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Die Macht der Drei – Teil 50

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Die Botschaft der Macht war da und wirkte sich aus. Der Krieg war zu Ende, auch ohne einen ausdrücklichen Befehl der beiden kriegführenden Weltmächte. Er war automatisch zu Ende gegangen, weil die Macht mit Sturm und Brand zugegriffen hatte, wo immer sich noch ein Kampf entspinnen wollte. Es konnte sich nur noch darum handeln, durch einen formellen Friedensschluss zwischen den beteiligten Regierungen den tatsächlichen  Zustand zu legitimieren.

In den Vereinigten Staaten nahm man diese Entwicklung der Dinge mit unumwundener Zufriedenheit auf. Der Krieg war ein Krieg Cyrus Stonards gewesen. Es kam der jungen Regierung gelegen, dass diese die unsympathische Erbschaft nicht zu übernehmen brauchte, dass der in den Staaten so wenig volkstümliche Krieg sang- und klanglos zu Ende war. Man spürte wohl auch unbewusst, dass eine friedliche stetige Entwicklung der Union ganz von selber all die Vorteile bringen musste, die hier erkämpft werden sollten.

Anders sah es in England aus. Man hatte sich mit allen Mitteln auf den Kampf eingestellt. Die englischen Staatsmänner hatten erkannt, dass nur ein glücklicher Krieg den englischen Besitzstand erhalten könne.

Lord Gashford betrat fein Arbeitszimmer und warf sich erschöpft und missmutig in seinen Sessel. Der Diener bekam eine kurze Weisung: »Lord Maitland wird kommen. Jede Störung fernhalten!«

Der englische Premier blieb mit seiner Ratlosigkeit und Verantwortung allein. Nervös trommelten die Finger seiner Rechten auf der Sessellehne.

Der Premier hatte Lord Horace gebeten, in der Hoffnung, bei ihm einen Rat, einen Plan zu finden.

Lord Horace trat in den Raum und nahm ihm gegenüber Platz.

Es dauerte geraume Zeit, bevor Lord Maitland die Lippen öffnete. Und dann sprach er auch nur vier Worte: »Der Krieg ist aus!«

Lord Gashford erwartete etwas anderes. Erwartete Hilfe durch Rat und Tat und wurde ungeduldig. Er versuchte sein Gegenüber auf Umwegen zum Sprechen zu bringen und fragte: »Wie wird sich die Regierung in Amerika verhalten?«

»Nach dem Sturz Stonards kommt ihnen der Frieden gelegen. Der Gedanke, einer anderen Eisenfaust gehorchen zu müssen, ist ihnen nicht so fürchterlich. Sie sind ja zwanzig Jahre versklavt gewesen.«

Lord Gashford fuhr auf. »Aber wir? Großbritannien … das freieste Land der Welt, stolz darauf, niemals einer fremden Macht hörig gewesen zu sein. Wie werden wir uns stellen?«

Lord Horace antwortete langsam, und Resignation klang aus seinen Worten: »Der Frieden mit Amerika wird nicht schwer zu schließen sein. Viel schwerer der mit unseren Dominions und Kolonien. Ich fürchte, dass Australien sich vom Reich lösen wird. Die afrikanische Union braucht uns noch. Trotz ihrer eigenen starken Industrie benötigt sie … vorläufig noch das Mutterland. Und Indien …«

»Und Indien …?« Lord Gashford stieß die Frage heraus.

»Indien … Einer von den dreien ist ein Inder … Ich hoffe, dass die indische Intelligenz das Gute zu würdigen weiß, das die englische Regierung dem Land gebracht hat. Wir haben nicht immer fein gewirtschaftet. Es sind Hunderttausende unter unserer Herrschaft verhungert. Aber Millionen hätten sich gegenseitig die Hälse abgeschnitten, wenn wir nicht dagewesen wären.«

Lord Gashford zählte an den Fingern wie ein Schulknabe bei seiner Rechenaufgabe: »Kanada verloren … Australien halb verloren … Afrika unsicher … Indien nicht sicher …«

»So könnte es wohl geschehen, dass uns nur die britischen Inseln bleiben …«

Lord Horace blickte düster vor sich hin. Ein leises Nicken nur drückte seine Zustimmung aus.

»Wenn nicht …« Kaum hörbar waren ihm die Worte über die Lippen geglitten, aber den gespannten Sinnen Lord Gashfords waren sie nicht entgangen.

