierte schon.
In diesem Augenblick trat ein Page ins Zimmer und meldete: »Der König!«
Hierauf blieben die Prinzessin und ihre Erzieherin stehen.
»Was führt den König hierher?«, fragte Catharina. »Ah, ich verstehe. Ist Seine Majestät ohne Begleitung?«, fragte sie den Pagen.
»Die Gräfin von Hertford ist bei ihm, Majestät«, antwortete der Page.
»Das vermutete ich«, erwiderte Catharina. Indem sie sich der Prinzessin näherte, flüsterte sie: »Seid vorsichtig. Die Gräfin hat bereits Übles genug angestiftet. Sie darf nicht über uns triumphieren.«
»Fürchtet nichts von mir«, entgegnete Elisabeth in demselben Ton. »Kein Wort meinerseits soll Eure Majestät verraten.«
Unterdes trat ein zweiter Page ein und rief wie der Erste: »Der König!« Dann folgte ein Zeremonienmeister, der ein Schwert trug und eine ähnliche Ankündigung machte. Darauf wurde die Tapete, welche den Eingang bedeckte, zur Seite gezogen und Edward trat in Begleitung der Gräfin von Hertford ein. Hinter dem König kamen Fowler und Xit.
Lady Hertfords erster Blick, als sie ins Zimmer trat, galt Catharina. Sie war nicht wenig erstaunt und getäuscht, sie so ruhig und gelassen aussehend zu finden. Durch eine gewaltsame Anstrengung hatte Catharina ihre Fassung wiedergewonnen. Auch an Elisabeth waren keine Symptome von Aufregung wahrzunehmen. Was Sir Thomas Seymour betrifft, so war er so vollkommen unbefangen, dass kein Mensch ahnen konnte, er sei der Hauptakteur in einer Szene wie die eben vorangegangene gewesen. Die einzige Person, welche ihre Bestürzung nicht ganz überwinden konnte, war Mistress Ashley. Aber um sie bekümmerte sich Lady Hertford wenig.
Nachdem der König die Begrüßung aller Anwesenden entgegengenommen hatte, wandte er sich an Lady Hertford mit den Worten: »Als Ihr mich hierherzukommen ersuchtet, gute Tante, verspracht Ihr mir eine angenehme Überraschung und Unterhaltung. Worin besteht nun die Überraschung?«
»Nach Ihrem Aussehen zu urteilen, ist meine gute Schwägerin selbst überrascht«, sprach Sir Thomas Seymour, »aber vielleicht nicht so angenehm, wie sie hoffte. Auf alle Fälle bin ich ihr dafür verbunden, dass sie Eure Majestät hierhergeführt hat, obwohl ich fürchte, die Mühe lohnt sich nicht.«
»Vielleicht war meine Anwesenheit die Eurer Majestät zugedachte angenehme Überraschung«, bemerkte die Königinwitwe. »Wenn dem so ist, so werde ich mich sehr geschmeichelt fühlen.«
»Oder meine«, fügte Elisabeth hinzu, »obgleich Lady Hertford kaum wissen konnte, dass ich hier bin.«
»Darin irrt sich Eure Hoheit«, entgegnete die Gräfin. »Ich wusste es ganz genau, dass Ihr hier seid. Vielleicht wird Sir Thomas erklären, warum auch er hier ist.«
»Nichts einfacher, gute Schwägerin«, antwortete Seymour . »Ich kam hierher, um meine Schwester Herbert zu besuchen, und da ich hörte, dass sie sich in einem anderen Teil des Palastes befinde, so würde ich mich sogleich wieder entfernt haben, wenn ich nicht Ihre Gnaden, Lady Elisabeth und Mistress Ashley im Zimmer gefunden hätte. Ich verweilte einige Minuten im Gespräch mit ihnen, bis Ihre Majestät, die Königinwitwe kam und mich bis jetzt zurückhielt.«
»Eine glaubwürdige Geschichte!«, rief Lady Hertford aus. »Ich kann eine andere Erklärung geben.«
»Wirklich! Bitte, so tut es, gute Tante«, sagte Edward.
Aber die Antwort der Gräfin wurde durch einen furchtbar drohenden Blick Seymours abgeschnitten.
»Ich habe mich eines anderen besonnen und stehe davon ab, mehr zu sagen«, sprach Lady Hertford.
»Nein, gute Tante, damit bin ich nicht zufrieden«, rief Edward. »Ihr zieht Sir Thomas’ Wahrhaftigkeit in Zweifel und seid doch nicht imstande oder nicht geneigt, ihn zu widerlegen.«
»Dringt nicht weiter in meine Schwägerin, Sire«, sprach Seymour. »Ihr merkt wohl, sie hatte einen Scherz auf meine Kosten im Sinn, und die volle Erklärung, die ich gegeben habe, hat ihm die Spitze abgebrochen.« Und wieder warf er der Gräfin einen strengen Blick zu.
»Ah! So ist es, liebe Tante?«, rief Edward lachend. »Gesteht, Ihr habt fehlgegriffen.«
»Das ist nicht zu leugnen, Sire«, antwortete Lady Hertford.