»Wenn nicht? … Was meinen Sie? Wenn nicht …«

Die Muskeln im Gesicht Lord Maitlands spannten sich. Zwischen den Zähnen stieß er die Worte hervor: »Wenn nicht diese Macht … diese unheimliche, unwahrscheinliche Macht ein Narrenspiel der Weltgeschichte ist …«

Lord Gashford machte eine abwehrende Bewegung. »Vorläufig ist die Macht da! Was raten Sie?«

»Kaltes Blut! Sich vorläufig damit abfinden. Vorläufig dem Zwang folgen …«

Der Ferndrucker auf dem Tisch begann zu schreiben. Ein Ersuchen der amerikanischen Regierung, Zeit und Ort für die Friedensverhandlungen zu bestimmen. Lord Gashford las und schob den Streifen Lord Horace zu.

»Sie kennen die Union seit langen Jahren. Ich ersuche Sie, die Verhandlungen als Bevollmächtigter Großbritanniens zu führen.«

»Meine Vollmachten …?«

»… sind unbegrenzt.«

»Unbegrenzt … soweit die Grenzen nicht die Macht zu ziehen beliebt …«

Lord Horace verließ den Premierminister. Er hatte ein Gefühl, als ob die Wände des Gemaches ihn erdrücken wollten. Aufatmend stand er auf der Straße und sog in tiefen Zügen die frische Luft ein. Dann gab er dem Wagenlenker einen kurzen Befehl.

Der Wagen wand sich durch die Straßen der Stadt und nahm den Weg über das freie Land. Vorbei an saftstrotzenden Triften und Weiden, durch Dörfer und sommergrüne Wälder.

Lord Horace achtete nicht darauf. Seine Gedanken beschäftigten sich mit der Macht. Erst in dieser Stunde kam es ihm ganz zum Bewusstsein, wie eng und eigenartig gerade die Beziehungen seines Hauses zu den dreien waren, die heute der Welt ihren Willen diktierten. Seine Gattin so eng bekannt mit dem einen, dem Mächtigsten. Die Gattin des anderen seit Wochen als Gast unter seinem Dach.

Flüchtig ging ihm ein Gedanke durch den Kopf. Konnte England Jane Bursfeld nicht als Geisel nehmen? Dadurch den Willen der Macht beeinflussen?

Ebenso schnell wie der Gedanke auftauchte, wurde er verworfen. Jane hatte erzählt, wie Atma und Silvester nach Amerika kamen, wie schon ein winziger Strahler Glossins Flugschiff lähmte, die Maschinen zerschmolz, die Besatzung verbrannte. Was würde die Macht heute tun, wenn England die Hand auf Jane legte? Heute, da ihre Waffen viel stärker waren, viel weiter trugen, viel sicherer trafen.

Lord Horace gab das Grübeln auf. Er nahm den Hut vom Haupt und ließ sich den Fahrwind um die brennende Stirn fegen. Aber die Gedanken verließen ihn nicht. Diana kannte den einen, Jane ist die Gattin des anderen. Irgendeine Möglichkeit müsste es dadurch geben, mit den Trägern der Macht in Berührung zu kommen. Irgendein Pfad müsste sich zeigen, auf dem England aus dieser Sackgasse herauskommen kann. Die Gedanken verfolgten ihn bis an das Ziel seiner Fahrt.

In der großen Halle in Maitland Castle saß Jane auf ihrem Lieblingsplatz. In dem Erker, von welchem der Blick auf die Veranda und den Park ging. Ein Nähkörbchen stand vor ihr. Sie arbeitete an einem Jäckchen. Doch die Arbeit lag auf dem Tisch, und ihre Augen hafteten an einem Schriftstück. Die blauen Typen des Farbschreibers. Die letzte Depesche der Macht. Als der Telegraf die Botschaft der Macht auch nach Maitland Castle meldete, hatte Jane das Schriftstück an sich genommen. Seit zwei Tagen trug sie es bei sich und las es in jeder unbeobachteten Minute wieder und immer wieder.

Ihr Blick hing wie gebannt an den Schriftlichen. Sie überhörte dabei das Kommen Dianas, die leise hinter sie trat, ihr den Arm auf die Schulter legte.

Jane schrak zusammen. Sie versuchte es, das Papier zwischen die Wäschestücke zu schieben.

»Jane, mein Kind. Schon wieder die Depesche?«

»Ach … Diana … Sie wissen nicht, was die Worte auf diesem Papier für mich bedeuten. Immer wieder finde ich Trost in diesen Zeilen. An alle Welt ist die Depesche gerichtet. Ich aber sehe den vor mir, der sie abgesandt hat.«

Diana hatte sich der jungen Frau gegenüber niedergelassen. Sie sah, wie fliegende Röte über ihre Züge huschte, las in diesem Gesicht wie in einem offenen Buch. Freude, dass der Gatte lebte. Stolz, dass die Idee zu dem großen Werk in der genialen Erfindung ihres Gatten wurzelte. Glück, dass sie nach vollendetem Werk Silvester bald wieder in die Arme schließen können.