»Wer Unheil stiften will, sollte immer fehlgehen«, sprach Catharina.
»Nein, Eure Majestät seid zu streng«, entgegnete Edward . »Unsere gute Tante hatte bei ihrem Vorschlag nichts Böses im Sinn.«
»So glaubt Eure Königliche Hoheit, und es ist gut, wenn Ihr bei dieser Meinung bleibt«, erwiderte die Königin.
Eine Antwort vonseiten der Gräfin auf die unkluge, sarkastische Bemerkung der Königinwitwe wurde durch Sir Thomas Seymour verhindert, indem er seine Schwägerin beständig mit seinen Augen bewachte.
Jetzt trat Xit vor und sprach mit einer Verbeugung: »Eure Majestät kamen hierher, um überrascht und unterhalten zu werden. Es wäre schade, wenn Ihr getäuscht würdet. Eure liebenswürdige Natur schlichtet auch gern Streitigkeiten, wenn deren unglücklicherweise stattfinden. Möchtet Ihr nun geruhen, der Gräfin Hertford zu befehlen, dass sie Ihrer Majestät, der Königinwitwe, ihre Hand reicht?«
»Sire!«, rief die Gräfin, »Ihr werdet das nicht dulden!«
»Doch, doch, gute Tante. Der Bursche hat irgendeinen Spaß im Sinn, den ich ihm nicht durch eine Weigerung verderben möchte.«
So gedrängt näherte sich Lady Hertford mit großem Widerstreben der Königin. Catharina aber richtete sich stolz empor und hielt die Gräfin mit einem kalten Blick zurück.
»So! So!«, rief Xit mit einem komischen Blick auf den König. »Vielleicht gelingt uns der nächste Versuch besser. Will Eure Majestät geruhen, Sir Thomas Seymour aufzufordern, die Hand Ihrer Gnaden, der Lady Elisabeth zu nehmen?«
»Warum?«, fragte Edward.
»Ihr werdet sehen«, antwortete der Zwerg.
»Unterstehst du dich mit mir zu scherzen, elender Bursche?«, rief die Prinzessin aus, indem sie ihm eine gehörige Ohrfeige gab.
»Oh weh! Dass eine so sanfte Hand so derb schlagen kann,« bemerkte Xit, indem er sich die Wange rieb. »Aber noch bin ich nicht fertig Sire. Als letzte Probe bitte ich Euch, lasst Sir Thomas Seymour seine Hand der Königin reichen.«
»Der Befehl wäre unnütz!«, rief Catharina. »Er soll mir nicht zu nahe kommen.«
»Das Geheimnis ist heraus«, rief Xit triumphierend. »Hier ist ein Streit gewesen. Das also war die Eurer Majestät zugedachte angenehme Überraschung.«
»Bei meiner Treu! Ich glaube, der närrische Kerl hat recht.«
»Du nimmst dir merkwürdige Freiheiten heraus, Bursche«, sprach Seymour zu dem Zwerg. »Aber wenn du dir noch einmal Ähnliches mit mir erlaubst, dann sollen deine Ohren für deine Unverschämtheit bezahlen.«
»Eines hat schon bezahlt«, antwortete Xit, indem er hinter den jungen Monarchen flüchtete. »Meine Ohren gehören dem König, und wenn Eure Lordschaft sie mir nimmt, so beraubt Ihr Eure Majestät. Ihr seid, mit Erlaubnis zu sagen, Sire, in den April geschickt worden. Es ist die Aufgabe Eures getreuen Zwerges, Euch mit Anstand aus der Affäre zu ziehen – eine Aufgabe, die wer erfüllt hat.«
»Aus dem Mund der Narren geht oft Weisheit hervor«, bemerkte Edward. »Wir haben mehr von deiner Narrheit gelernt, als wir vielleicht durch eigene Beobachtung getan haben würden. Dass irgendein Missverständnis herrscht, ist klar. Woraus es entstanden ist, brauchen wir nicht zu wissen. Aber es muss ausgeglichen werden. Kommt, gute Tante«, sagte er zu Lady Herbford, »Ihr geht wieder mit uns, und was Euch betrifft, lieber Onkel«, fügte er mit gnädigem Lächeln zu diesem gewendet hinzu, »da weder die Königin, unsere Mutter, noch die Prinzessin, unsere Schwester, Eure Gesellschaft zu wünschen scheinen, so wollen mir sie davon erlösen und Euch bitten, uns zu einer Inspektion unserer Rüstkammer zu begleiten.«
Indem er die Königinwitwe und Elisabeth grüßte, verließ er mit Sir Thomas und Lady Hertford das Zimmer. Die Pagen und Diener mit Fowler und Xit folgten.
Sir Thomas blieb einige Zeit in Begleitung seines Neffen, und obwohl ihm keineswegs wohl zumute war, so bemühte er sich doch so erfolgreich, seine Stimmung zu verbergen und unterhielt sich mit so viel anscheinender Heiterkeit und Lebhaftigkeit, dass es ganz unmöglich war, zu vermuten, wie wenig sein Inneres seinem äußeren Wesen entsprach.