»Kind! Wenn jemand Sie versteht, so bin ich es. Ich bin stolz darauf, die Gattin Silvester Bursfelds meine Freundin nennen zu können.«

Tiefes Rot überflutete Janes Wangen. Ein hilfloses Lächeln zuckte um ihre Lippen.

»Was Sie sagen, sollte mich stolz machen. Aber was bin ich Silvester? Was kann ich ihm jetzt noch sein? Je höher Sie meinen Mann und sein Werk stellen, desto kleiner und unwerter komme ich mir selbst vor. Ich fürchte mich vor dem Wiedersehen! Statt meinen Silvester zu umarmen, werde ich vor einem Mann stehen, zu dem die Welt aufblickt. Was werde ich ihm noch sein können?«

Diana richtete sich auf. »Was sagen Sie, Jane? Sie versündigen sich mit Ihren Worten an der heiligsten Bestimmung der Frau. Sind Sie ihm nicht Gattin? … Erfüllen Sie nicht damit die hehrsten Gesetze, die die Natur der Frau vorgeschrieben hat?«

Mit aufleuchtender Freude lauschte Jane den Worten Dianas.

»Jane! Sie geben ihm den Erben. Sie pflanzen sein Geschlecht fort, in dem der Name und Ruhm Silvester Bursfelds weiterleben wird. Er weiß es nicht. Wie er sich freuen würde, wenn er es wüsste!«

»Glauben Sie …?«

»Ganz gewiss!«

»Aber Sie, Diana …?«

»Ich …?«

»Warum weiß Lord Horace nicht davon, dass …«

Mit einer raschen Bewegung wandte Diana Maitland den Blick dem Park zu. Jane sah, wie ihr eine jähe Röte über den Nacken lief.

Ein drückendes Schweigen. Bis Diana Maitland sich mit einer müden Bewegung Jane wieder zuwandte. Sie vermied es, Janes Frage zu beantworten. Nahm den Papierstreifen aus den Händen der jungen Frau.

»Ja … die Depesche … Es sind die stolzen Worte einer überlegenen Macht … Aber sie künden der Menschheit den Frieden. Ich kenne die Politik … ihre Mittel und Wege … ich kann mich in die Seelen der Tausend von Frauen und Männern versetzen, denen die Worte der Depesche Schicksal und Leben bedeuten. Dann glaube ich zu träumen und zweifle, ob es wahr ist, was die Worte der geheimnisvollen Macht enthalten … ja, Jane … ich habe Zweifel, ob es wahr ist … Aber … nein, es muss wahr sein … Denn Eriks Worte sind es ja … Erik … lügt nicht!«

»Erik? … Meinen Sie Erik Truwor?«

»Ja, Erik Truwor.«

»Kennen Sie Erik Truwor?«

»Ja … ich lernte ihn vor Jahren in Paris kennen.«

»Sie kennen Erik Truwor, den besten Freund meines Mannes?«

»Ja. Ich kenne ihn … habe ihn sehr gut gekannt.«

»Aber Sie sprechen nie von ihm. Und doch ist sein Name in unseren Gesprächen schon oft gefallen.«

»Lassen Sie, Jane! … Es sind Erinnerungen, die … ich … begraben … vergessen haben möchte. Ich denke jetzt nur noch an sein Werk … Wird es ihm glücken? … Wird ein idealer Wille im Besitz einer unendlichen Macht imstande sein, der Menschheit den Frieden zu geben, die Dinge der Welt zum Heil der Menschheit neu zu ordnen … ich denke, es wird ihm gelingen … er wird sein Werk vollbringen, nach dem eine neue Zeitrechnung für die Politik und Geschichte Europas … nein, der ganzen Welt beginnt …«

Lord Horace stand plötzlich in der Halle. Diana fühlte sich unsicher. Sie wusste nicht, wie viel ihr Gatte von dem Gespräch gehört haben mochte, wie viel von diesem Gedankenaustausch an sein Ohr gedrungen war.