In Gesellschaft seines Oheims besuchte der junge König die Rüstkammer und besah den ungeheueren Vorrat von Kriegsmaschinen, die um jene Zeit darin aufbewahrt wurden. Edwards Aufmerksamkeit wurde zunächst von den Rüstungen in Anspruch genommen, nämlich von den Brustharnischen rundlicher Form, wie sie damals gebräuchlich waren, mit Beinschienen, Helmen und Panzerhandschuhen. Schwerter in allen Größen und Formen, von der schweren, zweischneidigen Waffe bis zu der feinen Damaszener Klinge, wurden dann aufmerksam geprüft, dazu andere damals gebräuchliche Verteidigungswaffen wie Lanzen, Streitäxte, Partisanen und Streithämmer. Seymour nahm die Gelegenheit wahr, indem er den König auf diejenigen Gegenstände hinwies, die seiner Aufmerksamkeit am meisten würdig waren, seine Brust mit der Begier nach kriegerischem Ruhm zu entflammen. Bis zu einem gewissen Grad gelang ihm dies auch. Edwards Wangen glühten und seine Augen leuchteten, indem er den detaillierten Schilderungen lauschte, die sein Oheim von einigen Gefechten des letzten Krieges mit Frankreich machte.
»Mit der Zeit wird Eure Majestät ohne Zweifel das Heer in eigener Person anführen«, äußerte Sermon zum Schluss, »und dann werden unsere Feinde finden, dass England einen anderen Edward besitzt, tapfer wie der Dritte dieses Namens, oder wie der schwarze Prinz, sein kriegerischer Sohn.«
»Mag sein, später«, entgegnete der König mit einem gnädigen Lächeln. »Unterdes aber müssen wir den Oberbefehl über unsere Heere solchen anvertrauen, die fähiger sind als wir selbst.«
»Ah! Hier ist eine Waffe, die Eurer Majestät Aufmerksamkeit verdient«, rief Seymour aus, indem er ein großes zweischneidiges Schwert herunternahm. »Mit diesem Schwert hat Euer erhabener Vater oft im Turnier mit dem Herzog von Suffolk, der ihm allein gewachsen war, gekämpft. Eure königliche Majestät wird es kaum heben können.«
»Lasst es mich versuchen!«, rief Edward, indem er die mächtige Waffe nahm und sich vergeblich bemühte, sie zu schwingen. »Nein, in Wahrheit, es geht über meine Kräfte«, fügte er hinzu, indem er das Schwert seinem Oheim zurückgab.
»Ich will Eurer Majestät lehren, es zu handhaben, dass Euch zehn gewöhnliche Schwerter nichts anhaben können«, rief Sir Thomas. Bis auf eine genügende Distanz zurücktretend schwang er das riesige Schwert mit ungeheurer Schnelligkeit, indem er erst einen Stoß damit führte und dann einen abwärts gerichteten Hieb. »So«, sprach er lachend, »ein jeder dieser Streiche hätte den Feind getötet. Aber man kann das Schwert auch mit der linken Hand halten und auf diese Weise stoßen«, fuhr er fort, indem er seine Worte mit einer entsprechenden Bewegung begleitete. »Aber dann lauft Ihr Gefahr, dass der Gegner das Schwert zu fassen bekommt und Euch dessen beraubt.«
»Das scheint mir auch«, erwiderte Edward. »Was meinst du, ob du das Schwert heben kannst?«, fügte er, zu Xit gewendet, hinzu, der Sir Thomas Seymours Bewegungen mit großer Bewunderung folgte.
»Ich zweifle nicht, dass ich es schwingen kann, Sire, ja, ich könnte selbst einen Stoß damit führen«, entgegnete der Zwerg vertrauensvoll. »Ich habe Ogs Partisane getragen, und das ist eine mächtigere Waffe.«
»Gebt es ihm, lieber Onkel«, sprach der König.
»Es ist kein Spielzeug für seine Hände«, rief Sir Thomas, indem er das gewaltige Schwert klirrend niederfahren ließ, sodass Xit erschrocken zurückfuhr. Aber er trat augenblicklich wieder vor, und indem er den Griff mit beiden Händen fasste, bemühte er sich vergebens, einen Kreis mit der Waffe zu beschreiben. Nach wiederholten Anstrengungen, die seinen Kopf in einige Gefahr brachten und den König sehr amüsierten, musste Xit ablassen und bekennen, dass das Schwert zu schwer für ihn sei.
Sir Thomas erklärte dann die verschiedenen Kampfesweisen und wie Streitaxt, Hellebarde und Partisane zu Hieb, Stich und Stoß gehandhabt würden, indem er zugleich seine Erklärungen praktisch mit den Waffen, die er mit größter Gewandtheit handhabte, erläuterte. Als die Lektion vorbei war, kehrte Edward in den Palast zurück, ließ Doktor Cox und Sir John Cheke rufen und widmete sich eifrig seinen Studien, während Seymour froh war, erlöst zu sein, und sich zum Wardrobe Tower begab.