»Auch hier Politik? Wo ich Ruhe suchte, fand ich immer nur Politik.«

»So muss es wohl sein, Horace. In Schloss und Hütte, in den entlegensten Winkeln der Erde bewegt doch alle dieselbe Frage. Kann es etwas Erhebenderes geben als den Gedanken, dass die Welt endlich zur Ruhe kommen soll? Dass dies sinnlose Morden und Zerfleischen ein Ende haben soll …?«

»Du scheinst dich schon ganz als Weltbürgerin zu fühlen. Was aus unserem Land … aus dem britischen Weltreich wird, ist dir gleichgültig. Freilich … du bist keine geborene Britin.«

»Aber ich habe stets als englische Patriotin gefühlt. Ich habe stets empfunden …« Lady Diana sprang auf und trat ihrem Gatten entgegen. »… dass ich die Gattin Lord Maitlands bin.«

»… als Britin hast du gefühlt?«

»Stets, Horace!«

»Und trotzdem bist du für die Pläne der Macht eingenommen?«

»Ja!«

»Ja … verstehst du den Sinn dieser Depesche nicht?«

»Aber ja doch! Es ist die frohe Botschaft vom Frieden … die Freudenbotschaft, dass der Krieg zu Ende ist.«

»So … so? … Weiter nichts?«

»Ja … ist denn das nicht genug? Klingt das nicht wie das Weihnachtsevangelium?«

»Weihnachtsbotschaft? … Freudenbotschaft? … Welcher Mann kann das als Freudenbotschaft ansehen, was ihm Sklaverei und Knechtschaft bedeutet.«

»Horace … Horace … was sprichst du?«

»Soll ich dir die Depesche ins Gedächtnis zurückrufen … soll ich sie dir noch einmal vorlesen?

Der Krieg ist zu Ende! …

Die Macht fordert Gehorsam …

Ungehorsam wird bestraft!!! …

Macht dir das als Britin Freude?«

Das klang ganz anders als die Tonart, in der Diana die Depesche gelesen hatte. Wie Peitschenhiebe knallten hier die einzelnen Worte, steigerte sich die Drohung von Satz zu Satz, bis sie schließlich brutal herauskam. Bei jedem Wort dieser lapidaren Sätze trat Diana automalisch einen Schritt zurück. Ihre Augen hingen starr und ratlos an ihrem Gatten. Aber auch Lord Maitlands Züge hatten die gewohnte Ruhe verloren. Es zuckte in ihnen. Röte der Erregung und des Zornes lag auf seinem Antlitz.

Wie hatte Diana mit Jane zusammen über diese Depesche gefabelt, und wie anders klang sie jetzt. Ein eisiger Schauer überlief Diana. Sie bedeckte ihre Augen mit den Händen. Hatte sie sich so getäuscht?

Wortlos standen die Gatten sich gegenüber. Langsam ließ Diana die Hände sinken und … Was war das? … Irrte sie sich nicht … War das nicht ein leises Flimmern eines Triumphes in seinen Augen? … Nein! Die Botschaft Erik Truwors klang falsch im Mund ihres Gatten. Sie war anders zu lesen, musste so gelesen werden, wie Diana und Jane sie gelesen hatten.

»Horace … kannst du dich nicht freimachen von einem Namen? … Kannst du den Mann nicht von seinem Werk trennen?«

Lord Horace zeigte wieder die ruhige unbewegliche Haltung des englischen Aristokraten. Keine Spur in seinen Mienen verriet mehr, wie nahe ihm diese Unterredung ging, wie sehr schon der Name Erik Truwors ihn erregte. »Mein Herz ist kühl genug, um den Namen von seinem Werk zu trennen.«

Gelassen, fast müde kamen die Worte von seinen Lippen. Aber er beobachtete scharf und sah, wie Diana von diesen Worten getroffen wurde. Wie sie die Hände gegen die Brust presste, als müsse sie einen tiefen Schmerz unterdrücken. Er sah, wie sie sich schweigend zum Fenster hin wandte, und stand selbst unbeweglich auf seinem Platz. War es möglich, dass seine Worte ihr Herz so trafen, dass er ihr doch alles … der andere, der verhasste Name nur ein Schemen war?

Es drängte ihn, vorwärtszustürzen. Mit Mühe hielt er den Namen Diana auf seinen Lippen zurück. Einen kurzen schweren Kampf, dann hatte er die volle Herrschaft über sich gewonnen.

»Die Zukunft wird erweisen, wer recht hat. Ich wünschte … ich wünschte von Herzen, du hättest recht …«

Als Diana sich umwandte, hatte Lord Maitland die Halle verlassen.

Diana war allein. Ihr Gesicht war entstellt, gealtert, schmerzverzerrt. Ihre Augen starrten auf die Stelle, wo Lord Horace gestanden hatte. Kaum hörbar kam es von ihren Lippen: »Erik Truwor … Erik … Truwor!«

Ein Götzenbild! Wankte es? Stürzte es? … Wo war die Wahrheit? … Schluchzend sank sie auf den Teppich nieder.

 

***